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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 139/12
vom
29. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. Mai 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bonn vom 13. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen
Körperverletzung in sieben Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sowie des versuchten Diebstahls freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
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1. Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgrund einer chronifizierten und zur Tatzeit akuten
schizophrenen Psychose bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des
in zwei Fällen tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem Zustand, in dem sowohl seine Einsichts- als auch seine Steue-
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rungsfähigkeit auf motivationaler Ebene vollständig aufgehoben waren (§ 20
StGB), während er sich bei Begehung des versuchten Diebstahls in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit befand, wobei eine völlige
Aufhebung nicht ausgeschlossen werden konnte. Infolge seines Zustandes und
des dadurch bedingten Wahnerlebens seien auch in Zukunft erhebliche Straftaten, auch im Bereich von Gewalttaten, zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des
Maßregelvollzuges erfolgen.
3
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.
4
Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten sicher schuldunfähig bzw. erheblich vermindert schuldfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die Strafkammer bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte einen Ausschluss der
Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit angenommen hat (BGHR StGB § 63
Schuldfähigkeit 1; Fischer StGB 59. Aufl. § 21 Rn. 5; vgl. aber auch BGH NStZRR 2006, 167, 168). Es fehlt jedenfalls an einer tatsächlichen Grundlage für die
Annahme eines jeweils akuten Schubs der Erkrankung und insbesondere auch
eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und den einzelnen Taten.
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Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume
überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, NStZ-RR 2008, 39). Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung
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bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt
hat (vgl. BGH, StraFo 2004, 390 mwN). Die Strafkammer schließt sich insoweit
der Beurteilung des Sachverständigen an, ohne dessen dafür wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich
wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 5 StR 123/10 mwN). Soweit der
Sachverständige und ihm folgend die Kammer darauf abgestellt haben, der Angeklagte habe aufgrund eines zum jeweiligen Tatzeitpunkt bestehenden
"Wahnerlebens" (UA S. 18) bzw. er habe auf eine "subjektiv empfundene, gegebenenfalls auch wahnhaft wahrgenommene, Provokation hin" sein Verhalten
nicht mehr "steuern" können, bzw. projiziere seine eigenen Aggressionen "in
(vermeintlich) feindselige Handlungsformen anderer Personen" (UA S. 19), wird
dies in den Urteilsgründen nicht belegt. Auch aus dem Gesamtzusammenhang
der Urteilsgründe ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltpunkte. Die
festgestellten Taten des Angeklagten richteten sich gegen seine vormalige
Freundin, die ihm eine gewünschte Aussprache verweigerte, gegen einen Passanten, der ihr beistehen wollte, gegen zwei Schüler, die zuvor Steinchen gegen das Auto des Angeklagten geworfen bzw. ihm Zigarettenrauch ins Gesicht
geblasen hatten, sowie gegen zwei Polizeibeamte, die in zwei Fällen hinzu kamen und den Angeklagten festnehmen wollten. Lediglich im Fall des versuchten
Diebstahls lassen die Feststellungen erkennen, dass der Angeklagte offenkundig davon ausging, dass er ein Fahrzeug, das nicht erkennbar gebraucht werde,
mitnehmen dürfe; auch dies weist entgegen der Annahme der Kammer aber
nicht auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hin.
-5-
6
3. Die Sache bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358
Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH StraFo 2011, 55 mwN).
Fischer
Berger
Eschelbach
Krehl
Ott