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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 266/10
vom
19. Oktober 2010
BGHSt:
ja
BGHR:
ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung:
ja
____________________
StPO § 260 Abs. 3; StGB §§ 78 ff.
In einem Einstellungsurteil wegen Verjährung sind die tatsächlichen und rechtlichen
Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses in einer revisionsrechtlich überprüfbaren Weise festzustellen und zu begründen.
BGH, Urteil vom 19. Oktober 2010 - 1 StR 266/10 - LG Bamberg
-2-
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
-3-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Oktober
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-4-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 23. Februar 2010 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in zehn Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt wurde. Es hat weiter angeordnet, dass von der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten. Hinsichtlich zweier weiterer Taten hat es das Verfahren (wegen Verjährung) eingestellt.
2
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit
der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird. Die Staatsanwaltschaft beanstandet insbesondere, dass das Landgericht, das zwar Bandenmitgliedschaft des Angeklagten angenommen hat, die gewerbsmäßige Begehungsweise des Betruges aber verneint und deshalb die Qualifikation des
§ 263 Abs. 5 StGB nicht bejaht hat. Dies hatte zur Folge, dass das Landgericht
in zwei Fällen vom Eintritt der Verjährung ausgegangen ist und in den anderen
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Fällen nur einen Schuldspruch gemäß dem Grundtatbestand (§ 263 Abs. 1
StGB) zugrunde gelegt hat.
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Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit
der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge, der ebenfalls Gewicht zukommt, nicht bedarf.
4
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte Mitglied einer
Bande war, die sich zusammengeschlossen hatte, "um künftig auf Dauer in einer Vielzahl von Fällen unter Beteiligung weiterer Personen ... vorsätzlich KfzUnfälle herbeizuführen und diese fingierten Unfallschäden an den Fahrzeugen
in betrügerischer Weise gegenüber den jeweiligen Versicherungsgesellschaften
abzurechnen, indem sie diesen gegenüber wahrheitswidrig angaben, dass die
Schäden bei Verkehrsunfällen verursacht worden waren" (UA S. 6). Chef der
Bande war der Inhaber des Autohauses S.
, bei dem der Angeklagte
als "Geringverdiener" angestellt war. Das Landgericht hat zehn Fälle dargestellt,
bei denen der Angeklagte als Bandenmitglied bei den Taten mitwirkte. Es hat
jedoch eine gewerbsmäßige Begehungsweise durch ihn insbesondere deshalb
verneint, weil der Verbleib der Versicherungsleistungen teilweise ungeklärt sei,
der Angeklagte in einzelnen Fällen keine direkte Auszahlung erhalten habe, er
von den Gutschriften auf seinem Firmenkonto (oder dem Konto seiner Freundin) keine Kenntnis gehabt habe, sein Lohn und seine unregelmäßigen Prämienleistungen nicht aus den Versicherungsleistungen beglichen worden seien
und die kostenlose Nutzung von Fahrzeugen nicht auf die Beteiligung am Versicherungsbetrug zurückzuführen sei. Von den unwiderlegbaren Angaben des
glaubhaft geständigen Angeklagten sei insoweit auszugehen.
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Hinsichtlich der beiden wegen Verjährung eingestellten Fälle teilt das
Landgericht lediglich mit, dass diese am 5. Oktober 1998 bzw. am 20. Januar
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2000 begangen wurden und, dass die obigen Ausführungen zur fehlenden Gewerbsmäßigkeit entsprechend gelten würden.
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1. Die Einstellung in den Fällen 1. und 2. der Anklage hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat hier rechtsfehlerhaft keine hinreichenden Feststellungen getroffen, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob die Taten nicht nur bandenmäßig, sondern auch gewerbsmäßig begangen wurden, so dass sie entgegen der Ansicht des Gerichts nicht verjährt
wären, da für § 263 Abs. 5 StGB anders als für § 263 Abs. 1 StGB eine zehnjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB) gilt.
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In einem Einstellungsurteil (§ 260 Abs. 3 StPO) wegen Verjährung sind
die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses
in einer revisionsrechtlich überprüfbaren Weise festzustellen und zu begründen.
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Der Tatrichter ist verpflichtet, die Verfahrensvoraussetzungen zu prüfen
und grundsätzlich so darzulegen, dass sie vom Revisionsgericht nachgeprüft
werden können. Soweit zu dieser Überprüfung eine dem Tatrichter obliegende
Feststellung von Tatsachen erforderlich ist, hat er diese rechtsfehlerfrei zu treffen und (gegebenenfalls) zu würdigen. Dieser Begründungszwang ergibt sich
sowohl aus § 34 StPO wie aus der Natur der Sache (vgl. RGSt 69, 157, 159;
Meyer-Goßner StPO, 53. Aufl., Rn. 29 zu § 267 StPO; Löwe-RosenbergGollwitzer StPO, 25. Aufl., Rn. 158 zu § 267; Julius in HK-StPO, Rn. 32 zu
§ 267; KMR-Paulus StPO, Rn. 106 zu § 267; auch OLG Hamm MDR 1986, 778,
mwN; OLG Köln NJW 1963, 1265). Würde man die pauschale, in tatsächlicher
Hinsicht nicht näher belegte Angabe des Tatrichters, dass ein bestimmtes Verfahrenshindernis bestehe oder eine Verfahrensvoraussetzung fehle, für ausreichend erachten, so wäre der betreffende Verfahrensbeteiligte in Unkenntnis des
vom Gericht als gegeben unterstellten, aber nicht mitgeteilten Sachverhalts in
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vielen Fällen gar nicht in der Lage, die Entscheidung sach- und formgerecht
anzufechten. Ein derartiger sachlich-rechtlicher Mangel nötigt zur Aufhebung
des Urteils und der ihm zugrunde liegenden Feststellungen (vgl. OLG Hamm
aaO).
9
In den Urteilsgründen muss daher grundsätzlich, von der zugelassenen
Anklage ausgehend, in revisionsrechtlich nachprüfbarer Weise dargelegt werden, aus welchen Gründen die Durchführung des Strafverfahrens unzulässig
ist, d.h. die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses sind festzustellen und anzugeben (vgl. u.a. Meyer-Goßner/Appl Die
Urteile in Strafsachen 28. Aufl., Rn. 644; KK-Engelhardt StPO 6. Aufl., Rn. 45
zu § 267 StPO; Löwe-Rosenberg-Gollwitzer aaO, Rn. 158 zu § 267; KMRPaulus aaO Rn. 106 zu § 267; E. Schmidt StPO, Rn. 38 zu § 267; auch BGH,
Urteil vom 6. März 2002 - 2 StR 530/01, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 13). Der Umfang der Darlegung richtet sich nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der Eigenart des
Verfahrenshindernisses. Die angeführten Grundsätze gelten jedenfalls und vor
allem dann, wenn - wie hier - das Verfahrenshindernis von der strafrechtlichen
Würdigung der Sache abhängt und eine abschließende Beurteilung darüber, ob
ein Verfahrenshindernis vorliegt, nur getroffen werden kann, wenn eine diesbezügliche Beweisaufnahme durchgeführt und entsprechende Feststellungen getroffen wurden. Gerade bei der Prüfung der Voraussetzungen der Verjährung
sind die tatsächlichen Voraussetzungen des behaupteten Verfahrenshindernisses, das zur Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO führen müsste, hinreichend festzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 5. August 1997 - 5 StR
210/97, NStZ-RR 1997, 374, 375 mwN). Hier benötigt ein Einstellungsurteil eine
vom Tatrichter festzustellende Sachverhaltsgrundlage. Erst auf dieser Grundlage lässt sich die Verjährungsfrage beurteilen. Daher sind in solchen Fällen eine
umfassende Beweisaufnahme und detaillierte Feststellungen zum Tatgesche-
-8-
hen erforderlich, bevor die Verjährungsfrage beurteilt werden kann (vgl. u.a.
BGH, Beschluss vom 25. Oktober 1995 - 2 StR 433/95, BGHSt 41, 305). An
diesen Anforderungen ändert daher auch der Umstand nichts, dass das Revisionsgericht befugt ist, das Vorliegen von Verfahrensvoraussetzungen selbständig
zu
prüfen
(vgl.
u.a.
OLG
Hamm
MDR
1986,
778
mwN;
Löwe-Rosenberg-Gollwitzer aaO, Rn. 158 zu § 267). Es hat dieses Verfahrenshindernis vielmehr nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu überprüfen (vgl.
auch Senatsurteil vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09 - Rn. 12 mwN). Der Senat könnte die für die Beurteilung des Eintritts der Verjährung maßgebliche Frage, ob der Angeklagte "gewerbsmäßig" gehandelt hat, nicht im Freibeweisverfahren klären; dies obliegt vielmehr dem Tatrichter im Strengbeweisverfahren.
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Diesen Anforderungen an ein Einstellungsurteil (Prozessurteil) wird das
angefochtene Urteil nicht gerecht. Für beide eingestellten Fälle wird schon nicht
mitgeteilt, ob ein eigenes Fahrzeug des Angeklagten bei der Fingierung der Unfälle beteiligt war, was ein finanzielles Eigeninteresse des Angeklagten belegen
kann, noch wird festgestellt, an wen die Versicherungsleistungen ausbezahlt
wurden und ob der Angeklagte hieran in irgendeiner Form partizipiert hat.
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Die Einstellung in diesen beiden Fällen hat danach keinen Bestand.
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Der Senat kann nicht ausschließen, dass es in einer neuen Hauptverhandlung insoweit zu einer Verurteilung nach § 263 Abs. 5 StGB kommt. In diesem Zusammenhang weist der Senat auch daraufhin, dass der Tatrichter nicht
gehalten ist, Behauptungen eines Angeklagten als unwiderlegbar hinzunehmen,
wenn Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Angaben fehlen. Es erscheint
nicht nahe liegend, dass der Angeklagte eine Vielzahl dieser Delikte
- auch unter Verwendung eigener Fahrzeuge - begangen hat, ohne nennenswerten eigenen finanziellen Vorteil hieraus zu ziehen, was eine gewerbsmäßige
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Begehungsweise belegen könnte. Es ist weiter nicht nachvollziehbar, warum
(was auch mit der Verfahrensrüge geltend gemacht wird) der Chef der Bande,
S.
, über den die gesamten Abwicklungen liefen, nicht als Zeu-
ge vernommen wurde, obwohl er nahe liegend zur finanziellen Beteiligung des
Angeklagten Angaben machen kann. Die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2
StPO) drängte danach, ihn als Zeugen anzuhören, unabhängig davon, ob die
Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung auf seine Vernehmung verzichtet haben sollten (vgl. auch BGH, Urteil vom 25. März 2010 - 4 StR 522/09 Rn. 11, NStZ-RR 2010, 236, 237).
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2. Die Aufhebung der eingestellten Fälle erfasst hier auch die übrigen
Fälle, in denen Gewerbsmäßigkeit ebenfalls verneint wurde. Denn durch die
rechtsfehlerhafte Einstellung zweier Fälle kann die Beweiswürdigung in den übrigen Fällen tangiert sein. Es ist nicht auszuschließen, dass der Tatrichter bei
Feststellung, dass in den eingestellten Fällen Gewerbsmäßigkeit zu bejahen ist,
auch bei den übrigen Taten hiervon ausgegangen wäre. Dies könnte z.B. dann
der Fall sein, wenn das Überleben des Autohauses, das vom Angeklagten angestrebt wurde, nur durch diese Taten ermöglicht wurde und der Angeklagte
sich dadurch seinen Nebenverdienst erhalten wollte oder, wenn die kostenlose
Nutzung der Fahrzeuge durch den Angeklagten ohne seine Beteiligung an den
Taten nicht gewährleistet war oder das Kundenkonto ihm doch bekannt war und
für ihn einen finanziellen Vorteil darstellt oder wenn die im Urteil nicht genauer
bezifferten Prämienzahlungen sehr wohl eine dauernde Einnahmequelle waren.
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Der Senat hält es für möglich, dass insgesamt noch Feststellungen ge-
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troffen werden können, die in allen Fällen eine gewerbsmäßige Begehungsweise belegen.
Danach war das Urteil insgesamt aufzuheben.
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Nack
Rothfuß
Graf
Elf
Jäger