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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 38/15
vom
10. Februar 2016
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
BGHZ:
BGHR:
ja
nein
ja
Brüssel IIa-VO Art. 8, 20, 28 ff.
a)
Enthält die eine einstweilige Maßnahme anordnende Entscheidung keine eindeutige Begründung für die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts in der Hauptsache unter Bezugnahme auf eine der in den Art. 8 bis 14 Brüssel IIa-VO genannten Zuständigkeiten, und ergibt
sich die Hauptsachezuständigkeit auch nicht offensichtlich aus der erlassenen Entscheidung, ist davon auszugehen, dass die Entscheidung nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-VO ergangen ist. In diesem Fall ist zu prüfen, ob die Entscheidung
unter die Öffnungsklausel des Art. 20 Brüssel IIa-VO fällt (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ 188, 270 = FamRZ 2011, 542).
b)
Sind auch die Voraussetzungen des Art. 20 Brüssel IIa-VO nicht gegeben, kommt eine
Anerkennung und Vollstreckung der von einem nach der Brüssel IIa-VO unzuständigen
Gericht erlassenen einstweiligen Maßnahme nicht in Betracht (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ 188, 270 = FamRZ 2011, 542).
c)
Dringlichkeit i.S.d. Art. 20 Abs. 1 Brüssel IIa-VO bezieht sich sowohl auf die Lage, in der
sich das Kind befindet, als auch auf die praktische Unmöglichkeit, den die elterliche Verantwortung betreffenden Antrag vor dem Gericht zu stellen, das für die Entscheidung in der
Hauptsache zuständig ist (im Anschluss an EuGH FamRZ 2010, 525).
d)
Einstweilige Maßnahmen i.S.v. Art. 20 Abs. 1 Brüssel IIa-VO können nur in Bezug auf Personen erlassen werden, die sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem das für den Erlass
dieser Maßnahmen zuständige Gericht seinen Sitz hat. Das gilt in Verfahren über die elterliche Verantwortung nicht nur für das Kind selbst, sondern auch für den Elternteil, dem
durch den Erlass der Maßnahme das Sorgerecht genommen wird (im Anschluss an EuGH
FamRZ 2010, 525).
BGH, Beschluss vom 10. Februar 2016 - XII ZB 38/15 - OLG München
AG München
ECLI:DE:BGH:2016:100216BXIIZB38.15.0
-2-
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Februar 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. NeddenBoeger und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 12. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts München vom 22. Januar 2015 aufgehoben.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Amtsgerichts München vom 15. Oktober 2014 wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Wert: 3.000 €
Gründe:
A.
1
Die Antragstellerin begehrt die Vollstreckbarerklärung einer polnischen
Entscheidung über die Kindesherausgabe.
2
Aus der Ehe der Antragstellerin und des Antragsgegners ging das am
10. September 2012 in Augsburg geborene Kind R. hervor. Die nunmehr getrennt lebenden Eltern - beide polnische Staatsangehörige - wohnten gemeinsam mit dem Kind in Augsburg. Im Mai 2013 reiste die Antragstellerin mit dem
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Kind nach Polen und verblieb dort. Der Antragsgegner, der hiermit nicht einverstanden war, leitete daraufhin in Polen ein Verfahren nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung
vom 25. Oktober 1980 (BGBl. 1990 II S. 206; im Folgenden: Haager Kindesentführungsübereinkommen - HKÜ) ein. Anfang September 2013 kehrte die Antragstellerin mit dem Kind nach Augsburg zurück. Bereits am 30. September
2013 zog sie mit dem Kind gegen den Willen des Antragsgegners wieder nach
Polen. Der Antragsgegner stellte daraufhin erneut in Polen einen Antrag nach
dem Haager Kindesentführungsübereinkommen auf Rückführung des Kindes.
Vor einer Entscheidung hierüber verbrachte er das Kind am 13. Juli 2014 eigenmächtig wieder nach Deutschland. Sein Rückführungsantrag wurde daraufhin abgewiesen.
3
Zwischen den Eltern ist in Polen ein Scheidungsverfahren anhängig, in
dessen Rahmen auch ein Sorgerechtsverfahren eingeleitet wurde. In diesem
Verfahren ordnete das Bezirksgericht L. am 14. Juli 2014 auf Antrag der Antragstellerin in einer Sicherungsverfügung an, dass der Aufenthalt des Kindes
für die Dauer des Verfahrens bei der Mutter liege. Zudem verpflichtete es den
Antragsgegner, das Kind an die Antragstellerin herauszugeben.
4
Die Antragstellerin hat in Deutschland beantragt, die Sicherungsverfügung für vollstreckbar zu erklären und sodann die Vollstreckung vorzunehmen.
Das Amtsgericht hat die Anträge abgewiesen. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und die Sicherungsverfügung hinsichtlich der Herausgabeverpflichtung
mit einer Vollstreckungsklausel versehen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde.
-4-
B.
5
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückweisung der Beschwerde der Antragstellerin.
I.
6
Die nach §§ 28 des Gesetzes zur Aus- und Durchführung bestimmter
Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts (Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz - IntFamRVG), 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung
des Senats ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich
(§§ 28 IntFamRVG, 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Mit Recht macht die Rechtsbeschwerde geltend, dass die Beschwerdeentscheidung auf einer Abweichung
von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH FamRZ 2010,
525 Rn. 42) beruht.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
8
1. Das Beschwerdegericht hat seine in FamRZ 2015, 777 veröffentlichte
Entscheidung wie folgt begründet:
9
Für die Vollstreckung der Sicherungsverfügung sei die Verordnung (EG)
Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und
die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in
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Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. EU Nr. L 338 S. 1; im Folgenden: Brüssel
IIa-VO) grundsätzlich anwendbar. Die Entscheidung sei aber nicht nach Art. 11
Abs. 8, 40 Abs. 1 lit. b, 42 Brüssel IIa-VO unmittelbar vollstreckbar. Eine vollstreckbare Entscheidung im Sinne von Art. 28 Brüssel IIa-VO liege ebenfalls
nicht vor, weil nicht ersichtlich sei, dass das polnische Gericht seine internationale Zuständigkeit auf die Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt habe.
10
Damit handele es sich allenfalls um eine Entscheidung nach Art. 20
Brüssel IIa-VO, auf die die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO nicht anwendbar seien.
Art. 20 Brüssel IIa-VO lasse aber unter den dort genannten Voraussetzungen
den Rückgriff auch auf an sich nachrangige Übereinkommen und gegebenenfalls das nationale Recht zu. Hier habe sich das polnische Gericht auf Art. 20
Brüssel IIa-VO stützen können, denn aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens
des Antragstellers, der das Kind in einem Akt der Selbstjustiz entführt und nach
Deutschland verbracht habe, habe ein dringendes Regelungsbedürfnis für den
Erlass einer einstweiligen Maßnahme bestanden, um die Rückführung des Kindes zur Antragstellerin anzuordnen. Hier könne für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung auf das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das
anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit
auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz
von Kindern vom 19. Oktober 1996 (ABl. 2003 Nr. L 48 S. 3; im Folgenden:
KSÜ) zurückgegriffen werden. Die Sicherungsverfügung sei gemäß Art. 26
Abs. 1 KSÜ für vollstreckbar zu erklären. Ein Ausschlussgrund nach Art. 23
Abs. 2 KSÜ liege nicht vor, insbesondere sei das Bezirksgericht L. international
zuständig gewesen. Zwar habe das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in
Deutschland; es habe während des Aufenthalts in Polen noch keinen neuen
gewöhnlichen Aufenthalt dort begründet. Die Zuständigkeit ergebe sich aber
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aus Art. 11 KSÜ, weil sich das Kind in Polen befunden habe und ein dringender
Fall vorgelegen habe.
11
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht
stand.
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a) Zutreffend ist allerdings, dass die in der Sicherungsverfügung angeordnete - aus der elterlichen Sorge resultierende - Aufenthaltsbestimmung und
die damit einhergehende Herausgabeverpflichtung in den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel IIa-Verordnung fallen (Art. 1 Abs. 1 lit. b Alt. 2, Art. 2
Nr. 7 und Nr. 9 Brüssel IIa-VO) und dass die Voraussetzungen für eine Vollstreckung ohne Vollstreckbarerklärung nach Art. 42 Abs. 1, 40 Abs. 1 lit. b, 11
Abs. 8 Brüssel IIa-VO nicht vorliegen.
13
b) Ebenso wenig ist etwas dagegen zu erinnern, dass das Berufungsgericht das Vorliegen einer vollstreckbaren Entscheidung im Sinne von Art. 28
Brüssel IIa-VO verneint hat, weil nicht ersichtlich sei, dass das polnische Gericht seine internationale Zuständigkeit auf die Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt
habe.
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aa) Erlässt das Gericht eine einstweilige Maßnahme, die den Bereich der
elterlichen Sorge betrifft, ist für die Anwendung der Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO
darauf abzustellen, ob das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf Art. 8 ff.
Brüssel IIa-VO gestützt hat. Ist dies zweifelhaft, ist anhand der Ausführungen in
der Entscheidung zu prüfen, ob das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf
eine Vorschrift der Brüssel IIa-Verordnung stützen wollte (Senatsbeschlüsse
BGHZ 205, 10 = FamRZ 2015, 1011 Rn. 19 und BGHZ 188, 270 = FamRZ
2011, 542 Rn. 23; EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 73 ff.). Kann das nicht festgestellt werden, so ist davon auszugehen, dass die zu vollstreckende Entscheidung nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-Verordnung er-
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gangen ist (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 76; Senatsbeschluss BGHZ 188, 270
= FamRZ 2011, 542 Rn. 24). In diesem Fall kann eine Maßnahme nach Art. 20
Brüssel IIa-VO vorliegen. Diese Vorschrift begründet aber keine Zuständigkeit
im Sinne der Verordnung, weshalb auf derartige Verfahren die Art. 21 ff.
Brüssel IIa-VO nicht anwendbar sind (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 83 ff.; Senatsbeschluss BGHZ 188, 270 = FamRZ 2011, 542 Rn. 17).
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bb) Gemessen hieran hat das Beschwerdegericht zu Recht die Anwendbarkeit der Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO verneint.
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Das Bezirksgericht L. hat in seiner Entscheidung auf die Brüssel IIaVerordnung nicht Bezug genommen. Soweit es ausführt, dass das Kind seinen
gewöhnlichen Aufenthalt in Polen habe, gibt es nur den Vortrag der Antragstellerin wieder, ohne dass erkennbar wird, inwieweit hieraus ein Grund für die internationale Zuständigkeit abgeleitet werden soll. Zutreffend hat das Beschwerdegericht ausgeführt, dass es für die Zuständigkeit vielmehr ausschließlich
Normen des polnischen Rechts zitiert und diese im Wesentlichen aus dem laufenden Verfahren in der Hauptsache hergeleitet hat, ohne dass die Zuständigkeit hierfür begründet wird. Damit liegt weder eine eindeutige Begründung der
Zuständigkeit nach der Brüssel IIa-Verordnung vor, noch ergibt sich diese offensichtlich aus der Entscheidung.
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c) Nicht zutreffend ist jedoch die Annahme des Beschwerdegerichts,
dass die Voraussetzungen der Öffnungsklausel des Art. 20 Brüssel IIa-VO vorgelegen hätten.
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aa) Die fehlende Anwendbarkeit der Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO steht indes
der Anerkennung und Vollstreckung einer auf der Grundlage des Art. 20
Brüssel IIa-VO ergangenen Maßnahme in anderen Mitgliedstaaten nicht von
vornherein entgegen. Vielmehr handelt es sich bei Art. 20 Brüssel IIa-VO um
-8-
eine Öffnungsklausel. Während die Brüssel IIa-Verordnung grundsätzlich unter
den in Art. 59 bis 63 der Verordnung genannten Voraussetzungen Vorrang vor
den meisten einschlägigen internationalen Übereinkommen hat, lässt Art. 20
Brüssel IIa-VO unter den dort genannten Voraussetzungen den Rückgriff auch
auf an sich nachrangige Übereinkommen und gegebenenfalls auf das nationale
Recht zu. Dies bedeutet nicht nur, dass sich die Zuständigkeit für einstweilige
Maßnahmen unter den Voraussetzungen des Art. 20 Brüssel IIa-VO aus nachrangigen Übereinkommen und dem nationalen Recht ergeben kann, sondern
auch, dass die Anerkennung und Vollstreckung solcher Maßnahmen auf der
Grundlage der dort enthaltenen Rechtsinstrumente in Betracht kommt (Senatsbeschluss BGHZ 188, 270 = FamRZ 2011, 542 Rn. 18 mwN).
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bb) Jedoch liegen die Voraussetzungen des Art. 20 Abs. 1 Brüssel
IIa-VO nach den getroffenen Feststellungen nicht vor.
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(1) Art. 20 Abs. 1 Brüssel IIa-VO hat drei Voraussetzungen, die allesamt
erfüllt sein müssen, damit die Öffnungsklausel Platz greift. Die Maßnahme
muss dringlich sein, sie muss in Bezug auf Personen oder Vermögensgegenstände getroffen werden, die sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem das
Gericht seinen Sitz hat, und sie muss vorübergehender Art sein (EuGH FamRZ
2010, 525 Rn. 39 und FamRZ 2010, 1521 Rn. 77; Senatsbeschluss BGHZ 188,
270 = FamRZ 2011, 542 Rn. 19).
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(a) Der Begriff der Dringlichkeit bezieht sich dabei sowohl auf die Situation des Kindes als auch auf die praktische Unmöglichkeit, eine Entscheidung
des in der Hauptsache zuständigen Gerichts zur elterlichen Verantwortung herbeizuführen (EuGH FamRZ 2010, 525 Rn. 42 und FamRZ 2010, 1521 Rn. 94).
Bei der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals ist das Ziel der Brüssel IIaVerordnung zu beachten, die Beteiligten davon abzuhalten, die Kinder rechtswidrig in einen anderen Mitgliedstaat zu verbringen oder in einem solchen zu-
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rückzuhalten. Dürfte eine Maßnahme, die zu einer Veränderung der elterlichen
Verantwortung und damit zu einer Verfestigung der aus rechtswidrigem Handeln entstandenen tatsächlichen Situation führt, nach Art. 20 Abs. 1 Brüssel
IIa-VO erlassen werden, liefe das darauf hinaus, die Position des hierfür verantwortlichen Elternteils zu stärken (vgl. EuGH FamRZ 2010, 525 Rn. 49, 57).
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(b) Daneben ist schon dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 Brüssel IIa-VO zu
entnehmen, dass einstweilige Maßnahmen nur in Bezug auf Personen zu erlassen sind, die sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem das für den Erlass dieser Maßnahmen zuständige Gericht seinen Sitz hat. Handelt es sich bei der
einstweiligen Maßnahme um eine Sorgerechtsentscheidung (hier in Form der
Aufenthaltsbestimmung und Herausgabeverpflichtung), wird diese nicht nur in
Bezug auf das Kind, sondern auch in Bezug auf den Elternteil getroffen, dem
die elterliche Sorge entzogen wird, so dass die Anwesenheit des Kindes und
des betroffenen Elternteils im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts erforderlich ist (vgl. EuGH FamRZ 2010, 525 Rn. 50 f.).
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(c) Schließlich muss die Maßnahme vorübergehender Art sein, es darf
sich also nicht um eine Hauptsacheentscheidung handeln.
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(2) Hier hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft Art. 20 Brüssel
IIa-VO angewandt, obgleich weder die Dringlichkeit noch die Anwesenheit der
betroffenen Personen gegeben waren.
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(a) Das Beschwerdegericht hat einen dringenden Fall i.S.d. Art. 20
Abs. 1 Brüssel IIa-VO angenommen ohne zu prüfen, ob es der Antragstellerin
nicht möglich war, rechtzeitig eine Entscheidung zur elterlichen Verantwortung
durch die deutschen Gerichte herbeizuführen. Von deren Zuständigkeit gemäß
Art. 8 i.V.m. Art. 10 Brüssel IIa-VO ist nach den getroffenen und nicht angegriffenen Feststellungen auszugehen. Das Kind hatte vor dem widerrechtlichen
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Verbringen durch seine Mutter seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.
Die Voraussetzungen des Art. 10 Brüssel IIa-VO für einen Wechsel der Zuständigkeit liegen ersichtlich nicht vor; ebenso wenig sind die Voraussetzungen der
Zuständigkeit
der
polnischen
Gerichte
nach
Art. 12
Brüssel
IIa-VO erkennbar. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach wie vor in Deutschland. Gründe, warum die
Anrufung der deutschen Gerichte nicht möglich gewesen sein soll, sind nach
alledem nicht ersichtlich.
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Gegen die Annahme, dass hier ein dringender Fall vorliegt, spricht im
Übrigen das Ziel der Brüssel IIa-Verordnung, die Beteiligten von einem rechtswidrigen Verbringen oder Zurückhalten der Kinder abzuhalten. Denn die Vollstreckung der Sicherungsverfügung hätte zur Folge, dass der Aufenthalt des
Kindes in Polen verfestigt und legitimiert wird, obgleich die Antragstellerin das
Kind nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts zuvor wiederholt widerrechtlich nach Polen verbracht hat. Dass der Antragsgegner durch die eigenmächtige Rückholung des Kindes selbst rechtswidrig gehandelt hat, führt für
sich genommen nicht zu einer anderen Bewertung der Dringlichkeit.
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(b) Des Weiteren hat das Beschwerdegericht nicht beachtet, dass es an
der nach Art. 20 Abs. 1 Brüssel IIa-VO erforderlichen Anwesenheit der von der
Maßnahme Betroffenen fehlt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
hatte der Antragsgegner mit dem Kind Polen bereits am 13. Juli 2014 verlassen. Die Sicherungsverfügung datiert demgegenüber vom 14. Juli 2014. Die
Voraussetzungen des Art. 20 Brüssel IIa-VO, wonach der Antragsgegner und
das Kind - als die von der Sicherungsverfügung betroffenen Personen - bei Erlass der Sicherungsverfügung in Polen hätten anwesend sein müssen, waren
demnach nicht erfüllt.
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d) Sind schließlich - wie hier - auch die Voraussetzungen des Art. 20
Brüssel IIa-VO nicht gegeben, kommt eine Anerkennung und Vollstreckung der
von einem nach der Brüssel IIa-Verordnung unzuständigen Gericht erlassenen
einstweiligen Maßnahme nicht in Betracht. Art. 20 Brüssel IIa-VO erlaubt den
Rückgriff auf die genannten anderen Rechtsinstrumente nur, wenn die zu treffende Maßnahme dringlich ist, einstweiligen Charakter hat und sich auf Personen oder Vermögensgegenstände bezieht, die sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem das mit der Sache befasste Gericht seinen Sitz hat. Ist dies nicht
der Fall, bleibt es bei dem abschließenden Charakter der Brüssel IIa-Verordnung (Senatsbeschluss BGHZ 188, 270 = FamRZ 2011, 542 Rn. 19 mwN; vgl.
auch EuGH FamRZ 2010, 525 Rn. 38 ff.; Helms FamRZ 2011, 546).
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e) Da eine Vollstreckbarerklärung damit ohnehin ausscheidet, kann die
Frage dahinstehen, ob auch Art. 16 HKÜ einer Vollstreckbarerklärung der während des laufenden HKÜ-Verfahrens erlassenen Sicherungsverfügung entgegensteht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 28. April 2011 - XII ZB 170/11 FamRZ 2011, 959 Rn. 13 mwN).
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3. Die Beschwerdeentscheidung ist daher aufzuheben. Da keine weiteren Ermittlungen erforderlich sind, kann der Senat in der Sache abschließend
entscheiden. Weil weder eine unmittelbare Vollstreckung aus der Sicherungsverfügung noch deren Vollstreckbarerklärung in Betracht kommt, hat das Amtsgericht die Anträge im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Die Beschwerde der Antragstellerin war daher unbegründet und ist zurückzuweisen.
Dose
Schilling
Nedden-Boeger
Günter
Botur
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 15.10.2014 - 517 F 8888/14 OLG München, Entscheidung vom 22.01.2015 - 12 UF 1821/14 -