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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 331/04
vom
23. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. November 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Ravensburg vom 20. Februar 2004 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Heimtückemordes unter Bezugnahme auf die vom Großen Senat für Strafsachen (BGHSt 30, 105) entwickelten Grundsätze zur außergewöhnlichen Strafmilderung zu einer zeitigen
Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen
Rechts und beanstandet, daß das Landgericht keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt hat. Das Rechtmittel hat Erfolg.
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I.
1. Nach den Feststellungen erschoß die Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 16. August 2003 ihren mit geschlossenen Augen auf der
Couch liegenden Ehemann im Wohnzimmer des von ihnen gemeinsam bewohnten Hauses mit dessen Revolver. Der Ehemann war zuvor alkoholisiert
nach Hause gekommen und hatte die Angeklagte wie üblich beschimpft. Er hatte sie danach auch aufgefordert, den ihr zuwider gewesenen Oralverkehr zu
vollziehen. Dies hatte die Angeklagte jedoch sofort verweigert, ohne daß der
Ehemann daraufhin nachhaltig darauf bestanden hätte. Er hatte sich dann
vielmehr auf die im Wohnzimmer befindliche Couch gelegt, um dort, wie üblich,
gemeinsam mit der Angeklagten zu nächtigen. Die Angeklagte, die wie ihr
Ehemann in ihrer Freizeit der Jagd nachging, holte wenig später aus dem Waffenschrank einen Revolver und schoß mit der großkalibrigen Waffe dem nach
wie vor schlafenden Mann in den Kopf. Um die Tötung ihres Ehemannes als
unglückliche Folge eines vorangegangenen Streits, verbunden mit einer Attakke mit einem Jagdmesser und einer sexuellen Nötigung darzustellen, schnitt
sie sich mit einer Schere einige Haarbüschel am Kopf ab und brachte sich mit
dem Jagdmesser mehrere Verletzungen im Gesicht und am Körper bei. Um die
Darstellung der versuchten sexuellen Nötigung glaubhaft zu machen, entblößte
sie das Geschlechtsteil des Ehemannes, wobei sie Schutzhandschuhe benutzte, um keine Spuren zu hinterlassen. Dabei entging ihr nicht, daß ihr Ehemann
zunächst noch lebte. Schließlich legte sie den Revolver auf der Couch in der
Nähe des Oberschenkels ihres Ehemanns ab und rief ihren Sohn mit der Behauptung an, sie sei mit der Waffe bedroht worden und dabei sei ein Schuß
losgegangen. Motiv für die Handlungsweise der Angeklagten war neben den
seit vielen Jahren erfolgten, sie zermürbenden ständigen Beschimpfungen
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durch den Ehemann und auch dessen Verlangen nach Oralverkehr. Auch wenn
ihre erwachsenen Kinder sie aufgenommen hätten, wollte die Angeklagte das
gemeinsam mit dem Ehemann erbaute Haus nicht verlassen.
2. Die Strafkammer hat die Tat der Angeklagten rechtlich als Heimtükkemord gemäß § 211 StGB angesehen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer rechtfertigenden Notwehr oder eines rechtfertigenden Notstandes hat
die Kammer verneint, weil aufgrund der Gesamtsituation keine akute Lebensgefahr für die Angeklagte oder Dritte bestanden habe. Die Schwurgerichtskammer hat auch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme eines
entschuldigenden Notstandes verneint. Zunächst sei schon die Annahme einer
"gegenwärtigen Gefahr" im Sinne des § 35 Abs. 1 StGB fernliegend. Im übrigen
sei die Gefahr für die Angeklagte anders als durch die Tat abwendbar gewesen. Als anderweitige Abwendungsmöglichkeit sei hier ersichtlich der jederzeit
mögliche Auszug der Angeklagten zu ihrer Tochter in Betracht gekommen. Ihr
sei es ohne weiteres möglich gewesen, sich durch einen Auszug sofort - auch
am Tattag - aus der von ihr geschilderten bedrängten Lage zu befreien. Im übrigen hätte ihr angesichts der seit langem anhaltenden Beleidigungen und Demütigungen auch eine entsprechend lange Überlegungsfrist zur Verfügung gestanden, in der sie Erkundigungen über Möglichkeiten zur anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr und Rat auch bei weiteren Personen hätte einholen
können.
3. Die Strafkammer hat jedoch anstelle der zu verhängenden lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände, unter denen die Angeklagte die Tat begangen hat, die Strafe dem entsprechend § 49
Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Sie hat dies damit be-
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gründet, daß der getötete Ehemann der Angeklagten gegenüber sexuelle
Wünsche, wie Partnertausch und ähnliches geäußert habe, die diese als besonders nachhaltig demütigend empfunden habe. Ebenso sei die Angeklagte
von ihm in der Vergangenheit des öfteren sexuell in massiver Weise angegangen und zum Oralverkehr aufgefordert worden. Die Demütigungen hätten sich
gerade in letzter Zeit unter der zunehmenden alkoholischen Beeinflussung gehäuft. Dabei habe der Ehemann auch bei seiner meist spät abendlichen Rückkehr der auf dem Sofa schlafenden Angeklagten die Decke weggezogen, so
daß diese erwachen mußte. Er habe als Raucher auch nur bedingt auf ihre Erkrankung Rücksicht genommen. Die schweren Kränkungen hätten insgesamt
zu einer nicht unerheblichen psychischen Belastung - wenngleich ohne Krankheitswert - geführt. Sie stellten solche Entlastungsfaktoren dar, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände hätten, auch wenn die besonders belastenden sexuellen Wünsche ihres Ehemannes zum Tatzeitpunkt bereits über 20
Jahre zurückgelegen hätten und die Angeklagte nicht davon abgehalten hätten,
nach einem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung aufgrund eigenen Entschlusses wieder zu ihm zurückzukehren.
Das Gewicht des Mordmerkmals Heimtücke erfahre auch deshalb eine
Verringerung, weil die an multipler Sklerose erkrankte Angeklagte gerade in
letzter Zeit vor der Tat zunehmenden Beleidigungen und Demütigungen ihres
meist alkoholisierten Ehemannes ausgesetzt gewesen sei. So habe der Ehemann bis unmittelbar vor dem Tattag eine Woche Urlaub in Italien gemacht und
sei nach seiner Rückkehr angetrunken nach Hause gekommen, habe herumgeschrieen, die Angeklagte beleidigt, ihr die Decke weggezogen und von ihr
den schon früher nur widerwillig praktizierten Oralverkehr verlangt. Diese Verhaltensweise ihres Mannes sofort nach seinem Urlaub habe bei ihr "das Faß
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zum überlaufen" gebracht.
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II.
Die Wertung der Strafkammer, dies seien außergewöhnliche Umstände,
aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Die vom Großen Senat des Bundesgerichtshofs (BGHSt 30, 105) entwickelte Rechtsfolgenlösung trägt dem Umstand Rechnung, daß das Mordmerkmal der Heimtücke auch in Fällen erfüllt sein kann, bei denen die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen des sonstigen Gepräges der Tat
das aus dem Grundgesetz abzuleitende Verbot unverhältnismäßigen staatlichen Strafens verletzen würde. Eine abschließende Definition oder eine Aufzählung der außergewöhnlichen Umstände, die in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der lebenslangen Freiheitsstrafe führen können, hat der
Große Senat für Strafsachen für unmöglich gehalten, jedoch auf beispielhaft in
Betracht kommende Fallkonstellationen hingewiesen. Dazu gehören in großer
Verzweiflung begangene oder aus gerechtem Zorn auf Grund einer schweren
Provokation verübte Taten, ebenso Taten, die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren
Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig
bewegen, ihren Grund haben. Allerdings reicht nicht jeder Entlastungsfaktor,
der nach § 213 StGB Berücksichtigung finden würde, zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe aus. Auf die vom Großen
Senat für Strafsachen im Wege verfassungskonformer Rechtsanwendung eröffnete Möglichkeit, anstatt der an sich verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe
eine Strafe aus dem in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestimmten Strafrahmen zuzumessen, darf nicht voreilig ausgewichen werden
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(BGH NStZ 2003, 482; 484; NStZ 1984, 20). Vielmehr kann das Gewicht des
Mordmerkmals der Heimtücke nur durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, so verringert werden, daß jener
Grenzfall eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz
der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich gemilderter
Schuld unverhältnismäßig wäre (vgl. BGH NStZ 1982, 69). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der Tat sowie der zu ihr hinführenden Umstände zu prüfen (BGH NStZ
1982, 69; BGH NStZ 1984, 20; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 2 und
3).
2. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, wird das angefochtene Urteil dieser Anforderung nicht gerecht. Der Beschluß des Großen
Senats für Strafsachen hat nichts daran geändert, daß im Regelfall für eine
heimtückisch begangene Tötung auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen
ist. Durch die Entscheidung wurde nicht allgemein ein Sonderstrafrahmen für
minder schwere Fälle eingeführt. Die in dem Beschluß entwickelten Grundsätze für die Anwendung des gemilderten Strafrahmens betreffen nur solche Fälle,
in denen das Täterverschulden soviel geringer ist, daß die Verhängung der
lebenslangen Freiheitsstrafe das verfassungsrechtliche Gebot schuldangemessenen Strafens mißachten würde. Es müssen schuldmindernde Umstände
besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind (vgl. BGH NStZ 1984, 20).
Die Feststellungen rechtfertigen die Annahme solcher außergewöhnlicher Umstände nicht. Wie die Strafkammer in den Urteilsgründen zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 34 und 35 StGB selbst ausführt, kam es zu
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Gewalttätigkeiten des Ehemanns in Form von Schlägen nach der zwischenzeitlichen Trennung im Jahr 1998 allenfalls noch einmal. Der Angeklagten stand
eine Möglichkeit zur Konfliktlösung hinsichtlich der verbalen Beschimpfungen
und der sexuellen Übergriffe ihres Ehemannes mit einem ihr möglichen Auszug
aus dem Wohnhaus und der Aufnahme durch die Tochter zur Verfügung. Das
Landgericht hat festgestellt, daß ein Auszug der Angeklagten ohne weiteres
noch am Tattag möglich gewesen wäre und sie sich dieser Möglichkeit nach
einem Gespräch mit ihren Kindern bewußt gewesen ist. Diese ihr zumutbare
Ausweichmöglichkeit ergriff die Angeklagte deshalb nicht, weil sie das gemeinsam erbaute Haus nicht verlassen wollte, das es ihr auch erlaubte, ihre Jagdhunde, an denen sie sehr hing, weiterhin artgerecht halten zu können. Sie war
ferner der Meinung, daß letztlich "der Böse" gehen müsse. Angesichts dieser
Sachlage kann von außergewöhnlichen Umständen, die zu einer Strafrahmenverschiebung führen können, nicht ausgegangen werden.
Nack
Wahl
Kolz
Boetticher
Elf