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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 518/07
vom
20. November 2007
in dem Sicherungsverfahren
gegen
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. November 2007 beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 5. Juli 2007 aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt bleiben jedoch aufrechterhalten;
insoweit wird die Revision verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, wobei dem Verfahren 186 tatmehrheitlich begangene Fälle des Betrugs zugrunde liegen. Gegen die Unterbringungsanordnung wendet sich die Beschuldigte mit ihrer Revision, welche zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt (§ 349 Abs. 4 StPO). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Sachverhalt werden jedoch
aufrechterhalten (§ 349 Abs. 2 StPO).
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I.
2
1. Nach dem Auszug aus dem Bundeszentralregister ist die Beschuldigte
in den Jahren 1995 bis 2000 mehrfach wegen Eigentums- und Vermögensdelikten zu Geldstrafen bzw. einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden.
Zwischen 2003 und 2006 wurden insgesamt 29 weitere Ermittlungsverfahren,
welche meist Betrugstaten, aber auch andere Eigentumsdelikte sowie Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch zum Gegenstand hatten, jeweils von der
Staatsanwaltschaft wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Diesen Verfahrenseinstellungen lag ein Sachverständigengutachten zugrunde, in welchem der Beschuldigten eine aufgehobene Steuerungsfähigkeit aufgrund des Zustandes
einer dauerhaften Manie attestiert worden war.
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2. Der angefochtenen Entscheidung lag zugrunde, dass sich die Beschuldigte im Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 6. September 2006 verschiedene EC-Bank-Karten sowie Kreditkarten bei unterschiedlichen Banken
ausstellen ließ und hiermit in einer Vielzahl von Fällen Einkäufe durchführte sowie Dienstleistungen in Anspruch nahm. Mangels Deckung auf den entsprechenden Konten wurden jedoch weder Zahlungen erbracht noch Lastschriften
eingelöst. Insgesamt wurden die EC- und Kreditkarten 186 Mal eingesetzt, wobei den Servicegesellschaften mangels Deckung ein Gesamtausfall von über
6.400 € entstand.
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3. Die Beschuldigte hat die entsprechenden Verfügungen eingeräumt
und sich dahingehend eingelassen, dass auch des Öfteren Zahlungskarten im
Geschäft nicht akzeptiert und ihr teilweise dann durch die Polizei abgenommen
worden seien. Sie habe sich dann einfach neue Karten beschafft, indem sie zu
anderen Banken gegangen sei und dort ein Konto eröffnet habe. Die Karten
habe sie zumeist bei Geschäften im Bereich des Flughafens München einge-
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setzt, weil dort die von ihr verwendeten Karten funktioniert hätten und offenbar
eine weitere Überprüfung der Guthaben auf den Karten nicht stattfand. Bei den
Kreditkarten habe es sich um sog. Prepaid-Karten mit einem Anfangsguthaben
von jeweils 44 € gehandelt. Insoweit sei in den von ihr aufgesuchten Geschäften eine Überprüfung des vorhandenen Restguthabens auf diesen Karten anscheinend nicht möglich gewesen. Im Übrigen hat das Landgericht festgestellt,
dass die Beschuldigte teilweise eine größere Reisetätigkeit entfaltete, um jeweils an die von ihr gewünschten Warenartikel zu gelangen.
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4. Nach den Feststellungen leidet die Beschuldigte an einer Manie mit
psychotischen Symptomen, wodurch ihre Einsichtsfähigkeit bei den Taten zwar
erhalten war, sie aber nicht mehr steuerungsfähig im Sinne von § 20 StGB gewesen sei. Nach den Darlegungen der Sachverständigen Dr. K.
, denen die
Strafkammer folgt, weise die Beschuldigte eine ausgeprägte manische Symptomatik mit Ideenflucht, Weitschweifigkeit und paranoiden Größenideen auf. Die
Beschuldigte sei insgesamt wenig krankheits- und behandlungseinsichtig und in
der Vergangenheit durch eine große Anzahl von Schreiben an Ärzte, Rechtsanwälte und die Staatsanwaltschaft aufgefallen. Allerdings sei bei den Äußerungen der Beschuldigten immer noch "roter Faden" festzustellen, was bei schizophrenen Patienten meist nicht mehr der Fall sei, sodass eine affektive Störung nicht nahe liegend sei. Im Übrigen fielen Maniker zwar nicht durch massive
Gewalt auf, wiesen aber erhebliche Rezidivwerte hinsichtlich Eigentums- und
Vermögensdelikten auf. Im Fall der Beschuldigten seien weitere gleichgelagerte
Taten zu erwarten. Zwar nehme die Beschuldigte jetzt ihre Medikation zuverlässig ein, jedoch sei äußerst zweifelhaft, ob die derzeitige Behandlungsbereitschaft der Beschuldigten in Freiheit anhalten würde. Dieser Einschätzung hat
sich das Landgericht angeschlossen und die Unterbringung der Beschuldigten
nach § 63 StGB angeordnet. Bei den Taten habe es sich um durchaus gewichtige Straftaten gehandelt, was nicht zuletzt aus der Gesamtsumme der entstan-
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denen Schäden folge. Es seien von der Beschuldigten auch weiterhin gleichgelagerte und damit erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, weshalb sie als
für die Allgemeinheit gefährlich eingestuft werden müsse. Die angeordnete Unterbringung könne auch nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, weil die Beschuldigte nicht krankheitseinsichtig sei und ohne entsprechende Motivation
nicht zu einer Heilung gelangen könne.
II.
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Die vorgenannten Ausführungen des Landgerichts reichen nicht aus, um
eine Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus
gemäß § 63 StGB stützen zu können. Insoweit bestehen bereits Zweifel, ob
nach den Feststellungen des Tatrichters die Beschuldigte vorliegend im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) gehandelt hat. Jedenfalls aber ist nicht
ausreichend festgestellt, dass von der Beschuldigten infolge ihres Zustandes
erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und sie deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
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1. Aus den Feststellungen des Landgerichts ergibt sich, dass die Beschuldigte bei ihren Taten planmäßig und überlegt vorgegangen ist. Sie hat sich
offenbar auf geschickte Weise nicht nur mehrfach bei verschiedenen Banken
EC-Karten beschafft, sondern diese ebenso wie die von ihr erlangten Kreditkarten planmäßig vor allem nur bei solchen Geschäften eingesetzt, bei denen eine
Online-Überprüfung des Guthabens bzw. des zulässigerweise in Anspruch genommenen Kreditrahmens nicht vorgenommen wurde. Zudem hat sie zur Erreichung ihres Wunsches, bestimmte Waren zu erhalten, zielgerichtete Einkaufsreisen unternommen. Auch war sich die Beschuldigte bewusst, dass sie dazu
nicht befugt war und deshalb etwas Verbotenes tat. Danach bestehen erhebliche Zweifel, ob entgegen der Auffassung des Landgerichts vorliegend die Vor-
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aussetzungen der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB gegeben sind. Insoweit
wird der neue Tatrichter ergänzende Feststellungen zu treffen haben.
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2. Die erheblich überwiegende Zahl von betrügerischen Einkäufen betrifft
Beträge von jeweils weniger als 30 €, teilweise sind allerdings auch Einkäufe
zwischen 100 € und 185 € maximal festgestellt. Bei letzteren Taten handelt es
sich zweifellos um im Sinne von § 63 StGB erhebliche rechtswidrige Taten. Sofern solche Taten auch künftig von der Beschuldigten zu erwarten sind, würde
diese Voraussetzung des § 63 StGB gegeben sein. Jedoch ergibt sich aus den
Feststellungen nicht in ausreichender Weise, dass die Beschuldigte wegen der
künftig zu erwartenden Taten auch für die Allgemeinheit gefährlich ist. Bei dieser Gefährlichkeitsprognose ist nicht nur darauf abzustellen, ob möglicherweise
nur ein eingeschränkter Personenkreis überhaupt geschädigt werden kann,
sondern auch darauf, ob diesbezüglich potentiell Geschädigte einem solchen
Schadenseintritt vorbeugen können und damit Straftaten der Beschuldigten
letztendlich mit verhindern können. In den der angefochtenen Entscheidung
zugrunde liegenden Sachverhalten konnte die Beschuldigte nur deswegen ihre
betrügerischen Einkäufe vornehmen, weil es ihr offenbar ohne weitere Bonitätsprüfung mehrfach gelang, EC-Karten ausgehändigt zu erhalten. Hinzu
kommt, dass zudem offensichtlich zur Ersparung von Telekommunikationskosten die Geschäfte diese Karten zur Zahlung entgegennahmen, ohne die Deckung jeweils zu überprüfen, was aber ohne weiteres möglich wäre. Ob in solchen Fällen, in denen die Geschädigten selbst durch Unterlassung einer ansonsten üblichen Prüfung der Kontendeckung die Begehung von Straftaten erst
ermöglichen, der Bestand der Rechtsordnung und damit auch die öffentliche
Sicherheit überhaupt bedroht sind, lässt der Senat offen. Jedenfalls lässt aber
die vom Tatrichter vorgenommene Würdigung der bisherigen Tatumstände eine
Unterbringungsanordnung nicht als gerechtfertigt erscheinen. Daher war diese
aufzuheben.
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3. Selbst bei Bejahung der Voraussetzung des § 63 StGB wäre die Ver-
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sagung der Aussetzung der Unterbringungsanordnung zur Bewährung nach
§ 67b StGB gerade angesichts der zugrunde liegenden Straftaten und Tatumstände grundlegender zu prüfen gewesen. Allein die nicht näher begründete
Erwartung, die Beschuldigte werde ohne Vollzug der Unterbringungsanordnung
die verordnete Medikamentation nicht weiter einnehmen, ist hierzu nicht ausreichend.
4. Der neue Tatrichter wird somit die angeordnete Unterbringung nach
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§ 63 StGB nochmals umfassend zu überprüfen haben, wobei der Senat für den
Fall der Ablehnung zusätzlich auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nF hinweist.
Nack
Wahl
Hebenstreit
Kolz
Graf