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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 205/09
vom
28. Oktober 2009
BGHSt:
nein
BGHR:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
_______________________
StPO § 200 Abs. 1 Satz 1
Zur Frage, inwieweit zur Beurteilung der Umgrenzungsfunktion der Anklage auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zur Prüfung der Frage zurückgegriffen werden kann, gegen welchen von mehreren Angeklagten sich ein bestimmter
Vorwurf richtet.
BGH, Urt. vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09 - LG Münster
in der Strafsache
gegen
-2-
1.
2.
3.
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
-3-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
28. Oktober 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S.
Rechtsanwalt
und Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten K.
,
,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten J.
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
,
-4-
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil
des Landgerichts Münster vom 12. März 2008 wird
a) das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten J.
betrifft, im Fall B.II.3 der Urteilsgründe aufgehoben und
das Verfahren insofern eingestellt; im Umfang der Einstellung hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und
die notwendigen Auslagen des Angeklagten J.
zu tra-
gen,
b) das genannte Urteil im Übrigen, soweit die Angeklagten
S.
, K.
und J.
freigesprochen wurden, mit
den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die verbleibenden Kosten
dieser Rechtsmittel - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die den Angeklagten J.
betreffende weitergehende Revi-
sion der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Von Rechts wegen
-5-
Gründe:
1
Das Landgericht hat die Angeklagten (betreffend den Angeklagten S.
in den Fällen B.I., B.II.2 und 3 der Urteilsgründe, bei dem Angeklagten
K.
in den Fällen B.II.1 bis 3 der Urteilsgründe und bezüglich des Angeklag-
ten J.
in den Fällen B.II.1 und 3 der Urteilsgründe) von den Vorwürfen der
gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung freigesprochen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der
Staatsanwaltschaft, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügt und
die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, führen betreffend den Angeklagten J.
zur Einstellung des Verfahrens im Fall B.II.3 der Urteilsgründe,
weil es insofern an den Verfahrensvoraussetzungen der Erhebung einer ordnungsgemäßen Anklage und damit auch an der ordnungsgemäßen Zulassung
der Anklage fehlt. Im Übrigen war das Urteil in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang aufzuheben. Soweit die Beschwerdeführerin betreffend den
Angeklagten J.
zudem im Fall B.II.2 der Urteilsgründe einen Verstoß ge-
gen die gerichtliche Kognitionspflicht beanstandet, bleibt das Rechtsmittel hingegen ohne Erfolg.
I.
2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Die Angeklagten - bis auf den Mitangeklagten Sc.
allesamt Unter-
offiziere verschiedenen Ranges - waren im Jahr 2004 in Coesfeld in der
7. Kompanie des 7. Instandsetzungsbataillons der Bundeswehr tätig und bildeten dort Rekruten in der Grundausbildung aus. Bei dieser Kompanie, die in der
Freiherr-vom-Stein-Kaserne stationiert war und die vom Mitangeklagten Haupt-
-6-
mann Sc.
geführt wurde, handelt es sich um eine reine Ausbildungskom-
panie, der jeweils zu Quartalsbeginn neue Rekruten zur dreimonatigen Allgemeinen Grundausbildung zugewiesen wurden.
4
Zur Tatzeit - im zweiten und dritten Quartal 2004 - war der Angeklagte
S.
im Rang eines Oberfeldwebels als Gruppenführer eingesetzt. Der An-
geklagte K.
war im zweiten Quartal 2004 zum Hauptfeldwebel befördert
und als Gruppenführer im zweiten Zug sowie im dritten Quartal 2004 als stellvertretender Zugführer im ersten Zug eingesetzt worden. Der Angeklagte J.
war im Juni/Juli 2004 zur 7. Kompanie nach Coesfeld versetzt worden und
seitdem im Rang eines Stabsunteroffiziers als Gruppenführer tätig.
5
2. Im zweiten und dritten Quartal 2004 galt für die Ausbildung der Rekruten die „Anweisung für die Truppenausbildung Nummer 1“ (AnTrA1), Stand Juni
2001. Sie regelte Ziele und Inhalte der Allgemeinen Grundausbildung und sah
für die dreimonatige Allgemeine Grundausbildung der Rekruten eine Ausbildung
„Geiselnahme/Verhalten in Geiselhaft“ nicht vor. Am 8. Juli 2004 wurde nach
längeren Überlegungen im Bundesministerium der Verteidigung eine geänderte
AnTrA1 herausgegeben, die zum 1. Oktober 2004 in Kraft trat. Diese enthielt
einen neuen Teil „Basisausbildung EAKK“ (Einsatzvorbereitende Ausbildung für
Krisenbewältigung und Konfliktverhütung) mit dem Ziel, bereits in der Grundausbildung die für einen Auslandseinsatz im Rahmen der Konfliktverhütung und
Krisenbewältigung erforderlichen Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten zu erlernen. Dieser neue Ausbildungsteil sah eine zweistündige, vom Kompaniechef
selbst durchzuführende, ausschließlich theoretische Unterrichtseinheit über
Geiselhaft, Entführung und Gefangenschaft bei Einsätzen sowie über die Konfrontation mit Verwundung und Tod und deren Bewältigung vor. Eine praktische
Übung in einem solchen Zusammenhang und zu diesem Thema ist nicht vorge-
-7-
sehen. Diese geänderte AnTrA1 war bereits seit dem 19. Juli 2004 im Intranet
der Bundeswehr abrufbar.
6
Schon zuvor fanden im Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum in Hammelburg Lehrgänge statt, in denen Zugführer von Ausbildungskompanien für die
Ausbildung nach der neuen AnTrA1 geschult wurden, um als Multiplikatoren für
die übrigen Ausbilder zu fungieren. Den Ausbildern wurden hier die neuen Inhalte der geänderten AnTrA1 auszugsweise vermittelt. Es wurde ihnen aufgezeigt, wie die neuen Ausbildungsinhalte in den Einheiten praktisch umgesetzt
werden konnten. Eine Ausbildung zum Thema „Geiselnahme/Verhalten in Geiselhaft“ erfolgte nicht. Die Mitangeklagten D.
und H.
hatten an ei-
nem solchen Lehrgang bereits teilgenommen.
7
Die Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ ist ein Abschnitt
der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“, die von der Bundeswehr nur für diejenigen Soldaten auf Zeit, freiwillig länger Dienende oder Berufssoldaten vorgesehen ist, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen und den Befehl bekommen haben, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen. Diese Übung wurde von
der Bundeswehr nur an drei Standorten im Bundesgebiet durchgeführt, wozu
die Freiherr-vom-Stein-Kaserne aber nicht gehörte. Sie wurde zudem zuvor im
Unterricht mit allen Teilnehmern besprochen und von Psychologen begleitet.
Die Übung selbst lief dergestalt ab, dass die auszubildenden Soldaten eine
Busfahrt unternahmen, während derer sie überfallen wurden. Ihnen wurden die
Augen verbunden und sie wurden aufgefordert, ihre Hände in den Nacken, auf
die Knie oder die Sitzbank vor ihnen zu legen. Anschließend wurden sie an einen Ort verbracht, an dem eine „Befragung“ stattfand. Hierbei wurden die Soldaten, deren Augen nach wie vor verbunden waren, physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt, um bei ihnen Stress zu erzeugen. Sie wurden
-8-
lautstark befragt und mussten körperliche Übungen wie Liegestütze oder Kniebeugen machen. Zudem wurde ihnen gedroht, Kameraden zu schlagen oder zu
erschießen, wenn sie nicht die gewünschten Antworten gaben. Zur möglichst
realistischen Untermalung wurden die entsprechenden Geräusche (Schläge
und Schüsse) simuliert. Während der Übung hatten die Soldaten - wie ihnen
beim vorhergehenden Unterricht gesagt worden war - jederzeit die Möglichkeit,
durch ein Handzeichen aus der Übung auszusteigen. Die Mitangeklagten D.
und H.
hatten eine solche „Einsatzbezogene Zusatzausbildung“ be-
reits absolviert.
8
3. Nachdem in der Vergangenheit auch außerhalb der drei festgelegten
Standorte eine Ausbildung „Geiselnahme/Geiselhaft“ durchgeführt worden war,
die nicht derjenigen in den drei Ausbildungszentren entsprach und die bei einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer Traumatisierung geführt hatte, wies das
Heeresführerkommando der Bundeswehr in einem als „VS - nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichneten Schreiben vom 26. Februar 2004 darauf hin, dass
diese Ausbildung ausschließlich im Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ in den drei Ausbildungs- beziehungsweise Gefechtsübungszentren
durchgeführt werden dürfe, da sie dort unter Anleitung des dafür speziell geschulten Personals erfolgen könne. Empfänger dieses Schreibens war auch die
7. Ausbildungskompanie in Coesfeld. Außerdem war in dem „Befehl 38/10“ vom
12. April 2004 die Ausbildung über das Thema „Verhalten in Geiselhaft“ ausschließlich dem Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum zugewiesen worden.
Dass die Angeklagten dieses Schreiben oder den Befehl kannten, vermochte
die Kammer nicht festzustellen.
9
4. Anfang April 2004 (Fall B.I. der Urteilsgründe) begannen in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne etwa 80 Rekruten, von denen zirka die Hälfte Wehr-
-9-
dienstleistende waren, ihre dreimonatige Grundausbildung. Es wurden zwei
Ausbildungszüge gebildet, deren Zugführer die Mitangeklagten Hauptfeldwebel
D.
10
und H.
waren.
a) Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Verlauf des
zweiten Quartals 2004 kamen die beiden Zugführer auf die Idee, in der Allgemeinen Grundausbildung in Coesfeld eine Geiselnahmeübung durchzuführen.
Ihnen war - ebenso wie dem Mitangeklagten Hauptmann Sc.
- bekannt,
dass eine Änderung der AnTrA1 bevorstand und auch eine Übung „Geiselhaft“
in die Allgemeine Grundausbildung eingeführt werden sollte. Nach Ansicht der
Kammer ließ sich jedoch nicht feststellen, ob sie auch wussten, dass diese
Übung lediglich theoretisch und nur durch den Kompaniechef ausgebildet werden sollte.
Vor dem 8. Juni 2004 fand auf Anordnung der beiden Zugführer eine
11
Ausbilderbesprechung statt, an der auch der Angeklagte S.
teilnahm. Da-
bei wurde der grobe Ablauf der Geiselnahmeübung erörtert. Die beiden Zugführer D.
und H.
beabsichtigten, die Rekruten nach der dienstplanmä-
ßigen Nachtschießübung am 8. Juni 2004 gruppenweise auf einen nächtlichen
Orientierungsmarsch zu schicken, bei dem zum Schluss die „Geiselnahme“ mit
anschließendem „Verhör“ erfolgen sollte. Weder der Orientierungsmarsch noch
die Geiselnahmeübung standen auf dem für die Rekruten einsehbaren Dienstplan und waren diesen somit nicht bekannt. Auch auf den Dienstplänen, die von
den Zugführern erstellt und dem Mitangeklagten Sc.
zur Unterzeichnung
und anschließenden Weiterleitung an das Bataillon vorgelegt worden waren,
war eine Geiselnahme nicht erwähnt.
- 10 -
Die beiden Zugführer D.
12
Ausbildern den Angeklagten S.
und H.
teilten neben fünf weiteren
für das „Überfallkommando“ ein. Dieses
sollte die Rekruten nach Bewältigung des Nachtmarsches in den frühen Morgenstunden des 9. Juni 2004 überfallen, entwaffnen, fesseln und ihnen die Augen verbinden. Für die Fesselung waren dabei Kabelbinder vorgesehen, weil
den bei der Besprechung Anwesenden bei dem Gebrauch von „Panzerklebeband“ die Verletzungsgefahr zu hoch erschien. Anschließend sollten die Rekruten mit einem Pritschenwagen zum Standortübungsplatz gefahren werden, um
in einer dortigen Sandgrube „verhört“ zu werden. Für dieses „Verhör“ teilten die
beiden Zugführer den früheren Mitangeklagten He.
Mitangeklagte D.
ein. Diesem sagte der
, das „Verhör“ solle „etwa so wie in Hammelburg“, im
Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum, ablaufen, wo der frühere Mitangeklagte
He.
eine Geiselnahmeübung absolviert hatte. Außerdem wurde vereinbart,
den Rekruten vor dem Überfall das Codewort „Tiffy“ mitzuteilen, mit dem die
Rekruten jederzeit aus der Übung aussteigen könnten. Dieser Begriff wurde in
der Grundausbildung als Synonym für „Schwächling“ oder „Weichei“ verwendet,
um Kameraden zu verhöhnen.
13
Das Landgericht sah sich nicht in der Lage aufzuklären, ob bei dieser
Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung erörtert wurden. Die beiden Mitangeklagten D.
und H.
teilten den Anwe-
senden mit, die geplante Geiselnahmeübung sei vom Kompaniechef „abgesegnet worden“. Tatsächlich hatte der Mitangeklagte Hauptmann Sc.
eine sol-
che Übung auch genehmigt, obwohl er Bedenken hatte, weil er wusste, dass
diese in der geltenden AnTrA1 nicht vorgesehen war.
14
b) Gegen Ende der Nachtschießübung am 8. Juni 2004 erklärten die beiden Zugführer D.
und H.
den angetretenen Rekruten, im Raum
- 11 -
Coesfeld seien Terroristen gesichtet worden, das Gebiet müsse bestreift und
sämtliche Auffälligkeiten müssten dokumentiert werden. Die Rekruten, die ihr
gesamtes Marschgepäck und ihr Gewehr bei sich hatten, machten sich gruppenweise auf den Weg. Dabei marschierten die einzelnen Gruppen zeitlich versetzt ohne ihren planmäßigen Gruppenführer los. Die Rolle des Gruppenführers
musste jeweils ein Rekrut übernehmen. Es gab keinen ausdrücklichen Hinweis
darauf, dass etwas Besonderes passieren könnte. Entgegen der ursprünglichen
Planung in der Ausbilderbesprechung wurde den Rekruten ein Kennwort, mit
dem die Übung hätte beendet werden können, nicht mitgeteilt. Lediglich manchen Rekruten war während ihres späteren „Verhörs“ gesagt worden, sie müssten nur das Wort „Tiffy“ sagen, um aus der Übung auszusteigen.
c) Die sechs Beteiligten des „Überfallkommandos“ hatten einen Hinter-
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halt im Gelände eingerichtet. Sie trugen Bundeswehrkleidung, hatten aber teilweise ihre Dienstgradabzeichen und Namensschilder entfernt. Ihre Gesichter
waren vermummt, um nicht auf den ersten Blick erkannt zu werden. Sie hatten
Gewehre mit geladenen Manöverpatronengeräten dabei, teilweise auch ungeladene Pistolen und mehrere Übungsgranaten. Es waren auch Kabelbinder zum
vorgesehenen Überfallort gebracht worden. Diese sollten laut Anweisung der
Zugführer D.
und H.
den Rekruten möglichst über der Kleidung an-
gelegt und nicht ganz eng zugezogen werden, damit sie nicht in die Haut schnitten.
Die erste Gruppe traf verspätet erst in den Morgenstunden des 9. Juni
16
2004 ein. Das „Überfallkommando“, das zeitweise von den Mitangeklagten
D.
und H.
verstärkt wurde, die dann zum Teil beim Überfallen und
Überwältigen der Rekruten mithalfen, lenkte die Rekruten zuerst ab und griff sie
dann schreiend und schießend an. Die Rekruten waren im Allgemeinen zu
- 12 -
überrascht und - nach rund 24 Stunden Dienst und dem mehrstündigen Orientierungsmarsch - zumeist auch zu erschöpft, um noch größere Gegenwehr zu
leisten. Sie gingen durchweg davon aus, dass es sich bei den maskierten Angreifern um Bundeswehrangehörige handelte. In aller Regel kamen die Rekruten der Aufforderung, sich zu ergeben und sich auf den Boden zu legen, letztlich freiwillig nach. Bei manchen Rekruten halfen die Angreifer mit körperlichem
Druck nach. Allerdings leisteten andere Rekruten auch Widerstand. So wurde
der Zeuge L.
von einem der Angreifer zu Boden gerissen, wo er auf
dem Bauch zum Liegen kam. Damit er nicht wieder aufstehen konnte, drückte
einer der Ausbilder ein Knie auf seinen Hals. Anschließend wurden L.
s
Hände mit den Kabelbindern auf den Rücken gefesselt und zusätzlich mit der
Splitterschutzweste oder dem Koppeltragegestell verbunden, wodurch seine
Arme nach oben gezogen wurden und er schmerzhaften Druck auf seinen
Schultern verspürte. Als er sich gegen die Fesselung wehrte, nahm einer der
Angreifer das Knie des Zeugen L.
in einen Haltegriff, so dass dessen
Bein verdreht wurde und er Schmerzen erlitt. Auch mit dem Zeugen R.
gab es bei der Entwaffnung eine „kleine Rangelei“, bei der er aber nicht verletzt
wurde. Der Zeuge Kl.
wurde bei dem Überfall von hinten in einen Würgegriff
genommen und zu Boden gebracht.
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Alle Rekruten mussten sich nach ihrer Entwaffnung hinknien oder auf
den Bauch legen. Ihnen wurden die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken
gefesselt, wobei größtenteils darauf geachtet wurde, dass sie nicht zu stramm
anlagen. Bei den meisten Soldaten hinterließen die Kabelbinder keine Spuren.
Sechs Rekruten trugen jedoch Druckstellen an den Handgelenken davon; zwei
- darunter der Zeuge F.
, der vom Angeklagten S.
gefesselt worden
war - erlitten Kratzer beziehungsweise kleine Schnittwunden an den Armen. Bei
einem Rekruten saßen die Kabelbinder so stramm, dass sie Schmerzen verur-
- 13 -
sachten und es später Schwierigkeiten bereitete, ihn davon zu befreien. Bei
dem Versuch eines Ausbilders, sie mit einem Taschenmesser zu durchtrennen,
trug der Rekrut eine leichte Schnittverletzung davon.
18
Die Augen der Rekruten wurden mit einem Dreiecktuch verbunden; möglicherweise wurde einzelnen auch ein Wäschesack über den Kopf gezogen.
Teilweise wurden sie bereits jetzt befragt. Als der Zeuge B.
, der mit ge-
fesselten Händen und verbundenen Augen auf dem Boden lag, hierbei „patzige“
Antworten gab, stellte einer der Ausbilder seinen Stiefel unter dessen Hoden
und hob den Stiefel etwa zwei Sekunden an. Dies war für den Zeugen B.
schmerzhaft.
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d) Nachdem sämtliche Rekruten einer Gruppe wie geschildert außer Gefecht gesetzt worden waren, was zwischen fünf und zehn Minuten dauerte,
wurden sie von den Ausbildern auf die Ladefläche eines Pritschenwagens „verladen“. Dabei wurde ein Rekrut „in den Lkw hineingezogen oder unsanft hineingeschoben“. Ein anderer kam nach dem Einladen auf einem Kameraden zu liegen und wieder ein anderer wurde auf den Lkw geschubst, wobei er sich das
Knie schmerzhaft anstieß. Während der langsamen Fahrt zur etwa zwei Kilometer entfernten Sandgrube war einer der Angreifer - bei einer Fahrt auch der Angeklagte S.
- auf dem Lkw dabei, um für Ruhe zu sorgen und zu verhin-
dern, dass die Rekruten miteinander redeten. Kam ein Rekrut einer Anweisung
nicht nach, so erhielt er einen leichten Schlag - zumeist auf den Helm. Dies war
- mit Ausnahme der Schläge, die der Zeuge L.
bezog - nicht
schmerzhaft. Jedoch bekam ein Rekrut während der Fahrt aufgrund der beengten Platzverhältnisse einen schmerzhaften Krampf in den Beinen.
- 14 -
e) Nach etwa fünf bis zehn Minuten Fahrt an der Sandgrube angekom-
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men, wurden die Rekruten einzeln von der Ladefläche geholt, wobei darauf geachtet wurde, dass sie sich nicht verletzten. Fünf Rekruten fielen beim „Abladen“ allerdings auf den Sandboden. Der Ausbilder fuhr mit dem Pritschenwagen
zurück zum Überfallort, um auf die nächste Gruppe zu warten.
Die Rekruten mussten sich in einem von dem früheren Mitangeklagten
21
He.
und den ihm zur Unterstützung zugeteilten drei Hilfsausbildern mit Sta-
cheldraht abgetrennten Bereich zunächst hinknien. Einige wurden angewiesen,
sich mit ihrem Kopf an eine steile Sandwand anzulehnen. Es begann dann das
vom früheren Mitangeklagten He.
geleitete „Verhör“. Dabei befragte er die
Rekruten zuerst ganz allgemein in gebrochenem Englisch. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Die Rekruten waren auf eine solche Übung nicht vorbereitet
worden, so dass sie nicht wussten, wie sie sich richtig zu verhalten hatten. Die
schweigenden Rekruten und diejenigen, die unpassende Antworten gaben, unterzog der frühere Mitangeklagte He.
unterschiedlichen „Behandlungen“, die
er sich ausgedacht hatte.
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So mussten sich einige Rekruten - mit nach wie vor auf dem Rücken gefesselten Händen - in einer Entfernung von etwa einem Meter einem Kameraden gegenüber hinknien. Beiden wurde dann der Oberkörper so weit nach vorne gezogen, bis sie sich mit ihren Helmen gegenseitig stützten. Dies führte dazu, dass beide in den Sand fielen, sobald einer von ihnen die Position nicht
mehr halten konnte. Teilweise mussten sich die gefesselten Rekruten an einen
Baum stellen und sich mit dem behelmten Kopf daran anlehnen. Ihnen wurden
die Füße ebenfalls so weit zurückgezogen, bis sie ihre Stellung nur mit Mühe
halten konnten. Wäre ein Rekrut abgerutscht, wäre er ohne die Möglichkeit des
Abfangens umgefallen. Andere Rekruten wurden von den Kabelbindern befreit
- 15 -
und mussten mit verbundenen Augen Liegestütze oder Kniebeugen machen.
Den Zeugen B.
fasste der frühere Mitangeklagte He.
dabei am Kragen
und drückte ihn nach unten, wodurch die Ausführung der Liegestütze erheblich
erschwert wurde und der Zeuge mit dem Kopf auf den Sandboden aufschlug.
Wieder andere mussten allein oder zu zweit mit verbundenen Augen einen
Baumstamm vor dem Körper oder über dem Kopf halten.
Für den Fall, dass Rekruten Aufgaben nicht erfüllten oder Fragen des
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früheren Mitangeklagten He.
nicht beantworteten, gab es simulierte Erschie-
ßungen dergestalt, dass zunächst die Erschießung des Rekruten oder eines
Kameraden angedroht und schließlich ein Feuerstoß aus dem Maschinengewehr abgegeben wurde.
Aus einer mitgebrachten Kübelspritze wurden zahlreiche Rekruten mit
24
Wasser bespritzt. Dem Zeugen L.
wurde, während er von oben herab
nass gespritzt wurde, gesagt, es werde auf ihn und seine Gruppe uriniert. Einigen Rekruten wurde Sand unter die Kleidung geworfen und wieder andere wurden mit beidem - Sand und Wasser - „traktiert“. Da der nasse Sand an der Kleidung haftete und auf der Haut rieb, führte dies bei zwei Rekruten dazu, dass sie
sich beim anschließenden Marsch in die Kaserne die Oberschenkel wund liefen
beziehungsweise sich ihre bereits vorhandenen wunden Stellen verschlimmerten.
Einem anderen Teil der Rekruten pumpten der frühere Mitangeklagte
25
He.
und ein Hilfsausbilder mit der Kübelspritze Wasser auch in den Mund,
wobei ein anderer den Rekruten festhielt. Der Zeuge L.
wurde im
Laufe seiner Befragung auf den Rücken gelegt, was die Schmerzen in seinen
Schultern verschlimmerte; dabei wurde er festgehalten. Zusätzlich wurde sein
- 16 -
Mund gewaltsam geöffnet, indem der frühere Mitangeklagte He.
oder in des-
sen Beisein ein Hilfsausbilder mit der Hand Druck auf den Unterkiefer ausübte.
In den geöffneten Mund wurde sodann mehrmals Wasser hineingepumpt, so
dass der Zeuge L.
keine Luft mehr bekam. Schließlich wurde ihm der
Reißverschluss seiner Hose geöffnet, der Schlauch hineingesteckt und Wasser
in die Hose gepumpt. Der frühere Mitangeklagte He.
ßend als „Bettnässer“. Als der Zeuge L.
verhöhnte ihn anschlie-
daraufhin seinerseits He.
beleidigte, bekam er, nachdem er gefragt worden war, ob er sterben wolle, einen metallischen Gegenstand an den Kopf gehalten und hörte einen Maschinengewehrverschluss einrasten. Dadurch geriet er in Panik, weil er dachte, ein
echtes Maschinengewehr werde ihm an den Kopf gehalten, und er wusste, welche Verletzungen auch Platzpatronen in solchen Waffen verursachen können,
wenn sie in unmittelbarer Nähe eines Menschen abgefeuert werden. Es fielen
sodann tatsächlich auch mehrere Schüsse, wobei sich das Maschinengewehr
aber in einiger Entfernung befand.
26
Der Zeuge Fä.
musste sich während seines Verhörs mit auf dem Rü-
cken gefesselten Händen und verbundenen Augen mit dem Kopf an einen
Baum anlehnen. Die Ausbilder zogen ihm die Beine so weit zurück, bis es für
ihn anstrengend wurde, die Position zu halten. Dann wurde auch ihm mit der
Kübelspritze Wasser in die Hose gepumpt, während er weiter befragt wurde.
Als der Zeuge Fä.
eine „patzige“ Antwort gab, wurde er auf den Rücken ge-
legt und es wurde ihm Wasser in die Nase gepumpt. Anschließend hielt ihm der
frühere Mitangeklagte He.
die Nase zu und drückte ihm den Mund auf, wäh-
rend ihm ein Hilfsausbilder Wasser hinein pumpte. Dabei verschluckte sich Fä.
. Diese Vernehmung des Zeugen Fä.
wurde vom Mitangeklagten D.
der sich zu diesem Zeitpunkt - ebenso wie der Mitangeklagte H.
Sandgrube aufhielt, fotografiert.
,
- in der
- 17 -
27
Auch weiteren Rekruten wurde, während sie mit auf dem Rücken gefesselten Händen und verbundenen Augen auf dem Boden knieten oder lagen,
Wasser in den Mund gepumpt. Teilweise wurde ihnen dabei der Mund gewaltsam geöffnet oder die Nase zugehalten, damit sie den Mund öffneten. Einige
Rekruten konnten dadurch nicht mehr richtig atmen. Einem dieser Rekruten
wurde zudem ebenfalls Wasser in die Hose gepumpt.
f) Das „Verhör“ einer Gruppe dauerte zwischen 20 und 30 Minuten. Da-
28
nach wurden die Rekruten, soweit noch nicht geschehen, von Kabelbindern und
Augenbinden befreit. Der Zeuge L.
konnte, weil seine Schultern auf-
grund der Fesselung derart stark schmerzten, nicht allein aufstehen, sondern
musste von zwei Hilfsausbildern unterstützt werden. Im Anschluss an die
Übung fand eine Nachbesprechung statt.
Die Kammer sah sich nicht in der Lage festzustellen, ob der Angeklagte
29
S.
wusste, was der frühere Mitangeklagte He.
und die diesem zuge-
wiesenen Hilfsausbilder in der Sandgrube im Einzelnen taten.
30
5. Anfang des dritten Quartals 2004 begannen etwa 150 Rekruten ihre
Allgemeine Grundausbildung in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld,
die auf drei Ausbildungszüge verteilt wurden. Zugführer waren unter anderem
die beiden Mitangeklagten D.
und H.
. Nach deren Planung sollten
auch in diesem Quartal wieder Geiselnahmeübungen stattfinden - dieses Mal
jedoch für jeden Zug gesondert.
31
a) Zunächst sollte der dritte, vom Mitangeklagten H.
die Übung absolvieren (Fall B.II.1 der Urteilsgründe).
geführte Zug
- 18 -
32
aa) An einem nicht mehr genau feststellbaren Tag vor dem 24. August
2004 fand deshalb wiederum eine von den Mitangeklagten D.
und H.
anberaumte Ausbilderbesprechung statt, an der auch die Angeklagten
K.
und J.
teilnahmen. Dabei wurde der grobe Ablauf der Geiselnah-
meübung für den dritten Zug erörtert. Die beiden Zugführer D.
und H.
beabsichtigten, die Rekruten nach der dienstplanmäßigen Schießübung
des dritten Zuges am 24. August 2004, die sich bis in den späten Abend hinziehen sollte, wieder auf einen zuvor nicht angekündigten nächtlichen Orientierungsmarsch zu schicken. Gegen dessen Ende sollten sie überfallen, entwaffnet und gefesselt und anschließend mit einem Pritschenwagen zum „Verhör“
gebracht werden, das dieses Mal im Keller des Kasernenblocks 6, in dem der
dritte Zug untergebracht war, stattfinden sollte. Vorgesehen war weiterhin, einen Raum mit Sportmatten auszulegen, in den zunächst alle Rekruten verbracht werden sollten. Von dort sollten die Rekruten dann einzeln in einen anderen Raum zum „Verhör“ gebracht und wieder mit einer Kübelspritze nass
gemacht werden. Anschließend sollten alle Soldaten in einem weiteren Raum
gesammelt werden. Damit sie währenddessen nicht frören, sollten sie mit bereitgelegten Decken zugedeckt werden, bevor sie schließlich freigelassen würden.
33
Trotz dieser Feststellungen vermochte das Landgericht aber nicht festzustellen, ob der Angeklagte K.
war, und der Angeklagte J.
, der für das „Verhör“ im Keller eingeteilt
, der neben weiteren Ausbildern für den Zugriff
vorgesehen war, jeweils damit rechneten, dass die Rekruten während des „Verhörs“ längere Zeit mit gefesselten Händen und mit verbundenen Augen auf dem
Boden würden knien müssen. Dies gilt ebenso für den Umstand, dass die vorbereitete Kübelspritze dazu Verwendung finden könnte, die Rekruten mit Was-
- 19 -
ser zu durchnässen und ihnen damit gewaltsam Wasser in den Mund zu pumpen. Außerdem sah sich die Kammer auch nicht in der Lage aufzuklären, ob bei
dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung
erörtert wurden. Allerdings wurde nach den Feststellungen zu der Station „Verhör“ zumindest gesagt, die dafür eingeteilten Ausbilder sollten sich „an den Sachen aus der Sandgrube orientieren“.
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Auch hier enthielten weder der für die Rekruten einsehbare, noch der
vom Kompaniechef, dem Mitangeklagten Sc.
, unterzeichnete und an das
Bataillon gesandte Dienstplan Informationen über die geplante Geiselnahme mit
Verhör.
35
Nach dieser Ausbilderbesprechung sprachen sich die für das „Verhör“
eingeteilten Ausbilder - darunter auch der Angeklagte K.
- ab, wie der Kel-
lerraum für die geplante Befragung der Rekruten herzurichten sei.
36
bb) Nachdem die Rekruten des dritten Zuges am 24. August 2004 die
dienstplanmäßige Schießübung absolviert hatten, kehrten sie gegen Mitternacht
in die Kaserne zurück. Von dem Mitangeklagten H.
wurde ihnen mitge-
teilt, im Raum Coesfeld habe es terroristische Anschläge gegeben und die
Bahnstrecke müsse gesichert werden. Die geplante Geiselnahme erwähnte er
nicht. Allerdings erklärte er den Rekruten, dass sie die Übung jederzeit durch
Nennung des Wortes „Tiffy“ beenden könnten. Auch einige Rekruten des dritten
Quartals verstanden dieses Wort als Synonym für „Weichei“; für die meisten
hatte es hingegen keine spezielle Bedeutung. Die Rekruten wurden auf vier
Gruppen aufgeteilt und marschierten zeitlich versetzt, begleitet von ihrem jeweiligen Gruppenführer, los.
- 20 -
37
cc) Währenddessen bereitete sich das „Überfallkommando“, das dieses
Mal aus zehn und zwölf Ausbildern bestand, wie bereits bei der Übung im Juni
2004 auf den Zugriff vor. Vor Ort wurden die daran Beteiligten - unter anderem
der Angeklagte J.
Station oblag, und H.
- von den Zugführern D.
, dem die Leitung dieser
eingewiesen. Die Rekruten sollten nach dem Über-
fall, der so verlaufen sollte wie bereits im Juni 2004, wiederum entwaffnet und
gefesselt werden. Außerdem sollte ihnen jeweils ein Wäschebeutel oder Stiefelsack über den Kopf gezogen werden. Beim Anlegen der Kabelbinder sollte
darauf geachtet werden, dass sie nicht in die Haut schnitten.
38
In den frühen Morgenstunden des 25. August 2004 waren die Rekruten,
nach einem etwa 20 Kilometer langen Marsch auf dem Rückweg zur Kaserne.
Als sie an den Überfallort gelangten, verwirrten die Ausbilder die Rekruten
durch den lauten Knall eines gezündeten Bodensprengsimulators und kamen
laut schreiend aus ihrer Deckung. Auch hier waren die Rekruten aufgrund des
langen Marsches und nach fast 24 Stunden Dienst zu erschöpft und auch zu
überrascht, um noch größeren Widerstand zu leisten. Nach einem Schusswechsel leisteten die Rekruten der Aufforderung, die Waffe abzulegen und sich
hinzulegen, Folge. Einige Rekruten wurden von den Ausbildern zu Boden gedrückt oder gerissen. Als sich der Zeuge P.
verteidigen wollte, rammte ihm
einer der Ausbilder die Schulterstütze eines Gewehres in den Rücken.
39
Nachdem die Rekruten entwaffnet worden waren, wurden ihnen die
Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt. Bei acht Rekruten saßen sie
jedoch so eng, dass diese Druckspuren auf der Haut davontrugen. Drei Soldaten erlitten durch die Fesselung Schürfwunden und bei dem Zeugen P.
zusätzlich - ebenso wie dem Zeugen M.
, dem
- auch die Füße gefesselt worden
waren, schnitten die Kabelbinder in die Haut ein, so dass anschließend Abdrü-
- 21 -
cke auf der Haut zu sehen waren. Allen Rekruten wurde zudem ein Wäschebeutel beziehungsweise Stiefelsack über den Kopf gezogen, oder ihnen wurden
die Augen mit einem Dreiecktuch verbunden. Zugleich wurden die Rekruten befragt. Dabei erhielt einer, weil er eine Frage nicht beantwortete, von einem der
Ausbilder einen Schlag gegen seinen Helm, einem anderen wurden leichte Tritte versetzt, und neben dem Kopf des Zeugen La.
wurde eine Pistole
durchgeladen und ihm an die Schläfe gehalten.
dd) Anschließend wurden die Rekruten auf die Ladefläche eines heran-
40
gefahrenen Pritschenwagens gesetzt und hinein geschoben. Die Zeugen P.
und M.
, die an Händen und Füßen gefesselt waren, wurden zum Fahrzeug
getragen und auf die Ladefläche gelegt. Auf der folgenden Fahrt zur Kaserne
fuhr zumindest einer der Ausbilder auf der Ladefläche mit, um die Rekruten zu
befragen und um für Ruhe zu sorgen. Als der Zeuge P.
, der mit seinem
Bauch auf dem Knie eines Kameraden lag und deshalb schlecht Luft bekam,
versuchte, sich aufzurichten, wurde er von einem der Ausbilder niedergedrückt
und geschlagen, wodurch er Schmerzen erlitt. Ein anderer Rekrut wurde mit der
Schulterstütze eines Gewehrs angestoßen, was „nicht übertrieben weh tat, aber
auch nicht angenehm“ war. Wieder einem anderen wurde, als er eine Frage
falsch beantwortet hatte, der Mündungsfeuerdämpfer eines Gewehres in seine
Oberschenkelregion gedrückt, was Schmerzen verursachte.
ee) Im Keller des Kasernenblocks 6 hatten sich zwischenzeitlich die für
41
das Verhör eingeteilten Ausbilder - darunter auch der Angeklagte K.
- ein-
gefunden und warteten auf die Ankunft der ersten Gruppe. Als diese um
6.30 Uhr immer noch nicht in der Kaserne war, meldete sich der Angeklagte
K.
, der ab 7.00 Uhr den zweiten Zug unterrichten sollte, ab und ging auf
seine Stube.
- 22 -
42
ff) Nach kurzer Fahrt in der Kaserne angekommen, fuhr der Pritschenwagen mit den Rekruten rückwärts an eine auf dem Boden ausgelegte, etwa 30
bis 40 cm dicke Hochsprungmatte heran. Zum „Abladen“ wurden die Rekruten
bis an die Ladekante des Fahrzeugs gezogen und wurden dann entweder zum
Springen aufgefordert oder hinunter gestoßen. Dadurch sollte bei den Rekruten,
die nichts sehen konnten, Angst erzeugt werden.
43
Sodann wurden die Rekruten in den Keller des Kasernenblocks 6 gebracht. Dabei wurden sie wegen ihrer verbundenen Augen in der Regel von einem Ausbilder begleitet. Der Zeuge Lan.
, dessen Schnürsenkel möglicher-
weise zusammengebunden waren, fiel dabei auf der Kellertreppe hin und stieß
sich das Knie, was ihm wehtat. Zudem ließ ihn der Ausbilder, der ihn in den Keller führte, gegen eine Wand laufen.
44
gg) Die Rekruten sollten sich zunächst in einem Waschraum hinknien
und wurden weiterhin auf Englisch befragt. Wenn sie keine Antworten gaben,
wurden sie verschiedenen Behandlungen unterzogen. Teilweise wurde ihnen
Wasser mit der Kübelspritze oder mit einem Eimer auf die Kleidung gespritzt, so
dass diese durchnässt war.
45
Dann wurden die Rekruten nacheinander in den als „Verhörraum“ vorgesehenen Partyraum gebracht und weiter „verhört“. Als der Zeuge P.
als ein-
ziger noch im Waschraum war und versuchte die Tür zuzuschlagen, um sich zu
befreien, stieß ihn ein Ausbilder in eine Ecke, wo er mit dem Kopf gegen die
Wand prallte. Anschließend wurde der Zeuge P.
in dem „Verhörraum“ auf ei-
nen Stuhl gesetzt und weiter befragt. Als er nach wie vor nicht antwortete, wurde er mit einem harten, länglichen Gegenstand fest auf Arme, Beine und Rü-
- 23 -
cken geschlagen. Dies bereitete ihm Schmerzen. Nachfolgend wurde er in einem anderen Raum weiterhin befragt, während seine Kleidung mit Wasser
durchnässt wurde. Schließlich wurde er in den Kellerflur hinausgebracht, wo er
sich hinknien musste. Dort blies ihm einer der Ausbilder Rauch unter das Dreiecktuch und es wurde ihm ein heißer Gegenstand an seinen Nacken gedrückt.
Auch einem weiteren Rekruten wurde, als er im Kellerflur knien musste und befragt wurde, Rauch ins Gesicht geblasen.
Dem Zeugen La.
46
wurde während der Befragung mit einer Lampe
ins Gesicht gestrahlt. Danach musste er sich in einem anderen Raum hinknien
und mit dem Kopf auf einem Waschbecken abstützen. Nachdem er in dieser
Stellung einige Zeit ausgeharrt hatte, wurde seine Feldbluse aufgeknöpft und er
wurde mit Wasser übergossen, während er weiter befragt wurde. Der Zeuge
Bä. musste sich hinknien und seinen Kopf an eine Wand anlehnen. In dieser
Haltung wurde er dann befragt. Gab er keine Antworten, bekam er einen Schlag
auf den Helm. Zwei andere Rekruten wurden herum und gegen die gepolsterten
Wände geschubst, wodurch einer stolperte und sich schmerzhaft das Knie
stieß.
47
Sechs Rekruten - darunter auch der Zeuge Lan.
- wurde wiederum mit
der Kübelspritze Wasser in den Mund gepumpt. Teilweise wurde ihnen dabei
die Nase zugehalten, so dass sie zeitweise keine Luft mehr bekamen. Der Zeuge Lan. , dem bei diesem Geschehen Wasser auch in die Nase gelaufen war
und dem daher das Atmen schwer fiel, musste anschließend aufstehen und allein die deutsche Nationalhymne singen. Danach wurde er auf dem Kellerflur
weiter befragt. Da er nach wie vor keine Antworten gab, wurde sein Oberkörper
nach vorne gebeugt. In dieser Haltung wurde er mehrmals - jedes Mal, wenn er
nicht antwortete - mit seinem behelmten Kopf gegen die Kellerwand gestoßen.
- 24 -
Er erlitt dadurch zwar keine Schmerzen, empfand es jedoch als „unangenehm“.
Weil der Zeuge Lan.
die ihm gestellten Fragen immer noch nicht beantworte-
te, sagte einer der Ausbilder, dass man jetzt „Ernst“ mache. Dem Zeugen Lan.
wurde daraufhin der Helm abgenommen und er wurde nochmals mit dem
Kopf gegen die Wand geschubst. Entgegen seinen Befürchtungen prallte der
Zeuge jedoch lediglich gegen ein Stück Schaumstoff, das einer der Ausbilder
zum Abfangen des Stoßes an die Wand gehalten hatte.
48
Einem anderen Rekruten wurde während seiner Befragung eine „wirklich
nicht gut“ riechende Creme unter die Nase gerieben, während wieder anderen
der Mund gewaltsam geöffnet wurde und ihnen sodann Ketchup und/oder Senf
beziehungsweise Soßenreste eingeflößt wurden.
49
hh) Nach etwa 30 bis 45 Minuten war die Übung für eine Gruppe beendet. Die Rekruten wurden in der Regel von den Kabelbindern befreit und konnten auf ihre Stube gehen. Bei dem Zeugen P.
saßen die Kabelbinder aller-
dings so eng, dass sie zunächst nicht gelöst werden konnten und erst von einem Kameraden mit einem Messer durchtrennt werden mussten.
50
Auch die übrigen Gruppen des dritten Zuges wurden im Laufe der Nacht
überfallen, gefangen genommen und in dem Keller „verhört“. Zu einem späteren
Zeitpunkt erklärte der Mitangeklagte H.
den Rekruten des dritten Zuges,
wie sie sich bei einer Geiselnahme richtig zu verhalten hätten.
51
b) Für den zweiten Zug fand in diesem Quartal die Geiselnahmeübung in
der Nacht vom 31. August auf den 1. September 2004 statt (Fall B.II.2 der Urteilsgründe).
- 25 -
aa) Auf einer zuvor stattfindenden Ausbilderbesprechung, deren Leitung
52
dem früheren Mitangeklagten Z.
oblag, der stellvertretender Zugführer die-
ses Zuges war, wurde das Vorgehen zumindest wieder in groben Zügen erörtert. Die Rekruten sollten im Anschluss an die für den 31. August 2004 vorgesehene Schießübung, die sich bis in den späten Abend ziehen sollte, erneut auf
einen zuvor nicht angekündigten nächtlichen Orientierungsmarsch geschickt
werden, bei dem sie kurz vor Ende überfallen, gefangen genommen und mit einem Fahrzeug zum „Verhör“ gebracht werden sollten, das auch dieses Mal im
Keller des Kasernenblocks 6 stattfinden sollte. Der frühere Mitangeklagte Z.
teilte bei dieser Besprechung für den „Zugriff“ neben anderen die Angeklagten
S.
und K.
den Angeklagten J.
ein. Für das „Verhör“ sah er neben einigen Hilfsausbildern
vor (ihn betreffend ist das Geschehen nach Ansicht
des Landgerichts nicht Gegenstand der gegen ihn erhobenen Anklage).
Das Landgericht sah sich erneut nicht in der Lage aufzuklären, ob bei
53
dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung
erörtert wurden.
Auch hier enthielten weder der für die Rekruten einsehbare, noch der
54
vom Kompaniechef, dem Mitangeklagten Sc.
, unterzeichnete und an das
Bataillon gesandte Dienstplan Informationen über die geplante Geiselnahme mit
Verhör.
bb) Die Rekruten des zweiten Zuges wurden am 31. August 2004 - wie
55
auch in den vorangegangenen Fällen - im Anschluss an ihre Schießübung auf
den nächtlichen Orientierungsmarsch geschickt. Der frühere Mitangeklagte
Z.
wies sie in die Lage ein. Auch er erklärte den Rekruten, sie könnten die
Übung durch Nennung des Wortes „Tiffy“ jederzeit beenden. „Möglicherweise“
- 26 -
äußerte er dabei ironisch, dieses Wort sei als Codewort international anerkannt
und stehe auch in der Genfer Konvention. Jedenfalls einer der Rekruten ging
deshalb davon aus, dass das Wort zwar benutzt werden könne, dies aber nur
auf Kosten des Stolzes oder der Ehre der Rekruten. Die bevorstehende Geiselnahme erwähnte der frühere Mitangeklagte Z.
nicht. Einige Rekruten hatten
zwischenzeitlich aber von der vorangegangenen Geiselnahmeübung des dritten
Zuges erfahren und ahnten, dass ihnen Gleiches widerfahren könnte.
56
cc) Die Rekruten des zweiten Zuges wurden auf „vermutlich“ drei Gruppen aufgeteilt und marschierten zeitlich versetzt begleitet von ihrem jeweiligen
Gruppenführer los. Wie bei den Übungen vorher kamen die Rekruten nach einem etwa 20 Kilometer langen, mehrstündigen Marsch, dieses Mal allerdings
noch im Dunkeln, am Überfallort an. Die Ausbilder verwirrten die Rekruten
durch das Zünden eines Bodensprengsimulators und von Gefechtsfeldbeleuchtung, die zudem auch blendete. Sie kamen aus ihrer Deckung und forderten die
Rekruten auf, ihre Waffen ab und sich auf den Boden zu legen. Nach einem
Schusswechsel wurden diejenigen Rekruten, die dieser Aufforderung nicht freiwillig Folge leisteten, mit körperlicher Gewalt zu Boden gedrückt oder geworfen.
Einem Rekruten wurde zudem mehrfach mit einem Pistolengriff auf den Hinterkopf geschlagen, weil er sich der Festnahme widersetzte und fliehen wollte.
57
Den Rekruten wurden wiederum die Hände mit Kabelbindern auf den
Rücken gefesselt. Bei drei Soldaten saßen sie so eng, dass sie Schmerzen bereiteten. Drei andere Rekruten trugen durch diese Fesselung Druckspuren auf
der Haut und ein weiterer darüber hinaus Hautabschürfungen davon. Allen Rekruten wurde zudem ein Wäschebeutel oder Stiefelsack über den Kopf gezogen, und sie mussten sich hinknien. In dieser Situation wurden die Rekruten befragt, wobei einem von ihnen eine Pistole an den Kopf gehalten wurde. Ein an-
- 27 -
derer wurde zu der Äußerung „I am a donkeyfucker“ aufgefordert. Auch dem
Zeugen Be.
wurde, während er bei seiner Befragung mit auf dem Rücken ge-
fesselten Händen und einem über den Kopf gezogenen Wäschebeutel auf dem
Boden kniete, eine - wie ihm bewusst war - ungeladene Pistole an den Kopf gehalten. Als er sich wegen eines schmerzhaften Krampfes in seinen Beinen hinlegte, bekam er von einem der Ausbilder einen Tritt in den Rücken und musste
sich wieder hinknien.
58
Dem Zeugen De.
war es gelungen, sich aus den Kabelbindern zu
befreien und den Wäschesack vom Kopf abzustreifen. Als er jedoch in den
Wald hineinlief, wurde er sogleich von mehreren Ausbildern verfolgt, die ihn
einholten und zu Boden warfen. Dadurch war der Zeuge De.
„nervlich of-
fenbar überfordert“. Er bekam plötzlich Angst und begann am ganzen Körper zu
zittern. Daraufhin brach der Mitangeklagte D.
für diesen Zeugen die Übung
ab, beruhigte ihn und ließ ihn zurück zur Kaserne bringen.
59
Der Zeuge Hi.
hatte, nachdem seine Hände gefesselt worden
waren und ihm ein Stiefelbeutel über den Kopf gezogen worden war, mit einem
metallischen Gegenstand einen Schlag auf seinen Kopf und zudem einen Tritt
in den Rücken bekommen, wodurch er kurz Zeit schlecht Luft bekam. Deshalb
sagte er das Wort „Tiffy“, woraufhin er freigelassen wurde. Auch fünf weitere
Rekruten hatten das Codewort genannt, so dass die Übung für sie ebenfalls
beendet war und sie zurück zur Kaserne gebracht wurden. Darunter befanden
sich auch der Zeuge Kü. , der bei dem Überfall auf sein Knie gestürzt war und
Schmerzen hatte, sowie der Zeuge Dz.
. Dieser hatte, als er mit gefesselten
Händen und einem Stiefelbeutel über dem Kopf auf dem Waldboden lag, vom
Angeklagte K.
einen leichten Tritt mit dem Stiefel gegen den Kopf bekom-
- 28 -
men. Dies war aber nicht absichtlich geschehen; vielmehr war der Angeklagte
K.
60
, als er einen Schritt rückwärts machte, versehentlich dagegen gestoßen.
dd) Die übrigen Rekruten wurden anschließend auf die Ladefläche eines
Pritschenwagens gelegt und zur Kaserne gebracht. Beim „Abladen“ der Rekruten war dieses Mal keine Matte ausgelegt. Die Rekruten wurden bis zur Ladekante des Fahrzeugs gezogen und sodann von einem Ausbilder auf die Füße
gestellt. Anschließend wurden sie in den Keller des Kasernenblocks 6 und zwar
zunächst wieder in den Waschraum gebracht, wo sie sich hinknien oder setzen
sollten. Teilweise wurden die Rekruten weiter befragt. Manchen wurde die Kleidung mit Wasser aus der Kübelspritze oder aus einem Eimer durchnässt - so
auch dem Zeugen Bl.
. Zudem wurde über diesem ein gefüllter Wassereimer
ausgeleert und ihm anschließend der Eimer über den Kopf gestülpt, während er
weiter befragt wurde. Dadurch fühlte sich der Zeuge Bl.
gedemütigt. Außer-
dem füllte sich durch das Wasser auch der über den Kopf gezogene und zugebundene Wäschebeutel immer weiter mit Wasser, so dass der Zeuge Bl.
zeitweise Probleme mit dem Atmen hatte. Anderen Rekruten wurden die Feldbluse aufgeknöpft und hochgeschoben sowie die Feldhose bis zu den Knöcheln
hinuntergezogen, bevor ihnen Wasser auf die entblößten Körperteile gegossen
wurde. Ein Rekrut wurde unter eine Dusche gelegt und nass gemacht. Durch
den nassen Wäschesack bekam er zunehmend schlechter Luft, so dass er das
Codewort nannte und die Übung für ihn abgebrochen wurde.
61
ee) Die Rekruten wurden dann entweder in den „Verhörraum“ gebracht
und dort weiter verhört oder in einen Duschraum, wo der Angeklagte J.
- was nach Ansicht des Landgerichts allerdings ihn betreffend nicht Gegenstand
der Anklage ist - eine Personenüberprüfung durchführte. Dazu öffnete dieser
Feldbluse und -hose sowie Stiefel der Rekruten und überprüfte sie auf Waffen.
- 29 -
Ihm war zuvor von einem nicht näher bekannten Ausbilder gesagt worden, er
solle die Rekruten „ruhig etwas ruppiger anfassen“, um ihnen zu zeigen, dass
das kein Spaß sei.
62
Teilweise wurde den Rekruten während der Befragung ein Gegenstand
oder eine Pistole an den Kopf gehalten. Vier Rekruten wurden der Bauch oder
die Beine entblößt und mit einer Bürste darüber gestrichen. Dies empfand der
Zeuge Po.
als „kratzig“. Dem Zeugen Bl.
, dessen Haut anschließend gerö-
tet war, tat es weh.
63
Der Zeuge Po.
wurde schließlich in den Verhörraum gebracht, wo sich
zu diesem Zeitpunkt ein Prüfgerät für Feldfernsprecher befand. Dieses Gerät
besitzt eine Kurbel, durch deren Drehung Induktionsstrom erzeugt werden
kann. Damit wurden dem Zeugen Po.
mehrere Stromstöße an Bauch und
Beinen versetzt, indem zwei angeschlossene Drähte an den entsprechenden
Körperstellen angelegt wurden. Die Stromstöße dauerten jeweils einige Sekunden und verursachten ein Kribbeln, das deutlich unter der Schmerzgrenze blieb,
da die Ausbilder, als sie merkten, dass es wehzutun begann, mit dem Kurbeln
aufhörten. Auch ein weiterer Rekrut erhielt, nachdem er mit Wasser aus Eimern
durchnässt worden war, während seines „Verhörs“ mit dem FeldfernsprecherPrüfgerät mindestens vier Stromschläge am Bauch und über seine Erkennungsmarke. Dies empfand er als unangenehm, aber nicht als schmerzhaft.
64
Der Zeuge Be.
wurde während seiner Befragung zunächst auf den
Boden gelegt und mit Wasser aus einer Kübelspritze durchnässt. Da er nicht
die verlangten Antworten gab, wurde er sodann in einem anderen Raum auf einen Stuhl gesetzt, dann die beiden Kabelenden des FeldfernsprecherPrüfgerätes an einen seiner Handballen gehalten und die Kurbel des Gerätes
- 30 -
betätigt. Währenddessen wurden ihm immer die gleichen Fragen gestellt, die er
aber weiterhin nicht beantwortete. Daraufhin wurde die Kurbel schneller gedreht, so dass stärkerer Strom floss. Der Zeuge ballte seine Hand zur Faust,
um die Stromschläge besser aushalten zu können. Auch einem weiteren Rekruten wurden, während er „verhört“ wurde, Stromstöße versetzt, indem die Kabelenden des Prüfgeräts an seine nassen und unbekleideten Oberschenkel angelegt wurden. Die Stromstöße waren anfangs relativ milde, wurden aber immer
stärker, bis sie die Schmerzgrenze des Soldaten erreicht hatten und dieser zu
zittern begann.
65
ff) Die Kammer vermochte nicht festzustellen, ob die Angeklagten S.
und K.
, die in dieser Nacht an der Station „Zugriff“ im Gelände tätig wa-
ren, mitbekommen oder im nachhinein davon erfahren haben, auf welche Art
und Weise die Rekruten bei dieser Übung im Keller „verhört“ wurden.
66
c) In der Nacht vom 1. auf den 2. September 2004 fand schließlich für
den ersten Zug in diesem Quartal die Geiselnahmeübung statt (Fall B.II.3 der
Urteilsgründe).
67
aa) Zuvor fand erneut eine Ausbilderbesprechung statt, die der Mitangeklagte D.
als Zugführer leitete. Dieser teilte bei dieser Besprechung unter
anderem für den „Überfall“ neben anderen die Angeklagten S.
und J.
ein. Die Vorgehensweise bei der Geiselnahmeübung sollte unverändert
bleiben. Lediglich das Verhör sollte dieses Mal im Keller des Kasernengebäudes 14 stattfinden, in dem der erste Zug untergebracht war.
68
Wiederum sah sich das Landgericht nicht in der Lage aufzuklären, ob bei
dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung
- 31 -
erörtert wurden. Jedenfalls sollte im Keller aber wieder eine Kübelspritze bereitstehen, um damit die Rekruten nass zu machen.
69
Auch dieses Mal enthielten weder der für die Rekruten einsehbare, noch
der vom Kompaniechef, dem Mitangeklagten Sc.
, unterzeichnete und an
das Bataillon gesandte Dienstplan Informationen über die geplante Geiselnahme mit Verhör.
70
bb) Der Angeklagte J.
bereitete den Keller für das Verhör vor. Er
stellte einen Tisch und Stühle auf, legte Matratzen auf dem Boden aus, auf die
die Soldaten gelegt werden konnten, und ließ zumindest eine Kübelspritze mit
Wasser füllen und bereitstellen.
71
cc) Die Rekruten des ersten Zuges absolvierten am 1. September 2004
- wie auch in den vorangegangenen Fällen - zunächst ihre Schießübung. Nachdem diese gegen Mitternacht beendet war, teilte ihnen der Mitangeklagte D.
mit, dass sie nun auf einen Nachtorientierungsmarsch gehen müssten, wobei das Gebiet zur Verhinderung terroristischer Angriffe bestreift werden müsse.
Zudem erklärte er ihnen, sie könnten die Übung durch Nennung des Wortes
„Tiffy“ jederzeit beenden. Auch einige Rekruten dieses Zuges verstanden dieses Wort als Synonym für „Weichei“ oder „Schwächling“; für die meisten hatte
es hingegen keine besondere Bedeutung.
72
Im Unterschied zu den vorhergehenden Übungen vermuteten dieses Mal
zahlreiche Rekruten, dass sie überfallen werden würden, da sie teilweise Gerüchte oder Andeutungen aus den anderen Zügen über eine bevorstehende
Geiselnahme gehört hatten. Der genaue Ablauf war jedoch keinem der Rekruten bekannt.
- 32 -
73
dd) Auch die Rekruten des ersten Zuges machten sich in Gruppen ohne
ihren planmäßigen Gruppenführer im Abstand von etwa 20 Minuten auf den
Weg. Die Rolle des Gruppenführers musste jeweils ein Rekrut übernehmen.
Der Angeklagte K.
H.
fuhr gemeinsam mit den Mitangeklagten D.
und
los, um den Marsch zu überwachen. Gegen 23.30 Uhr informierten
sie den Mitangeklagten Ja.
telefonisch darüber, dass sich die erste Gruppe
nun auf dem Weg zum Überfallort befinde und sich die Ausbilder bereit machen
sollten. Der Angeklagte K.
D.
und H.
erwartete gemeinsam mit den Mitangeklagten
die für den „Überfall“ eingeteilten Ausbilder bereits am Ort
des geplanten Zugriffs.
74
Die erste Gruppe kam nach einem etwa 20 Kilometer langen Marsch gegen 3.00 Uhr am Überfallort an. Anders als in den vorangegangenen Fällen
gingen die Rekruten dieses Mal äußerst behutsam vor, weil sie den Überfall erahnten. Dennoch entdeckten sie die Angreifer nicht. Trotz ihrer Vorahnung waren die Rekruten infolge des Zündens eines Bodensprengsimulators und von
Gefechtsfeldbeleuchtung durch die Ausbilder im ersten Moment überrascht. Sie
gingen aber in Deckung und versuchten, sich zu verteidigen. Nach einem kurzen Schusswechsel hatten ihnen die Ausbilder aber die Gewehre abgenommen. Die Rekruten sollten sich sodann hinknien oder auf den Boden legen. Einige von ihnen leisteten aber auch nach der Entwaffnung Widerstand und ließen sich nicht mehr so bereitwillig fesseln wie in den vorangegangenen Fällen.
75
Einem der Rekruten, der bereits auf dem Boden lag, wurde von einem
Ausbilder, „vermutlich“ von dem Angeklagten S.
, ein Stiefelbeutel über
den Kopf gezogen. Ihm wurden die Arme mit leichter körperlicher Gewalt nach
hinten gedreht und mit den dafür vorgesehenen Kabelbindern auf dem Rücken
- 33 -
gefesselt. Ein anderer war bei dem Überfall von einem der Ausbilder umgerissen worden und wurde ebenfalls mit Kabelbindern gefesselt. Nachdem er die zu
feste Fesselung reklamiert hatte, bekam er lockerer sitzende Kabelbinder angelegt. Zwischen einem Rekruten und einem Ausbilder gab es ein „kleines Handgemenge“, während dessen der Rekrut schließlich zu Boden gebracht, entwaffnet und gefesselt wurde. Während seiner anschließenden Befragung wurde
sein Gesicht teilweise in seinen am Boden liegenden Helm gedrückt. Außerdem
verspürte er Druck an seinem Hinterkopf, der vermutlich von einem auf seinen
Hinterkopf gestellten Stiefel herrührte. Der Zeuge Bla. wurde bei dem Überfall
zu Boden gerissen, mit Kabelbindern gefesselt, und ihm wurde ein Stiefelbeutel
über den Kopf gezogen. Damit er sich nicht weiter rührte, stellte einer der Ausbilder einen Stiefel in seinen Nacken; einen anderen Schuh spürte der Zeuge
Bla. an seinen Genitalien. Bewegte sich der Zeuge, wurde dort gedrückt, um
ihn ruhig zu stellen.
Nachdem es einem weiteren Rekruten zweimal gelungen war, die ange-
76
legten Kabelbinder zu zerreißen, setzte sich der Mitangeklagte Bu.
auf den
am Boden liegenden Soldaten, damit dieser sich nicht mehr so stark wehrte.
Dennoch versuchte dieser weiterhin, sich zu befreien und streifte sich mehrfach
den übergezogenen Stiefelbeutel ab. Daraufhin beendete der Mitangeklagte
D.
die Übung für ihn. Auch der Zeuge O.
wehrte sich, so dass auch er
eine Rangelei mit einem Ausbilder hatte. Er wurde schließlich von zwei Angreifern überwältigt und mit Kabelbindern gefesselt; anschließend wurde ihm eine
Kapuze über den Kopf gezogen und zugebunden. Auch er zerriss mehrere Kabelbinder, bekam aber jeweils neue angelegt, bis er sich letztlich nicht mehr
wehrte.
- 34 -
77
Wieder ein anderer Soldat wurde bei dem Überfall von einem Ausbilder
zu Boden gedrückt. Die Kabelbinder, mit denen ihm die Hände auf dem Rücken
gefesselt worden waren, saßen sehr stramm, so dass er Rötungen und Hautabschürfungen davontrug. Einer der Ausbilder forderte ihn auf, das Codewort
„Tiffy“ zu sagen. Dem kam der Zeuge schließlich nach, woraufhin die Übung für
ihn beendet wurde. Auch ein weiterer Rekrut wurde gepackt, zu Boden gedrückt
und mit zu stramm sitzenden Kabelbindern gefesselt. Als er dies monierte, wurde ebenfalls verlangt, er solle zunächst das Codewort nennen. Als er dieses
sagte, wurde er sofort befreit. Allerdings konnten die sehr eng sitzenden Kabelbinder nicht ohne weiteres durchtrennt werden. Bei dem Versuch sie mit einem
Messer zu durchschneiden, erlitt dieser Rekrut leichte Schnittverletzungen an
den Handgelenken. Schließlich beendete auch noch ein weiterer Rekrut durch
Nennung des Codeworts die Übung, nachdem er Platzangst bekommen hatte,
als ihm der Stiefelbeutel über den Kopf gezogen worden war.
78
Dem Zeugen Ly. wurde während seiner Befragung eine Pistole an den
Kopf gehalten. Weil er nicht antwortete, wurde er zudem mit Tritten in den Rücken „malträtiert“, wodurch er zwei bis drei Tage anhaltende Rückenschmerzen
erlitt. Dem Zeugen Deu.
wurde bei seiner Entwaffnung ebenfalls eine Pistole
vor den Kopf gehalten. Er wurde zu Boden gestoßen und, als er gefesselt auf
dem Boden lag, trat jemand auf seinen Rücken. Zudem stellte ein Ausbilder für
kurze Zeit einen Fuß auf seinen Helm, so dass er sich nicht mehr bewegen
konnte. Der Zeuge Ku.
wurde während der Befragung dadurch am Boden
fixiert, dass sich einer der Ausbilder auf seinen Rücken stellte, was schmerzhaft
war. Außerdem erhielt er von Zeit zu Zeit einen leichten Tritt gegen seine Stiefel. Auch zwei weitere Rekruten bekamen jeweils einen - in einem Fall kräftigen,
schmerzhaften - Tritt in den Rücken, dies sogar, obwohl einer der beiden der
- 35 -
Aufforderung, sich auf den Boden zu legen und die Waffe abzugeben, sofort
nachgekommen war.
79
ee) Nachdem alle Rekruten der ersten - und später auch der zweiten Gruppe überwältigt, entwaffnet und gefesselt worden waren, wurden sie - zum
Teil „recht unsanft“ - auf die Ladefläche eines Pritschenwagens „verladen“ und
zur Kaserne gebracht. Während der Fahrt befand sich zumindest ein Ausbilder
auf der Ladefläche, um für Ruhe zu sorgen. Dennoch verhielten sich die Rekruten nicht ruhig, sondern versuchten teilweise, die Stiefelbeutel von ihren Köpfen
abzustreifen. Deshalb gab einer der Ausbilder einen Schuss ab.
Der Mitangeklagte D.
80
Ja.
hatte zwischenzeitlich den Mitangeklagten
darüber unterrichtet, dass die erste Gruppe bald in der Kaserne eintref-
fen werde. Der Mitangeklagte Ja.
traf sich daraufhin mit den weiteren drei
für das „Verhör“ eingeteilten Ausbildern im Keller und besprach mit ihnen das
weitere Vorgehen. Die Rekruten sollten nach dem „Abladen“ zunächst in den
Waschraum des Kellers gebracht und dort auf den ausgelegten Matten abgelegt werden. Dann sollten sie einzeln zum „Verhör“ gebracht werden, dessen
Leitung dem Mitangeklagten Ja.
und dem früheren Mitangeklagten Z.
oblag. Zuletzt sollten die Rekruten in einem Materialraum auf Matten abgelegt
werden, um dort zu warten, bis das „Verhör“ für sämtliche aus der Gruppe beendet ist.
81
Die vier Ausbilder sahen, dass in dem Verhörraum ein FeldfernsprecherPrüfgerät war. Spätestens jetzt vereinbarten sie, dieses bei dem „Verhör“ einzusetzen und den Rekruten damit Stromschläge zu verabreichen.
- 36 -
82
ff) Während der Fahrt zur Kaserne gelang es drei Rekruten, sich von den
Kabelbindern zu befreien. Als das Fahrzeug an der Kaserne angekommen war,
wurden zwei von ihnen von den dort bereitstehenden Ausbildern erneut gefesselt - dieses Mal jedoch mit einer deutlich stabileren und reißfesten Kunststoffschnur beziehungsweise mit Klebeband. Der Zeuge O.
, der ebenfalls er-
neut gefesselt werden sollte, setzte sich derart heftig zur Wehr, dass er schließlich aus der Übung genommen wurde.
83
Die übrigen Rekruten wurden von der Ladekante des Fahrzeugs gezogen, wobei sie auf den Füßen aufkamen. Anschließend wurden sie in den
Waschraum des Kellers des Kasernenblocks geführt oder an beiden Armen hinunter getragen. Dort mussten sie sich hinknien oder auf die ausgelegten
Schaumstoffmatten legen und wurden weiter befragt.
84
gg) Der Zeuge W.
hatte wegen der zu fest sitzenden Kabelbinder das
Gefühl in seinen Händen verloren und beschwerte sich darüber, so dass er davon befreit und nunmehr mit Klebeband gefesselt wurde. Danach wurde er in
einen anderen Raum gebracht, wo ihm mit einer Kübelspritze Wasser in den
Kragen gepumpt wurde, wodurch seine Kleidung vollständig durchnässt wurde.
Sodann wurden seine Feldbluse geöffnet und seine Feldhose bis zu den Knöcheln hinuntergezogen, bevor ihm mit dem Feldfernsprecher-Prüfgerät zwei bis
drei Stromstöße am Bauch versetzt wurden. Anschließend wurde er in einen
weiteren Raum gebracht, wo er auf den Boden gelegt wurde und warten sollte.
Nach einiger Zeit nannte der Zeuge W.
, der die ihm zuteil gewordene Be-
handlung als entwürdigend empfand, der fror und keine Lust mehr hatte, auf
dem Boden zu liegen, das Codewort.
- 37 -
85
Der Zeuge Ly.
wurde zunächst mit Wasser aus einer Kübelspritze
durchnässt, so dass er auskühlte und fror. Anschließend wurde er auf den Rücken gelegt, und es wurde ihm mit dem Schlauch der Kübelspritze Wasser in
den Mund gepumpt, bis er zu husten begann. In dem „Verhörraum“ wurde er
weiter befragt und erhielt Stromschläge in seinen Nacken, die ihm wehtaten, so
dass auch er schließlich das Codewort zur Beendigung der Übung nannte.
Auch die Kleidung eines weiteren Rekruten wurde durchnässt und ihm wurde
Wasser in den Mund gepumpt. Zudem erhielt dieser Schläge mit der Faust und
der flachen Hand sowie Tritte auf seinen Nacken und den Hinterkopf, so dass
auch er letztlich die Übung beendete.
86
Der Zeuge Ku.
wurde ebenfalls mit Wasser aus der Kübelspritze
durchnässt und auch ihm wurde Wasser in den Mund gepumpt. Außerdem stellte sich einer der Ausbilder, nachdem der Zeuge auf den Bauch gelegt worden
war und während er befragt wurde, auf seinen Rücken, was Schmerzen verursachte. Desgleichen wurde der Zeuge Deu.
durchnässt und ihm Wasser in
den gewaltsam aufgedrückten Mund gepumpt, so dass er sich verschluckte.
Zusätzlich wurde ihm ein Gegenstand, der sich wie eine Pistole anfühlte, in den
Mund gesteckt, ihm wurde seine Hose heruntergezogen und er wurde anschließend mit kaltem Wasser übergossen. Weil er die Fragen nach wie vor
nicht beantwortete, wurden ihm zudem zwei bis drei Stromstöße am Arm versetzt, die zunehmend stärker wurden und unangenehm waren. Schließlich wurde er nochmals mit einem Schwall kalten Wassers übergossen. Im Anschluss
musste er sich auf den Kellerflur neben zwei Kameraden knien und mit seinem
Kopf an die Wand anlehnen. Der Mitangeklagte Ja.
versetzte ihnen - und
auch weiteren - Rekruten nun mehrfach der Reihe nach Schläge auf den Kopf,
woraufhin die Rekruten nacheinander jeweils eine Silbe des Wortes „Budweiser“ nennen mussten.
- 38 -
87
Letzteres musste auch der Zeuge Wa.
über sich ergehen lassen,
nachdem er zuvor während der Befragung ebenfalls mit Wasser bespritzt worden war. Außerdem war ihm befohlen worden, ein Lied mit dem Titel „Crazy
monkey“ zu singen, während ihm mit der Kübelspritze Wasser in den Mund gepumpt worden war, so dass er sich verschlucke. Anschließend wurden auch
ihm mehrere Stromstöße versetzt - vier bis fünf am Oberschenkel und weitere
vier bis fünf an seinem entblößten Bauch, wodurch sich sein Bein und seine
Bauchmuskulatur verkrampften. Als der Zeuge die Fragen weiterhin nicht beantwortete, sondern die Ausbilder als „asozial“ bezeichnete und nach ihnen trat,
wurde ihm seine Feldhose bis zu den Knöcheln hinuntergezogen, um seine
Bewegungsfreiheit einzuschränken. Weil seine Boxershorts verrutscht waren,
war sein Glied zu sehen. In dieser Situation wurde der Zeuge Wa.
fotogra-
fiert.
Der Zeuge Bla. erlitt Tritte auf seine Beine, so dass er mehrere Tage auf
88
der Krankenstation verbringen musste. Zudem schmerzten und bluteten seine
Handgelenke aufgrund der zu streng sitzenden Kabelbinder. Diese wurden ihm
zwar schließlich von einem Ausbilder abgenommen, als er sich jedoch gegen
eine erneute Fesselung wehrte und erklärte, dass es ja wohl bald reiche, wurde
er gepackt, in das Treppenhaus hinaus geschubst und als „Heulsuse“ bezeichnet.
89
hh) Die Kammer vermochte nicht festzustellen, ob die Angeklagten S.
und K.
wussten, wie das „Verhör“ der Rekruten im Einzelnen ablaufen
sollte. Der Angeklagte J.
, der am Überfall beteiligt war, rechnete damit,
dass die Kleidung der Rekruten während des „Verhörs“ durchnässt wird.
- 39 -
ii) Die Übung wurde schließlich von dem Mitangeklagten D.
90
ab-
gebrochen. Bereits nach dem Überfall auf die erste Gruppe des ersten Zuges
hatten der Angeklagte K.
und die Mitangeklagten D.
und H.
be-
ratschlagt, ob die Übung wegen des großen Widerstandes der Rekruten nicht
abgebrochen werden sollte. Sie entschieden, erst noch abzuwarten und zunächst das „Überfallkommando“ mit zwei Mann zu verstärken. Nachdem aber
auch die zweite Gruppe heftigen Widerstand geleistet hatte und nur mit Mühe
hatte überwältigt werden können, kamen sie schließlich überein, die folgenden
Gruppen nicht mehr zu überfallen und die Übung insgesamt vorzeitig zu beenden.
II.
91
Das Urteil des Landgerichts ist, soweit es den Angeklagten J.
be-
trifft, im Fall B.II.3 der Urteilsgründe aufzuheben und das Verfahren insoweit
einzustellen (vgl. dazu BGHSt 46, 130, 135 f.), da diese abgeurteilte Tat in Bezug auf diesen Angeklagten nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage ist.
Eine diese Tat wirksam einbeziehende Nachtragsanklage (§ 266 StPO) ist nicht
erhoben worden. Demnach mangelt es insofern - was von Amts wegen zu prüfen ist - an den Verfahrensvoraussetzungen der Erhebung einer ordnungsgemäßen Anklage und demnach an der ordnungsgemäßen Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung.
92
1. Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie
Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat
gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen
desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion - st. Rspr., vgl.
- 40 -
nur BGHSt 40, 44, 45; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24 jew. m.w.N.). Es
darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Die begangene, konkrete Tat muss
vielmehr durch bestimmte Tatumstände so genau gekennzeichnet werden,
dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden. Fehlt es hieran, so ist die Anklage unwirksam (vgl.
BGHSt 40, 44, 45; BGH NStZ 1995, 245 jew. m.w.N.). Darüber hinaus hat die
Anklage auch die Aufgabe, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den mit der Anklage erhobenen
Vorwurf einzustellen. Mängel der Anklage in dieser Hinsicht führen nicht zu ihrer Unwirksamkeit. Insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung
durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (Informationsfunktion
- vgl. BGHSt 40, 44, 45; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24 jew. m.w.N.).
93
2. Diesen Anforderungen wird die mit Beschluss des OLG Hamm vom
25. Juli 2006 unter anderem gegen den Angeklagten J.
unverändert zur
Hauptverhandlung zugelassene Anklage (nachdem das Landgericht mit Beschluss vom 22. Dezember 2005 insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens
insgesamt abgelehnt und auch Bedenken im Hinblick auf die Umgrenzungsfunktion der Anklage geäußert hatte) nicht gerecht. Die von der Kammer im Urteil abgeurteilte rechtlich selbständige Tat im Fall B.II.3 der Urteilsgründe ist betreffend den Angeklagten J.
weder im Anklagesatz noch im wesentlichen
Ergebnis der Ermittlungen hinreichend konkret beschrieben.
94
a) Die Anklageschrift vom 1. Juni 2005 richtete sich insgesamt gegen 18
Angeklagte und legte diesen unterschiedliche Beteiligungen an insgesamt vier
rechtlich selbständigen Taten zur Last. Der im Anklagesatz gegen den Ange-
- 41 -
klagten J.
erhobene Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tatein-
heit mit Misshandlung und mit entwürdigender Behandlung begangen durch
„zwei selbständige Handlungen“ erschöpft sich, bezogen auf diesen Angeklagten, allein in der Darstellung des konkreten Lebenssachverhalts im Fall B.II.1
der Urteilsgründe („zweiter Vorfall“ der Anklage - EA Bd. IX Bl. 1282 f.). Im Fall
B.II.3 der Urteilsgründe („vierter Vorfall“ der Anklage - EA Bd. IX Bl. 1283 f.)
richtet sich die Anklage indes ausschließlich gegen die (früheren) Mitangeklagten D.
Ja.
, H.
, Sc.
, Bu. , K.
, Mö.
. Eine Tatbeteiligung des Angeklagten J.
, S.
, Z.
und
wird insoweit im Anklage-
satz nicht geschildert.
95
b) Zwar dürfen bei der Prüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur
Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt
46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1
Tat 24; Schneider in KK 6. Aufl. § 200 Rdn. 30; BeckOK-StPO/Ritscher § 200
Rdn. 19 jew. m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem
Anklagesatz zumindest Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende
Angaben können dann aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich
wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt
(vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 200 Rdn. 81 m.w.N.).
96
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Im Anklagesatz wird die Person
des Angeklagten J.
im Zusammenhang mit dem Fall B.II.3 der Urteils-
gründe überhaupt nicht erwähnt. Im wesentlichen Ermittlungsergebnis wird
demgegenüber im Rahmen der Wiedergabe der Zeugenaussagen und der Angaben des Angeklagten J.
in seiner disziplinarischen Vernehmung nicht
- 42 -
nur dessen behauptetes Tätigwerden im Fall B.II.3 der Urteilsgründe geschildert
(vgl. EA Bd. IX Bl. 1378, 1383, 1410), sondern darüber hinaus auch im Fall
B.II.2 der Urteilsgründe („dritter Vorfall“ der Anklage - vgl. EA Bd. IX Bl. 1404 der nach Ansicht der Kammer nicht Gegenstand der gegen den Angeklagten
J.
erhobenen Anklage ist, siehe dazu unten Ziffer V.). Zudem sind die
diesbezüglichen Ausführungen auch widersprüchlich: Während die Einlassung
des Angeklagten J.
dahingehend dargestellt wird, dass er seine Beteili-
gung an den Übungen im Fall B.II.1 („zweiter Vorfall“ der Anklage) und B.II.2
der Urteilsgründe („dritter Vorfall“ der Anklage - vgl. EA Bd. IX Bl. 1404) eingeräumt habe (EA Bd. IX Bl. 1403 f.), lautet die abschließende Feststellung: „Der
Angeklagte J.
war, wie sich aus seiner Einlassung ergibt, im zweiten Fall
als Mitglied des 'Überfallkommandos' und im vierten Fall bei den 'Vernehmungen' im Keller beteiligt“.
97
Demnach ergibt sich auch aus einer Gesamtschau des Anklagesatzes
und des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen nicht hinreichend konkret,
ob die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten J.
über die Tat im Fall
B.II.1 der Urteilsgründe hinaus nun eine Beteiligung im Fall B.II.2 oder im Fall
B.II.3 der Urteilsgründe zur Anklage bringen wollte. Damit ist die zweite dem
Angeklagten J.
vorgeworfene Tat nicht hinreichend beschrieben. Die
Umgrenzungs- und Informationsfunktion der Anklage ist nicht gewahrt. Dieser
Mangel der Anklage konnte auch nicht im Eröffnungsbeschluss des OLG Hamm
vom 25. Juli 2006 behoben werden.
98
c) Das Verfahren ist daher insoweit einzustellen. Dies steht einer neuen,
den verfahrensrechtlichen Anforderungen gerecht werdenden Anklage jedoch
nicht entgegen.
- 43 -
III.
99
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft, mit denen sie eine Verurteilung
der Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung - betreffend die Angeklagten S.
und K.
in drei Fällen und in Bezug auf den Angeklagten J.
in ei-
nem Fall - erstrebt, haben Erfolg.
100
1. Schon der Ausgangspunkt der Kammer, wonach sie bei der rechtlichen Würdigung des Verhaltens der Angeklagten in den Fällen, in denen diese
„nur am Überfall“ (vgl. beispielsweise UA S. 147, 150) auf die Rekruten teilgenommen haben (betreffend den Angeklagten S.
und 3 der Urteilsgründe, den Angeklagten K.
de und den Angeklagten J.
in den Fällen B.I., B.II.2
im Fall B.II.2 der Urteilsgrün-
im Fall B.II.1 der Urteilsgründe), ausschließlich
auf deren Tätigwerden beim Zugriff abgestellt hat, die nachfolgenden Geschehnisse bei den jeweiligen „Verhören“ indes unberücksichtigt gelassen und sich
insofern mit der Frage der mittäterschaftlichen Zurechnung nicht auseinandergesetzt hat, ist rechtsfehlerhaft.
101
a) Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Mittäter begeht, ist nach den gesamten Umständen des konkreten Falles in wertender Betrachtung zu beurteilen.
Wesentliche Anhaltspunkte hierfür sind der Grad des eigenen Tatinteresses,
der Umfang der Tatbeteiligung sowie die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille
hierzu, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem
Willen abhängen (st. Rspr. - vgl. nur BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 13
m.w.N.). Zwar haftet jeder Mittäter für das Handeln der anderen nur im Rahmen
seines - zumindest bedingten - Vorsatzes; er ist also für den Erfolg nur insoweit
verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen nicht
- 44 -
zur Last fällt. Jedoch werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, vom Willen
des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders vorgestellt hat.
Ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seiner Tatgenossen gleichgültig ist (vgl.
BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32 m.w.N.). Dabei kann bei einem mehraktigen Geschehen Täter auch derjenige sein, welcher nicht sämtliche Akte selbst
erfüllt. Es genügt, wenn er auf der Grundlage gemeinsamen Wollens einen die
Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet (vgl. BGHR StGB § 25
Abs. 2 Willensübereinstimmung 3). Diese Maßstäbe hat die Strafkammer ihrer
rechtlichen Beurteilung nicht zu Grunde gelegt.
102
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts wussten die Angeklagten
aufgrund der jeweils vorangegangenen Ausbilderbesprechungen, dass die unter anderem von ihnen ausgeführten Überfälle der Ermöglichung der nachfolgenden Befragungen dienten, die im Fall B.I. der Urteilsgründe „etwa so wie in
Hammelburg … ablaufen“ (UA S. 23) und sich im Fall B.II.1 der Urteilsgründe
„an den Sachen in der Sandgrube orientieren“ (UA S. 45) sollten. Die Urteilsausführungen belegen zudem, dass sämtlichen Beteiligten - insbesondere
aufgrund ihrer eigenen Ausbildung bei der Bundeswehr, ihrer Tätigkeit als Ausbilder sowie den damit einhergehenden Lehrgängen und wie das Fehlen einer
Nachfrage zeigt - bewusst war, dass die Verhöre - wie auch bei den Geiselnahmeübungen im Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ - jeweils
unter psychischen und physischen Belastungen erfolgen sollten, um bei den
Rekruten Stress zu erzeugen. Auch wenn - was das Landgericht jeweils nicht
zu klären vermochte - weitere Einzelheiten dazu von den Beteiligten nicht erörtert wurden und die Angeklagten nach den Feststellungen nicht wussten, was
bei den Befragungen letztlich jeweils im Einzelnen geschah, liegt es aufgrund
- 45 -
der sonstigen Feststellungen nahe, dass es zu erheblichen Beeinträchtigungen
der körperlichen Unversehrtheit der Rekruten (dazu näher unten Ziffer III.4.b)
kommen würde. Jedenfalls legen die gemeinsamen Erörterungen der Geiselnahmeübungen ohne weitere Nachfrage zu den Einzelheiten im Zusammenhang mit der nachfolgenden aktiven Beteiligung der Angeklagten an den jeweiligen Übungen nahe, dass ihnen die genaue Vorgehensweise bei den „Verhören“ zumindest gleichgültig war.
103
c) Betreffend den Angeklagten K.
kommt hinzu, dass er im Fall B.II.1
der Urteilsgründe und damit vor Fall B.II.2 der Urteilsgründe, bei dem er dem
„Überfallkommando“ zugeteilt war (und auch vor Fall B.II.3 der Urteilsgründe, in
dem er Marschüberwachung fuhr, dazu unten Ziffer III.2.c), für das „Verhör“ der
Rekruten im Keller des Kasernengebäudes eingeteilt war. Bei der dieser Geiselnahmeübung vorausgehenden Ausbilderbesprechung wurde darauf hingewiesen, dass sich die für das „Verhör“ eingeteilten Ausbilder - und damit auch
der Angeklagte K.
- „an den Sachen aus der Sandgrube orientieren“ soll-
ten. Im Anschluss sprach sich der Angeklagte K.
mit den weiteren für das
„Verhör“ eingeteilten Ausbildern ab, wie der Kellerraum für die geplante Befragung der Rekruten herzurichten sei. Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe legt darüber hinaus nahe, dass als Ergebnis dieser Unterredung der
Angeklagte K.
den „Verhörraum“ - allein oder gemeinsam mit den weiteren
Ausbildern - entsprechend vorbereitet hat oder dies hat machen lassen. Hätte
der Angeklagte K.
zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis davon gehabt, was
bei der vorhergehenden Befragung in der Sandgrube geschehen ist, so hätte
dies alles nicht erfolgen können. Erst recht hatte er dann aber bei den nachfolgenden Geiselnahmeübungen in den Fällen B.II.2 und 3 der Urteilsgründe eine
Vorstellung über den Ablauf der „Verhöre“.
- 46 -
104
d) Absprachegemäß haben die Angeklagten, soweit sie an den „Überfällen“ beteiligt waren, die „Verhöre“ und auch die damit einhergehenden erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit der Rekruten dadurch
ermöglicht, dass sie diese überfallen, entwaffnet und gefesselt haben, bevor
diese zur Sandgrube oder in den Keller der Kasernengebäude verbracht wurden. Dabei hatten sie bezüglich der konkreten Ausgestaltung dieses Teils der
Übung freie Hand. Die Beiträge des „Überfallkommandos“ und derjenigen, die
das „Verhör“ durchführten, ergänzten sich - dem Tatplan entsprechend - arbeitsteilig. Die Feststellungen drängen zu der Annahme, dass die Angeklagten
bei ihrem eigenen Handeln bei den Überfällen - insbesondere aufgrund der im
Rahmen der Ausbildung ansonsten unüblichen nicht nur kurzzeitigen Fesselung
mit Kabelbindern und der teils gewaltsamen Überwältigungen - die erhebliche
Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens der Rekruten zumindest billigend in Kauf genommen haben. Die in diesem Zusammenhang festgestellte
körperliche Misshandlung der Rekruten wäre dann von ihrem Willen umfasst.
Die Vorgehensweise bei den Überfällen und die damit zusammenhängenden
Beeinträchtigungen für die Rekruten unterschieden sich nicht wesentlich von
denjenigen der Geschehnisse bei den späteren Befragungen. Allein die Steigerung der Intensität einzelner Handlungen bei den Verhören - wie etwa das
Pumpen von Wasser in Mund und Nase bis zur Atemnot oder dem Versetzen
von Stromstößen - bewirkt nicht, dass die Geiselnahmeübung insgesamt eine
andere, von diesen Angeklagten nicht mehr vorgestellte Qualität der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit gehabt hätte. Aufgetretene Exzesse
sind lediglich im Rahmen des Schuldumfangs der einzelnen Beteiligten zu berücksichtigen.
- 47 -
e) Der vom Landgericht vorgenommenen Differenzierung zwischen dem
105
Überfall einerseits und dem Verhör andererseits kann daher nicht gefolgt werden. Das Überwältigen der Rekruten ermöglichte erst das anschließende „Verhör“ und bildete einen unverzichtbaren Bestandteil der insgesamt unzulässigen
(dazu unten Ziffer III.4.c) Geiselnahmeübung. Die an den Übungen beteiligten
Angeklagten müssen sich deshalb die Geschehnisse der gesamten jeweiligen
Übung zurechnen lassen, soweit sie von dem gemeinsam gefassten Tatplan
gedeckt sind und es sich nicht um einzelne Exzesse handelte. Jedenfalls die
von den Rekruten in der Sandgrube beziehungsweise im Kasernenkeller auszuführenden Zwangshaltungen, Kniebeugen, Liegestütze, das Haltenmüssen von
Baumstämmen und die Scheinerschießungen stimmen nach den Urteilsfeststellungen nach Art und Intensität der Beeinträchtigung mit den Vorgehensweisen
bei den zulässigen Geiselnahmeübungen, die unter anderem in Hammelburg
durchgeführt werden, überein, so dass diese vom gemeinsamen Tatplan gedeckt und somit den Angeklagten zurechenbar waren.
2. Unzutreffend ist auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte
106
K.
sei in den Fällen B.II.1 und 3 der Urteilsgründe mangels eines eigenen
Tatbeitrages freizusprechen. Denn der Angeklagte K.
leistete auch in die-
sen beiden Fällen jeweils einen notwendigen, wesentlichen Beitrag zur Durchführung der Geiselnahmeübung entsprechend dem zuvor gefassten gemeinsamen Tatplan der Beteiligten.
107
a) Mittäterschaft kann selbst durch die bloße Beteiligung an Vorbereitungshandlungen begründet werden, sofern der Betreffende auf der Grundlage
gemeinsamen Wollens einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag
leistet, welcher sich nach seiner Willensrichtung nicht als bloße Förderung
fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller darstellt, und der dement-
- 48 -
sprechend die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt (BGHSt 16, 12,14; 28, 346, 347 f.; BGH, Urt. vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 499/86 [insofern nicht abgedruckt in BGHSt 34, 209]). Ob
das der Fall ist, ist in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang
der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder der Wille zur Tatherrschaft sein, so
dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Betreffenden abhängen (BGH, Urt. vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 499/86 [insofern
nicht abgedruckt in BGHSt 34, 209] m.w.N.).
108
b) Der Angeklagte K.
, der bei der Ausbilderbesprechung für die Gei-
selnahmeübung am 24./25. August 2004 (Fall B.II.1 der Urteilsgründe) für die
Station „Verhör“ eingeteilt worden war, sprach sich mit den übrigen für das
„Verhör“ vorgesehenen Ausbildern ab und legte mit diesen - ohne hierfür nähere Vorgaben bekommen zu haben - eigenständig fest, wie der Raum für diese
Station auszustatten war. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe
liegt zudem nahe, dass als Ergebnis dieser Unterredung der Angeklagte K.
den „Verhörraum“ - allein oder gemeinsam mit den weiteren Ausbildern - auch
entsprechend vorbereitet hat oder dies hat machen lassen. Diese absprachegemäße Beteiligung an den Vorbereitungshandlungen begründet vorliegend eine Mittäterschaft des Angeklagten K.
, da er auf der Grundlage des ge-
meinsamen Tatplans einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag
leistete, der sich als Teil der Tätigkeit aller darstellt, und der dementsprechend
die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt. Unerheblich ist dabei, dass der Angeklagte K.
letztlich an der
Erbringung weiterer, ursprünglich vorgesehener Tatbeiträge im Rahmen der
Durchführung der Befragungen aus zeitlichen Gründen nicht mehr mitwirken
konnte.
- 49 -
109
c) Bei der Geiselnahmeübung am 1./2. September 2004 (Fall B.II.3 der
Urteilsgründe) ging das Tätigwerden des Angeklagten K.
weit über bloße
Vorbereitungshandlungen hinaus. Vielmehr kontrollierte, überwachte und bestimmte der Angeklagte K.
den organisatorischen Ablauf dieser Übung in
wesentlichen Teilen mit, indem er nach den Feststellungen gemeinsam mit den
Mitangeklagten D.
und H.
Marschüberwachung fuhr und zusammen
mit diesen entschied, ob die Übung wegen des großen Widerstandes der Rekruten abgebrochen werden sollte. Zweifelsohne liegt darin ein eigener Tatbeitrag des Angeklagten K.
zu der gemeinsam geplanten Geiselnahmeübung,
der die Annahme von Mittäterschaft rechtfertigt.
110
3. Nicht frei von Rechtsfehlern sind auch die Ausführungen der Kammer,
wonach sie im Hinblick auf das Geschehen bei den Überfällen jeweils „nach
dem Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten nur von dem ausgehen“ könne,
„was den Rekruten im Regelfall passiert“ sei „und woran der [jeweilige] Angeklagte … auch nach seiner eigenen Einlassung beteiligt“ war (UA S. 144). Insofern sind die Grundsätze der mittäterschaftlichen Begehungsweise ebenfalls
unzulänglich angewendet.
111
Wie bereits dargelegt, haftet jeder Mittäter im Rahmen seines - zumindest bedingten - Vorsatzes für das Handeln der anderen. Dabei werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn
er sie sich nicht besonders vorgestellt hat. So verhält es sich hier. Vereinbarungsgemäß „überfielen“, entwaffneten und fesselten die Angeklagten, soweit
sie dem „Überfallkommando“ zugeteilt waren (Angeklagter S.
B.II.2 und 3 der Urteilsgründe; Angeklagter K.
: Fälle B.I.,
: Fall B.II.2 der Urteilsgründe;
- 50 -
Angeklagter J.
: Fall B.II.1 der Urteilsgründe) jeweils mit weiteren Ausbil-
dern die unvorbereiteten Rekruten. Bei einem - schon aufgrund der nicht vorhersehbaren Reaktionen der Soldaten - derart unkontrollierbaren Geschehen
liegt es gleichfalls nahe, dass die Beteiligten - entgegen der Auffassung des
Landgerichts, das insofern von „Ausnahmen“ ausgeht (UA S. 144) - selbstverständlich damit rechneten, dass sich Soldaten zur Wehr setzen könnten und es
daher zu tätlichen, auch schmerzhaften, Auseinandersetzungen - wie etwa mit
den Zeugen L.
, Be.
, De.
, Kü.
, Dz.
, Bla.
und Ku.
-
kommen könnte. In diesem Fall hätten die Angeklagten nach den Feststellungen insofern jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt und müssten sich damit diese Geschehnisse zurechnen lassen. Dabei kommt es nicht darauf an,
dass sie selbst an der konkreten Auseinandersetzung mit den einzelnen betroffenen Rekruten nicht beteiligt waren.
112
4. Die Beteiligung der Angeklagten an den jeweiligen Geiselnahmeübungen stellt entgegen der Ansicht des Landgerichts eine körperliche Misshandlung
im Sinne des § 30 Abs. 1 WStG, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar. Der
Begriff der Misshandlung des § 30 WStG setzt ebenso wie der Tatbestand des
§ 223 Abs. 1 StGB eine üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper
des Verletzten voraus, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt (BGHSt 14, 269, 271; Senat, Urt. vom 14. Januar 2009
- 1 StR 158/08 - Rdn. 36 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]). Die
Beurteilung der Erheblichkeit bestimmt sich dabei nach der Sicht eines objektiven Betrachters - nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen - und
richtet sich insbesondere nach Dauer und Intensität der störenden Beeinträchtigung (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 36 [vorgesehen
zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; vgl. auch Eser in Schönke/Schröder, StGB
27. Aufl. § 223 Rdn. 4a m.w.N.).
- 51 -
113
a) An diesen Maßstäben gemessen stellen - wovon auch die Kammer im
Ansatz zutreffend ausgeht (vgl. UA S. 144) - bereits das Überfallen und Überwältigen der Rekruten, ihre Fesselung mit Kabelbindern - erst recht die Fesselung an Händen und Füßen - über einen erheblichen Zeitraum, das Verbinden
ihrer Augen, ihr „Verladen“ auf die Ladefläche eines Lkws und der anschließende unzulässige Transport, bei dem die nach wie vor gefesselten Soldaten mit
verbundenen Augen teils übereinander lagen und in keiner Weise während der
Fahrt gesichert waren, jeweils für sich genommen eine erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens dar. Erst Recht gilt dies für die hierbei
teilweise verabreichten Schläge. Dies gilt umso mehr, als die Rekruten nach
rund 24 Stunden Dienst und dem mehrstündigen Orientierungsmarsch mit ihrem gesamten Marschgepäck und ihrem Gewehr zumeist ohnehin erschöpft
waren.
114
b) Zudem beeinträchtigte die Geiselnahmeübung in ihrer Gesamtheit
- sprich die Überfälle und die sich anschließenden „Verhöre“ der Rekruten -,
worauf maßgeblich abzustellen ist (vgl. oben Ziffer III.1.e), das körperliche
Wohlbefinden der Rekruten mehr als bloß unerheblich. Die Rekruten wurden
dieser „Behandlung“ über einen Zeitraum von jedenfalls 30 Minuten unterzogen.
Zum Teil waren sie während der gesamten Zeit mit den Kabelbindern gefesselt.
Teilweise mussten sie zusätzlich über erhebliche Zeiträume in anstrengenden
Zwangspositionen (etwa mit weit vorgebeugtem Oberkörper einem Kameraden
gegenüber kniend) verharren (vgl. zur körperlichen Misshandlung durch
Zwangshaltungen bereits RMG 3, 119, 121) oder kräftezehrende Übungen
(Liegestütze, Kniebeugen, Halten von Baumstämmen) absolvieren, obwohl sie
- wie dargestellt - aufgrund der vorangegangenen körperlichen Anstrengungen
überwiegend am Ende ihrer körperlichen Möglichkeiten waren und damit die
- 52 -
auferlegten Aufgaben und die übrige Behandlung als bloße Quälerei empfinden
mussten.
115
c) Die Geiselnahmeübung ist auch eine üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper der betroffenen Rekruten, da sie offensichtlich den geltenden Dienstvorschriften zuwiderlief und es an einem rechtmäßigen Befehl
fehlte.
116
aa) Ob eine üble, unangemessene, sozialwidrige Behandlung gegeben
ist, entscheidet sich nach dem Wesen des militärischen Dienstes, der seiner
Natur nach hohe körperliche Anforderungen an den Soldaten stellt. Mutet ein
Vorgesetzter im Rahmen seiner allgemeinen Befugnisse und zu Zwecken der
Ausbildung einem Soldaten besondere Anstrengungen zu und verstößt er dabei
nicht offensichtlich gegen gesetzliche Bestimmungen, rechtmäßige Dienstvorschriften und Befehle, so fehlt es an einer Misshandlung (BGHSt 14, 269, 271;
Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 40 [vorgesehen zum
Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]).
117
Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dies gilt auch
für die Gewährleistung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit gemäß
Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Diese Gebote bilden die Grundlage der Wehrverfassung der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 10 Abs. 4 SG) und bedürfen im
militärischen Bereich besonderer Beachtung. Nach der eindeutigen Regelung
des § 6 Satz 1 SG hat der Soldat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie
jeder andere Staatsbürger. Gemäß § 6 Satz 2 SG werden die grundrechtlichen
Garantien lediglich im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes
durch seine gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt. Die körperliche Integ-
- 53 -
rität der Untergebenen innerhalb der Bundeswehr genießt einen hohen Stellenwert. Es gilt der Grundsatz, dass ein Vorgesetzter seine Untergebenen niemals
anfassen darf, außer es steht zur unmittelbaren Durchsetzung eines rechtmäßigen Befehls kein anderes Mittel zur Verfügung (Senat, Urt. vom 14. Januar
2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 41 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.];
vgl. auch BVerwG NVwZ-RR 1999, 321, 322 m.w.N.).
118
bb) Vorliegend stellt die Durchführung der Geiselnahmeübungen jeweils
einen klaren Verstoß gegen die geltenden Vorschriften der Bundeswehr und die
Grundrechte der betroffenen Rekruten dar. Eine praktische Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ ist und war auch zur Tatzeit nach den geltenden Ausbildungsregeln der Bundeswehr für die dreimonatige Grundausbildung
der Rekruten nicht vorgesehen und damit mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig. Eine derartige Übung kam ausschließlich im
Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ für diejenigen Soldaten in
Betracht, die als Soldaten auf Zeit, als freiwillig länger Dienende oder als Berufssoldaten, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen hatten, vor einem Auslandseinsatz standen. Aber selbst diese Spezialübung darf ausschließlich an
drei besonderen Bundeswehrstandorten durchgeführt werden. Vorschriftsgemäß hat dem praktischen Teil zudem eine Unterrichtseinheit mit psychologischer Betreuung vorauszugehen. Eine tätliche Konfrontation mit den Soldaten
oder gar eine Fesselung ist nicht vorgesehen. Außerdem können die Soldaten
die Übung, auf die sie vorbereitet worden sind, durch ein Handzeichen jederzeit
beenden.
119
Obgleich unzulässig, wurden vorliegend aber nicht einmal diese Standards für die Durchführung derartiger Spezialübungen beachtet. Eine vorbereitende Unterrichtseinheit fand nicht statt. Die ohnehin zumeist erschöpften Re-
- 54 -
kruten wurden nach rund 24-stündigem Dienst und einem kräftezehrenden
nächtlichen Orientierungsmarsch außergewöhnlichen, bei solchen Spezialübungen nicht zulässigen zusätzlichen physischen Belastungen (etwa in Form
des gewaltsamen Überwältigens mit tätlichen Auseinandersetzungen, der Fesselung oder des ungesicherten Transports auf einem Transporter), aber auch
psychischen Belastungen ausgesetzt und damit in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Dies verstieß evident gegen gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften und Befehle, § 10 Abs. 4 SG.
120
5. Rechtsfehlerhaft ist aber auch die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten sich in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum
gemäß § 16 Abs. 1 StGB befunden, weil sie von der Rechtmäßigkeit der Übung
ausgegangen seien. Denn der Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr,
sein Verhalten sei durch gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften oder einen rechtmäßigen Befehl gerechtfertigt, unterfällt dem besonderen Schuldausschließungsgrund des § 5 Abs. 1 WStG (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009
- 1 StR 158/08 - Rdn. 44 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]).
121
a) § 11 Abs. 2 Satz 1 SG verbietet den Gehorsam gegenüber einem Befehl, wenn der Untergebene dadurch eine Straftat begeht. Ein solcher strafrechtswidriger Befehl ist unverbindlich (vgl. BGHSt 19, 231, 232; Dau in
Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 5 WStG Rdn. 2). Ein Befehl, dem die Verbindlichkeit
fehlt, kommt lediglich als Entschuldigungsgrund in Betracht. Der Untergebene,
der eine strafrechtswidrige Weisung ausführt, handelt tatbestandsmäßig und
rechtswidrig, selbst wenn er an die Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit der Anordnung glaubt (vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts - AT 5. Aufl.
§ 46 I.2 m.w.N.). Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SG und § 5 Abs. 1 WStG trifft einen Untergebenen, der auf Befehl eine rechtswidrige Tat begeht, die den Tat-
- 55 -
bestand eines Strafgesetzes verwirklicht, eine Schuld aber nur dann, wenn er
erkennt, dass es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, oder dies nach den
ihm bekannten Umständen offensichtlich ist (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009
- 1 StR 158/08 - Rdn. 45 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]
m.w.N.).
122
b) Erkennen verlangt hierbei positive Kenntnis, sicheres Wissen (vgl.
BGHSt 22, 223, 225 zu § 47 MStGB). Erkennt der Untergebene die Strafrechtswidrigkeit des Befehls nicht, beurteilt er sie unzutreffend oder hat er insoweit Zweifel, so handelt er nur dann schuldhaft, wenn die Strafrechtswidrigkeit
nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist. § 17 StGB ist im Rahmen des § 5 WStG angesichts der ausdrücklichen Regelung der militärischen
Befehlsverhältnisse nicht anwendbar (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR
158/08 - Rdn. 46 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; BGHSt 5,
239, 244; 22, 223, 225 [zu § 47 MStGB]).
123
Der Begriff „offensichtlich“ ist objektiv zu verstehen. Er umfasst das, was
jedermann ohne weiteres Nachdenken erkennt, was jenseits aller Zweifel liegt
(vgl. BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 2). Abzustellen ist damit auf die Erkenntnisfähigkeit eines gewissenhaften, pflichtbewussten Durchschnittssoldaten. Beurteilungsgrundlage für diesen sind allerdings die dem Täter subjektiv bekannten Umstände - und zwar nicht nur die allgemeinen Tatumstände, sondern alle
für die Beurteilung des Sachverhalts bedeutsamen Umstände - wie etwa die
Kenntnis von vorangegangenen Ereignissen, von Befehlen, Belehrungen,
Dienstvorschriften und dergleichen (Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl.
§ 5 Rdn. 13; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 5 WStG Rdn. 10). Auch wenn einem Untergebenen regelmäßig keine Sachverhaltsprüfungspflicht obliegt (vgl.
BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 2) und er grundsätzlich zu unverzüglichem Ge-
- 56 -
horsam verpflichtet ist, so muss er dennoch Gegenvorstellung erheben oder
den Gehorsam verweigern, wenn er aufgrund der ihm bekannten Umstände der
Überzeugung ist oder er ohne den berechtigten Vorwurf der Rechtsblindheit die
Überzeugung haben müsste, dass der Befehl strafrechtswidrig ist (vgl. Stauf in
Nomos - Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht § 5 WStG; BGHSt 19,
231, 233; zum Ganzen bereits Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR
158/08 - Rdn. 47 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]).
124
c) Dies hat das Landgericht nicht in ausreichendem Maße bedacht. Sollte
sich das nun zur Entscheidung berufene Tatgericht aufgrund der neu durchzuführenden Beweisaufnahme die Überzeugung davon verschaffen können, dass
die Angeklagten - entsprechend der ihnen selbst erteilten Ausbildung - die zum
jeweiligen Tatzeitpunkt geltende AnTrA1 und/oder das Schreiben des Heeresführerkommandos vom 26. Februar 2004 beziehungsweise den „Befehl 38/10“
vom 12. April 2004 gekannt oder aufgrund anderer Umstände um die Unzulässigkeit einer Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ in der „Allgemeinen Grundausbildung“ gewusst haben, wofür die Diskussion über die Frage
der Genehmigung durch den Kompaniechef spricht, so sind sie - unabhängig
von ihren persönlichen Beiträgen - insgesamt für ihre Beteiligungen an den jeweiligen Übungen strafrechtlich verantwortlich.
125
Im Übrigen legen bereits die bisherigen Feststellungen - insbesondere
die Diskussion unter den Ausbildern über eine Änderung der AnTrA1 in Bezug
auf eine künftige Zulässigkeit von Geiselnahmeübungen in der Grundausbildung - den Schluss nahe, dass die Strafrechtswidrigkeit der Übung und der
diesbezüglichen „Genehmigung“ des Kompaniechefs für die Beteiligten jedenfalls offensichtlich im Sinne des § 5 Abs. 1 WStG war. Dies gilt umso mehr, als
Art und Weise der Durchführung der Übung von den bei der „Einsatzbezogenen
- 57 -
Zusatzausbildung“ geltenden Standards abwichen, was die Beteiligten aufgrund
bis dahin üblichen Rekrutenausbildungen sowie ihrer eigenen Ausbildung wussten. Für diesen Fall hätten die Angeklagten den strafrechtswidrigen, unverbindlichen Befehl nicht ausführen dürfen.
126
6. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung einer etwaigen Fehlvorstellung hält die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der subjektiven
Tatseite sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Zum einen legt die Strafkammer entlastende Einlassungen der Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als
unwiderlegbar zugrunde. Zum anderen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts insofern lückenhaft und widersprüchlich.
127
a) Die Feststellung der Strafkammer, die Angeklagten seien jeweils von
einem im Rahmen der militärischen Ausbildung sozial adäquaten Tun und von
keiner vorschrifts- oder befehlswidrigen Ausbildung ausgegangen, beruht auf
deren Einlassungen, die die Kammer, ohne dass es dafür tatsächliche, objektive Anhaltspunkte gegeben hätte, als unwiderlegt angesehen hat. Da an die
Bewertung der Einlassung eines Angeklagten aber die gleichen Anforderungen
zu stellen sind wie an die Beurteilung von Beweismitteln, darf der Tatrichter diese seiner Entscheidung nur dann zu Grunde legen, wenn er in seine Überzeugungsbildung auch die Beweisergebnisse einbezogen hat, die gegen die Richtigkeit der Einlassung sprechen können (vgl. BGH NJW 2006, 522, 527 - insofern nicht abgedruckt in BGHSt 50, 331 ff.; Senat, Urt. vom 14. Januar 2009
- 1 StR 158/08 - Rdn. 51 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]). Dies
hat die Kammer nicht getan.
- 58 -
b) Sie hat zwar die zu Gunsten der Angeklagten sprechenden Umstände
128
- wie die Anordnung der Übung durch die Zugführer sowie deren Mitteilung über
die Genehmigung durch den Kompaniechef, den Mitangeklagten Sc.
- be-
rücksichtigt. Belastende Indizien, die jedenfalls in ihrer Gesamtheit Zweifel an
einem Irrtum aufkommen lassen und darauf hindeuten, dass den Angeklagten
- ebenso wie den übrigen Beteiligten an dieser Übung - der Verstoß gegen die
geltenden, ihnen bekannten Ausbildungsvorschriften der Bundeswehr bewusst
und ihnen daher die Rechtmäßigkeit ihres Handelns zumindest gleichgültig war,
hat sie aber nicht erkennbar in die Beweiswürdigung eingestellt.
aa) So setzt sich die Strafkammer nicht ausreichend mit dem nahe lie-
129
genden Gesichtspunkt auseinander, dass sämtliche Angeklagte selbst die Ausbildung bei der Bundeswehr durchlaufen haben und sie daher wissen mussten,
dass eine praktische Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ nicht
Bestandteil der „Allgemeinen Grundausbildung“ war und es dazu deshalb auch
keine Ausbildungsvorschriften für die Grundausbildung von Soldaten gab.
Gänzlich unerörtert bleibt die Tatsache, dass die Angeklagten als Ausbilder eine zusätzliche, weitergehende Ausbildung erhalten hatten und ihnen in diesem
Zusammenhang die Ausbildungsziele und die Bestandteile der „Allgemeinen
Grundausbildung“ von Rekruten bekannt gemacht sein mussten.
bb) Das Landgericht geht außerdem nicht auf die sich aufdrängende
130
Frage nach dem Grund für die Mitteilung der beiden Zugführer D.
H.
und
bei der Ausbilderbesprechung über die „Absegnung“ der Übung durch
den Kompaniechef ein. Dies könnte dafür sprechen, dass die Rechtmäßigkeit
des Vorhabens Gegenstand der Diskussion war; wenn es hierfür eine allgemein
gültige Dienstanweisung gegeben hätte, wäre diese Frage kaum aufgetaucht,
sondern einfach hierauf verwiesen worden.
- 59 -
131
cc) Unerwähnt lässt die Kammer zudem Folgendes: Nach den Urteilsfeststellungen war es „in der Bundeswehr vorgekommen, dass auch außerhalb
(der)
drei
benannten
Ausbildungszentren
eine
Ausbildung
„Geiselnah-
me/Geiselhaft“ durchgeführt worden war, die nicht der Ausbildung in den Ausbildungszentren der Bundeswehr entsprach und die bei einigen Teilnehmern zu
Anzeichen einer Traumatisierung geführt hatte“. Deshalb war in einem entsprechenden Schreiben des Heeresführerkommandos sowie in dem „Befehl 38/10“
auf die Unzulässigkeit derartiger Übungen in der „Allgemeinen Grundausbildung“ und außerhalb der vorgesehenen Ausbildungszentren hingewiesen worden (UA S. 19/20). Angesichts dessen erscheint es auch im Hinblick auf die
Gespräche der Ausbilder über eine künftige Änderung der AnTrA1 eher abwegig, dass gerade darüber innerhalb der Kompanie der Angeklagten nicht gesprochen wurde beziehungsweise dies unerwähnt blieb.
dd) Letztlich gibt die Kammer auch nicht zu erkennen, worauf sie ihre
132
Auffassung stützt, dass nicht festzustellen war, dass die Angeklagten das
Schreiben des Heeresführungskommandos vom 26. Februar 2004 beziehungsweise den „Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 kannten. Soweit das Tatgericht lediglich darauf verweist, dass selbst der Mitangeklagte Hauptmann
Sc.
erklärt habe, dass ihm - obwohl Kompaniechef - beide Schreiben nicht
bekannt gewesen seien, genügt dies nicht. Die Kammer hat sich mit der Glaubhaftigkeit dieser Einlassung nicht auseinandergesetzt, obwohl sich die Frage
aufdrängen musste, ob dieser Mitangeklagte nicht ein gewisses Eigeninteresse
verfolgt. Unberücksichtigt gelassen wird auch die in Behörden und staatlichen
Einrichtungen übliche Bekanntmachung derart wichtiger Anweisungen - regelmäßig durch unterschriftliche Bestätigung der einzelnen Empfänger oder Protokollierung der Bekanntgabe unter Mitteilung der hierbei anwesenden Soldaten.
- 60 -
Gerade deshalb erscheint es eher fern liegend und mit einem ordnungsgemäßen Verwaltungsablauf unvereinbar, dass beide Schriftstücke in dieser Ausbildungseinheit praktisch nicht zur Kenntnis gelangt sein sollen.
133
ee) Im Hinblick auf die Geiselnahmeübungen in den Fällen B.II.1 bis 3
der Urteilsgründe findet außerdem keine Erwähnung, dass nach Durchführung
der ersten Übung, an der der Angeklagte S.
ebenfalls beteiligt war, eine
- nicht näher geschilderte - Nachbesprechung stattgefunden hatte und das Geschehen fotografisch dokumentiert worden war. Hier wäre zu erwarten gewesen, dass diejenigen Beteiligten, deren Vorstellung vom Übungsablauf die tatsächliche Durchführung widersprach, Verwunderung oder Ablehnung im Hinblick auf die erfolgte Behandlung der Rekruten äußerten und sich von diesem
Geschehen distanzierten. Jedenfalls liegt es aufgrund dieser Nachbesprechung
nahe, dass jedenfalls der Angeklagte S.
zumindest bei seiner Teilnahme
an den weiteren Übungen sehr wohl wusste, was mit den Rekruten im Einzelnen geschehen wird. Dann musste sich ihm auch mindestens aufdrängen, dass
sich jedenfalls einzelne Vorgänge (etwa die Behandlung des Zeugen L.
) nicht im Rahmen einer zulässigen Übung zu Ausbildungszwecken bewegten. Nachdem die weiteren Übungen - wie den Angeklagten bekannt war - vergleichbar ablaufen sollten und sich insbesondere das „Verhör“ jeweils an dem
vorhergehenden Geschehen orientieren sollte, spricht wenig dafür, dass die
Angeklagten - insbesondere gilt dies für den Angeklagten S.
- jedenfalls
zu diesem Zeitpunkt noch von einer insgesamt zulässigen Übung ausgehen
konnten.
134
Dies alles hat das Landgericht erkennbar nicht in seine Beweiswürdigung
eingestellt.
- 61 -
135
c) Zudem weist die Beweiswürdigung Widersprüche auf.
136
aa) Das Landgericht führt aus, auch der Umstand, dass eine solche
Übung bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführt worden sei, habe den
Angeklagten keinen Grund für weitere Nachfragen bieten müssen. Denn „seinerzeit … war in den Kreisen der Ausbilder bereits davon die Rede, dass die
AnTrA1 den geänderten Verhältnissen … angepasst werden sollte, so dass in
der Allgemeinen Grundausbildung geänderte Ausbildungsinhalte zu erwarten“
gewesen seien (UA S. 145). Die Kammer geht damit davon aus, dass die Ausbilder und damit auch die Angeklagten über eine erst in der Zukunft erfolgende
Änderung der Ausbildungsregeln diskutiert haben. Dann drängt es sich aber gerade auf, dass die Beteiligten - insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass
die AnTrA1 nach den Urteilsfeststellungen im Intranet der Bundeswehr abrufbar
und damit für sie ohne weiteres zugänglich war und zudem bereits entsprechende Schulungen für die Ausbilder stattfanden, an denen die Mitangeklagten
D.
und H.
auch schon teilgenommen hatten - sehr wohl wussten,
dass zum jeweiligen Tatzeitpunkt eine Änderung eben gerade noch nicht erfolgt
und die praktische Geiselnahmeübung daher nach wie vor nicht zulässig war.
Denn wenn einerseits über eine erst zukünftige Änderung der Ausbildungsregeln diskutiert wurde, konnte schwerlich angenommen werden, die damals geltenden Regeln seien bereits außer Kraft gewesen. Wieso demnach eine vermutete - wie auch immer geartete - bevorstehende Veränderung der Rechtslage
einen Grund dafür bieten sollte, Nachfragen im Hinblick auf die Zulässigkeit der
Übung bereits im Vorfeld zu unterlassen, erschließt sich nicht.
137
bb) Widersprüchlich sind zudem die Feststellungen der Kammer zu Fall
B.II.1 der Urteilsgründe, wonach einerseits die Angeklagten K.
und J.
an der der Geiselnahmeübung vorausgehenden Ausbilderbesprechung teilge-
- 62 -
nommen hatten, auf der unter anderem besprochen worden war, dass die Rekruten beim „Verhör“ wieder mit einer Kübelspritze nass gemacht und anschließend, damit sie aufgrund ihrer durchnässten Kleidung nicht frieren, zugedeckt
werden sollten. Andererseits „vermochte die Kammer hingegen nicht mit einer
für eine Verurteilung … ausreichenden Sicherheit festzustellen“, dass die Angeklagten K.
und J.
unter anderem damit rechneten, dass die Rekruten
jedenfalls wieder mit Wasser aus der Kübelspritze durchnässt werden würden
(UA S. 45 f.). Wie die Kammer aufgrund der insofern eindeutigen Feststellungen zum Inhalt der Besprechung zu dieser damit unvereinbaren Annahme
kommt, ist nicht nachvollziehbar.
138
d) Unter diesen Umständen war das Tatgericht nicht gehalten, auch entlastende Einlassungen der Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit
es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde zu legen. Der Tatrichter hat nach ständiger Rechtsprechung vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses zu entscheiden, ob
derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen
(vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NJW 2007, 2274; Senat, Urt. vom 1. Juli 2008
- 1 StR 654/07; Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 59 [vorgesehen
zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]). Die vom Landgericht als unwiderlegbar
hingenommene Einlassung, die Angeklagten seien von keiner vorschrifts- oder
befehlswidrigen Ausbildung ausgegangen, stellt sich unter Berücksichtigung der
zuvor dargelegten Gesichtspunkte als eine eher denktheoretische Möglichkeit
dar, die beweiskräftiger Anknüpfungspunkte entbehrt. Es ist weder im Hinblick
auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte
erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR
- 63 -
1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274; Senat, Urt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07).
139
7. Schließlich hält die Auffassung des Landgerichts, der Überfall, das
Verbinden der Augen, die Fesselung und das Verladen der Rekruten auf einen
Transporter stellten keine entwürdigende Behandlung nach § 31 Abs. 1 WStG
dar, sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
140
a) Entwürdigende Behandlung ist jedes Verhalten eines Vorgesetzten
gegenüber einem Untergebenen, das dessen Stellung als freie Persönlichkeit
nicht unerheblich in Frage stellt, das die Achtung nicht unerheblich beeinträchtigt, auf die der Untergebene allgemein als Mensch in der sozialen Gesellschaft
und im besonderen als Soldat innerhalb der soldatischen Gemeinschaft Anspruch hat. Der Untergebene darf keiner Behandlung ausgesetzt werden, die
ihn zum bloßen Objekt degradiert und seine Subjektqualität prinzipiell in Frage
stellt (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 61 [vorgesehen
zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; BayObLG NJW 1970, 769, 770;
Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 3; Stauf in Nomos - Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht § 31 WStG jew. m.w.N.). Ob eine entwürdigende Behandlung vorliegt, beurteilt sich, wenn die Handlung nicht bereits
wegen ihres absolut entwürdigenden Charakters unter § 31 Abs. 1 WStG fällt,
aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Tatumstände (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 61 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53,
145 ff.]; BayObLG NJW 1970, 769, 770; vgl. auch Dau in Erbs/Kohlhaas
176. Lfg. § 31 WStG Rdn. 3; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31
Rdn. 4).
- 64 -
b) Daran gemessen unterfallen jedenfalls die einzelnen Geiselnahme-
141
übungen jeweils in ihrer Gesamtheit dem Tatbestand des § 31 Abs. 1 WStG.
Insbesondere die Fesselung der Rekruten (vgl. dazu Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 5), das Verbinden ihrer Augen, das Verladen der
Rekruten „wie Ware“ auf die Ladefläche eines Pritschenwagens, die auf den
Helm verabreichten Schläge, um für Ruhe zu sorgen, das Hinknienlassen sowie
die schikanösen Zwangshaltungen und Ausdauerübungen, die den nach fast
24-stündigem Dienst und einem anstrengenden Nachtmarsch ohnehin zumeist
erschöpften Rekruten befohlen wurden, schließlich die angedrohten (teils mit
angesetzter Waffe) und vorgetäuschten Erschießungen (vgl. dazu Dau in
Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 31 WStG Rdn. 4 m.w.N.) stellen entwürdigende Behandlungen dar, welche zumindest bei einem Soldaten auch zu einer nahezu
panischen Angst führten. Dies alles erniedrigte die Rekruten zum bloßen Objekt.
IV.
142
Die Sache bedarf daher die Angeklagten betreffend (in Bezug auf den
Angeklagten J.
aufgrund der teilweisen Verfahrenseinstellung nur mehr im
Fall B.II.1 der Urteilsgründe) der erneuten Verhandlung und Entscheidung. Die
rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können
aufrechterhalten bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende
Feststellungen sind zulässig.
143
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Kostenausspruch des angefochtenen Urteils, soweit es die Angeklagten betrifft, ist durch
die insoweit erfolgte teilweise Urteilsaufhebung gegenstandslos (BGH StV
2006, 687, 688).
- 65 -
V.
144
Soweit die Staatsanwaltschaft in Bezug auf den Angeklagten J.
zu-
dem rügt, die Kammer habe die ebenfalls angeklagte Tat im Fall B.II.2 der Urteilsgründe nicht abgeurteilt, bleibt der Revision der Erfolg versagt. Das Landgericht hat seiner umfassenden Kognitionspflicht genügt. Eine Beteiligung des
Angeklagten J.
im Fall B.II.2 der Urteilsgründe war nicht Gegenstand des
Verfahrens.
1. Die zugelassene Anklage legt den (früheren) Mitangeklagten D.
145
H.
, Sc.
, Bu. , K.
, Ja.
, Mö.
, S.
und Z.
,
im
Fall B.II.2 der Urteilsgründe („dritter Vorfall“ der Anklage - vgl. EA Bd. IX
Bl. 1283) jeweils ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit
mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung zur Last. Eine Beteiligung
des Angeklagten J.
an dieser Tat ist im Anklagesatz nicht erwähnt. Ledig-
lich im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird eine Einlassung des Angeklagten J.
dazu dargestellt, in der er seine Beteiligung an dieser Übung
und an derjenigen im Fall B.II.1 der Urteilsgründe („zweiter Vorfall“ der Anklage)
einräumt (EA Bd. IX Bl. 1403 f.). Im Widerspruch dazu heißt es in der Anklage
insofern abschließend: „Der Angeklagte J.
war, wie sich aus seiner Ein-
lassung ergibt, im zweiten Fall als Mitglied des 'Überfallkommandos' und im
vierten Fall bei den 'Vernehmungen' im Keller beteiligt“. Eine die Tat im Fall
B.II.2 der Urteilsgründe wirksam einbeziehende Nachtragsanklage (§ 266
StPO) ist nicht erhoben worden.
Die Kammer hat diesbezüglich zwar festgestellt, dass der Angeklagte
146
J.
auch an der Geiselnahmeübung im Fall B.II.2 der Urteilsgründe teilge-
- 66 -
nommen hatte, erachtete dies jedoch nicht als Gegenstand der gegen ihn erhobenen Anklage (UA S. 56, 151).
147
2. Soweit die Staatsanwaltschaft nunmehr - entgegen der Anklageschrift,
in der dem Angeklagten J.
ausdrücklich nur zwei Taten zur Last gelegt
werden - auch dessen Verurteilung wegen Beteiligung an der (dritten) Tat im
Fall B.II.2 der Urteilsgründe, erstrebt, handelt es sich um eine andere als die
wirksam angeklagte Tat.
148
a) Gegenstand der Urteilsfindung ist nach § 264 Abs. 1 StPO „die in der
Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung
darstellt“. Dieser verfahrensrechtliche Tatbegriff umfasst den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (st. Rspr., vgl. nur BGHSt
29, 341, 342; 34, 215, 216; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 jew.
m.w.N.). Den Rahmen der Untersuchung bildet daher zunächst das tatsächliche
Geschehen, wie es die Anklage beschreibt (BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 m.w.N.). Vorliegend schildert der Anklagesatz keine Vorgänge, aus denen sich eine Strafbarkeit des Angeklagten J.
im Fall B.II.2 der Urteils-
gründe ergeben könnte. Vielmehr wird ausschließlich seine Beteiligung im Fall
B.II.1 wiedergegeben. Die uneinheitlichen und teils widersprüchlichen Schilderungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen vermögen eine wirksame
Anklageerhebung auch insofern nicht herbeizuführen (vgl. oben Ziffer II.2).
149
b) Unerheblich ist insofern - entgegen der Auffassung der Revision -,
dass das Tatgeschehen dieses Vorfalls im Anklagesatz enthalten ist, soweit die
Anklage diesbezüglich andere Personen als Täter beschuldigt. Zur Tat im Sinne
des § 264 Abs. 1 StPO gehört zwar nicht nur der in der Anklage umschriebene
- 67 -
Geschehensablauf, sondern das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach
natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt (st. Rspr.,
vgl. BGHSt 32, 215, 216; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 jew.
m.w.N.). Die Einbeziehung weiterer, von der Anklage nicht beschriebener Vorgänge in den Tatbegriff kommt allerdings nur in Betracht, falls auch der in der
Anklage nicht erwähnte, mit dem geschilderten Geschehen eine Einheit ergebende Vorgang das Verhalten desselben Angeklagten betrifft. Denn Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO kann stets nur das dem einzelnen Angeklagten zur
Last gelegte Vorkommnis sein (BGHSt 32, 215, 216 f.). Demgemäß kann vorliegend das Geschehen im Fall B.II.2 der Urteilsgründe, das einen von der Tat
B.II.1 der Urteilsgründe trennbaren, sich damit nicht überschneidenden Vorgang
darstellt und das mit der Anklage den (früheren) Mitangeklagten des Angeklagten J.
zur Last gelegt wird, nicht als Teil der Tat gelten, die den Gegen-
stand des gegen den Angeklagten J.
erhobenen Tatvorwurfs bildet.
VI.
150
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
151
1. Selbst wenn das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht zu
der Feststellung gelangen sollte, die betroffenen Rekruten hätten ausdrücklich
oder konkludent in die gegenständliche unzulässige Geiselnahmeübung eingewilligt, so hätte dies keine rechtfertigende Wirkung. §§ 30, 31 WStG schützen
nicht allein das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit beziehungsweise der
Würde des Untergebenen, sondern auch die Disziplin und Ordnung in der Bundeswehr. Die ehr- und körperverletzende Behandlung durch Vorgesetzte stellt
einen Verstoß gegen die in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG normierte Verpflichtung aller staatlichen Gewalt zum Schutze der Menschenwürde und der durch Art. 2
- 68 -
Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten körperlichen Unversehrtheit dar. Von dieser
Verpflichtung kann der für den Staat handelnde Amtsträger oder Bedienstete
durch das subjektive Einverständnis des Individualgrundrechtsträgers nicht freigestellt werden (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 66 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; vgl. auch BVerwG NJW 2001,
2343, 2344; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 30 WStG Rdn. 10 m.w.N.).
152
2. § 30 WStG kann mit § 224 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) stehen.
§ 30 WStG geht nur § 223 StGB vor, enthält aber keine alle Körperverletzungsdelikte ausschließende Sonderregelung. Dies folgt schon daraus, dass das allgemeine Strafrecht gerade in den schwereren Fällen der Untergebenenmisshandlung nicht durch das WStG gemildert werden darf (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 67 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53,
145 ff.]; vgl. auch BGH NJW 1970, 1332 zu § 226 StGB aF; Schölz/Lingens,
Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 30 Rdn. 28; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 30
WStG Rdn. 18; Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts 2. Aufl. S. 218).
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3. Sollte das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der Auffassung gelangen, eine Strafbarkeit gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB,
§ 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 WStG liege nicht vor, so wird es aufgrund der Fesselung der Rekruten für teilweise mehr als 30 Minuten - erst recht aufgrund der
Fesselung an Händen und Füßen -, deren Verbringens mit verbundenen Augen
auf die Ladefläche des Pritschenwagens und deren begleiteten Abtransports
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den Straftatbestand der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 StGB, zumindest aber den Tatbestand der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB in den Blick zu
nehmen haben.
Nack
Wahl
Graf
Elf
Sander