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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 59/12
vom
29. Mai 2012
BGHSt:
ja
BGHR:
ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung:
ja
______________________________
StGB § 21
Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit kommt der Blutalkoholkonzentration
umso geringere Bedeutung zu, je mehr sonstige aussagekräftige psychodiagnostische Beweisanzeichen zur Verfügung stehen (Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteil vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66).
BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12 - LG München II
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Mai 2012 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München II vom 28. Oktober 2011 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu fünf
Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf Verfahrensrügen
und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet (§ 349
Abs. 2 StPO).
A.
2
I. Auf der Grundlage eines umfassenden und näher überprüften Geständnisses hat das Landgericht folgendes Tatgeschehen festgestellt: Der Angeklagte begab sich am 16. Juli 2010 nach Beendigung seiner Arbeit - er war
im Frühdienst in einer Pension tätig, wo er u.a. für Abrechnungen zuständig war
- wie nahezu jeden Tag in seine Stammkneipe und trank dort ab 11.30 Uhr,
spätestens ab 12.00 Uhr, mindestens sechs, maximal zehn Halbe Bier. Teilweise hielt sich der Angeklagte vor der Kneipe auf einer Bank auf, die neben einem Brunnen stand. An diesem Nachmittag badeten Kinder in dem Brunnen,
-3-
darunter der dem Angeklagten unbekannte, damals siebenjährige Geschädigte,
der sich bis auf die Unterhose entkleidet hatte. Der Geschädigte verließ als
letztes der Kinder den Brunnen und ging zu dem auf der Bank sitzenden Angeklagten. Dieser trocknete den Jungen mit einem dort befindlichen Handtuch ab.
Als der Junge seine Sorge äußerte, er könne mit seiner Mutter Ärger bekommen, weil er nass und verdreckt sei, bot ihm der Angeklagte an, ihn mit in seine
(des Angeklagten) Wohnung zu nehmen, um dort die Wäsche zu trocken.
3
Der Junge folgte dem Angeklagten in dessen nahegelegene Wohnung,
die zu einem nicht ermittelbaren Zeitpunkt zwischen 17.00 Uhr und kurz nach
18.00 Uhr erreicht wurde. Dort brachte der Angeklagte den Jungen in das Badezimmer, wo dieser sich entkleidete und in die Badewanne stieg. Nachdem
der Angeklagte die Unterhose des Jungen zum Wäschetrockner gebracht und
diesen angestellt hatte, ging er zu dem Jungen in das Badezimmer „und half
diesem beim Duschen, indem er (…) ihn einseifte (…). Hierbei fasste der Angeklagte den Entschluss, sexuelle Handlungen an dem Kind vorzunehmen.“ Er
sprach den Jungen auf sichtbare Reste von dessen im April 2010 durchgeführten Phimose-Operation an und äußerte, das werde helfen. Sodann griff er - vor
der Badewanne kniend - mit seiner Hand an den Penis des Jungen, nahm diesen in den Mund und „bewegte seinen Mund über etwa fünf bis zehn Sekunden
am Geschlechtsteil des Jungen vor und zurück und zog mit dem Mund daran,
um sich sexuell zu erregen. Dazu erklärte er dem Kind, er mache das, damit
der `Pipi besser hochkomme`(…) was ihm auch zumindest teilweise gelang“.
Der Angeklagte beendete den Oralverkehr, nachdem der Junge äußerte, dass
er das eklig finde.
4
Anschließend trug der Angeklagte Babyöl oder eine Gleitcreme auf den
After des Jungen auf und drang dabei mit einem seiner Finger dort ein und be-
-4-
wegte den Finger mehrmals hin und her, um sich dadurch sexuell zu erregen.
Dies verursachte bei dem Jungen, wie der Angeklagte zumindest billigend in
Kauf nahm, „nicht unerhebliche Schmerzen“. Als der Junge dies und sein Ekelempfinden gegenüber dem Angeklagten äußerte, beendete der Angeklagte
diese sexuelle Handlung und hörte auch auf, den Jungen auf den Mund zu
küssen, wie er es im Verlauf des Geschehens getan hatte.
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Als der Junge nach etwa 20 Minuten mit der zwischenzeitlich getrockneten Kleidung die Wohnung des Angeklagten verließ, sagte ihm der Angeklagte
noch, „dass das Geschehen ein Geheimnis bleiben solle“.
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II. Darüber hinaus hat das durch zwei Sachverständige beratene Landgericht zur Schuldfähigkeit festgestellt, dass der Angeklagte zur Tatzeit alkoholbedingt enthemmt, jedoch in seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit weder
aufgrund des Alkoholkonsums noch aufgrund sonstiger Umstände i.S.v.
§ 21 StGB erheblich vermindert war.
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Die Strafkammer hat unter Zugrundelegung der jeweils dem Angeklagten
günstigsten Parameter (z.B. maximale Trinkmenge, kürzestmögliche Trinkdauer, Alkoholgehalt des Bieres) ohne den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,03 ‰ errechnet. Aussagen
von Zeugen (u.a. der Wirt der Stammkneipe des Angeklagten) hat die Strafkammer entnommen, dass der Angeklagte an die angegebenen Trinkmengen
gewöhnt war und seine dadurch bedingten Ausfallerscheinungen generell und
auch am Tattag „nur leicht“ waren. Den Angaben des Angeklagten entnahm
sie, dass er nach einem im Mai 2010 erlittenen Schlaganfall und danach erfolgter Reha täglich sechs bis zehn, gelegentlich auch vierzehn Halbe Bier trank,
ohne dass es hierdurch zu Beeinträchtigungen in seinem Berufsleben gekommen war. Die Kammer hat sich ferner - nach eigener Prüfung - die Ausführun-
-5-
gen des Sachverständigen (der aufgrund eines Rechen-/Schreibfehlers von
einer maximalen Blutalkoholkonzentration sogar von 3,46 ‰ ausgegangen war)
zu eigen gemacht, wonach das Leistungsvermögen des Angeklagten sowie
seine detailscharfe Erinnerung an die Abläufe am Tattag ebenso wie das Vorliegen eines stringenten intentionalen Handlungsbogens mit vielen planerischen
Elementen und sinnvollen Reaktionen auf das Verhalten des Kindes gegen die
Annahme erheblicher Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
sprechen. Das Verhalten des Angeklagten am Tattag falle auch nicht aus dem
Rahmen seines sonstigen Verhaltens.
8
Beim Angeklagten liege eine homosexuelle Kernpädophilie ohne forensischen Krankheitswert vor. Anhaltspunkte einer forensisch relevanten Leistungsminderung, einer endogenen Psychose, einer schweren Neurose oder
einer schweren Persönlichkeitsstörung seien nicht erkennbar. Auch unter dem
Aspekt eines Motivationsbündels mit Folgen des Schlaganfalls (zunehmende
Ängstlichkeit, depressives Erleben) und der alkoholbedingten Enthemmung
ergebe sich keine schwerwiegende Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit
des Angeklagten.
B.
9
Die Revision des Angeklagten ist ohne Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
-6-
10
I. Die Rüge, der gegen die Vorsitzende Richterin angebrachte Ablehnungsantrag sei mit Unrecht verworfen worden (§ 338 Nr. 3 StPO), bleibt aus
den vom Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen erfolglos.
11
Der Angeklagte hatte sich in der Hauptverhandlung zunächst - entgegen
einem vom Verteidiger vor der Hauptverhandlung angekündigten Geständnis auf Erinnerungslücken berufen, so dass die Strafkammer seine Angaben zutreffend nicht als Geständnis werten konnte. Daraufhin wurde die Hauptverhandlung ausgesetzt und ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt. Die Annahme, hieraus könnte sich die Besorgnis einer Befangenheit zu Lasten des
Angeklagten ergeben, trifft offensichtlich nicht zu.
12
II. Der von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragene,
auch von der Revision nicht näher beanstandete Schuldspruch hält rechtlicher
Überprüfung stand.
13
III. Auch der Strafausspruch ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Insbesondere ist die Strafkammer von einem rechtsfehlerfrei gefundenen Strafrahmen ausgegangen; Fehler bei der konkreten Strafbemessung sind nicht ersichtlich.
14
1. Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer ungeachtet einer errechneten
Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt von über 3 ‰ eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit i.S.v. § 21 StGB ausgeschlossen.
-7-
15
a) Auszugehen ist dabei von Folgendem:
16
(1) Eine Blutalkoholkonzentration in der errechneten Höhe gibt - wie die
Strafkammer zutreffend erkannt hat - Anlass zur Prüfung einer krankhaften
seelischen Störung durch einen akuten Alkoholrausch; die Möglichkeit von
Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderter Schuldfähigkeit ist dann grundsätzlich zu erörtern.
17
(2) Darüber hinaus war in älterer Rechtsprechung die Auffassung vertreten worden, bei Überschreiten bestimmter Grenzwerte sei die Steuerungsfähigkeit mit einem kaum widerlegbaren Grad an Wahrscheinlichkeit „in aller Regel“
erheblich vermindert (vgl. nur BGH, Urteil vom 22. November 1990 - 4 StR
117/90, BGHSt 37, 233 ff.). Dies war aus juristischer Sicht wegen des zu geringen Gewichts der Einzelfallgerechtigkeit (vgl. Nachweise bei BGH, Beschluss
vom 9. Juli 1996 - 1 StR 511/95, NStZ 1996, 592; zusammenfassend auch
Schild in Kindhäuser/Neumann/Päffgen, StGB, 3. Aufl., § 20 Rn. 81 f.) nie unumstritten, ebenso deshalb, weil Schuldfähigkeit „ein normatives Postulat, aber
keine messbare Größe“ ist (zusammenfassend Maatz/Wahl, FS 50 Jahre BGH,
2000, S. 531, 533). In der forensisch-psychiatrischen Wissenschaft war diese
schematisierende Auffassung nahezu einhellig abgelehnt worden, weil die Wirkung von Alkohol auf jeden Menschen unterschiedlich sei (z.B. Kröber NStZ
1996, 569; Joachim NStZ 1996, 593).
18
Diese Rechtsprechung wurde deswegen aufgegeben, nachdem sämtliche Strafsenate des Bundesgerichtshofs auf Anfrage des Senates (§ 132
Abs. 2 GVG; BGH, Beschluss vom 9. Juli 1996 - 1 StR 511/95) zuvor erklärt
hatten, eine gegenteilige Auffassung nicht (mehr) zu vertreten (BGH, Beschluss
vom 6. November 1996 - 2 ARs 357/96; BGH, Beschluss vom 30. Oktober
-8-
1996 - 3 ARs 17/96; BGH, Beschluss vom 3. Dezember 1996 - 4 ARs 6/95;
BGH, Beschluss vom 6. November 1996 - 5 ARs 59/96).
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Seither ist gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass es
keinen Rechts- oder Erfahrungssatz gibt, der es gebietet, ohne Rücksicht auf
die im konkreten Fall feststellbaren psychodiagnostischen Kriterien ab einer
bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration regelmäßig von zumindest „bei
Begehung der Tat“ erheblich verminderter Schuldfähigkeit auszugehen (grundlegend Senatsentscheidung vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66
ff.; vgl. weiter u.a. auch Beschluss vom 29. November 2005 - 5 StR 358/05;
BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 - 1 StR 248/04; BGH, Urteil vom
16. September 2004 - 1 StR 233/04; BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002
- 1 StR 378/02; BGH, Beschluss vom 5. April 2000 - 3 StR 114/00; BGH, Beschluss vom 3. Dezember 1999 - 3 StR 481/99).
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Allerdings wird in neueren Entscheidungen (Nachweise bei Pfister NStZRR 2012, 161, 162 ff.) vereinzelt unter Hinweis auch auf ältere (aufgegebene)
Rechtsprechung der Blutalkoholkonzentration wieder stärkere indizielle Bedeutung beigemessen. Hierdurch sollte offenkundig (vgl. § 132 Abs. 2 GVG) den
Besonderheiten der zu entscheidenden Einzelfälle (z.B. Möglichkeit einer
schockartigen Ernüchterung nach Tatende) Rechnung getragen, keineswegs
aber die aufgezeigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Frage gestellt
werden. Hierzu bestünde angesichts der ihr zugrundeliegenden und seither
auch nicht angezweifelten medizinischen Erfahrungssätze auch keine Veranlassung.
21
Es ist prinzipiell unmöglich, „einer bestimmten Blutalkoholkonzentration
für jeden Einzelfall gültige psychopathologische, neurologisch-körperliche
Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten zuzuordnen. Es existiert keine lineare
-9-
Abhängigkeit der Symptomatik von der Blutalkoholkonzentration. Aus diesen
Gründen ist es prinzipiell unmöglich, allein aus der Blutalkoholkonzentration
das Ausmaß einer alkoholisierungsbedingten Beeinträchtigung ableiten zu wollen“ (Foerster in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009,
S. 246; ebenso Nedopil, Forensische Psychiatrie, 3. Aufl. 2007, S. 124 ff.; vgl.
auch Schöch in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Band 1 S. 111 f.). Es wäre daher auch verfehlt, einem psychodiagnostischen Beweisanzeichen - etwa dem Leistungsverhalten vor, bei oder nach
Tatbegehung - von vornherein mit Blick auf eine bestimmte Blutalkoholkonzentration oder mit Blick auf eine zum Erreichen höherer Blutalkoholwerte notwendigerweise bestehende Alkoholgewöhnung eine Aussagekraft zur Beurteilung
der Schuldfähigkeit i.S.d. §§ 20, 21 StGB abzusprechen. Zur Problematik der
Feststellung einer Blutalkoholkonzentration anhand von Trinkmengenangaben
eines Angeklagten verweist der Senat überdies auf die zutreffenden Ausführungen von Wendt und Kröber (in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der
Forensischen Psychiatrie, Band 2 S. 245).
22
(3) Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit maßgeblich ist demnach eine
Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich
auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen
(grundlegend Senatsentscheidung vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt
43, 66 ff.; auch BGH, Beschluss vom 5. April 2000 - 3 StR 114/00; BGH, Urteil
vom 22. Januar 1997 - 3 StR 516/96). Dabei kann die - regelmäßig deshalb zu
bestimmende (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 - 5 StR 49/12; BGH,
Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 2 StR 478/97) - Blutalkoholkonzentration ein
je nach den Umständen des Einzelfalls sogar gewichtiges, aber keinesfalls allein maßgebliches Beweisanzeichen (Indiz) sein (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 - 1 StR 248/04; BGH, Urteil vom 6. Juni 2002 - 1 StR 14/02; BGH,
- 10 -
Urteil vom 3. Dezember 2002 - 1 StR 378/02; vgl. auch BGH, Urteil vom
11. September 2003 - 4 StR 139/03; BGH, Urteil vom 22. April 1998 - 3 StR
15/98).
23
Welcher Beweiswert der Blutalkoholkonzentration (die weniger zur Auswirkung des Alkohols als lediglich zu dessen wirksam aufgenommener Menge
aussagt) im Verhältnis zu anderen psychodiagnostischen Beweisanzeichen
beizumessen ist, lässt sich nicht schematisch beantworten. Er ist umso geringer, je mehr sonstige aussagekräftige psychodiagnostische Kriterien (Überblick
hierzu z.B.: Plate, Psyche, Unrecht und Schuld, 2002, S. 194 ff.;
Detter, Strafzumessung, 2009, II. Teil Rn. 83) zur Verfügung stehen. So können die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung auch bei einer Blutalkoholkonzentration schon von unter 2 ‰ begründen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember
1999 - 3 StR 481/99), umgekehrt eine solche selbst bei errechneten Maximalwerten von über 3 ‰ auch ausschließen (BGH, Urteil vom 6. Juni 2002 - 1 StR
14/02: 3,54 ‰; vgl. auch Foerster in Venzlaff/Foerster, aaO).
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b) Dies zugrunde gelegt zeigt die Revision keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten auf.
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(1) Die Strafkammer hat den aufgezeigten Maßstab beachtet und ausgehend von der von ihr bestimmten Blutalkoholkonzentration die Frage der
Schuldfähigkeit in einer Gesamtschau aller Umstände beurteilt.
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Die Strafkammer geht von einer ohne den Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler ermittelten Blutalkoholkonzentration von 3,03 ‰ aus. Freilich hatte
der Sachverständige seinem Gutachten eine Blutalkoholkonzentration von
3,46 ‰ zugrunde gelegt. Die Strafkammer legt in den Urteilsgründen näher dar,
- 11 -
dass es sich hierbei um einen Schreib- bzw. Rechenfehler des Sachverständigen handelt und sie darüber hinaus zugunsten des Angeklagten von einem
früheren Trinkende als der Sachverständige (17.00 Uhr statt 18.00 Uhr) ausgeht.
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Die Revision sieht § 261 StPO verletzt, weil die Strafkammer hierauf in
der Hauptverhandlung nicht hingewiesen habe. Ob damit im Ergebnis nicht
vielmehr eine Verletzung des § 265 StPO (zumindest in entsprechender Anwendung) gerügt sein soll (vgl. § 300 StPO), mag dahinstehen. Nachdem der
Sachverständige selbst auf der Grundlage einer Blutalkoholkonzentration von
3,46 ‰ das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB verneint hatte, ist
jedenfalls nicht erkennbar, dass sich der Angeklagte anders oder erfolgversprechender hätte verteidigen können als geschehen, wenn er darauf hingewiesen worden wäre, dass nicht von einer Blutalkoholkonzentration von 3,46 ‰
sondern von 3,03 ‰ auszugehen ist; hierzu trägt auch die Revision nichts vor
(vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09 Rn. 28).
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(2) Anhaltspunkte, die Strafkammer könnte bei der ihr obliegenden Gesamtwürdigung der zur Verfügung stehenden Indizien oder bei der Beurteilung
der Erheblichkeit i.S.v. § 21 StGB den ihr zustehenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraum überschritten haben, sind nicht ersichtlich (zur nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung vgl. auch Maatz/Wahl, FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 531, 553). Insbesondere obliegt es tatrichterlicher Beurteilung, welches Gewicht der Blutalkoholkonzentration im Einzelfall in Zusammenschau mit anderen zur Verfügung stehenden Beweisanzeichen beigemessen
werden kann. Die letzte Verantwortung für die Beurteilung der Schuldfähigkeit
liegt beim Tatrichter (BGH, Urteil vom 18. Mai 1995 - 4 StR 698/94). Die Frage
der Erheblichkeit ist eine allein vom Richter zu beantwortende Rechtsfrage (vgl.
- 12 -
BGH, Beschluss vom 7. April 2010 - 4 StR 644/09; BGH, Beschluss vom
23. September 2003 - 1 StR 343/03).
29
(3) Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine der näher ausgeführten Erwägungen der Strafkammer ungeeignet wäre, zur Stützung des gefundenen Gesamtergebnisses zumal in einer Gesamtschau mit herangezogen zu werden.
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Namentlich bei größerer Alkoholaufnahme kommt der - hier näher dargestellten und sachverständig begutachteten - Alkoholgewöhnung eine wichtige
Bedeutung zu (Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 20 Rn. 17; Schäfer/Sander/van
Gemmeren, Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 528 mwN). Ohne Rechtsfehler hebt
die Strafkammer neben anderen Beweisanzeichen auch auf das isoliert gesehen bei trinkgewohnten Personen freilich nur begrenzt aussagekräftige (vgl.
BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - 5 StR 255/11; BGH, Beschluss vom
12. Juni 2007 - 4 StR 187/07) Fehlen erheblicher Ausfallerscheinungen ab. Sie
stützt sich dabei nicht nur auf die Angaben eines Kindes (hierzu BGH, Beschluss vom 26. März 1997 - 3 StR 35/97) oder ebenfalls erheblich alkoholisierter Zechkumpane (hierzu BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - 5 StR
255/11), sondern u.a. auf den im Umgang mit alkoholisierten Personen nicht
unerfahrenen Gastwirt der Stammkneipe des Angeklagten. Die Strafkammer
durfte hier auch dem Umstand, dass der Angeklagte trotz erheblichen Alkoholkonsums insgesamt „sein Berufsleben ohne Einschränkungen unter Kontrolle“
hatte, Bedeutung beimessen. Ebenfalls ohne Rechtsfehler durfte die Strafkammer das nahezu gleich bleibende Verhalten des Angeklagten an anderen
Tagen, an denen der Angeklagte nach eigenen Angaben weniger Alkohol konsumiert hatte, vergleichend zur Beurteilung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten am Tattag heranziehen. Aussagekraft konnte die Strafkammer hier
auch dem (aus dem festgestellten Sachverhalt ersichtlichen) planvollen und
- 13 -
zielgerichteten Agieren des Angeklagten vor und bei Tatbegehung (z.B. die einleitend vorgetäuschte „Phimose-Behandlung“) aber auch nach Tatbegehung
beimessen (z.B. der Hinweis auf eine Geheimhaltungsbedürftigkeit). Die hier
mit Blick auf das gesamte Tatgeschehen fernliegende Möglichkeit einer nach
der Tat eingetretenen plötzlichen Ernüchterung (dazu BGH, Beschluss vom
7. Februar 2012 - 5 StR 545/11) musste die Strafkammer nicht erörtern.
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Soweit die Revision eine Gesamtwürdigung mit anderen die Schuldfähigkeit tangierenden Umständen (Depression aufgrund erlittenen Schlaganfalls;
Kernpädophilie) vermisst, übersieht sie zum einen die Bezugnahme der Strafkammer auf die dies in den Blick nehmenden Ausführungen eines Sachverständigen und zum anderen die darauf aufbauende, eigene Würdigung der
Strafkammer, dass „auch der Schlaganfall - gegebenenfalls mit Persönlichkeitszügen und Alkoholkonsum - die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht
in erheblichem Maß einschränkte“ (UA S. 38).
32
2. Auch mit dem Vorbringen, die Strafkammer habe einen minderschweren Fall i.S.v. § 176a Abs. 4 StGB rechtsfehlerhaft verneint, kann die Revision
nicht durchdringen.
33
Nachdem das eingeholte Sachverständigengutachten keinen Zweifel an
der Glaubwürdigkeit des geschädigten Kindes ergeben hatte, hat der Angeklagte sich nicht länger auf Erinnerungslosigkeit berufen, sondern das bereits früher
angekündigte Geständnis abgelegt und künftige (abgesicherte) Zahlungen an
den Geschädigten versprochen. Die Strafkammer hat dies ohne den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler als Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a Nr. 1 StGB)
bewertet, diesen bei der Prüfung eines minder schweren Falles zwar nicht ausdrücklich angesprochen, jedoch sogleich den Strafrahmen des § 176a Abs. 2
Nr. 1 StGB gemäß § 46a, § 49 Abs. 1 StGB gemildert (zum an sich gebotenen
- 14 -
methodischen Vorgehen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 588 ff.).
34
Dies begründet hier keinen, jedenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler. Der Tatrichter ist in der Entscheidung regelmäßig frei,
welchen von mehreren in Betracht kommenden Strafrahmen - hier also der des
§ 176a Abs. 4 StGB (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) oder
der gemäß § 46a, § 49 Abs. 1 StGB gemilderte des § 176a Abs. 2 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu elf Jahren und drei Monaten) - er der
Strafbemessung zugrunde legt (vgl. schon BGH, Urteil vom 3. Mai 1966 - 5 StR
173/66, BGHSt 21, 57, 59; zusammenfassend, auch zur Gegenansicht, KettStraub in Kindhäuser/Neummann/Päffgen, aaO, § 50 Rn. 14). Einen Rechtsfehler, der darin liegen könnte, dass sich die Strafkammer nicht bewusst gewesen
wäre, dass ein dem Angeklagten günstigerer Strafrahmen zur Verfügung stehen könnte, kann der Senat hier nach der eingehenden Erörterung der Strafkammer zum Täter-Opfer-Ausgleich ausschließen. Es liegt fern, die Strafkammer könnte bei der zur Prüfung, ob ein minder schwerer Fall i.S.v. § 176a
Abs. 4 StGB vorliegt, vorgenommenen „Gesamtschau“ (UA S. 42) nicht auch
den zur Strafrahmenmilderung gemäß § 49 StGB herangezogenen TäterOpfer-Ausgleich in den Blick genommen haben (vgl. auch § 50 StGB). Es kann
deshalb hier dahinstehen, welches die maßgeblichen Umstände des Einzelfalls
- 15 -
(vgl. Theune in LK-StGB, 12. Aufl., § 50 Rn. 19 mwN) sein könnten, die den
einen oder den anderen Strafrahmen zu einem dem Angeklagten günstigeren
machen würden, nachdem sich die Strafe weder an einer möglichen Obernoch einer möglichen Untergrenze orientiert. Auch deshalb könnte der Senat
ausschließen, dass der Angeklagte durch einen etwaigen Rechtsfehler beschwert wäre.
Nack
Wahl
Rothfuß
RiBGH Hebenstreit ist
urlaubsabwesend und
deshalb an der Unterschrift
gehindert.
Nack
Graf