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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 137/14
vom
11. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:110517B2STR137.14.1
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Mai 2017 gemäß § 406a
Abs. 2 Satz 2 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 15. November 2013 wird verworfen, auch soweit sie sich gegen die Adhäsionsentscheidungen richtet.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die den Neben- und Adhäsionsklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
1
Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 15. November
2013 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen sowie wegen
schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten und zugleich zur Zahlung
von Schmerzensgeldern in Höhe von 12.000 € und zweimal jeweils 5.000 € an
die drei Neben- und Adhäsionsklägerinnen verurteilt. Mit Beschluss vom
8. Oktober 2014 hat der Senat die Revision des Angeklagten verworfen, soweit
sie sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtete. Zugleich hat er die
Entscheidung über die Revision gegen die im vorbezeichneten Urteil getroffene
Adhäsionsentscheidung sowie über die Kosten des Rechtsmittels im Hinblick
auf das mit Beschluss vom 8. Oktober 2014 – 2 StR 137/14 u.a. (NStZ-RR
2015, 382) bei den anderen Strafsenaten und beim Großen Senat für Zivilsachen eingeleitete Anfrageverfahren zur Frage der Bemessung eines Schmer-
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zensgeldes zurückgestellt und sie einer abschließenden Entscheidung vorbehalten. Nach der Entscheidung der Vereinigten Großen Senate des Bundesgerichtshofs vom 16. September 2016 – VGS 1/16 (JR 2017, 179), bei dem der
Senat mit Beschluss vom 14. April 2016 – 2 StR 137/14 u.a. die Frage vorgelegt hatte, ob bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253
Abs. 2 BGB) die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten berücksichtigt werden dürfen und wenn ja, nach welchen Maßstäben,
war nunmehr die gegen die Adhäsionsentscheidung gerichtete Revision des
Angeklagten zu verwerfen.
I.
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Die Vereinigten Großen Senate haben entschieden, dass bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB (§ 847
BGB a.F.) alle Umstände des Falles berücksichtigt und dabei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten nicht von vornherein
ausgeschlossen werden können (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom
16. September 2016 – VGS 1/16).
3
Das Schmerzensgeld hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen
angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenige Lebenshemmung, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll
aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (Genugtuungsfunktion, st. Rspr., grundlegend BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 154 ff.; BGH,
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VI. Zivilsenat, Urteile vom 13. Oktober 1992 – VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1, 4 f.;
vom 29. November 1994 – VI ZR 93/94, BGHZ 128, 117, 120 f.).
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Dabei steht der Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes bildet
die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichste Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung. Für bestimmte Gruppen von immateriellen Schäden hat aber auch
die Genugtuungsfunktion, die aus der Regelung der Entschädigung für immaterielle Schäden nicht wegzudenken ist, eine besondere Bedeutung.
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Sie bringt insbesondere bei vorsätzlichen Taten eine durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck, die nach der Natur der Sache bei der Bestimmung
der Leistung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles gebietet (BGH,
Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55, BGHZ
18, 149, 157; VI. Zivilsenat, Urteil vom 16. Januar 1996 – VI ZR 109/95, VersR
1996, 382).
6
Bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld stehen deshalb
die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung ganz im Vordergrund. Daneben können aber auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die
dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, wie etwa der
Grad des Verschuldens des Schädigers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16, juris,
Rn. 55). Ein mit zu berücksichtigender Umstand kann dabei die Verletzung einer "armen" Partei durch einen vermögenden Schädiger etwa bei einem außergewöhnlichen "wirtschaftlichen Gefälle" sein (Vereinigte Große Senate, Be-
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schluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16, juris, Rn. 57). Indem der
(Tat-)Richter im ersten Schritt alle Umstände des Falles in den Blick nimmt,
dann die prägenden Umstände auswählt und gewichtet, dabei gegebenenfalls
auch die (wirtschaftlichen) Verhältnisse der Parteien zueinander in Beziehung
setzt, ergibt sich im Einzelfall, welche Entschädigung billig ist (Vereinigte Große
Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16, juris, Rn. 56, 70).
7
Zur Überprüfung seiner Entscheidung durch das Revisionsgericht ist der
Tatrichter regelmäßig gehalten, die für die Schmerzensgeldbemessung prägenden einzelnen Umstände, im Regelfall vor allem die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung, in seiner Entscheidung zu benennen, im Rahmen einer
sich daran anschließenden Gesamtwürdigung gegeneinander abzuwägen und
daraus ein den einzelnen Fall gerecht werdendes Schmerzensgeld festzusetzen. Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen von Schädiger und
Geschädigtem und Ausführungen zu deren Einfluss auf die Bemessung der
billigen Entschädigung sind dabei nur geboten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Einzelfall ein besonderes Gepräge geben und deshalb bei der
Entscheidung ausnahmsweise berücksichtigt werden mussten (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16, juris, Rn. 72).
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Für die Überprüfung eines Ausspruchs über die Zuerkennung eines
Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren gilt danach Folgendes:
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Die Nichtberücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem und Tatopfer stellt entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs regelmäßig keinen Rechtsfehler dar. Ausnahmsweise ist eine Berücksichtigung vonnöten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall ein "besonderes Gepräge" geben. Dies ist etwa bei einem
wirtschaftlichen Gefälle anzunehmen. Ausführungen dazu, dass die wirtschaftli-
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chen Verhältnisse dem Fall kein besonderes Gepräge geben, sind regelmäßig
nicht erforderlich.
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Hat der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem
oder Tatopfer, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes Gepräge geben,
gleichwohl bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, stellt dies
regelmäßig einen Rechtsfehler dar, bei dem anhand der tatrichterlichen Erwägungen im Einzelfall zu prüfen ist, ob die angefochtene Adhäsionsentscheidung
darauf zum Nachteil des Angeklagten beruhen kann. Die Berücksichtigung
schlechter finanzieller Verhältnisse des Angeklagten wird sich regelmäßig nicht
zu seinem Nachteil ausgewirkt haben, hingegen liegt es nahe, dass die Einbeziehung einer wirtschaftlich schlechten Situation des Tatopfers zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes geführt und sich nachteilig ausgewirkt hat.
II.
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An diesen Maßstäben gemessen begegnen die Adhäsionsentscheidungen des angefochtenen Urteils keinen Bedenken. Das Landgericht hat sich ersichtlich an dem Ausmaß des begangenen Tatunrechts und den Folgen für die
Opfer orientiert; die wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem und Geschädigten hat es bei der Schmerzensgeldbemessung nicht berücksichtigt. Da
sich in den Urteilsgründen zudem keine Anhaltspunkte dafür finden, dass etwa
ein außergewöhnliches Gefälle zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
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von Täter und Opfern und damit ein Fall vorliegt, in dem die wirtschaftliche Situation der Sache ein besonderes Gepräge gibt, war die Außerachtlassung der
wirtschaftlichen Verhältnisse – entgegen bisheriger Rechtsprechung – nicht zu
beanstanden.
Appl
Krehl
Zeng
Eschelbach
Grube