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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 59/12
Verkündet am:
9. Oktober 2013
Breskic
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 242 Cc, 371
a) Der Gläubiger verwirkt einen rechtskräftig ausgeurteilten Zahlungsanspruch
nicht allein dadurch, dass er über einen Zeitraum von 13 Jahren keinen Vollstreckungsversuch unternimmt.
b) Zur Herausgabe eines Vollstreckungstitels bei mehreren Titelschuldnern.
BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013 - XII ZR 59/12 - OLG Hamburg
LG Hamburg
-2-
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Oktober 2013 durch die
Richter Dr. Klinkhammer, Weber-Monecke, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und
Guhling
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats
des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 20. April
2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Beklagte (im Folgenden: Gläubigerin) erwirkte als gewerbliche Vermieterin in den Jahren 1993 und 1994 insgesamt fünf Vollstreckungstitel (Urteile und Kostenfestsetzungsbeschlüsse) gegen den Kläger (im Folgenden:
Schuldner) und seinen Mitmieter. Die Forderungen sind teilweise befriedigt;
weitere Zahlungen sind streitig. Der Schuldner hat die vollständige Tilgung aller
Schuldtitel behauptet, er verfüge jedoch über keine Unterlagen und Belege aus
dem fraglichen Zeitraum mehr, da diese bereits vernichtet seien und auch von
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der Bank nicht mehr reproduziert werden könnten.
2
Der letzte Vollstreckungsversuch hatte in Form einer Wohnungsdurchsuchung im April 1995 stattgefunden. Danach ruhte die Angelegenheit, bis die
Gläubigerin im Jahr 2008 ein Inkassounternehmen mit der Einziehung der Forderung beauftragte.
3
Mit seiner Klage hat der Schuldner die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung und die Herausgabe der Titel verlangt. Das Landgericht hat der
Klage stattgegeben, weil die titulierten Ansprüche verwirkt seien. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Gläubigerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet
sich deren vom Senat zugelassene Revision.
Entscheidungsgründe:
4
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
I.
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Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die titulierten Ansprüche seien verwirkt. Die Gläubigerin
habe die Forderung über einen langen Zeitraum von 13 Jahren nicht geltend
gemacht. Das außerdem erforderliche Umstandsmoment sei darin verwirklicht,
dass der Schuldner sich darauf eingerichtet habe und nach den gesamten Umständen auch darauf habe einrichten dürfen, dass die Gläubigerin ihre Rechte
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aus den Titeln nicht mehr geltend machen werde. Der Schuldner sei nach dem
Ablauf von etwa 13 Jahren von 1995 bis zu dem Zeitpunkt, als sich das Inkassobüro im Jahr 2008 bei ihm gemeldet habe, nicht mehr in der Lage, die von
ihm behauptete Erfüllung der streitgegenständlichen Forderung zu beweisen.
Sämtliche schriftlichen Beweismittel stünden nicht mehr zur Verfügung, nachdem die zehnjährigen Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien. Die fehlende
Sicherung von Belegen zum Nachweis der Erfüllung stelle eine berechtigte Vertrauensdisposition des Schuldners dar, wenn der letzte Vollstreckungsversuch
mehr als zehn Jahre zurückliege. Jedenfalls habe die Gläubigerin den Schuldner innerhalb der zehn Jahre darauf hinweisen müssen, dass ihrer Auffassung
nach die titulierten Ansprüche noch nicht vollständig erfüllt seien und er daher
weiter mit Vollstreckungsmaßnahmen rechnen müsse.
II.
6
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ein Unterfall der
unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens. Danach
ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem
gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das
Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Die Annahme einer Verwirkung setzt somit neben dem Zeitablauf das Vorliegen besonderer, ein solches
Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und
zu würdigenden Umständen des Einzelfalles (Senatsurteile vom 17. November
-5-
2010 - XII ZR 124/09 - NJW 2011, 445 und vom 27. Januar 2010 - XII ZR
22/07 - NZM 2010, 240 Rn. 32 mwN).
8
2. Ob der Ablauf von 13 Jahren, während derer die Titel nicht vollstreckt
wurden, eine ausreichend lange Zeitspanne darstellt, bei der eine Anspruchsverwirkung grundsätzlich in Betracht kommt, kann im Ergebnis ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Schuldner eine Vertrauensdisposition getroffen
hat, indem er die Belege, die nach seinem Vorbringen bereits im Jahr 1997
durch seinen Steuerberater vernichtet worden waren, nicht von der Bank reproduzieren ließ, bevor sie dort gelöscht wurden.
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Denn jedenfalls kann dem Oberlandesgericht nicht in der Annahme gefolgt werden, der Schuldner habe sich nach den gesamten Umständen darauf
einrichten dürfen, dass die Gläubigerin ihre Rechte aus den Titeln nicht mehr
geltend machen werde.
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a) Bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung kommt es in erster Linie auf
das Verhalten des Berechtigten an. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete
Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen
werden. Dabei ist das Verhalten des Berechtigten nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgebend ist insoweit, ob bei objektiver Beurteilung
der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht
mehr zu rechnen brauche (BGHZ 25, 47, 52 = NJW 1957, 1358; RGZ 155,
152).
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Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen daher
zu dem reinen Zeitablauf besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtferti-
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gen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen
(BGHZ 105, 290, 298 = NJW 1989, 836; BGH Urteile vom 18. Januar 2001 - VII
ZR 416/99 - NJW 2001, 1649; vom 14. November 2002 - VII ZR 23/02 - NJW
2003, 824 und vom 30. Oktober 2009 - V ZR 42/09 - NJW 2010, 1074). Der
Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden
(BGH Urteile BGHZ 43, 289, 292 = NJW 1965, 1532; vom 20. Dezember 1968
- V ZR 97/65 - WM 1969, 182; vom 29. Februar 1984 - VIII ZR 310/82 - NJW
1984, 1684 vom 27. März 2001 - VI ZR 12/00 - NZV 2001, 464, 466 und vom
14. November 2002 - VII ZR 23/02 - NJW 2003, 824 juris Rn. 9).
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Hinzu kommt, dass es sich hier um titulierte Ansprüche handelt. Lässt ein
Gläubiger seinen Anspruch durch Gerichtsurteil titulieren, gibt er bereits
dadurch zu erkennen, dass er die Forderung durchsetzen will und sich dazu
eines Weges bedient, der ihm dies grundsätzlich für die Dauer von 30 Jahren
ermöglicht. Bei dieser Ausgangslage liegt die Annahme, ein anschließendes
Ruhen der Angelegenheit könne bedeuten, der Gläubiger wolle den Anspruch
endgültig nicht mehr durchsetzen, umso ferner.
13
Abgesehen davon ist der Schuldner nach etwaiger Erfüllung der Schuld
keineswegs schutzlos. Er kann nicht nur eine Quittung beanspruchen (§ 368
BGB), sondern auch den Titel selbst vom Gläubiger heraus verlangen (§ 371
BGB analog).
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b) Nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen liegt ein
vertrauensbegründendes Verhalten der Gläubigerin nicht vor. Nach den Annahmen des Oberlandesgerichts war die Angelegenheit bei der Gläubigerin außer Kontrolle geraten und deshalb 13 Jahre lang unbeachtet geblieben. Das ist
kein Umstand, aus dem ein Schuldner das Vertrauen gründen darf, ein titulierter
Rechtsanspruch solle nicht mehr durchgesetzt werden.
-7-
15
Im Übrigen ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass der
Schuldner seine Belege mit der Erwägung vernichtete bzw. die vom Steuerberater vorzeitig vernichteten Belege nicht reproduzieren ließ, dass diese wegen
Ablauf der steuerlichen Aufbewahrungsfristen nicht mehr benötigt würden. Mithin beruht seine Vertrauensdisposition nicht auf Umständen aus der Sphäre der
Gläubigerin.
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Damit fehlt es insgesamt an einem für die Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment.
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3. a) Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht abschließend in der
Sache entscheiden, weil das Oberlandesgericht - von seinem Standpunkt aus
folgerichtig - keine Feststellungen zu der behaupteten Erfüllung der Schuld getroffen hat.
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b) Die Sache ist auch nicht teilweise insoweit entscheidungsreif, als die
Herausgabe der Titel verlangt wird. Entgegen der Revision wird diese nicht bereits deshalb zu Unrecht verlangt, weil die Titel beim Gläubiger noch zur Vollstreckung gegen einen zweiten Schuldner - den Mitmieter - benötigt würden.
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Eine auf § 371 BGB analog gestützte Klage auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung eines unter § 794 ZPO fallenden Titels ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig, wenn über eine Vollstreckungsabwehrklage rechtskräftig zu Gunsten des Herausgabeklägers entschieden worden ist und die Erfüllung der dem Titel zu Grunde liegenden Forderung zwischen den Parteien unstreitig ist oder vom Titelschuldner zur Überzeugung des Gerichts bewiesen wird (BGH Urteil vom 5. März 2009 - IX ZR
141/07 - NJW 2009, 1671 Rn. 16 mwN). Das gilt entgegen der Revision auch
dann, wenn der Titel noch zur Vollstreckung gegen einen weiteren Schuldner
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berechtigen könnte. Denn soweit mehrere Schuldner als Gesamtschuldner verurteilt sind und einer der Gesamtschuldner die Schuld beglichen hat, bleibt für
den Gläubiger nichts mehr zu vollstrecken. Soweit sie hingegen nach Kopfteilen
verurteilt sind, sind so viele Ausfertigungen zu erteilen, wie Schuldner vorhanden sind; jede Ausfertigung ist insoweit nur mit der Klausel gegen je einen der
Schuldner zu versehen (Zöller/Stöber ZPO 29. Aufl. § 724 Rn. 12; Seiler in
Thomas/Putzo ZPO 33. Aufl. § 724 Rn. 11; Saenger ZPO 4. Aufl. § 724 Rn. 10;
Prütting/Gehrlein/Kroppenberg ZPO 4. Aufl. § 724 Rn. 8). Der Schuldner könnte
daher diejenige Ausfertigung heraus verlangen, die mit der gegen ihn gerichteten Vollstreckungsklausel versehen ist. Zur Vollstreckung gegen den anderen
Schuldner müsste sich der Gläubiger eine andere Ausfertigung mit Vollstreckungsklausel nur gegen diesen erteilen lassen.
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c) Schließlich erweist sich die Entscheidung auch nicht bereits insoweit
als richtig, wie die Beklagte zur Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung
des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 23. Juni 1994 - 326 O 391/93 - verurteilt worden ist. Zwar ist die diesem Titel zugrunde liegende Schuld unstreitig
erfüllt. Es bedarf jedoch noch weiterer Aufklärung, ob sich die in den Händen
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der Gläubigerin befindliche vollstreckbare Ausfertigung des Titels gegen den
Kläger richtet und er deshalb zur Geltendmachung des Titelherausgabeanspruchs aktivlegitimiert ist.
Klinkhammer
Weber-Monecke
Nedden-Boeger
Schilling
Guhling
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 10.11.2011 - 311 O 96/10 OLG Hamburg, Entscheidung vom 20.04.2012 - 4 U 159/11 -