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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
X ZR 32/99
URTEIL
in dem Rechtsstreit
Verkündet am:
13. November 2001
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
PatG 1981 §§ 9, 12
Biegevorrichtung
Dem Vorbenutzer sind Weiterentwicklungen, die über den Umfang der bisherigen Benutzung hinausgehen, jedenfalls dann verwehrt, wenn sie in den Gegenstand der im Patent unter Schutz gestellten Erfindung eingreifen.
BGH, Urt. v. 13. November 2001 - X ZR 32/99 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
-2-
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2001 durch den Richter Prof. Dr. Jestaedt als
Vorsitzenden, die Richter Dr. Melullis, Scharen, die Richterin Mühlens und den
Richter Dr. Büscher
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 14. Januar 1999 verkündete Urteil des
2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird mit der
Maßgabe zurückgewiesen, daß unter Teilaufhebung des angefochtenen Urteils der Tenor des am 24. Juni 1997 verkündeten Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt wird:
I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft
bis zu sechs Monaten, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs
Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,
tragbare Vorrichtungen zum Biegen von Rohren mit einer
scheibenabschnittförmigen Biegematrize, deren Umfang eine
Nut von halbkreisförmigem, dem zu biegenden Rohr entsprechenden Querschnitt aufweist, an der ein Rohrhalter befestigt
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ist und die drehantreibbar ist, mit einer in Rohrzuführrichtung
sich erstreckenden Gegenmatrize, auf deren der Biegematrize
zugekehrten Seite eine Nut mit einem dem zu biegenden Rohr
angepaßten Querschnitt vorgesehen ist, und mit einem die
Gegenmatrize abstützenden Halteglied, durch das die Gegenmatrize gegenüber der Biegematrize verstellbar ist,
herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder
zu besitzen,
bei denen die Nut der Gegenmatrize einen an deren Eingangskante beginnenden Abschnitt, in dem der Radius des
Nutquerschnitts dem des zu biegenden Rohres bzw. dem der
Nut der Biegematrize entspricht, und einen weiteren Abschnitt
aufweist, der an der - gegenüberliegenden - Ausgangskante
mit einem Radius des Nutquerschnitts beginnt, der kleiner ist
als der Radius des an der Eingangskante beginnenden Abschnitts, und der sich stetig auf den Radius des letztgenannten Abschnitts erweitert;
2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang
sie die zu I. 1. bezeichneten Handlungen begangen haben,
und zwar unter Angabe
a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
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b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen
sowie den Namen und Anschriften der jeweiligen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen
sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und
Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten
Entstehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei sich die Verpflichtung zur Rechnungslegung für die Zeit
vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt sowie
die Angaben vorstehend zu e) von der Beklagten zu 1 für die
Zeit seit dem 4. September 1994 und die Angaben vorstehend
zu a) bis e) von der Beklagten zu 2 nur für die Zeit vom
4. September 1994 bis zum 24. Oktober 1996 zu machen
sind.
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II. Es wird festgestellt,
1. daß die Beklagte zu 1 verpflichtet ist, der Klägerin für die
zu I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 14. November 1982 bis
zum 3. September 1994 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen, wobei sich die Verpflichtung für die Zeit vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in
dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum
2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt,
2. daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der
Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1.
bezeichneten, in der Zeit vom 4. September 1994 bis zum
24. Oktober 1996 begangenen Handlungen entstanden ist
und noch entstehen wird,
3. daß die Beklagte zu 1 weiter verpflichtet ist, der Klägerin allen
Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten,
seit dem 25. Oktober 1996 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III.Im übrigen ist der Rechtsstreit hinsichtlich des Antrages auf
Rechnungslegung in der Hauptsache erledigt.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.
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Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Klägerin ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme italienischer Prioritäten vom 16. März 1981, 12. November 1981 und 8. Februar 1982 am
16. März 1982 angemeldeten deutschen Patents 32 09 536 (Klagepatents), das
eine tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren betrifft.
Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet:
"Tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren, mit einer scheibenabschnittförmigen Biegematrize, deren Umfang eine Nut von
halbkreisförmigem, dem zu biegenden Rohr entsprechenden Querschnitt aufweist, an der ein Rohrhalter befestigt ist und die drehantreibbar ist, mit einer in Rohrzuführrichtung sich erstreckenden Gegenmatrize, auf deren der Biegematrize zugekehrten Seite eine Nut
mit einem dem zu biegenden Rohr angepaßten Querschnitt vorgesehen ist, und mit einem die Gegenmatrize abstützenden Halteglied, durch das die Gegenmatrize gegenüber der Biegematrize
verstellbar ist,
dadurch gekennzeichnet ,
daß die Nut der Gegen-
matrize (218) einen an deren Eingangskante (218') beginnenden
Abschnitt (245), in dem der Radius (y) des Nutquerschnitts dem
des zu biegenden Rohrs (t) bzw. dem der Nut (214) der Biegematrize (213) entspricht, und einen weiteren Abschnitt (246) aufweist,
der an der - gegenüberliegenden - Ausgangskante (218") mit einem Radius (x) des Nutquerschnitts beginnt, der kleiner ist als der
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Radius des an der Eingangskante beginnenden Abschnitts, und
der sich stetig auf den Radius des letztgenannten Abschnitts erweitert."
Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführerin bis zum 24. Oktober 1996
die Beklagte zu 2 war, bezog in der Vergangenheit von der Klägerin elektrisch
betriebene tragbare Rohrbiegemaschinen und vertrieb diese. Seit 1988 stellt
sie selbst solche Rohrbiegemaschinen her und vertreibt sie. Die Klägerin sieht
hierin eine Verletzung des Klagepatents. Sie hat die Beklagten auf Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Die Beklagten haben sich auf ein privates Vorbenutzungsrecht berufen.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer Revision begehren die Beklagten weiterhin die Klageabweisung. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ihre Schadensersatzund Rechnungslegungsansprüche gegen die Beklagte zu 2 im Hinblick auf deren Ausscheiden als Geschäftsführerin der Beklagten zu 1 zum 24. Oktober
1996 auf den Zeitraum bis zum 24. Oktober 1996 beschränkt und das Rechnungslegungsbegehren gegen die Beklagte zu 2 im übrigen in der Hauptsache
für erledigt erklärt. Die Beklagten haben sich der Erledigungserklärung nicht
angeschlossen.
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Entscheidungsgründe:
Nachdem die Klägerin ihr Rechnungslegungs- und Schadensfeststellungsbegehren unter Erklärung einer Teilerledigung des Rechtsstreits beschränkt hat, war der Tenor des landgerichtlichen Urteils entsprechend anzugleichen.
Die Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat
zu Recht die auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatz gerichtete Klage für begründet gehalten, weil die angegriffene Ausführungsform
gemäß Anl. K 6 und K 7 identisch von der Lehre des Patentanspruchs 1 des
Klagepatents Gebrauch mache und den Beklagten ein Vorbenutzungsrecht zur
Benutzung der Lehre des Klagepatents im Sinne von § 12 Abs. 1 PatG nicht
zustehe.
I. 1. Das Klagepatent betrifft eine tragbare Vorrichtung zum Biegen von
Rohren.
Solche Rohrbiegemaschinen besitzen eine scheibenabschnittförmige
Biegematrize mit einer Nut, an der ein Rohrhalter befestigt ist, und eine Gegenmatrize mit einem dem zu biegenden Rohr angepaßten Querschnitt. Eine
solche Vorrichtung ist ausweislich der Klagepatentschrift (Sp. 1 Z. 32-38) aus
der US-Patentschrift 2 955 638 bekannt, bei der Matrize und Gegenmatrize
zusammen mit dem zu biegenden Rohr vorwärts bewegt werden. Die
US-Patentschrift 2 762 415 beschreibt eine Rohrbiegevorrichtung mit einer
Gleitschuh-Gegenmatrize, die auf ihrer ganzen Länge einen gleichbleibenden
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halbkreisförmigen Querschnitt aufweist, und bei der der Rohrhalter als Haken
ausgebildet ist (Sp. 1 Z. 39-43). Wie die Klagepatentschrift weiter ausführt
(Sp. 1 Z. 44-60), befriedigen diese Biegemaschinen jedoch nicht. Beim Biegen
habe ein ungleichmäßiges Dehnen des Rohres, das auch eventuell erst nach
einiger Zeit seine Wirkung zeige, nicht vermieden werden können. Bei der
Verwendung von dehnungsempfindlichem Material hätten am Rohr während
des Biegevorgangs Fehler und Knicke bzw. Runzeln entstehen können; auch
ein Abflachen des gebogenen Rohres sei bisweilen aufgetreten. Diese Effekte
aus der ungleichmäßigen Dehnung seien beispielsweise mit großer Wah rscheinlichkeit aufgetreten, wenn Rohre aus hartem Kupfer hätten gebogen
werden müssen. Während des Biegevorgangs habe die Bedienungsperson
dann die Biegevorrichtung mit größter Aufmerksamkeit bedienen müssen, so
daß der Biegevorgang mit den bekannten Biegemaschinen, die im allgemeinen
von Hand gesteuert würden, niemals sehr schnell habe durchgeführt werden
können.
Der Erfindung liegt nach der Klagepatentschrift (Sp. 2 Z. 3-10) das Problem zugrunde, eine tragbare Vorrichtung zum Biegen bzw. eine Rohrbiegemaschine zur Verfügung zu stellen, die es ermöglicht, Rohre auch im Bereich
ungünstigster Material-, Abmessungs- und Biegeparameter so zu biegen, daß
der kreisförmige Rohrquerschnitt erhalten bleibt, also die oben genannten unerwünschten Verformungen nicht auftreten, und eine ungleichmäßige Dehnung
des Rohres vermieden wird.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Lösung nach Patentanspruch 1 in der Kombination folgender Merkmale besteht:
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1. Tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren
2. mit einer scheibenabschnittförmigen Biegematrize,
a) deren Umfang eine Nut von halbkreisförmigem, dem zu
biegenden Rohr entsprechenden Querschnitt aufweist,
b) an der ein Rohrhalter befestigt ist,
3. und die drehantreibbar ist,
4. mit einer in Rohrzuführrichtung sich erstreckenden Gegenmatrize,
a) auf deren der Biegematrize zugekehrten Seite eine Nut mit
einem dem zu biegenden Rohr angepaßten Querschnitt
vorgesehen ist,
5. und mit einem die Gegenmatrize abstützenden Halteglied,
durch das die Gegenmatrize gegenüber der Biegematrize feststellbar ist.
6. Die Nut der Gegenmatrize 218 weist einen an deren Eingangskante 218' beginnenden Abschnitt 245 auf,
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a) in dem der Radius y des Nutquerschnitts dem des zu biegenden Rohres t dem der Nut 214 der Biegematrize 213
entspricht,
7. und einen weiteren Abschnitt 246,
a) der an der gegenüberliegenden Ausgangsseite 218" mit einem Radius x des Nutquerschnitts beginnt,
b) der kleiner ist als der Radius des an der Eingangskante
beginnenden Abschnittes und
c) der sich stetig auf den Radius des letztgenannten Abschnittes erweitert.
Ein Ausführungsbeispiel dieser Lehre zeigt die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 der Klagepatentschrift:
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2. Das Berufungsgericht hat eine Rechtfertigung der Nutzung der mit der
Klage angegriffenen Ausführungsform, die den Patentanspruch 1 des Klagepatents identisch verwirklicht, verneint, weil den Beklagten kein privates Vorbenutzungsrecht nach § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG zustehe. Dazu hat es im wesentlichen ausgeführt: Schon nach dem eigenen Sachvortrag der Beklagten
lasse sich nicht feststellen, daß die Beklagte zu 1 im Prioritätszeitpunkt des
Klagepatents sich im Erfindungsbesitz einer technischen Lehre befunden habe,
wie sie der Patentanspruch 1 des Klagepatents beschreibe. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Beklagte zu 1 ab 1980 eine Handbiegeeinrichtung vertrieben hat, die wie aus dem nachstehend wiedergegebenen
Prospekt ersichtlich ausgestaltet gewesen ist:
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Dieses Biegegerät verwirkliche zwar die Merkmale 1, 2 und 4 bis 7 des
Klagepatents, es fehle aber Merkmal 3, wonach die Biegematrize drehantreibbar sei. Vielmehr weise die angebliche Vorbenutzung eine feststehende Biegematrize auf. Bei diesem Gerät sei nicht die Biegematrize drehantreibbar,
sondern der Biegegleitschuh, der mittels eines Hebels und einer Griffstange
von Hand drehantreibbar sei. Damit sei die angeblich vorbenutzte Vorrichtung
nicht den Weg der aus den 50iger Jahren bekannten US-Patentschrift
2 762 415 gegangen, sondern den Weg des im Jahre 1979 angemeldeten
deutschen Gebrauchsmusters 79 03 552. Es könne dahinstehen, ob eine Maßnahme, anstelle des Biegegleitschuhs die Biegematrize drehantreibbar auszubilden, für den Durchschnittsfachmann des Prioritätstages nahegelegen habe.
Selbst wenn dies so sein sollte, seien die Beklagten nicht berechtigt gewesen,
die erstmals durch die Erfindung nach dem Klagepatent offenbarte Kombination des Merkmals 3 mit den Merkmalen 1, 2, 4 bis 7 in Gebrauch zu nehmen;
das Vorbenutzungsrecht umfasse grundsätzlich nur diejenige Benutzungsweise
oder Ausführungsform, die der Begünstigte tatsächlich benutzt oder zu deren
alsbaldiger Benutzung er die erforderlichen Veranstaltungen getroffen habe.
Die Beklagten könnten sich auch nicht darauf berufen, ein Vorbenutzungsrecht
umfasse jedenfalls auch solche Abwandlungen der genutzten Ausführung, die
im Bereich des platt Selbstverständlichen lägen, eine Abwandlung dahin, anstelle des Biegeschuhs die Biegematrize drehantreibbar auszubilden, falle als
bloße kinematische Umkehr in die Kategorie der platten Selbstverständlichkeit.
Die mit Merkmal 3 gelehrte Maßnahme betreffe eine technische zweckmäßige
Lehre, die möglicherweise naheliegend erscheine, aber jedenfalls nicht platt
selbstverständlich sei.
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II. Dies greift die Revision ohne Erfolg an.
1. Entgegen der Auffassung der Revision läßt die Auslegung des Klagepatents durch das Berufungsgericht keinen revisionsrechtlich zu beanstandenden Fehler erkennen.
Zutreffend ist zwar die Auffassung der Revision, daß Gegenstand des
Klagepatents eine tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren ist und daß
nach dem in der Klagepatentschrift geschilderten Stand der Technik unter diesen Gattungsbegriff sowohl Rohrbiegemaschinen mit stationärer Biegematrize
und beweglicher Gegenmatrize als auch Vorrichtungen mit stationärer Gegenmatrize und beweglicher Biegematrize fallen. Zutreffend ist ferner, daß die
US-Patentschrift 2 762 415 wie das Klagepatent mit einer drehantreibbaren
Biegematrize arbeitet und ausweislich Fig. 1 (Bezugszeichen 63) für den
Handbetrieb vorgesehen ist (vgl. auch Sp. 3 Z. 17 ff.). Der Gegenstand der Erfindung besteht - auch darin ist der Revision zu folgen - in der besonderen
Ausgestaltung der Gegenmatrize, die unabhängig davon angewendet werden
kann, ob die Biegematrize oder die Gegenmatrize drehantreibbar ist.
Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich aus den Ausführungen
des Berufungsgerichts aber nicht, daß es für den Biegevorgang einen Unterschied macht, ob die Biegematrize oder die Gegenmatrize bewegt wird. Das
Berufungsgericht hat die Funktion der Gegenmatrize nach der erfindungsgemäßen Lehre zutreffend beschrieben. Es hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß
die Gegenmatrize das zur Biegung des Rohres erforderliche Gegenlager bildet
und die eigentliche Biegevorrichtung durch die drehantreibbare Biegematrize
herbeigeführt wird. Die Gegenmatrize soll das zu biegende Rohr nur dazu
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zwingen, diesem Biegevorgang nachzugeben. Daß diese Feststellungen des
Berufungsgerichts nicht zutreffen, hat die Revision nicht dargetan. Ob die Gegenmatrize die gleiche Funktion auch bei einer Vorrichtung erfüllt, bei der die
Gegenmatrize, nicht aber die Biegematrize, beweglich ist, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Eine solche Feststellung war angesichts der konkreten Ausgestaltung der Erfindung auch nicht erforderlich.
2. Die Revision kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dem Merkmal 3 komme für die technische Lehre keine entscheidende Bedeutung zu. Die
Revision meint, für den Fachmann habe es am Prioritätstag aufgrund des auch
in der Klagepatentschrift mitgeteilten Standes der Technik ohne weiteres nahegelegen, anstelle des Biegegleitschuhs die Biegematrize drehantreibbar
auszubilden, was beispielsweise aus der US-Patentschrift 2 762 415 bekannt
gewesen sei und auch vom Berufungsgericht unterstellt worden sei. Die freie
Wählbarkeit des drehantreibbar ausgebildeten Teils sei danach nicht nur naheliegend, sondern platt selbstverständlich gewesen. Ein Einfluß auf den Biegevorgang oder das Biegeergebnis sei für den Fachmann nicht ersichtlich. Die
Entscheidung für eine der beiden möglichen Ausführungen stelle sich für ihn
als ebenso beliebig dar wie die Frage, ob bei der Herstellung einer Schraubvorrichtung die Schraube gedreht und die Mutter festgehalten werde oder umgekehrt.
Auch diese Erwägungen vermögen der Revision nicht zum Erfolg zu
verhelfen. Gegenstand des Klagepatents ist die Kombination der Merkmale 1
bis 7 in ihrer Gesamtheit. Auf das Gewicht einzelner Merkmale kommt es nicht
an. Ob der Fachmann dem Merkmal 3 entscheidende Bedeutung beimißt oder
es für beliebig hält, welche der beiden Möglichkeiten - Drehantreibbarkeit des
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Biegegleitschuhs oder der Biegematrize - er wählt, ist nicht entscheidend. Der
Erfinder hat dadurch, daß er bei seiner Erfindung die Drehantreibbarkeit der
Biegematrize vorgesehen hat, seine Wahl getroffen.
3. a) Die Revision rügt schließlich, das Berufungsgericht habe zu Unrecht ein Vorbenutzungsrecht der Beklagten verneint. Bei der Prüfung des
sachlichen Umfangs eines Vorbenutzungsrechts dürfe nicht unberücksichtigt
bleiben, daß über den Begriff des Erfindungsbesitzes auch eine subjektive
Komponente maßgebend sei. Habe der Vorbesitzer die technische Lehre des
später angemeldeten Patents erkannt und sei dies in der Vorbenutzung zum
Ausdruck gekommen, umfasse das Vorbenutzungsrecht nicht nur die konkret
vorbenutzte Ausführungsform, sondern erstrecke sich auf die Erfindung jedenfalls im Umfang des Erfindungsbesitzes. Das Vorbenutzungsrecht der Beklagten zu 1 umfasse deshalb den Einsatz eines Biegegleitschuhs mit den kennzeichnenden Merkmalen 6 und 7 bei Biegemaschinen, die nach dem erörterten
Stand der Technik mit einer Biegematrize mit Rohrhalterung und einer Gegenmatrize ausgestattet seien, wobei eine der Matrizen drehantreibbar sei. Bei der
Benutzung der angegriffenen Ausführungsform gehe es nicht um die Benutzung eines weiteren Merkmals, wie das Berufungsgericht annehme. Vielmehr
unterscheide sich die geschützte Erfindung von der vorbenutzten Vorrichtung
lediglich durch eine bekannte, platt selbstverständliche Umkehr der Kinematik,
da eine der Matrizen drehantreibbar ausgebildet sei. Von einem weiteren
Merkmal könne daher nicht gesprochen werden.
b) Der Umfang des Vorbenutzungsrechts gemäß § 12 Abs. 1 PatG ist in
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bislang nicht geklärt.
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aa) Das Reichsgericht hat in seiner Rechtsprechung auf den durch die
Tragweite des benutzten Erfindungsgedankens umrissenen Besitzstand abgestellt (RG GRUR 1903, 146 - Kesselböden). Danach hat es als von der Vorbenutzung umfaßt nur diejenige Ausführungsform angesehen, die der Begünstigte
tatsächlich benutzt oder zu deren alsbaldiger Benutzung er die erforderlichen
Veranstaltungen getroffen hat (vgl. z.B. RG GRUR 1932, 66 - Fernverbindung;
RG GRUR 1935, 157, 16 - Zentrifugaldrehzahlregler; RG GRUR 1941, 272
- Lichtregler).
In späteren Entscheidungen hat das Reichsgericht auch die abweichende Ausführung durch das Vorbenutzungsrecht als gedeckt angesehen, wenn
der vorbenutzte Gegenstand einen technischen Gedanken enthalte, der, für
den Fachmann ohne weiteres auf der Hand liegend, über die vorbenutzte
Formgebung hinausgehe und, einmal offenbart, auch in einer abweichenden
Form wiedergegeben werden könne (RGZ 153, 321, 326). Deshalb hat das
Reichsgericht die Benutzung "glatter Gleichwerte" der vorbenutzten Ausführungsform als vom Vorbenutzungsrecht umfaßt angesehen (RGZ 133, 377,
380; 166, 326, 331) und später auch die "patentrechtlichen Gleichwerte" einbezogen (RGZ 166, 326, 332 ff.).
Das Reichsgericht hat aber eine Erstreckung des Vorbenutzungsrechts
auf zweckmäßigere und vollkommenere Ausgestaltungen, die in einem Patent
geschützt sind, verneint (RGZ 133, 377, 381). Der Vorbenutzer habe nicht das
Recht, diejenige Ausführungsform zu benutzen, die gerade der Patentinhaber
gezeigt habe, ohne daß es darauf ankomme, ob diese besondere Ausführungsform gegenüber dem vorbenutzten Erfindungsgedanken erfinderisch sei
(RGZ 133, 377, 380; 153, 321, 326).
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bb) In der neueren Literatur wird die Auffassung vertreten, dem Vorbenutzer sei die bisherige Verwendung unter Einschluß der dem Durchschnittsfachmann ohne weiteres auf der Hand liegenden abweichenden Verwendungen zu gestatten, er dürfe aber nicht auf Verwendungen übergehen, die davon
abwichen und im Patent unter Schutz gestellt seien (Benkard/Bruchhausen,
PatG/GebrMG, 9. Aufl., § 12 PatG Rdn. 22). Abzustellen sei auf den Besitzstand des Vorbenutzers, Schutzbereichsüberlegungen seien im Zusammenhang mit dem Wechsel der Ausführungsform abzulehnen (Eichmann, GRUR
1993, 73). Anstelle von Äquivalenzüberlegungen sei vom objektiven Umfang
des Erfindungsbesitzes auszugehen, wie er sich bei objektiver Würdigung aus
fachmännischer Sicht darstelle (Busse, PatG, 5. Aufl., § 12 Rdn. 43).
cc) Nach § 9 PatG ist (allein) der Patentinhaber oder der von diesem
Ermächtigte befugt, die im Patent unter Schutz gestellte Erfindung zu benutzen; sonstige Dritte sind dauernd von einer solchen Benutzung ausgeschlossen. Diesen Grundsatz schränkt § 12 PatG für einen Sonderfall ein, indem er
diese Wirkung des Patents gegenüber demjenigen nicht eintreten läßt, der die
Erfindung zur Zeit der Anmeldung im Inland bereits in Benutzung genommen
oder die dafür erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte, und diesem zugleich die Befugnis einräumt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines Betriebs
in eigenen oder fremden Werkstätten zu benutzen. Mit dieser Einschränkung
will das Gesetz aus Billigkeitsgründen einen vorhandenen oder bereits angelegten gewerblichen Besitzstand des Vorbenutzers schützen und damit die unbillige Zerstörung in zulässiger, insbesondere rechtlich unbedenklicher Weise
geschaffener Werte verhindern (so bereits RGZ 75, 317, 318 unter Hinweis auf
das Gesetzgebungsverfahren; Benkard/Bruchhausen, aaO; Busse, aaO;
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Schulte, PatG/EPÜ, 6. Aufl., § 12 PatG Rdn. 6; Lindenmaier/Weis, PatG,
6. Aufl., § 7 Rdn. 1; Klauer/Möhring, Patentrechtskommentar, 3. Aufl., § 7
Rdn. 27; Eichmann, aaO). Auf der Grundlage seines erst zu einem späteren
Zeitpunkt in rechtlich relevanter Weise angelegten bzw. geschaffenen Ausschließlichkeitsrechts soll der Patentinhaber nicht auch die Personen von der
Benutzung der unter Schutz gestellten Erfindung ausschließen können, die sie
bereits vorher benutzt oder konkrete Anstalten für eine solche Benutzung getroffen haben. Die Regelung enthält insoweit eine an Billigkeitsgründen orientierte Ausnahme von der umfassenden alleinigen Berechtigung des Patentinhabers.
Dieser Funktion der Regelung entsprechend ist der Vorbenutzer - soweit
es um den vom Patentinhaber hinzunehmenden Eingriff in dessen Alleinbefugnis geht - auf den von der Ausnahme geschützten Besitzstand beschränkt. Ihm
ist eine Benutzung der patentgemäßen Lehre lediglich in dem durch diesen
beschriebenen Umfang eröffnet; Weiterentwicklungen über den Umfang der
bisherigen Benutzung hinaus sind ihm jedoch dann verwehrt, wenn sie in den
Gegenstand der geschützten Erfindung eingreifen. Andernfalls würden seine
Befugnisse in einer von Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung nicht mehr
gedeckten Weise erweitert. Mit der Befugnis zur Benutzung auch solcher Abwandlungen würde zu seinen Gunsten nicht lediglich der bei der Anmeldung
des Patents vorhandene Besitzstand geschützt, sondern dieser unter gleichzeitiger weiterer Einschränkung des Rechts an dem Patent auf ursprünglich
nicht Vorhandenes erstreckt. Hierfür fehlt es sowohl im Hinblick auf die Funktion
der
Regelung
als
auch
auf
das
ihr
zugrundeliegende
Regel-
Ausnahmeverhältnis an einer Rechtfertigung. Insbesondere aber die Billigkeit
gebietet eine solche Ausweitung nicht.
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4. Die Beklagten können sich danach nicht mit Erfolg auf ein Vorbenutzungsrecht berufen. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß
eine Gestaltung, bei der die Merkmale 1, 2 sowie 4 bis 7 mit dem Merkmal 3 der Drehantreibbarkeit der Biegematrize - kombiniert werden, ausschließlich
von der Klägerin als Patentinhaberin beansprucht werden kann, weil dieser
Vorschlag nicht Gegenstand der Vorbenutzung gewesen ist, bei der nicht die
Biegematrize drehantreibbar ausgestaltet war, sondern der Biegegleitschuh.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.
Jestaedt
Melullis
Mühlens
Scharen
Büscher