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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 135/09
vom
21. Juli 2010
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO §§ 517, 621e a.F.
Durch die Verkündung eines Beschlusses (hier: in einem Verfahren über die
elterliche Sorge) wird der Beginn der Beschwerdefrist nach fünf Monaten
grundsätzlich dann nicht ausgelöst, wenn der beschwerte Beteiligte zum Termin
zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (im Anschluss an BGH Beschluss vom 29. September 1998 - KZB 11/98 - NJW 1999,
143, 144 und Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 - XII ZB 12/03 - NJW-RR 2004,
1651, 1652). Eine darüber hinausgehende Informationspflicht des beschwerten
Beteiligten, der von dem Verfahren Kenntnis erlangt hat, scheidet jedenfalls
dann aus, wenn ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist und er sich auch nicht auf das Verfahren eingelassen
hat.
BGH, Beschluss vom 21. Juli 2010 - XII ZB 135/09 - OLG Nürnberg
AG Nürnberg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2010 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Prof. Dr. Wagenitz, Dose,
Dr. Klinkhammer und Dr. Günter
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Vaters wird der Beschluss des
7. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 3. Juli 2009 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das
Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.000 €
Gründe:
I.
Die beteiligten Eltern streiten über das Sorgerecht für ihre am 23. De-
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zember 2005 geborene Tochter Leila. Der Vater ist Algerier, die Mutter Deutsche.
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Die mittlerweile geschiedenen Eltern heirateten 2004 und lebten mit dem
Kind in Großbritannien. Nachdem die Mutter im Juli 2006 die Scheidung eingereicht hatte, verließ sie im August 2006 den Vater und zog mit dem Kind nach
Nürnberg zu ihren Eltern.
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Im September 2006 hat sie beim Amtsgericht Nürnberg die Übertragung
der elterlichen Sorge sowie eine einstweilige Anordnung bezogen auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht beantragt. Die Antragsschriften wurden den von der
Mutter benannten britischen Rechtsanwälten des Vaters formlos übersandt. Die
vom Amtsgericht erlassene einstweilige Anordnung konnte den Rechtsanwälten
des Vaters nicht förmlich zugestellt werden, weil diese das Mandat niedergelegt
hatten. Daraufhin hat das Amtsgericht auf Antrag der Mutter die öffentliche Zustellung der einstweiligen Anordnung sowie der Antragsschrift in der Hauptsache bewilligt und zugleich einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den
28. März 2007 bestimmt. Die Ladung des Vaters ist wiederum öffentlich zugestellt worden. Im Anschluss an die mündliche Verhandlung hat das Amtsgericht
einen dem Antrag der Mutter entsprechenden Beschluss verkündet und diesen
dem Vater wiederum öffentlich zugestellt.
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Der Vater hat rund zwei Jahre später durch seine neuen Verfahrensbevollmächtigten Akteneinsicht nehmen lassen und sodann gegen den Beschluss
Beschwerde eingelegt. Der Vater beruft sich darauf, dass die Beschwerdefrist
mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht zu laufen begonnen habe. Die
Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung hätten nicht vorgelegen. Die
Beschwerdefrist habe auch nicht fünf Monate nach der Verkündung zu laufen
begonnen, weil die Ladung zum Termin nicht wirksam zugestellt worden sei.
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Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Vaters wegen Versäumung der Beschwerdefrist verworfen. Dagegen richtet sich die vom Vater eingelegte Rechtsbeschwerde, mit welcher er die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und Zurückverweisung an das Oberlandesgericht beantragt.
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II.
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1. Das Oberlandesgericht ist der Auffassung, die Beschwerdefrist habe
gemäß § 517 2. Halbs. ZPO fünf Monate nach der Verkündung zu laufen begonnen und sei daher vor Einlegung der Beschwerde abgelaufen. Die Regelung
sei hier anwendbar, weil sich die Form der Bekanntmachung nach § 329 ZPO
richte und die nach mündlicher Verhandlung erlassene Entscheidung zu verkünden gewesen sei. Die Verkündung müsse im Interesse der Rechtssicherheit
nicht in jeder Hinsicht mangelfrei, sondern lediglich wirksam sein. Eine von der
Rechtsprechung zugelassene Ausnahme von der Fünf-Monats-Regel in § 517
ZPO scheitere daran, dass der Vater jedenfalls Kenntnis von dem Verfahren
und daher Anlass gehabt habe, sich um den Fortgang des Verfahrens zu kümmern. Selbst wenn die öffentliche Zustellung der Terminsladung nicht habe bewilligt werden dürfen, sei der Vater vom Verfahren jedenfalls informiert gewesen, weil er die Antragsschriften und die zugehörigen eidesstattlichen Versicherungen tatsächlich erhalten habe. Diese seien zwar in deutscher Sprache abgefasst gewesen, die der Vater nicht beherrsche. Er habe diesen jedoch entnommen, dass es sich um ein die elterliche Sorge betreffendes Verfahren handele.
Er sei demnach verpflichtet gewesen, sich zeitnah beim Amtsgericht Nürnberg
nach dem Verfahren zu erkundigen. Damit sei auch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei infolge des zwischenzeitlichen Wechsels des gewöhnlichen Aufenthalts gegeben, zumal der Vater auch keinen Rückführungsantrag gestellt habe.
Dass die Mutter die öffentlichen Zustellungen eventuell erschlichen habe, sei
nicht ausschlaggebend, weil diesbezüglich die Voraussetzungen des Restitutionsverfahrens vorrangig gelten würden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand scheitere schließlich an der nicht gewahrten Wiedereinsetzungsfrist.
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2. Diese Beurteilung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis
Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht anwendbar, weil das Verfahren
vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 25. November
2009 - XII ZR 8/08 - FamRZ 2010, 192).
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Die Rechtsbeschwerde ist nach § 621 e Abs. 2, 3 ZPO a.F. i.V.m. § 522
Abs. 1 Satz 3, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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b) Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des
Oberlandesgerichts ist die Beschwerdefrist nicht in Gang gesetzt worden und
war somit bei Einlegung der Beschwerde nicht abgelaufen.
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aa) Da der angefochtene Beschluss verkündet worden ist, gilt nach
§ 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO a.F. die Vorschrift des § 517 2. Halbs. ZPO entsprechend. Danach beginnt mangels wirksamer Zustellung des Beschlusses die
einmonatige Beschwerdefrist fünf Monate nach dessen Verkündung zu laufen.
Die Verkündung des Beschlusses war zulässig. Nach § 621 a Abs. 1 Satz 2
ZPO a.F. gelten für die Bekanntgabe des amtsgerichtlichen Beschlusses die
Vorschriften der Zivilprozessordnung, mithin auch § 329 ZPO. Für die in § 329
ZPO vorgesehene Verkündung genügt es in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, dass eine fakultative mündliche Verhandlung stattgefunden hat (vgl.
Zöller/Vollkommer ZPO 28. Aufl. § 329 Rdn. 12). Danach war die Verkündung
des Beschlusses zulässig, nachdem das Familiengericht einen Termin zur
mündlichen Verhandlung anberaumt und durchgeführt hatte (vgl. Keidel/
Schmidt Freiwillige Gerichtsbarkeit 15. Aufl. § 16 Rdn. 75 f.).
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Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist der Beschluss verkündet worden. In dem Sitzungsprotokoll ist niedergelegt, dass "folgender Be-
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schluss" ergehe, daran anschließend ist der Beschlusstenor wiedergegeben.
Dem ist auch ohne Verwendung des Begriffs eine Verkündung hinreichend
deutlich zu entnehmen.
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bb) Wie das Oberlandesgericht bei seiner weiteren Beurteilung nicht verkannt hat, unterliegt die Anwendung des § 517 ZPO jedoch Einschränkungen,
die sich aus dem Grundgedanken der Regelung ergeben.
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Der Vorschrift des § 517 ZPO (vormals § 516 ZPO) liegt der Gedanke
zugrunde, dass eine Partei, die vor Gericht streitig verhandelt hat, mit dem Erlass einer Entscheidung rechnen muss und dass es ihr deshalb zugemutet werden kann, sich danach zu erkundigen, ob und mit welchem Inhalt eine Entscheidung
ergangen
ist
(BGH
Beschluss
vom
29. September 1998
- KZB 11/98 - NJW 1999, 143, 144 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004
- XII ZB 12/03 - NJW-RR 2004, 1651, 1652). Eine Erkundigungspflicht scheidet
demnach aus, wenn die beschwerte Partei im anberaumten Termin nicht vertreten und auch nicht ordnungsgemäß geladen worden war (BGH Beschluss vom
29. September 1998 - KZB 11/98 - NJW 1999, 143, 144 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 - XII ZB 12/03 - NJW-RR 2004, 1651, 1652).
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Das Oberlandesgericht hat es offen gelassen, ob die vom Amtsgericht
angeordneten öffentlichen Zustellungen unzulässig waren. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist demnach jedenfalls zu unterstellen, dass die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung jeweils nicht vorlagen, sodass es an einer
ordnungsgemäßen Ladung des Vaters zum vom Amtsgericht anberaumten
Termin fehlt.
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cc) Ob darüber hinausgehend die beschwerte Partei bereits dann eine
Erkundigungspflicht trifft, wenn sie nur von der Existenz des Verfahrens Kenntnis erhalten hat, hat der Bundesgerichtshof in der vom Oberlandesgericht he-
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rangezogenen Entscheidung (vgl. BGH Beschluss vom 1. März 1994
- XI ZB 23/93 - NJW-RR 1994, 1022) offen gelassen und sich im Übrigen für die
weitere Voraussetzung der Unkenntnis vom Rechtsstreit auf Rimmelspacher
(in: MünchKomm ZPO 3. Aufl. § 517 Rdn. 1, 18) bezogen. Dieser befürwortet
indessen eine auch bei fehlender Ladung eingreifende Informationslast eines
Beklagten nur dann, wenn diesem die Klageschrift zugestellt wurde oder er sich
auf das Verfahren eingelassen hat.
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Auch nach dieser Auffassung würde demnach § 517 2. Halbs. ZPO im
vorliegenden Fall nicht eingreifen, weil es an einer wirksamen Zustellung des
verfahrenseinleitenden Schriftstücks fehlt. Dem Vater als Verfahrensbeteiligten
ist das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht zugestellt worden. Mangels einer ordnungsgemäßen Zustellung musste der Vater sich aber auf das Verfahren nicht einlassen. Das entspricht der Rechtslage bei der Anerkennung ausländischer Titel gemäß § 16 a Nr. 2 FGG a.F. (ebenso § 328 Nr. 2 ZPO und
§ 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), welche ausscheidet, wenn einem Beteiligten das
verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist
und er sich zur Hauptsache nicht geäußert hat.
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Der vom Oberlandesgericht vertretenen weitergehenden Auffassung,
dass auch die ohne Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks erlangte Kenntnis eine Informationslast begründe, kann daher nicht gefolgt werden.
Denn diese würde die oben genannte Befugnis des Beteiligten, sich auf das
Verfahren nicht einzulassen, in ihr Gegenteil verkehren. Hinzu kommt, dass die
Schriftstücke dem Vater auf Deutsch übermittelt wurden und dass bei Übersendung der Antragsabschriften auch eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO noch nicht bestanden haben
dürfte. In Anbetracht des fehlenden Einverständnisses des Vaters dürfte durch
den Umzug der Mutter mit dem Kind und den zwischenzeitlichen Aufenthalt in
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Deutschland zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Vaters von dem Verfahren ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in Deutschland noch nicht ohne
weiteres begründet gewesen sein. Auch wenn die internationale Zuständigkeit
inzwischen begründet sein dürfte, ist dieser Umstand jedenfalls nicht geeignet,
noch nachträglich die vom Oberlandesgericht angenommene Informationslast
zu begründen.
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dd) Dass der Vater sich mit seinem Rechtsmittel nunmehr auf das Verfahren eingelassen hat, hat schließlich ebenfalls keine Auswirkungen, weil die
Beschwerde jedenfalls rechtzeitig eingelegt und begründet worden ist. Einer
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es demnach nicht.
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3. Der angefochtene Beschluss ist somit aufzuheben und die Sache an
das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der
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Senat darauf hin, dass es für die Rechtzeitigkeit der Beschwerdeeinlegung und
-begründung auf die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung der Anträge vom
13. September 2006 sowie der Terminsladung an den Vater ankommt.
Hahne
Wagenitz
Klinkhammer
Dose
Günter
Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 28.03.2007 - 104 F 2982/06 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 03.07.2009 - 7 UF 250/09 -