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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XI ZR 140/09
vom
9. Februar 2010
in dem Rechtsstreit
-2-
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Wiechers, den Richter Dr. Joeres, die Richterin Mayen und die Richter
Dr. Grüneberg und Maihold
am 9. Februar 2010
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil
des
17. Zivilsenats
des
Oberlandesgerichts
München
vom
23. März 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens und
die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 60.151,77 €
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten zu 2), einer Bank (im Folgenden:
1
Beklagte), Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage bei der
V.
KG,
(im Folgenden: Filmfonds).
2
Der Kläger ist langjähriger Kunde der Beklagten. Mit Zeichnungsschein
vom 28. November 2000 beteiligte er sich mit einer Kommanditeinlage über
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100.000 DM zuzüglich 5.000 DM Agio an dem Filmfonds. Auf diese Kapitalanlage war der Kläger von der Zeugin S.
, einer Mitarbeiterin der Beklagten,
aufmerksam gemacht worden. Bei dem Gespräch war dem Kläger auch der
Verkaufsprospekt des Filmfonds ausgehändigt worden. In der Folgezeit erhielt
der Kläger Ausschüttungen des Fonds in Höhe von 1.533,88 €. Im Jahr 2002
geriet der Filmfonds in eine wirtschaftliche Schieflage.
3
Der Kläger hält den Verkaufsprospekt hinsichtlich der Belehrung über die
Risiken der Anlage, insbesondere das Risiko eines Totalverlustes, für fehlerhaft. Die Zeugin S.
habe diesen Fehler nicht richtig gestellt. Vielmehr ha-
be sie erläutert, der Fonds sei besonders gesichert und eine - unstreitig nicht
abgeschlossene - Erlösausfallversicherung werde eintreten, falls ein Film nicht
erfolgreich sein werde. Die Beklagte behauptet, den Kläger auf das Totalausfallrisiko hingewiesen zu haben.
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Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten - unter Abzug der
Ausschüttungen - die Rückzahlung der Beteiligungssumme von 52.151,77 €
nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Ansprüche aus seiner
Beteiligung an dem Filmfonds und die Feststellung, dass die Beklagte den Kläger von etwaigen Nachteilen freizustellen hat, die dieser dadurch erleidet, dass
er die Schadensersatzleistung im Jahre des Zuflusses zu einem höheren
Steuersatz als im Jahr 2000 zu versteuern hat.
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Das Landgericht hat der Klage gegen die Beklagte bis auf einen Teil der
Zinsen stattgegeben, weil es aufgrund der Anhörung des Klägers und der Aussage der Zeugin S.
ein Aufklärungsdefizit über das im Prospekt zu positiv
gezeichnete Bild von der Sicherheit der Anlage angenommen hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Dies hat es im Wesentlichen wie folgt be-
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gründet: Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung des zwischen den Parteien im November 2000 zustande gekommenen Anlagevermittlungsvertrages. Zwar sei der Fondsprospekt
im Hinblick auf die Risikodarstellung fehlerhaft, weil dieser das Gesamtbild eines nur begrenzten wirtschaftlichen Risikos vermittle, obwohl ein Totalverlustrisiko bestehe. Nach dem Ergebnis der vor dem Landgericht erfolgten Beweisaufnahme sei aber erwiesen, dass die Zeugin S.
den Kläger bei dem
Vermittlungsgespräch auf das Risiko eines Totalverlustes hingewiesen habe.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
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Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl.
Senatsbeschlüsse, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom 18. Januar 2005 - XI ZR
340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen,
dass der Fondsprospekt fehlerhaft ist, weil der Prospekt bei einer Gesamtschau
hinsichtlich des Risikos eines Totalverlusts einen unrichtigen Eindruck vermittelt
(vgl. BGH, Urteile vom 14. Juni 2007 - III ZR 125/06, WM 2007, 1503, Tz. 15
und vom 6. März 2008 - III ZR 298/05, WM 2008, 725, Tz. 22). Damit steht die
Pflichtverletzung des Anlageberaters aufgrund der Übergabe des falschen
Prospektes fest (Senatsbeschluss vom 17. September 2009 - XI ZR 264/08,
-5-
BKR 2009, 471, Tz. 5). Sie entfällt nur dann, wenn er diesen Fehler berichtigt
hat. Dafür, dass er dies getan hat, ist der Anlageberater und nicht etwa der Anleger beweispflichtig (Senatsbeschluss aaO). Soweit das Berufungsgericht nicht
geprüft hat, ob nach den Grundsätzen des Bond-Urteils (Senat BGHZ 123, 126,
128) von dem Zustandekommen eines Anlageberatungsvertrages statt des von
ihm angenommenen Anlagevermittlungsvertrages auszugehen ist, hat sich dies
nicht entscheidungserheblich ausgewirkt.
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2. Das Berufungsgericht hat indes den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil es zur Beantwortung der
Frage, ob die Beklagte den Prospektfehler in dem Beratungsgespräch mit dem
Kläger richtig gestellt hat, die erstinstanzlich vernommene Zeugin entgegen
§ 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO nicht erneut vernommen hat, obwohl es
deren Aussage anders gewürdigt hat als das Landgericht.
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a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich
an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten (vgl. BVerfG,
NJW 2005, 1487; BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR
2009, 1291, Tz. 5). Insbesondere muss das Berufungsgericht die bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es deren Aussagen anders würdigen will als die Vorinstanz (BGH,
Urteile vom 28. November 1995 - XI ZR 37/95, WM 1996, 196, 198 und vom
8. Dezember 1999 - VIII ZR 340/98, NJW 2000, 1199, 1200). Die nochmalige
Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das
Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit,
das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (BGH, Urteile
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vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285, 3286 und vom 10. März
1998 - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223). Ein solcher Ausnahmefall liegt
hier entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung nicht vor. Insoweit ist
auch unschädlich, dass die Beschwerde nicht ausdrücklich die Verletzung der
§ 398 Abs. 1, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gerügt hat; es genügt, dass sie die abweichende Beweiswürdigung des Berufungsgerichts beanstandet und hierin
eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103
Abs. 1 GG sieht.
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b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Das
Landgericht hat den von der Beklagten zu erbringenden Beweis über die Berichtigung des Prospektfehlers als nicht geführt angesehen. Es hat die Aussage
der von ihm vernommenen Zeugin S.
dahin gewürdigt, dass sie den Klä-
ger anhand des Prospekts beraten und sie damit dem in dem Prospekt zu positiv gezeichneten Bild von der Sicherheit der Anlage nicht entgegengewirkt habe.
Aufgrund dessen hat das Landgericht ausdrücklich ein Aufklärungsdefizit festgestellt. Das Berufungsgericht hat demgegenüber gemeint, dass sich der Aussage der Zeugin eine ausreichende Aufklärung über das Totalausfallrisiko entnehmen lasse. Somit hat das Berufungsgericht die Zeugenaussage ebenfalls
für ergiebig erachtet, aber abweichend gewürdigt, ohne sich durch erneute Vernehmung der Zeugin einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Zudem hätte es in
diesem Fall auch den Kläger, der eine solche Aufklärung bei seiner Anhörung
vor dem Landgericht verneint hat, aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit nochmals anhören müssen (vgl. BVerfG, NJW 2001, 2531; 2008,
2170, 2171).
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c) Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen
Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die Zeugin erneut vernom-
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men und auch den Kläger nochmals angehört hätte. Sollte danach von einem
Beratungsfehler der Beklagten auszugehen sein, könnte sich der Kläger in Bezug auf die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung auf die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens berufen. Es obliegt dann dem Aufklärungspflichtigen, hier
also der Beklagten, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben hätte, er also
den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte (vgl. BGHZ 61, 118, 122;
124, 151, 159 f.; Senatsurteil vom 12. Mai 2009 - XI ZR 586/07, WM 2009,
1274, Tz. 22). Das Verschulden der Beklagten ist gemäß § 282 BGB aF (§ 280
Abs. 1 Satz 2 BGB nF) zu vermuten, so dass sich die Beklagte insoweit entlasten muss (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 17. September 2009 - XI ZR
264/08, BKR 2009, 471, Tz. 6 ff.). Die übrigen Anspruchsvoraussetzungen hat
der Kläger ebenfalls schlüssig dargelegt.
Wiechers
Joeres
Grüneberg
Mayen
Maihold
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 22.07.2008 - 28 O 19706/07 OLG München, Entscheidung vom 23.03.2009 - 17 U 4337/08 -