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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 508/15
Verkündet am:
14. März 2017
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 133 C, § 157 F
Zur ergänzenden Vertragsauslegung bei fehlender Einbeziehung oder Unwirksamkeit einer Zinsänderungsklausel zu laufenden Zinsen in einem Sparvertrag (im
Anschluss an Senatsurteile vom 13. April 2010 - XI ZR 197/09, BGHZ 185, 166
und vom 21. Dezember 2010 - XI ZR 52/08, WM 2011, 306).
BGH, Urteil vom 14. März 2017 - XI ZR 508/15 - LG Frankfurt am Main
AG Frankfurt am Main
ECLI:DE:BGH:2017:140317UXIZR508.15.0
-2-
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. März 2017 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die
Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und
Dr. Derstadt
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 15. Zivilkammer
des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. Oktober 2015 im
Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als auf die Berufung der
Beklagten das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom
3. April 2014 zum Nachteil des Klägers abgeändert worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten über die Höhe von Zinsgutschriften aus einem
Sparvertrag.
2
Der Kläger schloss mit der beklagten Bank am 17. Dezember 1998 einen
als "S.
-Vermögensplan" bezeichneten Sparvertrag, der einen variablen
Zinssatz in Höhe von anfänglich 3,5% p.a. vorsah. Der Kläger sollte vom
20. November 1998 bis zum 20. November 2023 monatlich 100 DM (= 51,13 €)
-3-
auf das für den Sparvertrag eingerichtete Konto einzahlen. Die Beklagte verpflichtete sich im Gegenzug, neben variablen Guthabenzinsen eine jährliche
Bonuszahlung auf die im jeweiligen Kalenderjahr gezahlten Sparraten zu gewähren, und zwar erstmals ab dem dritten Jahr in Höhe von 3% der Jahressparleistung stufenweise ansteigend auf bis zu 50% ab dem 15. Jahr. Der
Vertrag eröffnet dem Kläger nach Ablauf einer anfänglichen Sperrfrist von 24
Monaten die Möglichkeit zur Kündigung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist
von drei Monaten. Grundlage des Vertrags sollten weiter die Sonderbedingungen der Beklagten für den "S.
-Vermögensplan" sein. Der Kläger leistete
die vereinbarten Sparraten. Die Beklagte senkte den variablen Guthabenzinssatz schrittweise auf zuletzt 0,25% p.a. ab.
3
Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Sonderbedingungen der Beklagten für den "S.
-Vermögensplan" dem Kläger bei Vertragsschluss über-
geben worden sind bzw. ausgehängt waren. Diese Bedingungen enthalten folgende Zinsänderungsklausel:
"Spareinlagen werden zu den von der Bank durch Aushang in
den Geschäftsräumen der kontoführenden Stelle bekannt gegebenen Zinssätzen verzinst. Änderungen werden mit der Bekanntgabe wirksam."
4
Der Kläger vertritt die Ansicht, seine Sparbeträge seien für die Zeit ab
Vertragsschluss bis einschließlich März 2013 auf Grundlage des anfänglich
vereinbarten Zinssatzes von 3,5% p.a. zu verzinsen, da die Beklagte erst ab
März 2013 wirksame Änderungsmitteilungen versendet habe. Das Erfordernis
einer Bekanntmachung von Zinsänderungen bestehe sowohl auf Grundlage des
zweiten Satzes der Zinsänderungsklausel als auch bei Geltung eines Anpassungsrechts der Beklagten gemäß § 315 BGB. Zudem ergebe sich das Erfor-
-4-
dernis einer vorherigen Änderungsmitteilung aus einer ergänzenden Vertragsauslegung.
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Nach teilweiser Rücknahme der Klage sowie einseitiger Teilerledigungserklärung hat das Amtsgericht die Beklagte zur Gutschrift eines weiteren Betrages von 2.051,05 € sowie zur Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 € nebst Rechtshängigkeitszinsen seit dem
10. Dezember 2013 verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Auf die
Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens das erstinstanzliche Urteil abgeändert und
die Beklagte nur noch zur Gutschrift eines Betrages von 597,44 € sowie zur
Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 €
nebst Rechtshängigkeitszinsen verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die weitere Berufung zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
6
Die Revision ist begründet. Sie führt, soweit das Berufungsgericht zum
Nachteil des Klägers entschieden hat, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
-5-
I.
7
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit
für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt:
8
Der Kläger habe einen Anspruch auf Gutschrift eines Betrages in Höhe
von 597,44 € aus dem zwischen den Parteien vereinbarten Sparvertrag i.V.m.
einer ergänzenden Vertragsauslegung sowie auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € nebst Zinsen.
9
Die Vereinbarung eines variablen Zinssatzes sei wirksam, da es sich um
eine eigenständige, nicht gegen ein Klauselverbot verstoßende kontrollfreie
Preisabrede handele. Nicht wirksam hätten die Parteien hingegen vereinbart,
dass der Beklagten dabei ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne
des § 315 BGB zustehen solle. Eine solche Klausel unterliege der Inhaltskontrolle und stelle - unabhängig von der Frage einer Vereinbarung der Sonderbedingungen - einen Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB dar, da sie keine ausdrückliche Begrenzung der von der Beklagten in Anspruch genommenen Befugnis zur
Zinsanpassung enthalte und somit den Sparer einem unkalkulierbaren Zinsänderungsrisiko aussetze.
10
Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Verzinsung zu einem unveränderten Zinssatz von 3,5%, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der variable Zinssatz auch für die Vergangenheit durch ergänzende Vertragsauslegung zu ermitteln sei. Die Regelung über die Bekanntgabe der Zinsänderung sei nicht Vertragsinhalt geworden, weil zwar die Einbeziehungsvereinbarung unstreitig sei, der Kläger aber bestritten habe, dass ihm die Sonderbedingungen der Beklagten für den "S.
-Vermögensplan" übergeben wor-
-6-
den bzw. diese bei Vertragsschluss ausgehängt gewesen seien. Die Beklagte
habe hierzu weder vorgetragen noch Beweis angetreten.
11
Selbst wenn die Regelung über die Bekanntgabe als Wirksamkeitsvoraussetzung der Zinsänderung Vertragsinhalt geworden wäre, wäre sie unwirksam. Eine Aufspaltung der Klausel in ein unwirksames einseitiges Leistungsbestimmungsrecht einerseits und einen wirksamen Teil über die Bekanntgabe von
Zinsänderungen andererseits komme nicht in Betracht. Wenn aber eine interessengerechte Lösung erst im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu finden sei, könne der Beklagten nicht vorgehalten werden, dass sie die unwirksamen Zinsänderungen nicht mitgeteilt habe.
12
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei die bei Wirksamkeit der Vereinbarung über die Variabilität der Zinshöhe einerseits und Unwirksamkeit einer Zinsänderungsklausel anderseits entstandene Vertragslücke
durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Maßgeblich sei der hypothetische Wille, welche Regelung von den Parteien in Kenntnis der Unwirksamkeit der vereinbarten Zinsänderungsklausel nach dem Vertragszweck und bei
angemessener Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner gewählt worden wäre. Der beauftragte Sachverständige habe bei Beachtung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
und der Kriterien Art des Vertrags, Laufzeit und Referenzzinssatz unter Berücksichtigung beiderseitiger Interessen einen Saldo in Höhe von 597,44 € berechnet. Dagegen seien von den Parteien keine Einwände erhoben worden. Auch
das Berufungsgericht habe keine Bedenken gegen das Sachverständigengutachten, welches nach den Kriterien des Bundesgerichtshofs nachvollziehbar
darlege, wie sich im vorliegenden Fall ein markt- und interessengerechter Zinssatz berechne. Der Kläger habe weiter gemäß §§ 280, 286 BGB einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von
-7-
147,56 € berechnet aus einem Streitwert von 597,44 € sowie einen Anspruch
auf Freistellung von hierauf anfallenden Rechtshängigkeitszinsen.
II.
13
Die Entscheidung hält einer rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
14
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der
Kläger keinen Anspruch auf Verzinsung seines Sparguthabens für den streitgegenständlichen Zeitraum vom Vertragsschluss bis zum März 2013 zu dem unveränderten anfänglichen Zinssatz von 3,5% p.a. hat. Denn die Parteien haben
in dem Sparvertrag unstreitig einen variablen Zinssatz vereinbart (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Juni 2008 - XI ZR 211/07, WM 2008, 1493 Rn. 16).
15
2. In dem im Jahr 1998 geschlossenen Sparvertrag, auf den gemäß
Art. 229 § 5 Satz 2 BGB seit dem 1. Januar 2003 das Bürgerliche Gesetzbuch
in der dann geltenden Fassung anzuwenden ist, haben die Parteien aber keine
wirksame Regelung zu den Modalitäten der danach erforderlichen Anpassung
des Zinssatzes getroffen.
16
a) Die Parteien haben, wovon das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes zu Recht ausgegangen
ist, die in den Sonderbedingungen der Beklagten für den "S.
-
Vermögensplan", bei denen es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im
Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt, enthaltene Zinsänderungsklausel
nicht wirksam in den Vertrag einbezogen, da der Kläger entgegen
§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht die Möglichkeit hatte, in zumutbarer Weise von
ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen.
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17
Der Senat hat die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobene
Verfahrensrüge geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO).
18
b) Selbst wenn die in den Sonderbedingungen der Beklagten enthaltene
Zinsänderungsklausel in den Vertrag einbezogen worden wäre, wäre sie wegen
eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB unwirksam, weil sie nicht das erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen aufweist (vgl.
Senatsurteile vom 17. Februar 2004 - XI ZR 140/03, BGHZ 158, 149, 153 ff.,
vom 10. Juni 2008 - XI ZR 211/07, WM 2008, 1493 Rn. 12, vom 13. April 2010
- XI ZR 197/09,
BGHZ 185, 166
Rn. 15 und vom 21. Dezember 2010
- XI ZR 52/08, WM 2011, 306 Rn. 11).
19
3. Das Berufungsgericht ist im Anschluss zu Recht davon ausgegangen,
dass die jedenfalls bestehende Regelungslücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließen ist. Weder kommt ein Rückgriff auf die §§ 316,
315 BGB mit der Folge eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Klägers in Betracht, noch steht der Beklagten nach § 315 Abs. 1 BGB ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht zu (vgl. Senatsurteil vom 23. April 2010
- XI ZR 197/09, BGHZ 185, 166 Rn. 18 f. mwN).
20
4. Zutreffend hat das Berufungsgericht weiter angenommen, dass die im
Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelten Zinsanpassungen nicht
deswegen unwirksam sind, weil sie dem Kläger nicht schon vor dem jeweiligen
Geltungszeitraum mitgeteilt worden sind.
21
a) Der von der Revision dafür in Anspruch genommene zweite Satz der
Zinsänderungsklausel ist als Teil der gesamten Klausel - wie oben dargestellt ebenfalls nicht wirksam in den Sparvertrag einbezogen worden.
-9-
22
b) Unabhängig davon wäre die Zinsänderungsklausel, wenn sie in den
Vertrag einbezogen worden wäre, wegen des Verstoßes gegen § 308 Nr. 4
BGB
insgesamt
unwirksam
(vgl.
Senatsurteil
vom
17. Februar
2004
- XI ZR 140/03, BGHZ 158, 149, 159).
23
Zwar kann im Rahmen der Inhaltskontrolle einer Formularklausel, die
mehrere sachliche, nur formal verbundene Regelungen enthält und sich aus
ihrem Wortlaut heraus verständlich und sinnvoll in einen inhaltlich und gegenständlich zulässigen und in einen unzulässigen Regelungsteil trennen lässt, mit
ihrem zulässigen Teil aufrechterhalten werden (Senatsurteil vom 5. Mai 2015
- XI ZR 214/14, BGHZ 205, 220 Rn. 21 mwN). Diese Teilbarkeit ist hier aber
nicht gegeben. Ohne das einseitige Leistungsbestimmungsrecht besitzt der
zweite Satz der einheitlichen Klausel für sich gesehen keinen eigenständig
sinnvollen Regelungsgehalt.
24
c) Eine Bekanntgabe des geänderten Zinssatzes ist auch sachlich nicht
erforderlich. Denn die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu ermittelnden Parameter für eine Zinsänderung in Anknüpfung an einen Referenzzinssatz ermöglichen es den Parteien, selbstständig den jeweils geltenden
Zinssatz in gleicher Weise wie bei einer Zinsgleitklausel zu bestimmen, bei der
eine automatische Zinsanpassung ohne eine Erklärung einer der Vertragsparteien erfolgt (vgl. MünchKommBGB/Berger, 7. Aufl., § 488 Rn. 171; Schürmann
in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 70 Rn. 24;
BeckOKG/C. Weber, Stand 1. Februar 2017, § 488 BGB Rn. 262).
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Ein Ermessensspielraum, der eine Erklärung über die Ausübung des Ermessens erfordern könnte, steht der Beklagten dabei nicht zu. Besteht nämlich
keine Befugnis der Beklagten, einseitig die Parameter für eine Neuberechnung
der Zinsen festzulegen, ist auch kein Raum für deren geschäftspolitisches Er-
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messen. Vielmehr hat - wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend
erkannt hat - das Gericht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung Anpassungsmaßstab und -modus in der Weise zu bestimmen, dass dem Erfordernis
der Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit von Zinsänderungen genügt ist (vgl.
Senatsurteile vom 13. April 2010 - XI ZR 197/09, BGHZ 185, 166 Rn. 19 und
vom 21. Dezember 2010 - XI ZR 52/08, WM 2011, 306 Rn. 17).
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d) Ungeachtet dessen würde, wie das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend erkannt hat, ein Bekanntgabeerfordernis als Wirksamkeitsvoraussetzung zu keiner interessengerechten Schließung der planwidrigen Regelungslücke führen. Zwar ist im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung auf den
hypothetischen Willen der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl., § 157 Rn. 7). Dieser kann aber
nicht darauf gerichtet sein, einer Partei Unmögliches abzuverlangen. Dazu käme es aber, wenn eine Zinsänderung für zurückliegende Zeiträume nur dann
wirksam wäre, wenn die Beklagte dem Kläger bereits in der Vergangenheit das
Ergebnis der erst im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung zu bestimmenden Zinsanpassung bekannt gegeben hätte.
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5. Rechtsfehlerhaft hat es das Berufungsgericht vor diesem Hintergrund
aber unterlassen, die planwidrige Regelungslücke im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB zu schließen. Die ergänzende
Auslegung ist als Teil der rechtlichen Würdigung vom Richter selbst durchzuführen (Senatsurteil vom 13. April 2010 - XI ZR 197/09, BGHZ 185, 166
Rn. 19), der die für die Auslegung bedeutsamen Tatsachen durch Beweisaufnahme - hier durch schriftliches Sachverständigengutachten - klären kann (Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl., § 133 Rn. 29; Staudinger/Herbert Roth, BGB,
Neubearb. 2015, § 157 Rn. 51).
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Zwar hat das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der in der Senatsrechtsprechung aufgestellten Grundsätze die Notwendigkeit einer ergänzenden
Vertragsauslegung zutreffend erkannt. Es hat sich bei seiner Entscheidung aber
darauf beschränkt, das Ergebnis des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens wiederzugeben, demzufolge der Sachverständige unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Art des Vertrags,
seiner Laufzeit und des Referenzzinssatzes einen Saldo in Höhe von 597,44 €
berechnet habe.
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Dies stellt keine ergänzende Vertragsauslegung durch das Berufungsgericht dar. Denn es hat nicht selbst entschieden, welche Regelung zur Zinsanpassung die Parteien in Kenntnis der Regelungslücke nach dem hier vorliegenden Vertragszweck und angemessener Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) als redliche Vertragspartner - etwa
zum Referenzzins und zur Anpassungsschwelle unter gleichzeitiger Wahrung
des Äquivalenzprinzips - getroffen hätten (vgl. dazu Senatsurteil vom 13. April
2010 - XI ZR 197/09, BGHZ 185, 166 Rn. 21 ff.). Die pauschale Bezugnahme
des Berufungsgerichts auf das Ergebnis des im Berufungsverfahren erholten
schriftlichen Sachverständigengutachtens kann eine solche vom Richter vorzunehmende Würdigung schon deswegen nicht ersetzen, weil es sich bei der Vertragsauslegung um eine Rechtsfrage handelt, die einer Begutachtung durch
Sachverständige nicht zugänglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2004
- VII ZR 75/03, NJW-RR 2004, 1248, 1249 f.; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl.,
§ 402 Rn. 1).
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Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist insoweit auch nicht
der Anwendungsbereich der Präklusion nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO i.V.m.
§ 296 Abs. 1 ZPO eröffnet, weil es sich nicht um gegen das Sachverständigengutachten gerichtete Angriffs- und Verteidigungsmittel, sondern um eine Frage
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der Rechtsanwendung handelt (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 282
Rn. 2b; Hk-ZPO/Saenger, 7. Aufl., § 296 Rn. 8).
III.
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Das Berufungsurteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur abschließenden Entscheidung reif ist, ist sie an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
32
1. Vom Berufungsgericht werden im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach Maßgabe der einschlägigen Senatsrechtsprechung die Parameter einer Zinsanpassung festzustellen sein, die in sachlicher und zeitlicher
Hinsicht dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprechen (vgl. Senatsurteile vom
13. April
2010
- XI ZR 197/09,
BGHZ 185,
166
Rn. 21
ff.
und
vom
21. Dezember 2010 - XI ZR 52/08, WM 2011, 306 Rn. 21 ff.).
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In diesem Zusammenhang wird bei der Bestimmung des Referenzzinssatzes zu berücksichtigen sein, dass - worauf die Revision zutreffend hinweist ein Referenzzinssatz für langfristige Spareinlagen heranzuziehen sein wird.
Denn der Sparvertrag hat eine Laufzeit von 25 Jahren. Zwar ist der Kläger nach
der Sperrfrist von 24 Monaten zu einer ordentlichen Kündigung des Vertrags mit
einer Frist von drei Monaten berechtigt. Dies stellt für ihn aber keine wirtschaftlich vernünftige Handlungsoption dar, da er die volle Prämie von 50% der jährlichen Sparleistungen erst ab dem 15. Jahr bis zum Ende der Vertragslaufzeit
erhält (vgl. dazu Senatsurteile vom 13. April 2010 - XI ZR 197/09, BGHZ 185,
166 Rn. 22 und vom 21. Dezember 2010 - XI ZR 52/08, WM 2011, 306 Rn. 22).
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2. Eine Freistellung von Zinsen neben der vom Kläger beantragten Freistellung von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten kommt unter dem
Gesichtspunkt eines Schadensersatzes wegen Verzugs in der beantragten Höhe nur in Betracht, wenn der Kläger seinerseits gegenüber seinen Prozessbevollmächtigten zur Zahlung von Zinsen in gerade dieser Höhe verpflichtet ist,
denn der geltend gemachte Freistellungsanspruch stellt für sich keine Geldschuld im Sinne von § 288 Abs. 1, § 291 Satz 1 BGB dar. Entsprechende Feststellungen sind vom Berufungsgericht bislang nicht getroffen worden.
Ellenberger
Grüneberg
Menges
Maihold
Derstadt
Vorinstanzen:
AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 03.04.2014 - 30 C 3499/13-24 LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 16.10.2015 - 2-15 S 74/14 -