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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 2/11
vom
28. September 2011
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 38, 58 ff., 80 ff., 113 Abs. 1, 243; ZPO §§ 91 a, 99, 567 ff., 574
a) Isolierte Kostenentscheidungen in Ehe- und Familienstreitsachen, die nach streitloser Hauptsacheregelung erfolgen, sind mit der sofortigen Beschwerde nach den
§§ 567 ff. ZPO anfechtbar.
b) Schließen die Beteiligten in einer Unterhaltssache einen Vergleich ohne Kostenregelung, ist die gesetzliche Wertung des § 98 ZPO (Kostenaufhebung) bei der gemäß § 243 FamFG nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung
neben den weiteren, in § 243 Satz 2 FamFG als Regelbeispiele aufgeführten Gesichtspunkten zu berücksichtigen.
BGH, Beschluss vom 28. September 2011 - XII ZB 2/11 - OLG Karlsruhe in Freiburg
AG Emmendingen
-2-
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2011 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin Weber-Monecke und die
Richter Dose, Schilling und Dr. Günter
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss
des
5. Familiensenats
in
Freiburg
des
Oberlandesgerichts
Karlsruhe vom 6. Dezember 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: bis 1.200 €
Gründe:
I.
1
Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe sie die Verfahrenskosten nach Abschluss eines Unterhaltsvergleichs jeweils zu tragen haben.
2
Der im Jahr 2000 geborene Antragsteller hat von seinem Vater, dem Antragsgegner, Kindesunterhalt für die Zeit ab Juni 2010 in Höhe von monatlich
549 € sowie rückständigen Unterhalt begehrt. Vor dem Familiengericht haben
sich die Beteiligten dahin verglichen, dass der Antragsgegner dem Antragsteller
ab Juni 2010 einen laufenden monatlichen Unterhalt von 497 € sowie rückständigen Unterhalt zu leisten habe. Der Vergleich enthält weder eine Erledigungs-
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erklärung hinsichtlich des Rechtsstreits noch eine Vereinbarung zur Kostentragung.
3
Das Amtsgericht hat dem Antragsgegner 4/5 und dem Antragsteller 1/5
der Verfahrenskosten auferlegt. Dabei hat es seinen Beschluss im Wesentlichen auf das Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten gestützt.
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Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht,
dessen Entscheidung in FamRZ 2011, 749 veröffentlicht ist, die Kosten des
Verfahrens gegeneinander aufgehoben.
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Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der vom Beschwerdegericht
zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m.
§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft.
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Der Senat teilt die Auffassung des Beschwerdegerichts, wonach im vorliegenden Fall die sofortige Beschwerde gemäß § 567 ZPO statthaft ist. Demgemäß richtet sich die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 ZPO (BGHZ 184,
323 = FGPrax 2010, 154 Rn. 5).
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Allerdings ist es in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob die in
Ehe- und Familienstreitsachen ergangenen isolierten Kostenentscheidungen
mit der Beschwerde nach § 58 FamFG oder mit der sofortigen Beschwerde
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gemäß § 567 ZPO anzufechten sind. Die Frage stellt sich immer dann, wenn
sich die Hauptsache anderweitig, in der Regel - wie auch hier - streitlos erledigt
hat.
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Von ihrer Beantwortung hängt nicht nur ab, nach welchen Normen sich
das Verfahren der Rechtsbeschwerde richtet, sondern auch, welche Anforderungen an das Beschwerdeverfahren zu stellen sind (s. dazu auch Schürmann
FuR 2010, 425, 429). Beachtliche Unterschiede bestehen namentlich hinsichtlich der erforderlichen Beschwer (§ 61 FamFG: über 600 € allerdings mit Zulassungsmöglichkeit; § 567 Abs. 2 ZPO über 200 €), der Beschwerdefrist (§ 63
Abs. 1 FamFG: binnen eines Monats; § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO: Notfrist von
zwei Wochen), der Möglichkeit der Abhilfe (§ 68 Abs. 1 Satz 2 FamFG: nicht
gegeben; § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO: Abhilfe möglich), der Besetzung des Beschwerdegerichts (§ 68 Abs. 4: grundsätzlich gesamter Spruchkörper; § 568
Abs. 1 Satz 1 ZPO: originärer Einzelrichter) sowie hinsichtlich des Erfordernisses einer Rechtsbehelfsbelehrung, die nur nach § 39 FamFG vorgesehen ist.
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a) Einerseits wird vertreten, dass Kostenentscheidungen, die in Ehe- und
Familienstreitsachen erfolgen, mit der Beschwerde gemäß § 58 Abs. 1 FamFG
anzufechten seien. Dies wird u.a. damit begründet, dass eine isolierte Kostenentscheidung in solchen Verfahren eine Endentscheidung im Sinne der §§ 38
Abs. 1, 58 Abs. 1 FamFG darstelle. Durch § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG würden
die Vorschriften zum Beschwerderecht (§§ 58 bis 69 FamFG) nicht verdrängt.
Im Übrigen ersetze § 243 FamFG als lex specialis in Unterhaltssachen die Kostenbestimmungen der Zivilprozessordnung (OLG Oldenburg FamRZ 2010,
1831 f.; im Ergebnis ebenfalls für eine Anwendung von § 58 FamFG: OLG
Bremen Beschluss vom 18. April 2011 - 4 WF 23/11 - juris Rn. 13 ff.; OLG
Brandenburg NJW-RR 2010, 943; Keidel/Giers FamFG 16. Aufl. § 243 Rn. 11;
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Schürmann FuR 2010, 425, 428 f.; vgl. auch Rüntz/Viefhues FamRZ 2010,
1285, 1292).
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b) Demgegenüber spricht sich die wohl überwiegende Meinung für die
Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gemäß § 567 ZPO aus (OLG
Bamberg FamRZ 2011, 1244 f.; Kammergericht NJW 2010, 3588; OLG
Nürnberg FamRZ 2010, 1837, OLG Frankfurt FamRZ 2010, 1696 f.; SchulteBunert/Weinreich FamFG 2. Aufl. § 58 Rn. 14; Keidel/Meyer-Holz FamFG
16. Aufl. § 58 Rn. 97; Prütting/Helms/Bömelburg FamFG § 243 Rn. 11; Bömelburg FPR 2010, 153, 158; Schael FPR 2009, 11, 13; Wendl/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 10 Rn. 603). Dabei
wird u.a. auf die Gesetzesbegründung Bezug genommen, wonach ausweislich
der Subsidiaritätsklausel des § 58 Abs. 1 FamFG über § 113 Abs. 1 Satz 2
FamFG die §§ 91 a Abs. 2 und 269 Abs. 5 ZPO zur Anwendung gelangen, die
als statthafte Rechtsmittel ausdrücklich die sofortige Beschwerde nach
§§ 567 ff. ZPO bestimmten (vgl. etwa OLG Bamberg FamRZ 2011, 1244,
1245).
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c) Der Senat folgt der zuletzt genannten Auffassung.
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Dass in Fallkonstellationen der vorliegenden Art die sofortige Beschwerde nach § 567 ZPO das statthafte Rechtsmittel ist, folgt nicht schon aus dem
Wortlaut der in Betracht kommenden Vorschriften (vgl. Musielak/Borth/Grandel
FamFG 2. Aufl. § 58 Rn. 6). Die Anwendbarkeit der ZPO-Vorschriften ergibt
sich vielmehr aus einer Gesamtschau der weiteren Auslegungskriterien.
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aa) Gemäß § 58 Abs. 1 FamFG findet die Beschwerde gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts
anderes bestimmt ist. Dies könnte für die Anwendung der Beschwerde nach
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§ 58 FamFG sprechen, weil die nach streitloser Hauptsacheregelung ergangene Kostenentscheidung eine Endentscheidung nach §§ 38, 58 FamFG darstellt
(BT-Drucks. 16/12717 S. 60; Schürmann FuR 2010, 425, 428).
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Andererseits ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG in Ehesachen und
Familienstreitsachen, wozu gemäß § 112 Nr. 1 FamFG auch die Unterhaltssachen nach § 231 Abs. 1 FamFG zählen, die Anwendung der Kostenregelungen
der §§ 80 bis 85 FamFG ausgeschlossen; nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG
gelten die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung und diejenigen
über das Verfahren vor den Landgerichten entsprechend. Ausweislich § 99
Abs. 2 Satz 1 ZPO findet gegen die Kostenentscheidung die sofortige Beschwerde statt, wenn die Hauptsache durch eine aufgrund eines Anerkenntnisses ausgesprochene Verurteilung erledigt ist. Ebenso sieht § 91 a Abs. 2 Satz 1
ZPO die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung bei Erledigung
der Hauptsache nach § 91 a Abs. 1 ZPO vor. Zutreffend hat das Beschwerdegericht darauf hingewiesen, dass die §§ 99 Abs. 2, 91 a Abs. 2 ZPO nach allgemeiner Auffassung im Fall einer Entscheidung über die Kosten eines abgeschlossenen Vergleichs i.S.d. § 98 ZPO entsprechend anzuwenden sind; insoweit wäre also ebenfalls die sofortige Beschwerde statthaft (vgl. OLG Nürnberg
MDR 1997 974; OLG Frankfurt OLGR 2007, 962; Hüßtege in Thomas/Putzo
ZPO 32. Aufl. § 98 Rn. 11; Zöller/Herget ZPO 28. Aufl. § 98 Rn. 1; MünchKommZPO/Giebel 3. Aufl. § 98 Rn. 9).
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bb) Da der Wortlaut mithin offen ist, kommt den weiteren Auslegungskriterien maßgebliche Bedeutung zu.
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(1) Schon eine systematische Auslegung spricht für eine Anwendung der
Vorschriften der Zivilprozessordnung.
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Dies ergibt sich bereits, wenn man die Regelungen des Gesetzes über
Gerichtskosten in Familiensachen (FamGKG) in die Betrachtung einbezieht,
was in Anbetracht der zu regelnden Materie (Anfechtung von Kostenentscheidungen) naheliegt. Darin hat der Gesetzgeber in der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) unter der laufenden Nr. 1910 "Verfahren über die Beschwerden in den Fällen des (…) § 91 a Abs. 2, § 99 Abs. 2 und § 269 Abs. 5 ZPO" ausdrücklich
aufgeführt. Diese Regelung ergibt nur einen Sinn, wenn auch ein entsprechendes Rechtsmittel statthaft ist.
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(2) Für eine Anwendung der entsprechenden ZPO-Vorschriften spricht
daneben die teleologische Auslegung. Der Gesetzgeber wollte mit Einführung
des FamFG die Familienstreitsachen weitergehend den Verfahrensmaximen
der Zivilprozessordung unterstellen als die übrigen Familiensachen. Deshalb
bestimmt sich auch das Rechtsmittel gegen die Zurückweisung eines Verfahrenskostenhilfeantrags in Familienstreitsachen nach den §§ 127 Abs. 2, 567 bis
572 ZPO (Senatsbeschluss vom 18. Mai 2011 - XII ZB 265/10 - FamRZ 2011,
1138 Rn. 9). Zudem soll die Beschwerde in Ehe- und Familienstreitsachen in
erster Linie die Funktion der Berufung in Zivilsachen übernehmen (so auch
Schürmann FuR 2010, 425, 428).
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(3) Daneben lässt sich den Gesetzesmaterialen entnehmen, dass der
Gesetzgeber das Problem durchaus erkannt, gleichwohl von "einer klarstellenden Regelung“ abgesehen hat (BT-Drucks. 16/12717 S. 60). Seiner Auffassung
nach lässt sich die Antwort auf diese Frage unmittelbar aus dem Gesetz entnehmen. Der Anwendung des § 58 Abs. 1 FamFG stehe die Subsidiaritätsklausel entgegen. Denn "über § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG gelangen in den genannten Fallgruppen § 91 a Abs. 2 und § 269 Abs. 5 ZPO zur Anwendung, die als
statthaftes Rechtsmittel ausdrücklich die sofortige Beschwerde nach §§ 567 ff.
ZPO bestimmen" (BT-Drucks. 16/12717 S. 60).
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cc) Die von der Gegenauffassung angeführten Argumente vermögen das
gefundene Ergebnis nicht in Frage zu stellen.
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(1) Die für Unterhaltssachen i.S.d. §§ 112 Nr. 1, 231 Abs. 1 FamFG
maßgebliche Kostenvorschrift des § 243 FamFG tritt nicht insgesamt an die
Stelle der Kostenbestimmungen der Zivilprozessordnung, also auch der
Rechtsmittelvorschriften, (so aber OLG Oldenburg FamRZ 2010, 1831, 1832),
sondern ersetzt als lex specialis lediglich die Vorschriften über die Verteilung
der Kosten. Die Norm verhält sich damit allein zum "wie" einer Kostenentscheidung. Sie verhält sich dagegen nicht zu der Frage, "ob" überhaupt eine Kostenentscheidung erfolgen kann und nach welchen Vorschriften eine solche Kostenentscheidung anzufechten ist (s. auch OLG Bamberg FamRZ 2011, 1244,
1245).
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(2) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg (FamRZ 2010, 1831, 1832) lässt sich § 243 FamFG auch nicht entnehmen, dass in
Unterhaltssachen eine isolierte Kostenanfechtung möglich sein soll. Zwar ist es
richtig, dass der Gesetzgeber wegen der in § 81 Abs. 2 FamFG neu eingeführten Orientierung der Kostenentscheidung am Verfahrensverhalten der Beteiligten davon Abstand genommen hat, das in § 20 a Abs. 1 Satz 1 FGG ausgesprochene Verbot der isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung in das
FamFG zu übernehmen (BT-Drucks. 16/6308 S. 216). Das gilt jedoch nur für
die Verfahren, die nach altem Recht zur Freiwilligen Gerichtsbarkeit gehörten
(im Ergebnis ebenso OLG Bamberg FamRZ 2011, 1244, 1245; s. auch
16. DFGT AK 9 Brühler Schriften zum Familienrecht 2010, 114, 116). Denn die
zitierte Gesetzesbegründung bezieht sich ausschließlich auf § 20 a Abs. 1
Satz 1 FGG, der nur für solche Verfahren, nicht aber für Zivilprozesse, wie sie
jetzt die Ehe- bzw. Familienstreitsachen darstellen, maßgeblich war. Der vom
Gesetzgeber in diesem Kontext ausdrücklich in Bezug genommene § 81
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FamFG findet gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG in Ehe- und Familienstreitsachen zudem keine Anwendung. Dass damit auch das aus § 99 Abs. 1 ZPO folgende - und im Zivilprozess bewährte - Verbot einer isolierten Kostenanfechtung namentlich in Familienstreitsachen in Form von Unterhaltssachen keine
Anwendung mehr finden sollte, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Denn zur Vorschrift des § 99 Abs. 1 ZPO verhält sie sich nicht, obgleich
der Gesetzgeber grundsätzlich von der Anwendung der sofortigen Beschwerde
ausgegangen war (BT-Drucks. 16/12717 S. 60). Allein das Bestreben des Gesetzgebers, mit § 243 FamFG "die Kostenentscheidung in Unterhaltssachen
flexibler und weniger formal" zu handhaben (BT-Drucks. 16/6308 S. 259), lässt
nicht auf die Notwendigkeit schließen, grundsätzlich eine isolierte Kostenentscheidung zu ermöglichen.
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(3) Der Gesetzgeber war auch nicht gehalten, die Anfechtung der Kostenentscheidungen in "FGG-Familiensachen" und in Familienstreitsachen gleich
auszugestalten (ebenso OLG Bamberg FamRZ 2011, 1244, 1245; aA
Schürmann FuR 2010, 425, 428 f.). Zwar mag ein solcher Gleichlauf zur durchaus erwünschten - und auch mit der Einführung des FamFG angekündigten Vereinfachung des Verfahrensrechts führen. Jedoch ist das neue Verfahrensrecht in seiner Struktur ohnehin so konzipiert, dass es zwischen den FGGFamiliensachen und Familienstreitsachen differenziert und insoweit wegen seiner diversen Verweise nicht nur innerhalb des FamFG, sondern auch auf die
Vorschriften der Zivilprozessordnung von einem Gleichlauf weit entfernt ist.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hat von
dem ihm gemäß § 243 FamFG eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht.
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a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung, die Kosten gegeneinander aufzuheben, auf § 243 FamFG i.V.m. § 98 ZPO gestützt und dies wie
folgt begründet: Nach § 243 FamFG entscheide das Familiengericht abweichend von den Kostenverteilungsvorschriften der Zivilprozessordnung und zwar
grundsätzlich nach billigem Ermessen, wobei insbesondere die in § 243 Satz 2
FamFG genannten Umstände besonders zu berücksichtigen seien. Da die in
Satz 2 genannte Auflistung jedoch nicht abschließend sei, könne im Rahmen
der Ermessensausübung auch der Rechtsgedanke von § 98 ZPO einfließen.
Nach § 98 Satz 2 ZPO seien die Kosten eines durch einen Prozessvergleich
erledigten Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben, soweit die Parteien nichts
anderes vereinbart hätten. Vorliegend ergäben sich aus der Auslegung des
Vergleichs keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass eine Abweichung von
der Kostenaufhebung dem mutmaßlichen Willen der Parteien entsprochen hätte. Die Regel des § 98 Satz 2 ZPO habe als besonderes Abwägungskriterium in
die Ermessensprüfung des § 243 FamFG einzufließen. Deshalb sei eine Kostenaufhebung unabhängig von dem Maß des Obsiegens und Unterliegens der
Beteiligten vorzunehmen.
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b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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aa) Gemäß § 243 Satz 1 FamFG entscheidet das Gericht in Unterhaltssachen abweichend von den entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung nach billigem Ermessen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens
auf die Beteiligten. Dabei sind nach Satz 2 insbesondere zu berücksichtigen:
das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen einschließlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung (Nr. 1), das Befolgen einer Aufforderung u.a. zur Auskunftserteilung vor Beginn des Verfahrens (Nr. 2), der Umstand, dass ein Beteiligter seiner gerichtlichen Auskunftspflicht gemäß § 235 Abs. 1 FamFG nicht
hinreichend nachgekommen ist (Nr. 3) sowie ein sofortiges Anerkenntnis nach
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§ 93 ZPO (Nr. 4). Die Vorschrift enthält damit Sonderregelungen über die Kostenverteilung. Durch das Wort "insbesondere" wird klargestellt, dass die in den
Nr. 1 bis 4 aufgezählten Gesichtspunkte nicht abschließend sind. Insgesamt soll
die Kostenentscheidung in Unterhaltssachen flexibler und weniger formal gehandhabt werden können, um namentlich dem - von der Streitwertermittlung
nicht hinreichend zu erfassenden - Dauercharakter der Verpflichtung Rechnung
tragen zu können (BT-Drucks. 16/6308 S. 259).
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§ 243 FamFG lässt eine unmittelbare Anwendung der §§ 91 ff. ZPO, soweit sie die Kostenverteilung regeln, nicht zu (vgl. OLG Bamberg FamRZ 2011,
1244, 1245); hiervon betroffen ist auch § 98 ZPO (aA Zöller/Herget ZPO
28. Aufl. § 243 FamFG Rn. 6). Zwar enthält § 83 Abs. 1 FamFG eine dem § 98
ZPO entsprechende Regelung. Diese findet gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG
aber auf Familienstreitsachen in Form von Unterhaltssachen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers keine Anwendung. Jedoch sind im Rahmen der Ermessensprüfung des § 243 FamFG die Rechtsgedanken zu berücksichtigen, die den verdrängten ZPO-Vorschriften zugrunde liegen (MünchKommZPO/Dötsch 3. Aufl. § 243 FamFG Rn. 4). Damit kommt im Falle eines
Vergleichsabschlusses über das Wort "insbesondere" auch die Wertung des
§ 98 ZPO - mittelbar - zum Tragen. Das bedeutet, dass diese neben den bereits
in § 243 Satz 2 FamFG aufgelisteten Regelbeispielen steht, sie indes nicht verdrängt (vgl. Bahrenfuss/Schwedhelm FamFG § 243 Rn. 3). Das Gericht wird
seiner Verpflichtung, eine umfassende Ermessensprüfung anhand aller kostenrechtlich relevanten Umstände durchzuführen, mithin nicht enthoben. Allerdings
ist der Tatrichter grundsätzlich in der Bewertung frei, welche Gewichtung er den
einzelnen Kriterien verleihen will und wie er damit letztlich die Kostenquote ermittelt (kritisch hierzu Bahrenfuss/Schwedhelm FamFG § 243 Rn. 2).
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bb) Dem wird die Beschwerdeentscheidung nicht gerecht.
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Allerdings ist das Beschwerdegericht zu Recht davon ausgegangen,
dass die Regelung des § 98 ZPO im Rahmen des § 243 FamFG zu berücksichtigen ist. Nicht zu folgen ist dem Beschwerdegericht jedoch dahin, dass nach
§ 243 FamFG nur "grundsätzlich" eine Ermessensentscheidung zu treffen sei.
Offensichtlich hat es in der Regelung des § 98 ZPO, die es als besonderes Abwägungskriterium bezeichnet hat, eine Ausnahme von dem vorgenannten
Grundsatz gesehen und deshalb das Maß des Obsiegens und Unterliegens,
das als Abwägungskriterium von § 243 Satz 2 Nr. 1 FamFG ausdrücklich erfasst wird, unberücksichtigt gelassen. Der Rechtsgedanke des § 98 ZPO vermag die in § 243 Satz 2 FamFG genannten, und damit vom Gesetzgeber als
besonders gewichtig qualifizierten Abwägungskriterien jedoch nicht zu verdrängen.
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Zwar verbietet es § 243 FamFG nicht, dass der Tatrichter im Einzelfall
einem einzigen Abwägungskriterium ein solches Gewicht beimisst, dass ein
anderes im Rahmen der Kostenentscheidung dahinter zurückbleibt. Das setzt
allerdings eine - hier fehlende - nachvollziehbare Ermessensausübung des
Tatrichters voraus. Das Beschwerdegericht hätte sich insbesondere mit der
Frage auseinandersetzen müssen, in welchem Verhältnis die genannte Regelvermutung des § 98 ZPO und das Maß des Obsiegens und Unterliegens im
vorliegenden Fall zueinander stehen. Solche Überlegungen mussten sich auch
deswegen aufdrängen, weil das Amtsgericht in seiner Ausgangsentscheidung
zu einer Kostenquote von 1/5 zu 4/5 gelangt war.
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3. Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO war die angefochtene Entscheidung
aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
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Der Senat vermag in der Sache nicht abschließend zu entscheiden
(§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO), weil das Beschwerdegericht sein tatrichterliches
Ermessen nicht ausgeübt und vor allem auch keine Feststellungen zu den weiteren Abwägungskriterien nach § 243 Satz 2 FamFG getroffen hat.
Hahne
Weber-Monecke
Schilling
Dose
Günter
Vorinstanzen:
AG Emmendingen, Entscheidung vom 12.08.2010 - 3 F 127/10 OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 06.12.2010 - 5 WF 209/10 -