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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 182/03
vom
25. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u. a.
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 16. Dezember 2002 wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
3. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Dem Angeklagten liegen über 160 Sexualdelikte (§§ 174, 176, 177, 178
StGB aF) zur Last, die er zwischen 1989 und 2000 begangen haben soll. Opfer
soll in allen Fällen die 1983 geborene Nebenklägerin, die Tochter seiner früheren Lebensgefährtin, gewesen sein. Verurteilt wurde er wegen zwei im Jahre
1989 begangener Fälle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern, in einem Fall in
Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Im übrigen wurde er freigesprochen.
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Gegen dieses Urteil haben sowohl die Staatsanwaltschaft zum Nachteil
des Angeklagten als auch der Angeklagte Revision eingelegt. Die auf die
Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft greift durch, während die
auf eine Reihe von Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge
gestützte Revision des Angeklagten erfolglos bleibt.
I.
Zur Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision mit Schriftsatz vom 5. März
2003 näher begründet. Dabei werden zu Beginn und am Ende dieses Schriftsatzes nicht deckungsgleiche Anträge (§ 344 Abs. 1 StPO) gestellt. Nach dem
maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung versteht der Senat das Vorbringen der Staatsanwaltschaft dahin, daß sie weder den Schuldspruch noch den
Strafausspruch in den Fällen anfechten will, in denen eine Verurteilung erfolgt
ist. Sie wendet sich jedoch gegen sämtliche Freisprüche, wobei sie die nach
ihrer Ansicht rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung an einigen Beispielsfällen
verdeutlicht.
Der Senat bemerkt, daß – zumal bei einer Revision der Staatsanwaltschaft – die Revisionsanträge klar, widerspruchsfrei und ohne weiteres
deckungsgleich mit den Ausführungen zur Revisionsbegründung sein sollten.
Das Revisionsverfahren wird nicht unerheblich erleichtert, wenn der Umfang
der Anfechtung, also das Ziel des Rechtsmittels, nicht erst durch eine (nicht am
Wortlaut haftende) Erforschung des Sinns des Vorbringens und seines gedanklichen Zusammenhangs unter Berücksichtigung aller Umstände des Ein-
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zelfalls (vgl. zur insoweit gleich zu behandelnden Auslegung einer Berufungsbegründung Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 318 Rdn. 11 m.w.N.)
ermittelt zu werden braucht.
2. In der Sache hat das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg. Sie
wendet sich mit Recht gegen die den Freisprüchen zugrunde liegende Beweiswürdigung.
Die Jugendkammer ist nach sachverständiger Beratung mit eingehender
und rechtlich nicht zu beanstandender Begründung zu dem Ergebnis gekommen, daß im Grundsatz keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Geschädigten bestehen. Dennoch sei der Angeklagte nur in zwei Fällen zu verurteilen, im
übrigen nach dem Zweifelssatz aber freizusprechen. Die übrigen Angaben der
Nebenklägerin seien bei der Polizei einerseits und in der Hauptverhandlung
andererseits nicht "identisch, widerspruchsfrei und detailliert" genug geschildert worden. So habe die Nebenklägerin etwa bei der Schilderung des ersten
Oralverkehrs, bei dem sie etwa acht Jahre alt gewesen sei und bei dem der
Angeklagte gesagt habe: "Mach die Fresse auf, du Hure!" und Gewalt mit dem
linken Oberarm angewendet habe, diesen Ablauf, den Tatort und ihren Ekel
immer gleich geschildert, sich jedoch unterschiedlich dazu geäußert, ob sie
dabei vor dem Angeklagten gekniet ist oder gestanden hat. Zu einer Vergewaltigung in der Nacht ihres siebzehnten Geburtstags, bei der er in ihr Schlafzimmer gekommen, sich auf ein Sofa gestellt und sie aus ihrem Hochbett gerissen
habe, habe sie zunächst gesagt, der Angeklagte sei von hinten in ihre Scheide
eingedrungen, später aber nicht mehr sagen können, in welcher Stellung der
Geschlechtsverkehr durchgeführt wurde. Insgesamt seien viele Vorgänge nicht
in Einzelheiten und daher konturenlos geschildert.
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Damit hat die Jugendkammer einen überspannten und schon deshalb
rechtsfehlerhaften Maßstab angelegt. Die Nebenklägerin hat bekundet, ab ihrem siebten Lebensjahr mit Unterbrechungen, die auf Heimaufenthalte zurückgingen, um die sie selbst gebeten hatte, über mehr als zehn Jahre hin in einer
großen Vielzahl von Fällen mißbraucht worden zu sein. Sind derartige Behauptungen, zumal nach weiteren Jahren, zu überprüfen, kann schon wegen
des naheliegend immer wieder ähnlichen Ablaufs des Tatgeschehens nicht für
jeden einzelnen Vorgang eine zeitlich exakte und detailreiche Schilderung erwartet werden. Ebenso wenig kann erwartet werden, daß jedes als solches
erinnerliche Detail auch einem zeitlich exakt fixierten Vorgang zugeordnet werden kann (vgl. nur BGHSt 40, 44, 46; Senatsurteil vom 12. Juni 2001 – 1 StR
190/01). Im übrigen haben Schwächen einer Aussage, wie etwa fehlende Konstanz und Genauigkeit, nur verhältnismäßig geringes Gewicht, wenn sie nicht
den Kernbereich des Vorwurfs betreffen (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 332, 333).
Was Kernbereich ist und was Randbereich, läßt sich nicht ohne weiteres abstrakt beurteilen, sondern ist Frage des Einzelfalls. Hierbei kommt es auch auf
die Opfersicht an. Daß es objektiv oder aus der subjektiven Sicht eines achtjährigen Mädchens, das heftig an den Haaren gezogen wird und unter Beschimpfungen ("Hure") das Geschlechtsteil eines Erwachsenen gegen seinen Widerstand ("Zähne zusammengebissen") in den Mund gestoßen bekommt, von besonderer Wichtigkeit ist, ob es dabei kniete oder stand, ist sehr fernliegend und
hätte daher eingehender und nachvollziehbarer Begründung bedurft. Für die
Schilderung des Vorgangs vom 17. Geburtstag gilt entsprechendes.
Allerdings kann auch eine an sich nicht unglaubhafte Aussage nicht
Grundlage einer Verurteilung sein, wenn eine Konkretisierung der Vorgänge
praktisch unmöglich ist (vgl. BGHSt 42, 107 ff.; Urteil vom 12. Juni 2001
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– 1 StR 190/01). Dies ist offensichtlich bei den genannten Schilderungen zu
einzelnen Vorgängen nicht der Fall. Aber auch, soweit die Vorwürfe pauschaler
gehalten sind – so habe der Angeklagte zwischen 1994 und 1996 mit der Nebenklägerin mindestens einmal wöchentlich in der Wohnung in M.
Ge-
schlechtsverkehr gehabt – könnten entsprechende Feststellungen durchaus
Urteilsgrundlage sein. Es ist zumindest nicht auszuschließen, daß sich die dargelegten fehlerhaften Maßstäbe der Jugendkammer auf die Freisprüche insgesamt ausgewirkt haben können, so daß die Sache insoweit neuer Verhandlung
und Entscheidung bedarf.
3. Gegebenenfalls hätte die neu zur Entscheidung berufene Jugendkammer unter Auflösung der bisher gebildeten Gesamtstrafe die für die beiden
abgeurteilten Taten verhängten (von der Staatsanwaltschaft nicht und vom Angeklagten erfolglos – vgl. hierzu III. – angefochtenen) Einzelstrafen in eine etwa neu zu bildende Gesamtstrafe einzubeziehen (§ 55 StGB).
II.
Zur Revision des Angeklagten:
1. Die Revision macht geltend, die Jugendkammer habe ein gegen den
Sachverständigen Dr. S.
gerichtetes Befangenheitsgesuch (§ 74 StPO)
formal ungenügend und in der Sache zu Unrecht zurückgewiesen. Der Beschluß verweist im wesentlichen auf einen schon vor der Hauptverhandlung
ergangenen Beschluß vom 15. November 2002, mit dem ein auf dasselbe Ziel
gerichteter Antrag zurückgewiesen worden war.
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Dies ist unbedenklich. Liegt im Ergebnis eine bloße Wiederholung eines
früheren Antrags vor, genügt, von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen, regelmäßig eine Bezugnahme auf eine frühere Entscheidung (vgl. MeyerGoßner StPO 46. Aufl. § 34 Rdn. 4). Die Revision macht zwar zutreffend geltend, die Zurückweisung des Befangenheitsantrags könne nur Gegenstand
einer erfolgreichen Verfahrensrüge sein, wenn er in der Hauptverhandlung gestellt worden sei (vgl. BGH StV 2002, 350 m.N.). Daraus folgt jedoch nicht die
Pflicht des Gerichts, einen vor der Hauptverhandlung ergangenen Beschluß
abzuschreiben, wenn es auf dessen Gründe Bezug nehmen will.
Der Hinweis, der Beschluß vom 15. November 2002 sei nicht zugestellt,
sondern formlos übersandt worden, verdeutlicht die Möglichkeit der Fehlerhaftigkeit des späteren Beschlusses nicht. Im übrigen brauchte der Beschluß vom
15. November 2002 aber auch nicht zugestellt zu werden, § 35 Abs. 2 Satz 2
StPO.
Inhaltlich kann der Senat die Zurückweisung des Antrags nicht überprüfen, da die Revision entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO weder den Inhalt des
Beschlusses vom 15. November 2002 noch die von ihr in Bezug genommenen
Aktenteile (z. B. die Stellungnahme einer Diplompsychologin) mitteilt.
2. Die Revision macht geltend, der Angeklagte sei in der Hauptverhandlung vom 2. Dezember 2002 zu Unrecht während der Vernehmung der
Nebenklägerin entfernt worden (§ 247 StPO i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO), weil sich
während ihrer in Anwesenheit des Angeklagten begonnenen Vernehmung ergeben habe, daß sie sich "ersichtlich schwer tut", in Gegenwart des Angeklagten nähere Angaben zu machen. Die Revision meint, damit sei nicht klar ge-
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nug, "welche konkreten Anhaltspunkte für die entsprechende Befürchtung bestehen".
a) Es bestehen schon Zweifel an der Zulässigkeit der Rüge. Die Revision trägt nämlich nicht vor, daß der Nebenklägerin zu Beginn ihrer Vernehmung
gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 StPO gestattet worden war, nur eingeschränkte Angaben zur Person zu machen. Dies führt dazu, daß die Revision sich nicht mit
Umständen auseinandersetzen muß, die gegen ihr Vorbringen sprechen können (vgl. BGHSt 40, 218, 240; BGH NStZ-RR 1999, 26, 27). Wenn nämlich
sogar schon uneingeschränkte Angaben zur Person (§ 68 Abs. 1 Satz 2 StPO)
eine Gefahr für die Nebenklägerin begründen können, kann dies für die Frage,
ob die Voraussetzungen von § 247 StPO vorliegen können, offensichtlich von
Bedeutung sein.
b) Letztlich kann aber offen bleiben, ob die Rüge zulässig erhoben ist.
Auch wenn man von einem den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO
genügenden Vortrag ausgeht, ist die Rüge unbegründet.
Grundsätzlich müssen allerdings die konkreten Tatsachen und Erwägungen erkennbar sein, aus denen der Ausschlußgrund hergeleitet wird (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 247 Rdn. 35). Der Senat hält den
Hinweis auf das, was das Gericht in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligter
beobachten konnte, für konkret genug. Außerdem läge selbst dann, wenn der
Beschluß zum Ausschluß des Angeklagten überhaupt nicht begründet wäre,
ein Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 5 StPO dann nicht vor, wenn das Gericht
unzweifelhaft von zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist (vgl. BGHR StPO
§ 247 Satz 2 Begründungserfordernis 2 m.w.N.). Für eine nur pauschale Be-
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gründung kann nichts anderes gelten (in vergleichbarem Sinne auch BGH StV
2000, 240 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, daß die Jugendkammer unter den gegebenen Umständen nicht von zutreffenden Erwägungen ausgegangen sein
könnte, sind hier nicht erkennbar.
3. Auch die Rüge einer weiteren Verletzung von § 247 StPO i.V.m. § 338
Nr. 5 StPO bleibt erfolglos.
a) Nach der Entlassung der Zeugin am 2. Dezember 2002 wurde die
Nebenklägerin auf Wunsch des Angeklagten, der zunächst keine Fragen gehabt hatte, am 4. Dezember 2002 nochmals vernommen. Sie erklärte zu Beginn, sie sei in der Lage Fragen in Anwesenheit des Angeklagten zu beantworten. Dementsprechend wurde der Angeklagte nicht erneut ausgeschlossen
und die Zeugin wurde nach Beendigung ihrer Vernehmung wieder entlassen.
Am 10. Dezember 2002 hielt die Jugendkammer eine dritte Vernehmung der
Zeugin für erforderlich. Noch vor ihrem Erscheinen wurde der Angeklagte auf
Antrag des Vertreters der Nebenklägerin erneut ausgeschlossen, die Begründung dieses Beschlusses beschränkt sich auf die Inbezugnahme der Gründe
des Beschlusses vom 2. Dezember 2002.
b) Hierauf stützt sich die Rüge, wobei die Revision jedoch das weitere
Verfahrensgeschehen nicht vorträgt:
Im Verlauf ihrer Vernehmung übergab die Zeugin eine Lohnsteuerkarte
und fertigte eine Skizze an, auf der ein Sofa eingezeichnet ist. Nachdem der
Angeklagte wieder zugelassen und vom Ablauf der Vernehmung unterrichtet
worden war, wurden Lohnsteuerkarte und Skizze erneut zum Gegenstand der
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Verhandlung gemacht. Sodann wurde die Zeugin erneut in den Saal gerufen
und sie erklärte sich bereit, in Anwesenheit des Angeklagten Fragen zu beantworten. Sie äußerte sich dann weiter zur Sache und wurde schließlich in allseitigem Einvernehmen entlassen.
c) Es spricht schon viel dafür, daß diese Rüge, ohne daß es auf weiteres
ankäme, jedenfalls deshalb ins Leere geht, weil ein (etwaiger) Verfahrensfehler
ausschließlich einen Teil der Hauptverhandlung beträfe, bei dem es um Vorwürfe ging, von denen der Angeklagte freigesprochen wurde (vgl. BGH Beschluß vom 21. September 1999 – 1 StR 253/99; BGH MDR 1995, 1160
m.w.N.). Bei den abgeurteilten Taten handelt es sich um Sexualstraftaten zum
Nachteil eines sechs Jahre alten Mädchens. Ein wie auch immer beschaffener
Zusammenhang zwischen solchen Taten und einer Lohnsteuerkarte ist kaum
vorstellbar. Hinzu kommt, daß die abgeurteilten Taten im Lagerkühlraum für
Lebensmittel in einer Gaststätte begangen wurden. Es liegt sehr fern, daß sich
in einem solchen Raum ein Sofa befunden haben könnte. Demgegenüber spielt
ein Sofa sowohl hinsichtlich des Vorwurfs vom 17. Geburtstag als auch im
Rahmen eines näher geprüften Vorwurfs aus dem Jahr 1995 während eines
Krankenhausaufenthalts der Mutter, der sich auf dem "Mama-Sofa" abgespielt
haben soll, eine Rolle; von beiden Vorwürfen ist der Angeklagte freigesprochen
worden. Zu alledem äußert sich die Revision nicht.
d) Unabhängig davon ist die Rüge (aber auch) aus einem anderen
Grund wegen nicht genügenden Tatsachenvortrags nicht zulässig erhoben,
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Angesichts der genannten Umstände – die Nebenklägerin wurde am 10. Dezember 2002 zwar zunächst in Abwesenheit, dann
aber auch in Anwesenheit des Angeklagten vernommen, er konnte sie persön-
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lich befragen, Lohnsteuerkarte und Skizze wurden in seiner Anwesenheit erneut zum Gegenstand der Verhandlung gemacht und die Zeugin wurde mit seiner Zustimmung entlassen – drängt sich die Annahme jedenfalls einer Heilung
eines etwaigen Verfahrensverstoßes durch Wiederholung (vgl. nur BGHSt 30,
74, 76 m.w.N.) auf. Jedenfalls deshalb wäre Vortrag dazu erforderlich gewesen, was Gegenstand der dritten Vernehmung war, solange der Angeklagte
ausgeschlossen war und ob es um anderes ging, als bei der Fortsetzung der
Vernehmung in Anwesenheit des Angeklagten. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, daß in einem Fall, in dem nach dem eigenen Vortrag des
Beschwerdeführers die Möglichkeit der Heilung in Betracht kommt, der Sachverhalt auch in dieser Hinsicht vollständig mitgeteilt werden muß, um dem Revisionsgericht die Beurteilung zu ermöglichen, ob ein bis zum Urteil fortwirkender Mangel vorliegt (BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Abwesenheit 2). In einem
Fall, in dem sich, wie hier, diese Möglichkeit nicht aus dem Vortrag des Revisionsführers, sondern aus dem von ihm nicht vorgetragenen, aus dem Protokoll
der Hauptverhandlung aber ersichtlichen Verfahrensgeschehen ergibt, kann im
Ergebnis nichts anderes gelten.
4. Die Jugendkammer hat einen Antrag auf Einholung eines weiteren
Gutachtens zur Glaubwürdigkeit der Geschädigten als ungeeignet abgelehnt.
Gestützt ist dies auf die Erklärung des Nebenklägervertreters, die Geschädigte
sei wegen ihres psychischen Zustandes "nicht in der Lage bzw. nicht bereit",
sich einer Begutachtung zu unterziehen. Die Revision meint, es sei, obwohl
rechtlich erheblich, unklar, ob die Zeugin nicht bereit oder nicht in der Lage sei,
sich begutachten zu lassen. Ein Zeuge muß aber überhaupt keinen Grund dafür nennen, wenn er sich nicht begutachten lassen will; im übrigen war die
Zeugin offensichtlich nicht bereit, sich begutachten zu lassen, weil sie sich
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hierzu nicht in der Lage fühlte. Ein Rechtsfehler ist aus alledem nicht erkennbar, ebenso aus dem gesamten weiteren Vorbringen der Revision, etwa der
Antrag auf Erstellung eines neuen Gutachtens hätte nicht zurückgewiesen
werden können, ohne daß zuvor ein Gutachten darüber erhoben worden ist, ob
ein Gutachten erstellt werden kann. Darüber hinaus kann der Senat die Rüge
nicht inhaltlich überprüfen, weil in dem Antrag auf eine entgegen § 344 Abs. 2
Satz 2 StPO von der Revision nicht mitgeteilte längere Stellungnahme einer
Psychologin Bezug genommen ist.
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5. Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat
ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Nack
Wahl
Kolz
Schluckebier
Elf