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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 144/07
Verkündet am:
19. April 2011
Wermes,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-2-
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
den
Richter Keukenschrijver, die
Richterin
Mühlens und
die
Dr. Grabinski und Hoffmann
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin, die im Übrigen zurückgewiesen
wird, wird das am 17. Oktober 2007 verkündete Urteil des
1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Das deutsche Patent 199 27 698 wird dadurch teilweise für
nichtig erklärt, dass Patentanspruch 22 folgende Fassung erhält, auf die sich die Patentansprüche 23 bis 29 rückbeziehen:
"Mehrgangnabe für Fahrräder, umfassend
- eine Nabenachse (1);
- ein Getriebe (2);
- eine das Getriebe (2) umgreifende Nabenhülse;
- einen Antreiber, der zum Antrieb der Nabenhülse antriebswirksam mit mindestens einem der Elemente des Getriebes
(2) verbindbar ist,
- eine Steuereinrichtung (6) zur Steuerung mehrerer Gangstufen, mit welcher mindestens eines der Elemente des Getriebes (2) wahlweise festgesetzt oder gelöst werden kann oder
in seiner Lage im Getriebe verändert werden kann,
wobei die Steuereinrichtung (6) eine Servokrafterzeugungseinrichtung (7) aufweist, umfassend eine Eingangsseite, die
einem um die Nabenachse drehbar angeordneten, auf
Richter
-3-
Grundlage eines auf den Antreiber ausgeübten BenutzerAntriebsmoments in eine Drehbewegung um die Nabenachse versetzbaren Antriebsteil (21) zugeordnet ist und die mit
dem Antriebsteil (21) in Drehmomentübertragungsverbindung steht, und eine Ausgangsseite, die einem Schaltelement (18) des Getriebes zugeordnet ist,
wobei die Servokrafterzeugungseinrichtung (10, 13, 7) dafür
ausgeführt ist, aus der Drehbewegung des Antriebsteils (21)
um die Nabenachse eine in der Höhe begrenzbare Servokraft (P) abzuleiten und an der Ausgangsseite zum Verstellen des Schaltelements (18) bereitzustellen, hierzu zusammenwirkend mit einer Reibeinrichtung (27), über die eine
reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil (21) und der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung (7) hergestellt ist, derart, dass die an der
Ausgangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung (7) bereitgestellte, auf das Schaltelement (18) ausgeübte Servokraft (P) im Falle einer nicht vorhandenen Schaltwilligkeit des
Schaltelements (18) durch die Reibeinrichtung (27) eingangsseitig begrenzt wird, wobei die Reibeinrichtung (27) dafür ausgeführt ist, den Zustand der durch den Reibschluss
begrenzten Servokraft (P) bis zur eintretenden Schaltwilligkeit des Schaltelements (18) zu erhalten."
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen
-4-
Tatbestand:
1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents
199 27 698 (Streitpatents), das am 17. Juni 1999 angemeldet wurde.
2
Patentanspruch 22, auf den die Patentansprüche 23 bis 29 unmittelbar
oder mittelbar zurückbezogen sind, hat folgenden Wortlaut:
„Mehrgangnabe für Fahrräder, umfassend
- eine Nabenachse (1);
- ein Getriebe (2);
- eine das Getriebe (2) umgreifende Nabenhülse;
- einen Antreiber, der zum Antrieb der Nabenhülse antriebswirksam mit mindestens einem der Elemente des Getriebes (2) verbindbar ist,
- eine Steuereinrichtung (6) zur Steuerung mehrerer Gangstufen,
mit welcher mindestens eines der Elemente des Getriebes (2)
wahlweise festgesetzt oder gelöst werden kann oder in seiner
Lage im Getriebe verändert werden kann,
wobei die Steuereinrichtung (6) eine Servokrafterzeugungseinrichtung (7) aufweist, umfassend eine Eingangsseite, die einem
um die Nabenachse drehbar angeordneten, auf Grundlage eines auf den Antreiber ausgeübten Benutzer-Antriebsmoments
in eine Drehbewegung um die Nabenachse versetzbaren Antriebsteil (21) zugeordnet ist und die mit dem Antriebsteil (21) in
Drehmomentübertragungsverbindung steht, und
eine Ausgangsseite, die einem Schaltelement (18) des Getriebes zugeordnet ist,
-5-
wobei die Servokrafterzeugungseinrichtung (10, 13, 7) dafür
ausgeführt ist, aus der Drehbewegung des Antriebsteils (21) um
die Nabenachse eine in der Höhe begrenzbare Servokraft (P)
abzuleiten und an der Ausgangsseite zum Verstellen des
Schaltelements (18) bereitzustellen;
dadurch gekennzeichnet,
dass über eine Reibeinrichtung (27) eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil (21) und der
Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung (7) hergestellt ist, derart, dass die an der Ausgangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung (7) bereitgestellte, auf das Schaltelement (18) ausgeübte Servokraft (P) im Falle einer nicht vorhandenen Schaltwilligkeit des Schaltelements (18) durch die
Reibeinrichtung (27) eingangsseitig begrenzt wird, wobei die
Reibeinrichtung (27) dafür ausgeführt ist, den Zustand der durch
den Reibschluss begrenzten Servokraft (P) bis zur eintretenden
Schaltwilligkeit des Schaltelements (18) zu erhalten.“
3
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Patentanspruchs
22 sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Er gehe zudem über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und sei auch nicht patentfähig.
4
Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
5
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen, wobei sie zuletzt im Hauptantrag
Patentanspruch 22 mit der Maßgabe verteidigt, dass gegenüber der erteilten
Fassung die Worte „dadurch gekennzeichnet, dass über“ gestrichen und stattdessen hinter „bereitzustellen“ die Worte „hierzu zusammenwirkend mit“ sowie
-6-
hinter „Reibeinrichtung (27)“ die Worte „über die“ eingefügt werden. Außerdem
verteidigt sie das Streitpatent mit drei Hilfsanträgen.
6
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing.
Instituts
für
Getriebetechnik
A.
und
,
ein
C.
Maschinendynamik
schriftliches
, Direktor des
der
Gutachten
erstattet,
das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.
Entscheidungsgründe:
I.
7
Die Berufung ist nur insoweit zulässig, als die Klägerin die Nichtig-
keitsgründe der unzulässigen Erweiterung und der mangelnden Patentfähigkeit
weiterverfolgt. Soweit sie mit dem Schriftsatz vom 21. März 2011 mangelnde
Ausführbarkeit geltend macht, ist die Berufung hingegen unzulässig. Denn das
Patentgericht hat diesen bereits in erster Instanz geltend gemachten Nichtigkeitsgrund verneint, und die Klägerin hat dies in der Berufungsbegründung nicht
angegriffen. Ein Rückgriff auf den Nichtigkeitsgrund ist ihr damit verwehrt (Senatsurteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 4/07, GRUR 2010, 660 = BlPMZ 2010,
265 - Glasflaschenanalysesystem).
II. Im zulässigen Umfang bleibt die Berufung in der Sache ohne Erfolg,
8
soweit das Streitpatent von der Beklagten mit dem Hauptantrag verteidigt wird.
1. Das Streitpatent betrifft eine Mehrgangnabe für Fahrräder. In der
9
Streitpatentschrift wird ausgeführt, dass eine Mehrgangnabe aus der europäischen Patentanmeldung 803 430 (L 2) bekannt ist, die eine Steuereinrichtung
zum Aussteuern von Klinken aufweist. Nachfolgend werden die Figuren 3 und 6
der europäischen Patentanmeldung wiedergegeben:
-7-
In der Streitpatentschrift wird weiter erläutert, dass um die Nabenachse
10
10 ein drehbar angeordneter Schaltring 32 angeordnet ist, der durch einen
Koppelring 31 drehfest, aber axial verschiebbar mit dem Antreiber 25 verbunden ist und ein axial wirkendes Profil aufweist, das mit einem Schubklotz 100
zusammenwirke (vgl. L 2, Figur 3). Der Schubklotz 100 ist in einem Schlitz 12
der Nabenachse 10 hin und her verschiebbar, um die einzelnen Gangstufen zu
steuern. Der Schlitz 12 ist schräg oder schraubenförmig zur Nabenachse verlaufend, so dass der Schubklotz 100 bei seiner Bewegung in Achsrichtung eine
zusätzliche Bewegungskomponente in Dreh- oder Umfangsrichtung ausführen
muss. Der Schaltring 32 dient dazu, eine Klinke 55 auch unter Last auszuhe-
-8-
ben, nach dem Aushebvorgang zu unterwandern, im ausgehobenen Zustand zu
halten und wahlweise die Drehmomentübertragungsverbindung zwischen einem Antreiber einerseits und einem Planetenradträger bzw. einem Hohlrad andererseits umzusteuern (Streitpatentschrift, Rn. 3).
Zum Schalten der Gangstufen durch Ausheben und Einkuppeln der Klin11
ke 55 muss der Schaltring 32 axial nach rechts verschoben werden. Dazu dient
primär eine in die Axialbohrung der Achse eingesetzte Betätigungsstange 101.
Wird diese axial in Richtung des Schaltrings 32 verschoben, drückt die erste
Feder 15 den Schubklotz 100 zurück und nimmt über die zweite Feder 14 auch
den Schaltring 32 mit (vgl. Streitpatentschrift, Rn. 4).
Sind die Kräfte, die der Verstellung des Schaltrings 32 entgegenwirken,
12
jedoch zu groß, bedarf es zur Durchführung des Schaltvorgangs einer sog.
„Servokraft“. Dafür nähert sich der Schubklotz 100 so weit axial dem Schaltring
32 an, dass er in einem schräge Führungsflächen 32c aufweisenden Profilbereich des Schaltrings 32 eintreten kann (vgl. L 2, Figur 6). Die schrägen Führungsflächen 32 c sind gegenüber der Nabenachse X in einem Winkel A geneigt. Demgegenüber sind die schrägen Führungsflächen 12a des Schlitzes 12
gegenüber der Nabenachse in einem Winkel B geneigt. Der Winkel B ist kleiner
als der Winkel A. Beide Neigungswinkel sind derart abgestimmt, dass im Schaltungsfall der Schubklotz 100 an seiner jeweiligen Axialposition festgeklemmt
und reibschlüssig gehalten ist, wenn die der Verstellung des Schaltrings entgegenwirkenden Kräfte kleiner sind als die Kraft der Feder 15, die durch die axiale
Verschiebung der Betätigungsstange 101 nach rechts freigesetzt wird. Sind die
entgegenwirkenden Kräfte jedoch größer, überwindet der Schubklotz 100 die
ihn haltenden Klemm- und Reibkräfte und wird durch die schräge Führungsfläche 32c des Schaltrings 32 axial unter die Klinke 55 verschoben, so dass diese
ausgehoben wird (vgl. Streitpatentschrift Rn. 3 f.).
-9-
13
Nach den weiteren Angaben in der Streitpatentschrift liegt der Erfindung
zum einen das Problem („die Aufgabe“) zugrunde, ein definiertes Schaltverhalten auf Grundlage definierter Schaltwege mit vergleichsweise geringen Steuerkräften zu ermöglichen. Damit befasst sich der nicht angegriffene Patentanspruch 1. Ferner soll die von der Servokrafterzeugungseinrichtung bereitgestellte Servokraft durch einfache konstruktive Maßnahmen begrenzt werden.
Dies soll nach Patentanspruch 22 durch eine Mehrgangnabe für Fahrrä-
14
der erreicht werden, die umfasst (Hinzufügungen in der zuletzt von der Beklagten verteidigten gegenüber der erteilten Fassung sind kursiv hervorgehoben):
b) eine Nabenachse (1),
c) ein Getriebe (2),
d) eine das Getriebe (2) umgreifende Nabenhülse,
e) einen Antreiber, der zum Antrieb der Nabenhülse antriebswirksam mit mindestens einem der Elemente des Getriebes (2)
verbindbar ist,
f) eine Steuereinrichtung (6) zur Steuerung mehrerer Gangstufen, mit welcher mindestens eines der Elemente des Getriebes
(2) wahlweise festgesetzt oder gelöst oder in seiner Lage im
Getriebe verändert werden kann;
g) die Steuereinrichtung (6) weist eine Servokrafterzeugungseinrichtung (7) auf,
g1) umfassend eine Eingangsseite, die einem um die Nabenachse drehbar angeordneten, auf Grundlage eines auf
den Antreiber ausgeübten Benutzer-Antriebsmoments in
eine Drehbewegung um die Nabenachse versetzbaren
Antriebsteil (21) zugeordnet ist und mit diesem in Drehmomentübertragungsverbindung steht, und
g2) umfassend eine Ausgangsseite, die einem Schaltelement
(18) des Getriebes zugeordnet ist,
- 10 -
g3) die dafür ausgeführt ist, aus der Drehbewegung des Antriebsteils (21) um die Nabenachse eine in der Höhe begrenzbare Servokraft (P) abzuleiten und an der Ausgangsseite zum Verstellen des Schaltelements (18) bereitzustellen;
h) hierzu zusammenwirkend mit einer Reibeinrichtung (27), über
die eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen
dem Antriebsteil (21) und der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung (7) hergestellt ist,
h1) derart, dass die an der Ausgangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung (7) bereitgestellte, auf das Schaltelement (18) ausgeübte Servokraft (P) im Falle einer nicht
vorhandenen Schaltwilligkeit des Schaltelements (18)
durch die Reibeinrichtung (27) eingangsseitig begrenzt
wird,
h2) welche (Reibeinrichtung 27) dafür ausgeführt ist, den Zustand der durch den Reibschluss begrenzten Servokraft
(P) bis zur eintretenden Schaltwilligkeit des Schaltelements (18) zu erhalten.
Für den Fachmann, bei dem es sich um einen Ingenieur der Fachrich15
tung Maschinenbau mit mehrjähriger in der Praxis erworbener Berufserfahrung
auf dem Gebiet der Konstruktion von Mehrgangnaben bei Fahrrädern handelt,
ist demnach Patentanspruch 22 zunächst zu entnehmen, dass die unter Schutz
gestellte Mehrgangnabe für Fahrräder - wie in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 der Streitpatentschrift beispielhaft veranschaulicht wird - über eine
Nabenachse 1, ein Getriebe 2, eine das Getriebe umgreifende Nabenhülse,
einen Antreiber (Antriebsteil 21) und eine Steuereinrichtung 6 verfügt.
- 11 -
16
Der Antreiber 21 ist antriebswirksam mit mindestens einem der Elemente
des Getriebes 2 verbindbar, um die Nabenhülse antreiben zu können. Die
Steuereinrichtung 6 ist geeignet, mehrere Gangstufen zu steuern, indem eines
der Elemente des Getriebes 2 wahlweise festgesetzt oder gelöst oder in seiner
Lage im Getriebe verändert werden kann. Im Ausführungsbeispiel kann die axiale Verschiebung des Schaltelements 18 durch den Fahrradfahrer über eine
(nicht gezeigte) Schalteinheit eingeleitet werden, wodurch wiederum die
Schaltstange 6 axial verschoben wird. Deren axiale Verschiebung wird dann
über den Schubklotz 10, den Steuerschieber 7, die Speicherfeder 23 auf das
Schaltelement 18 übertragen. Der Steuerschieber 7 ist zweiteilig ausgebildet,
wobei bei einem Verschiebevorgang in Abhängigkeit von der axialen Richtung
jeweils nur ein Teil wirksam wird. Da die einer Schaltung entgegen wirkenden
Kräfte größer sein können als die Kräfte, die von dem Fahrradfahrer in die
Schalteinheit eingeleitet werden, kann es einer Verstärkung bedürfen (vgl.
Streitpatentschrift, Rn. 26; Gutachten, S. 7 ff.). Dafür sieht Patentanspruch 22
eine Servokrafterzeugungseinrichtung als Teil der Steuereinrichtung vor
(Merkmal g).
Diese Servokrafterzeugungseinrichtung umfasst eine Eingangs- und eine
17
Ausgangsseite. Die Eingangsseite ist einem Antriebsteil 21 zugeordnet, das um
die Nabenachse 1 drehbar angeordnet ist und auf Grundlage eines auf den An-
- 12 -
treiber ausgeübten Antriebsmoments des Fahrradfahrers in eine Drehbewegung um die Nabenachse versetzt werden kann (Merkmal g1). In dem in Figur 1
gezeigten Ausführungsbeispiel sind die beiden spiegelsymmetrisch zueinander
aufgebauten Steuerschieber 7 mit dem Antriebsteil 21 drehfest verbunden, so
dass sie gemeinsam mit dem Antriebsteil 21 um die Nabenachse gedreht werden, wenn der Fahrradfahrer durch seine Drehbewegungen ein Antriebsdrehmoment erzeugt. Ein Schubklotz 10 ist demgegenüber über eine (in Figur 7 gezeigte) Ausnehmung 11 drehfest, aber axial verschiebbar mit der fest stehenden Nabenachse 1 verbunden. Jeder der beiden Steuerschieber 7 verfügt über
eine Steuerbahn S, in die der Schubklotz 10 eintauchen kann, wie aus den
nachfolgend wiedergegebenen Figuren 2, 3 und 4 des Streitpatents deutlich
wird.
Wird der Schubklotz 10 von der Steuereinrichtung 6 mit einer axialen
18
Kraft beaufschlagt, kann er sich nur dann in Richtung der axialen Kraft verschieben, wenn der Steuerschieber 7 eine Winkellage einnimmt, bei der der
Schubklotz 10 in das Tal 8 des Steuerschiebers eintauchen kann. Da sich der
Steuerschieber 7 um die Nabenachse 1 dreht, erfolgt dies früher oder später
(vgl. Streitpatentschrift, Rn. 31). Die Nabenachse weist in einer Ausnehmung 12
Rastmarken 13 mit einer bestimmten Vertiefung 29 auf, die voneinander in einem bestimmten Abstand 15 angeordnet sind. Der axial von der Schaltstange 7
- 13 -
beaufschlagte Schubklotz 10 wird um diesen Abstand 15 zur nächsten Rastmarke 13 weiterrücken, sobald die Winkellage des Steuerschiebers 7 dies zulässt. Erreicht dann die Steigfläche 9a oder 9b des Steuerschiebers 7 den
Schubklotz 10, wirkt die in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 9 dargestellte und in der Beschreibung als „Servokraft“ bezeichnete Kraft P vom Steuerschieber 7 durch die Mitte M des Schubklotzes 10 gegen die Kante 26 der
Rastmarke 13 der Nabenachse 1.
Da der Schubklotz 10, der sich mit seiner Kontur 24 in der Vertiefung 29
19
der Rastmarke 13 befindet, keine axiale Bewegung ausführen kann, zwingt die
Einwirkung der Kraft P den Steuerschieber 7 dazu, sich solange in axialer Richtung zu bewegen, bis sich der Steuerschieber 7 wieder kraftlos um den Schubklotz 10 drehen kann (vgl. Streitpatentschrift, Rn. 29 ff.; Gutachten, S. 12 ff.).
Der Fachmann erkennt, dass sich der Steuerschieber 7 erst dann axial bewegen wird, wenn die sich aus der Kraft P ableitende axiale Kraft größer ist als die
Kraft, die der axialen Bewegung entgegenwirkt (Gutachten, S. 13).
Patentanspruch 22 sieht weiter vor, dass die Servokrafterzeugungsein-
20
richtung dafür ausgeführt ist, aus der Drehbewegung des Antriebsteils (21) um
die Nabenachse eine in der Höhe begrenzbare Servokraft (P) abzuleiten und an
der Ausgangsseite zum Verstellen des Schaltelements bereitzustellen (Merkmal
g2). Dabei soll die Servokraft nach der zuletzt von der Beklagten verteidigten
- 14 -
Fassung des Patentanspruchs 22 mit einer Reibeinrichtung zusammenwirken,
die über eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil (21) und der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung hergestellt
ist (Merkmal h). Die Reibeinrichtung soll mithin derart in die Erzeugung der begrenzbaren Servokraft einbezogen sein, dass die Ableitung der Servokraft über
eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil und
der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung erfolgt.
21
Eine solche Anordnung, bei der die Servokraft über eine durch eine
Reibeinrichtung 27 hergestellte reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil 21 und der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung abgeleitet wird, wird in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 10 des
Streitpatents beispielhaft gezeigt:
Die Reibeinrichtung kann („vorzugsweise“) eine Schlingfeder 28 sein, die
22
in der für die Schaltung erforderlichen Drehrichtung eine höhere Friktion zwischen dem Antriebsteil 21 und dem Steuerschieber 7 an der Eingangsseite der
Servokrafterzeugungseinrichtung aufweist (Streitpatentschrift, Rn. 34).
Die an der Ausgangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung 7 bereit-
23
gestellte, auf das Schaltelement 18 ausgeübte Servokraft P soll im Falle einer
nicht vorhandenen Schaltwilligkeit des Schaltelements 18 durch die Reibeinrichtung 27 eingangsseitig begrenzt sein (Merkmal h1). Nicht vorhandene Schaltwilligkeit liegt vor, wenn die der Servokraft P axial entgegenwirkende Kraft beson-
- 15 -
ders groß ist, weil sich die am Schaltvorgang beteiligten Teile des Getriebes,
also etwa einer der Keile 17 oder eines der Sonnenräder 5a, 5b oder 5c in einer
dafür ungünstigen Position befinden (vgl. Streitpatentschrift, Rn. 34). Für diesen
Fall ist es erwünscht, die Servokraft zu begrenzen, damit übermäßige Materialbeanspruchungen vermieden werden.
24
Neben der Begrenzung kommt der Reibeinrichtung 27 die Funktion zu,
den Zustand der durch den Reibschluss begrenzten Servokraft P bis zur eintretenden Schaltwilligkeit des Schaltelements 18 zu erhalten (Merkmal h 2).
Entgegen der Ansicht der Klägerin beschränkt sich die Funktion der
25
Reibeinrichtung somit nicht auf die Begrenzung der auf das Schaltelement ausgeübten Servokraft und deren Erhaltung bis zur eintretenden Schaltwilligkeit
(Patentanspruch 22: „… derart, dass …“). Vielmehr ist dem Merkmal h in Verbindung mit dem Merkmal g3 zu entnehmen, dass die Reibeinrichtung bereits
an der Ableitung der Servokraft dergestalt beteiligt ist, dass sie eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil 21 und der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung herstellt, über welche die Servokraft abgeleitet wird, die dann - ebenfalls durch die Reibeinrichtung - in ihrer
Höhe begrenzt und bis zur Schaltwilligkeit aufrechterhalten wird.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 22 in der erteilten Fassung
26
geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung
nicht hinaus (§ 22 Abs. 1 iVm § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG).
a) Das Patentgericht hat insoweit ausgeführt, dass eine Servokrafter-
27
zeugungseinrichtung in der Offenlegungsschrift zwar nicht ausdrücklich genannt
sei. Da der ursprüngliche Anspruch 22 aber auf die Servokraft P Bezug nehme,
sei damit auch implizit eine Einrichtung zur Erzeugung dieser Servokraft offenbart. Zudem müsse zur Ableitung einer Servokraft aus dem vom Fahrradfahrer
auf den Antreiber aufgebrachten Antriebsdrehmoment ein Teil desselben die
- 16 -
Servokrafterzeugungseinrichtung beaufschlagen. Die Stelle bilde die „Eingangsseite“ der Servokrafterzeugungseinrichtung und sei ursprünglich offenbart. In den Figuren 1 und 10 mit zugehöriger Beschreibung sei diese Stelle
dem Antriebsteil 21 zugeordnet und stehe mit diesem über die Reibeinrichtung
27 in Verbindung. Dem Fachmann erschließe sich zudem aus der Beschreibung, dass das Antriebsteil dabei um die Nabenachse drehbar sei und durch
ein Benutzer-Drehmoment in eine Drehbewegung um die Nabenachse versetzbar sei. Die Stelle der Übergabe der Servokraft an die nachgeordneten Stellelemente bilde eine dem Schaltelement zugeordnete „Ausgangsseite“ und sei
durch die Kontaktzone zum Schaltelement 18 offenbart.
Die Ableitung der Servokraft aus der Drehbewegung des Antriebsteils sei
28
ebenso aus der Beschreibung zu entnehmen wie die Begrenzbarkeit der Servokraft in ihrer Höhe, die sich überdies auch aus Anspruch 22 ergebe. Dabei sei
das Auftreten der Servokraft nicht nur zwischen Steuerschieber 7 und Schubklotz 10 in Figur 9 offenbart, sondern für den Fachmann ohne weiteres erkennbar auch das Auftreten an der Ausgangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung. Denn anhand der in den Figuren 1, 9 und 10 dargestellten Konstruktion
ergebe sich bei Anliegen der Servokraft am Steuerschieber zwangsläufig ein
Kraftfluss vom Steuerschieber zum Schaltelement, wobei eine in Axialrichtung
auf das Schaltelement wirkende Kraft entstehe. Diese weiche zwar nach Betrag
und Richtung von der am Steuerschieber wirkenden Servokraft P ab, sei aber
deren Bestandteil und unterstütze den Schaltvorgang.
Die über die Reibeinrichtung 27 hergestellte reibschlüssige Drehmitnah-
29
meverbindung zwischen dem Antriebsteil 21 und der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung sei in den ursprünglichen Ansprüchen 22 und 23
sowie in der Beschreibung und Figur 10 dargelegt. Hieraus ergebe sich auch
die eingangsseitig durch die Reibeinrichtung bewirkte Begrenzung der Servokraft, die an der Ausgangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung im Falle
- 17 -
einer nicht vorhandenen Schaltwilligkeit auf das Schaltelement 18 ausgeübt
werde. Der Erhalt des Zustands der durch Reibschluss begrenzten Servokraft
bis zum Eintritt der Schaltwilligkeit ergebe sich aus dem ursprünglichen Anspruch 22 und der Beschreibung. Das impliziere die Gestaltung der Reibeinrichtung in einer Art und Weise, dass sie in der Lage sei, den Zustand zu erhalten.
30
b) Die Ausführungen des Patentgerichts halten den Angriffen der Berufung stand.
Der ursprünglichen Anmeldung (für deren Inhalt auf die Offenlegungs-
31
schrift zurückgegriffen werden kann) kann der Fachmann eine Mehrgangnabe
für Fahrräder entnehmen, die neben einer Nabenachse, einem Getriebe, einer
das Getriebe umgreifenden Nabenhülse, einem Antreiber auch eine Steuereinrichtung zur Steuerung mehrerer Gangstufen nach Maßgabe des Merkmals f
des Patentanspruchs 22 in der erteilten Fassung aufweist. Das ergibt sich aus
Patentanspruch 22 der ursprünglichen Anmeldung, wobei der Fachmann aufgrund seines Fachwissens ohne weiteres mitliest, dass das Element des Getriebes, das - wie in Patentanspruch 22 in der ursprünglichen Anmeldung erwähnt - wahlweise festgesetzt werden kann, auch - wie darüber hinaus in Patentanspruch 22 in der erteilten Fassung vorgesehen - wieder gelöst werden
kann.
Darüber hinaus erschließt es sich ihm aus der ursprünglichen Anmel-
32
dung, dass die Steuereinrichtung so ausgestaltet sein kann, dass sie nicht nur
die Steuerung mehrerer Gangstufen „bewirkt“, sondern die Steuerung auch
selbst vornimmt und folglich die dafür erforderlichen Bauteile als Einheit umfasst. Der gerichtliche Sachverständige hat zwar zutreffend darauf hingewiesen,
dass in Figur 10 in Verbindung mit der Beschreibung (Offenlegungsschrift, Sp. 5
Z. 14 ff.) der ursprünglichen Anmeldung (identisch mit der oben wiedergegebenen Figur 10 der Streitpatentschrift) ein auf den Steuerschieber 7 zeigender
- 18 -
abgeknickter Pfeil als Steuereinrichtung 6 bezeichnet wird, was darauf hindeutet, dass die Steuereinrichtung auch so ausgestaltet sein kann, dass diese die
Steuerung mehrerer Gangstufen nur bewirkt und die Steuerung selbst erst von
den nachgelagerten Bauteilen (insbesondere dem Steuerschieber 7) ausgeführt
wird (Gutachten, S. 27 f.). Zudem wird ein solches Verständnis auch von anderen Stellen in der Beschreibung der ursprünglichen Anmeldung gestützt (vgl.
Offenlegungsschrift, Sp. 3 Z. 15 ff.; Sp. 4 Z. 13 ff.). Andererseits enthält die ursprüngliche Anmeldung aber auch mehrere Stellen, die dem Fachmann die
Vorstellung vermitteln, dass die Steuereinrichtung auch die zur Steuerung mehrerer Gangstufen erforderlichen Komponenten als Einheit umfassen soll. Insoweit ist insbesondere auf Figur 1 der ursprünglichen Anmeldung (identisch mit
der oben wiedergegebenen Figur 1 der Streitpatentschrift) zu verweisen, bei
welcher die Bezugsnummer 6 - wie auch der gerichtliche Sachverständige zutreffend hervorhebt - die Steuereinrichtung meint, die etwa den Schubklotz 10,
den Steuerschieber 7 und die Rastmarken 13 umfasst (Gutachten, S. 27). Dieser Ansatz wird durch Patentanspruch 1 der ursprünglichen Anmeldung bestätigt, in dem es heißt, dass die Steuereinrichtung 6 mindestens einen um die
Nabenachse 1 angeordneten Steuerschieber 7 aufweist. Auch weiteren Stellen
in der Beschreibung ist ein entsprechender Anhalt zu entnehmen (vgl. Offenlegungsschrift, Sp. 1 Z. 1 f., 63; Sp. 2 Z. 14 f., 30 ff.). Dem Fachmann ist damit
zumindest als eine von zwei alternativen Ausgestaltungen offenbart, dass die
Steuereinrichtung als Einheit auch die Bauteile umfassen kann, die die Steuerung mehrerer Gangstufen realisieren.
Entgegen der Ansicht der Klägerin lehrt die ursprüngliche Anmeldung
33
den Fachmann auch eine Servokrafterzeugungseinrichtung als Teil der Steuereinrichtung nach Maßgabe der Merkmalgruppe g bis g3. Die Klägerin hebt zwar
zutreffend hervor, dass eine solche Servokrafterzeugungseinrichtung nicht ausdrücklich genannt ist. Das ist aber auch nicht erforderlich. Vielmehr ist es hin-
- 19 -
reichend, wenn der Fachmann diese auch ohne ausdrückliche Nennung als zur
Erfindung gehörend aus dem Offenbarungsgehalt der Anmeldung entnehmen
kann (vgl. Senat, Urteil vom 21. April 2009 - X ZR 153/04, GRUR 2009, 933
- Druckmaschinen-Temperierungssystem II). Dass eine Einrichtung zur Erzeugung einer Servokraft P vorhanden sein muss, ergibt sich schlüssig aus der
Erwähnung der Servokraft P in Patentanspruch 22 der ursprünglichen Anmeldung. Dass sich diese Einrichtung aus Komponenten der Steuereinrichtung zusammensetzt und damit ein Teil derselben ist, erschließt sich dem Fachmann
aus der Beschreibung (vgl. Offenlegungsschrift, Sp. 3 Z. 55 ff.; Sp. 4 Z. 24 ff.;
Sp. 5 Z. 4 ff.; Figur 9). Dort ist auch ein auf der Nabenachse 1 drehbar angeordnetes Antriebsteil 21 beschrieben, das einen zweigeteilten Steuerschieber 7
umfasst, der mit dem Antriebsteil 21 drehfest aber axial verschiebbar verbunden ist (Sp. 3 Z. 17 ff.; vgl. auch Sp. 4 Z. 67 ff.). Darin sieht der Fachmann die
Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung, die einem auf der Nabenachse drehbar angeordneten, auf Grundlage eines auf den Antreiber ausgeübten Benutzer-Antriebsmomentes in eine Drehbewegung um die Nabenachse
versetzbaren Antriebsteil 21 zugeordnet ist und die mit dem Antriebsteil 21 in
Drehmomentübertragungsverbindung steht. Dem Fachmann erschließt es sich
zudem, dass die Servokrafterzeugungseinrichtung die erzeugte Servokraft an
die nachgeordneten Stellelemente des Getriebes weitergeben muss, damit sie
als Servokraft dienen kann. Die Stelle der Übergabe der Servokraft an das
Schaltelement 18 des Getriebes bildet damit die Ausgangsseite der Einrichtung
und ist diesem entsprechend zugeordnet.
Die Ableitung der Servokraft P aus der Drehbewegung des Antriebsteils
34
21 und deren Bereitstellung zum Verstellen des Schaltelements 18 folgt aus der
Beschreibung des in den Figuren 1 bis 9 gezeigten Ausführungsbeispiels in der
ursprünglichen Anmeldung. Entgegen der Ansicht der Klägerin geht daraus für
den Fachmann nicht nur hervor, dass zwischen dem Steuerschieber 7 und dem
- 20 -
Schubklotz 10 eine durch die Mitte M des Schubklotzes 10 führende Servokraft
P entsteht (vgl. Offenlegungsschrift, Sp. 3 Z. 65 ff.; Figur 9). Vielmehr folgt daraus für diesen zugleich, dass mit der Verschiebung des Schubklotzes 10 die
Servokraft weiter an das Schaltelement 18 geleitet und damit zum Verstellen
desselben bereitgestellt wird.
Der Klägerin kann auch nicht darin zugestimmt werden, dass in der ur35
sprünglichen Anmeldung nicht mehr offenbart sei als die in der Beschreibung
erläuterte und in den Figuren 1 bis 10 gezeigte konkrete Konstruktion der Übersetzungsnabe. Insbesondere beschränkt sich der Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung nicht auf die Bereitstellung lediglich einer axial wirkenden Servokraft zum Verstellen des Schaltelements. Allein der Umstand,
dass - wie hier - nur eine bestimmte Ausführungsform einer Vorrichtung ausführbar offenbart ist, besagt noch nichts darüber, ob ein Patentanspruch, der
nicht auf eine solche Ausführungsform begrenzt ist, über den Inhalt der Ursprungsoffenbarung hinausgeht (Senat, Urteil vom 12. März 2009 - Xa ZR
158/04, Rn. 21, GRUR 2009, 835 - Crimpwerkzeug II; Urteil vom 16. Oktober
2007 - X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 - Sammelhefter II). Für die Ermittlung der
Gesamtoffenbarung der ursprünglichen Anmeldung kommt es daher nicht allein
auf die konkrete Konstruktion der Ausführungsbeispiele an. Vielmehr sind auch
die weiteren Teile der ursprünglichen Anmeldung und damit insbesondere auch
die Patentansprüche zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sind die Ansprüche 22 und 23 der ursprünglichen Anmeldung allgemeiner formuliert als das in
den Figuren 1 bis 10 gezeigte und in der Beschreibung erläuterte Ausführungsbeispiel einer Mehrgangnabe. Hinsichtlich der Servokraft (P) sieht Anspruch 22
lediglich vor, dass diese im Falle einer nicht schaltwilligen Stellung eines zu
schaltenden Schaltelements 18 im Getriebe über eine zwischen dem Antriebsteil 21 und dem Schaltelement 18 wirkende Reibeinrichtung begrenzt wird. Das
setzt aus Sicht des Fachmanns voraus, dass eine Servokraft (P) zum Verstellen
- 21 -
des Schaltelements bereitgestellt wird. Hingegen wird nicht bestimmt, ob die
Servokraft (P) - wie in dem in den Figuren 1 und 10 gezeigten Ausführungsbeispiel - axial oder etwa in Umfangsrichtung wirkt, so dass auch der Fachmann
keinen Anlass hat, den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung entsprechend beschränkt zu verstehen.
Dass eine Reibeinrichtung zwischen dem Antriebsteil 21 und dem
36
Schaltelement 18 wirkt, entnimmt der Fachmann Anspruch 22 der ursprünglichen Anmeldung. Dass über diese Reibeinrichtung eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil 21 und der Eingangsseite der
Servokrafterzeugungseinrichtung 7 hergestellt ist (Merkmal h), erschließt sich
ihm aus dem in Figur 9 gezeigten und in der Beschreibung der ursprünglichen
Anmeldung erläuterten Ausführungsbeispiel (vgl. Offenlegungsschrift Sp. 4
Z. 67 ff.). Während Patentanspruch 22 in der Fassung der ursprünglichen Anmeldung noch vorgesehen hat, dass „eine Servokraft (P) im Falle einer nicht
schaltwilligen Stellung eines zu schaltenden Schaltelements 18 im Getriebe
über eine zwischen dem Antriebsteil 21 und dem Schaltelement 18 wirkende
Reibeinrichtung begrenzt wird“, präzisiert Merkmal h1 in der Fassung des Patentanspruchs 22 in seiner erteilten Fassung, dass die Servokraft (P) „an der
Ausgangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung“ bereitgestellt und im Falle
einer nicht vorhandenen Schaltwilligkeit des Schaltelements durch die Reibeinrichtung „eingangsseitig“ begrenzt wird. Diese Präzisierung kann der Fachmann
dem in Figur 9 gezeigten und in der Beschreibung erläuterten Ausführungsbeispiel ebenfalls entnehmen (Offenlegungsschrift Sp. 4 Z. 67 ff.; vgl. auch Gutachten, S. 28).
In der ursprünglichen Anmeldung offenbart ist schließlich auch das
37
Merkmal h2. Patentanspruch 22 in der Fassung der ursprünglichen Anmeldung
sieht insoweit zwar vor, dass „der Zustand der Reibung bis zur eintretenden
Schaltwilligkeit des Schaltelements 18 erhalten bleibt“, während Merkmal h2 in
- 22 -
der erteilten Fassung des Patentanspruchs 22 darauf abstellt, dass „die
Reibeinrichtung 27 dafür ausgeführt ist, den Zustand der durch den Reibschluss
begrenzten Servokraft (P) bis zur eintretenden Schaltwilligkeit des Schaltelements 18 zu erhalten“. Wie der gerichtliche Sachverständige im Verhandlungstermin überzeugend erläutert hat, enthält Merkmal h2 in der erteilten gegenüber
der ursprünglichen Fassung die Konkretisierung, dass es letztlich nicht um den
Erhalt des Zustands der Reibung als solcher geht, sondern um den Erhalt des
Zustands der durch die Reibung begrenzten Servokraft, die sich entfalten soll,
wenn das Schaltelement wieder schaltwillig ist. Dass der Erhalt des Zustands
der Reibung kein Endzweck ist, sondern insoweit der Erhalt der durch die Reibung begrenzten Servokraft entscheidend ist, offenbart sich dem Fachmann
aus dem voranstehenden Merkmal h1 der ursprünglichen Anmeldung, in dem
vorgesehen ist, dass die Servokraft (P) im Falle einer nicht schaltwilligen Stellung eines zu schaltenden Schaltelements 18 im Getriebe über eine zwischen
dem Antriebsteil 21 und dem Schaltelement 18 wirkende Reibeinrichtung begrenzt wird. Kommt es also auf die Begrenzung der Servokraft (P) bei Schaltunwilligkeit des Schaltelements an, kann es auch im zweiten Schritt nicht nur
um die Erhaltung der Reibung bis zur wieder eintretenden Schaltwilligkeit des
Schaltelements gehen, sondern ist aus fachlicher Sicht die Erhaltung der durch
die Reibung begrenzten Servokraft (P) entscheidend.
Schließlich vermag auch der Umstand, dass die Beschreibung des
38
Streitpatents Passagen enthält, die nicht Inhalt der ursprünglichen Anmeldung
gewesen sind, nicht für sich allein den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung zu begründen. Das käme nur dann in Betracht, wenn die Berücksichtigung dieser Passagen bei der Auslegung des Patentanspruchs des erteilten
Patents zu einem veränderten Verständnis der darin verwendeten Begriffe oder
des geschützten Gegenstands führen würde (vgl. Senat, Urteil vom 22. Dezem-
- 23 -
ber 2009 - X ZR 28/06, GRUR 2010, 513 - Hubgliedertor II). Dass dies hier gegeben ist, ist weder von der Klägerin aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.
3. Der Gegenstand von Patentanspruch 22 geht auch in der von der
39
Beklagten verteidigten Fassung des Streitpatents nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
Wie dargelegt, versteht der Fachmann die Merkmale g3 und h in der von
40
der Beklagten verteidigten Fassung dahin, dass die Servokrafterzeugungseinrichtung und die Reibeinrichtung derart bei der Erzeugung der begrenzbaren
Servokraft zusammenwirken, dass die Ableitung der Servokraft über eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil und der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung erfolgt. Eine solche Ausgestaltung konnte der Fachmann der in Figur 10 gezeigten und der Beschreibung der
ursprünglichen Offenbarung erläuterten Ausführungsform entnehmen, welche
wiederum auf der Mehrgangnabe aus Figur 1 aufbaut und diese nur insofern
abändert, als die Koppelung des Antriebsteils mit dem Steuerschieber über eine
Reibeinrichtung 27 erfolgt, wodurch die in Figur 1 gezeigte Speicherfeder 23
ersetzt wird (vgl. Offenlegungsschrift, Sp. 2 Z. 65 ff.; Sp. 4 Z. 67 ff.). Bei der
demnach offenbarten Ausführungsform ist die vorzugsweise aus einer Schlingfeder 7 bestehende Reibeinrichtung 27 drehfest zwischen dem Antriebsteil 21
und dem Steuerschieber 7 angeordnet, so dass eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung entsteht.
Es ist auch nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht geltend
41
gemacht, dass die Lehre des Patentanspruchs 22 in der von der Beklagten verteidigten Fassung aufgrund der damit gegenüber der erteilten Fassung einhergehenden Ergänzungen nicht so deutlich und hinreichend offenbart ist, dass ein
Fachmann diese Lehre ausführen kann.
42
- 24 -
4. Der Gegenstand von Patentanspruch 22 in der von der Beklagten
verteidigten Fassung des Streitpatents ist patentfähig (§ 22 Abs. 1 PatG iVm
§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG, § 1 Abs. 1 PatG).
a) Das Patentgericht hat Neuheit und erfinderische Tätigkeit hinsichtlich
43
des Patentanspruchs 22 in der erteilten Fassung bejaht.
Die beanspruchte Mehrgangnabe sei neu gegenüber der Mehrgangnabe
44
SG-4 R35 (Anlagen L4 bis L16), deren Vorbenutzung das Patentgericht zugunsten der Klägerin unterstellt hat. Neben den unabdingbaren Komponenten
einer Mehrgangnabe für Fahrräder nach den Merkmalen a bis f umfasse die
vorbenutzte Nabe einen Mechanismus zur Gangwechselunterstützung, der der
streitpatentgemäßen Servokrafterzeugungseinrichtung entspreche. Allerdings
unterscheide sich die Nabe SG-4 R35 in zwei wesentlichen Merkmalen von der
Lehre des Anspruchs 22: Die Drehmomentübertragungsverbindung zwischen
dem Antriebsteil (Verzahnung gemäß Anlage L11, L12) und der Eingangsseite
der Servokrafterzeugungseinrichtung (Kupplungsklinken gemäß Anlage L11,
L12) bestehe nicht ständig. Vielmehr kämen die Kupplungsklinken nur bei
Schaltunwilligkeit mit der Verzahnung in Eingriff, so dass die erfindungsgemäß
erforderliche permanente Verbindung zwischen Antriebsteil und Servokrafterzeugungseinrichtung nicht vorhanden sei. Des Weiteren bleibe selbst im Fall
der bestehenden Verbindung der Zustand der bei Schaltunwilligkeit durch Reibschluss begrenzten Servokraft nicht erhalten. Durch das Gleiten der Klinken
über unterschiedlich geneigte Bahnbereiche der Verzahnung ändere sich die
Servokraft periodisch zwischen einem Minimal- und einem Maximalwert. Bei
Aufgleiten der Klinke vom Zahnfuß zum Zahnkopf der Verzahnung des Antreibers (Einschwenken der Klinken) seien die Reibkraft und damit die Servokraft
am höchsten, beim Abgleiten vom Zahnkopf zurück zum Zahnfuß entlang der
langen Zahnflanke (Ausschwenken der Klinke) sei das übertragene Drehmoment klein. Selbst wenn die Bewegungsfrequenz der Kupplungsklinken schon
- 25 -
bei normaler Trittfrequenz und Fahrgeschwindigkeit so hoch sei, dass ein „quasistationärer“ Zustand der Servokraft erzeugt werde, entspreche dies nicht der
erfindungsgemäßen Lösung. Denn bei dieser liege im Falle der Servokraftbegrenzung nicht eine quasistationäre, sondern eine tatsächlich stationäre Kraft
(ein gleich bleibender Betrag für die Dauer des Durchrutschens) vor. Denn beim
Streitpatent werde das die Servokraft bestimmende Drehmoment durch die als
Rutschkupplung ausgebildete Sicherheitskupplung auf einem konstanten Betrag gehalten.
45
Die japanische Offenlegungsschrift Hei 7-165151 (L17, deutsche Übersetzung L18) zeige eine Mehrgangnabe für Fahrräder, bei der eine Servokrafterzeugungseinrichtung zur Unterstützung des Gangwechsels eingesetzt
werde. Allerdings sei in der Entgegenhaltung nicht erwähnt, dass es auf die Begrenzung der Servokraft überhaupt ankommen könne. Das Antriebsteil 1 und
die Kupplungsklinke 36 seien nur dann in Eingriff, wenn der Schaltvorgang innerhalb der Nabe blockiert sei. Die Flanken der Verzahnung des Antriebselements wiesen unterschiedliche Steigungen auf, so dass sich die Servokraft,
selbst wenn die von der Klägerin behauptete Begrenzung im Fall einer nicht
vorhandenen Schaltwilligkeit gegeben wäre, periodisch veränderte. Zwar sei
angegeben, dass alternativ eine Reibkupplung zwischen dem Antriebsteil 1 und
der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung 31 vorgesehen werden
könne (L18, S. 22); dies bedeute jedoch nicht, dass die Reibkupplung für ein
Durchrutschen bei Schaltunwilligkeit ausgelegt sei. Vielmehr werde die Reibkupplung ohne Angabe über besondere Eigenschaften lediglich als Alternative
zur Klinkenkupplung erwähnt. Deren Funktion liege darin, den Schaltvorgang
durch das Einbringen einer höheren Kraft zu unterstützen, indem die Kupplung
zeitweilig automatisch in und außer Eingriff gebracht werde. Damit liege keine
permanente Reibverbindung zwischen Antriebsteil und Servokrafterzeugungseinrichtung vor.
- 26 -
Die Mehrgangnabe beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Der Fach46
mann erhalte im Stand der Technik keine Anregung, die Nabe nach der Lehre
des Patentanspruchs 22 zu gestalten. Denn in den genannten Entgegenhaltungen werde die Drehmomentübertragungsverbindung ausschließlich im Schaltfall
zugeschaltet. Zudem sei bei allen Naben keine kontinuierliche Servokraftbegrenzung im Sinne der Lehre des Streitpatents vorgesehen.
47
b) Die Begründung des Patentgerichts hält den Angriffen der Berufung
jedenfalls auf der Grundlage des Patentanspruchs 22 in der verteidigten Fassung stand.
48
49
aa) Der Gegenstand von Patentanspruch 22 ist neu (§ 3 PatG).
(1) Er wird dem Fachmann durch die japanische Offenlegungsschrift Hei
7-165151 nicht offenbart. Wie sich aus den nachfolgend wiedergegebenen Figuren und der Beschreibung der Entgegenhaltung ergibt, lehrt die Entgegenhaltung eine Mehrgangnabe für Fahrräder, die über eine Nabenachse 3, ein Planetengetriebe 10 mit sieben Geschwindigkeitsstufen (vgl. Anlage L 18, Rn. 7), eine dieses umgreifende Nabenhülse 2, einen Antreiber (Kettenrad) 1a zum Antrieb der Nabenhülse, der mit einem der vier Sonneräder 21 bis 24 über schaltbare Sonnenklinken 21a bis 24 a verbindbar ist und einer Steuereinrichtung, die
mit der Schalthülse 31 arbeitet. Die Schalthülse 31 ist verdrehbar auf der Nabenachse 3 angeordnet und wird durch ein Ziehen des Kabels 6, das wiederum
von einer (nicht gezeigten) Schalthebelvorrichtung ausgeht, verdreht. Mit einer
Verdrehung der Schalthülse 31 werden die Klinken 21a bis 24a geschaltet. Die
Rückholfeder 32 bewirkt die Entriegelung der Klinken, wenn nur geringe
Schaltwiderstände auftreten (vgl. L 18, Rn. 17; Gutachten, S. 29 f.).
- 27 -
50
Dass die Steuereinrichtung auch eine Servokrafterzeugungseinrichtung
nach Maßgabe des Merkmals g aufweist, entnimmt der Fachmann den nachfolgend gezeigten und durch die Beschreibung weiter erläuterten Figuren 2a und
2b der Entgegenhaltung.
Die Kupplungsklinke 36 wird über den mit dem Kabel 6 verbundenen
51
keilförmigen Bolzen (Kabelverbinder 38) von einer gelösten Stellung (Figur 1a)
in eine Kontaktstellung mit dem Antriebsteil 1 (Figur 1b) überführt. In der Kon-
- 28 -
taktstellung nimmt das (mit dem Kettenrad 1 fest verbundene) Antriebselement
1 den Bolzen 36 mit. Da der Bolzen im Steuerteil 31a geführt ist, bewirkt die
Bolzenbewegung eine Drehung des Steuerteils 31a. Das Steuerteil 31a ist der
Schaltring des Schalthebels 31, der die Klinken 21a bis 24a der Sonnenräder
des Getriebes betätigt (L 18, Rn. 20; Gutachten, S. 30). Die Servokrafterzeugungseinrichtung ist mithin dafür ausgeführt, aus der Drehbewegung des
Antriebselements 1 um die Nabenachse eine Servokraft (P) abzuleiten und an
der Ausgangsseite zum Verstellen des Schalthebels 31 bereitzustellen. Dabei
ist die Servokraft (P) bei hohen Belastungssituationen in der Höhe begrenzt,
weil, wie sich dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens ohne weiteres aus
der Darstellung in den Figuren 2a und 2b erschließt, die Feder 36a so ausgewählt ist, dass bei einer bestimmten höchsten Belastung zwischen der Kupplungsklinke 36 und der inneren Kante der Rippe 1c die Klinke 36 ausweicht und
ausklinkt (vgl. Gutachten, S. 34).
Der Fachmann erhält jedoch keine Belehrung dahin, eine Reibeinrich52
tung derart in die Erzeugung der begrenzbaren Servokraft (P) einzubeziehen,
dass die Ableitung der Servokraft (P) über eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil und der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung erfolgt. Eine solche Anordnung ergibt sich zunächst nicht
aus dem Hinweis in der japanischen Offenlegungsschrift, dass anstelle der
Kupplungsklinke 36 eine Reibkupplung ausgewählt werden kann (L 18, Rn. 21).
Denn indem die Reibkupplung die Kupplungsklinke 36 ersetzt, mit der die Servokraft (P) erzeugt werden soll, wird die Reibeinrichtung nicht in die Erzeugung
der begrenzbaren Servokraft (P) durch die Servokrafterzeugungseinrichtung
einbezogen, sondern tritt an deren Stelle, so dass sich die erfindungsgemäße
Lehre insoweit nicht offenbart (Gutachten, S. 35).
Aber auch die in den Figuren 2a und 2b gezeigte Klinkenverbindung
53
kann nicht als Reibeinrichtung angesehen werden, die derart in die Erzeugung
- 29 -
der begrenzbaren Servokraft (P) einbezogen ist, dass die Ableitung der Servokraft (P) über die eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem
Antriebsteil 1 und der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung erfolgt. Wie der gerichtliche Sachverständige in der Verhandlung zutreffend erläutert hat, handelt es sich bei dem Kupplungsmechanismus zwischen dem Antriebsteil 1 und der Kupplungsklinke 36 um eine Kombination von Formschluss
und Haftreibung. Entscheidend für die Drehmitnahme der Kupplungsklinke 36
durch das Antriebsteil 1 ist die Anpresskraft der Druckfeder 36a, welche die
Klinke 36 im Zustand der Schaltwilligkeit so gegen die Oberfläche 1b des Antriebsteils 1 drückt, dass ein Drehmitnahmeeingriff zwischen der steilen kurzen
Schrägfläche 1c und dem Klinkenendabschnitt 36 entsteht. Die von der Rippenschrägfläche auf die Klinke 36 übertragene Drehmitnahmekraft weist eine Komponente in Verschieberichtung der Klinke 36 auf, die der Anpresskraft der
Druckfeder 36 entgegenwirkt. Wird die Kraftkomponente in Verschieberichtung
der Klinke 36 infolge einer Blockade der Getriebemechanik im Inneren der Nabe so groß, dass sie die Anpresskraft der Druckfeder übersteigt, also Schaltunwilligkeit besteht, gleitet die Klinke 36 aus ihrer Kontaktposition entlang der
Schrägfläche der Rippe 1c heraus. Die Schrägfläche der Rippe 1c ist dafür entsprechend flach ausgeformt. Hat die Klinke 36 die höchste Erhebung der Rippe
1c überwunden, gleitet sie weiter entlang der Übertragungsschrägfläche 1b bis
zum Kontakt mit der nächsten Rippe 1c weiter. Liegt weiterhin Schaltunwilligkeit
vor, wiederholt sich dieser Vorgang. Übersteigt hingegen nunmehr die Anpresskraft der Druckfeder 36 die ihr entgegenwirkende Komponente der Drehmitnahmekraft des Antriebsteils, „rastet“ die Spitze der Kupplungsklinke 36 wieder
an der Rippe 1c ein (vgl. L 18, Rn. 18).
Die Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil 1 und der
54
Kupplungsklinke 36 wird demnach bei der Entgegenhaltung durch ein Formgehemme (vgl. dazu allgemein: Werner Krause, Konstruktionselemente der Fein-
- 30 -
mechanik, 3. Auflage 2004, S. 447, 9.1.1) gebildet, bei dem zwar die Reibungsverhältnisse für den Vorgang des Ein- und Auskuppelns entscheidend sind, bei
dem aber im eingekuppelten (eingerasteten) Zustand die Kraftübertragung im
Wesentlichen durch Formschluss erfolgt. Daher kann in der in den Figuren 2a
und 2b der japanischen Offenlegungsschrift offenbarten Klinkenkupplung keine
Reibeinrichtung gesehen werden, bei der die Ableitung der Servokraft über eine
reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung zwischen dem Antriebsteil und der
Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung erfolgt, wie in den Merkmalen g3 und h vorgesehen.
55
(2) Die europäische Patentschrift 658 475 (L 19, deutsche Übersetzung
L 20) offenbart den Gegenstand des Patentanspruchs 22 in der von der Beklagten verteidigten Fassung gleichfalls nicht.
In der Entgegenhaltung werden zwei Ausführungsbeispiele für Mehr-
56
gangnaben für Fahrräder mit einer Servokrafterzeugungseinrichtung beschrieben und gezeigt (L 19, Figur 7 und Figuren 8 bis 10). Das erste Ausführungsbeispiel entspricht dem nach der vorgenannten japanischen Offenlegungsschrift, so dass es insoweit keinen weiteren Ausführungen bedarf. Aber auch
das zweite Ausführungsbeispiel der Vorveröffentlichung offenbart eine Klinkenverbindung, die nicht als Reibeinrichtung im Sinne der Merkmale g3 und h angesehen werden kann.
Figur 10 der Vorveröffentlichung, die nachfolgend wiedergegeben ist,
57
zeigt zwei Kupplungsklinken 180, die jeweils drehbar auf einem Drehzapfen 181
angeordnet sind und auf denen jeweils über eine Klinkenfeder 182 ein Drehmoment von dem Antriebsteil 1 entgegen dem Urzeigersinn in Richtung der
Zähne 1Z wirkt.
- 31 -
58
Geschaltet wird die Klinkenverbindung über die Klinkenpresser 162.
Wenn die Klinken geschaltet sind, aber das Grenzdrehmoment noch nicht erreicht ist, wird die Klinke 180 durch die von der jeweiligen Klinkenfeder 182
ausgeübte Eindrückkraft in Richtung radial nach außen in ihrer Eingriffsposition
an der Verzahnungsschrägfläche des Antriebteils 1 gehalten. Ist jedoch das
Grenzdrehmoment erreicht und ist deshalb die an der kurzen Verzahnungsschrägfläche auf das jeweilige Klinkenende ausgeübte Abweisekraft in Richtung
nach radial innen größer als die von der jeweiligen Klinkenfeder, wird die Klinke
aus der Eingriffsposition an der Verzahnung des Antriebsteils gedrückt und damit entkoppelt. Bei der Kupplung handelt es sich also - wie bei dem ersten Ausführungsbeispiel der europäischen Patentschrift und dem Ausführungsbeispiel
der genannten japanischen Offenlegungsschrift - um ein Formgehemme, so
dass - entsprechend der Erläuterungen zu der japanischen Offenlegungsschrift - keine Reibeinrichtung im Sinne der Lehre aus Patentanspruch 22 des
Streitpatents offenbart wird.
(3) Die Nabe SG-4 R 35, die nach den von der Beklagten bestrittenen
59
Behauptungen der Klägerin vor dem Anmeldetag des Streitpatents serienmäßig
- 32 -
hergestellt und weltweit vertrieben worden sein soll (Anlagen L 5 bis L 16, Originalnabe, Anlage E 8), entspricht im Wesentlichen dem zweiten Ausführungsbeispiel des europäischen Patents 658 475 (vgl. Gutachten, S. 46 f.), so dass
auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden kann.
bb) Der Gegenstand von Patentanspruch 22 in der erteilten Fassung
60
ergibt sich für den Fachmann auch nicht in naheliegender Weise aus dem
Stand der Technik (§ 4 PatG).
Es ist von der Klägerin nicht aufgezeigt worden und auch sonst nicht er-
61
sichtlich, dass der Stand der Technik eine Anregung enthalten hat, die in den
Entgegenhaltungen L 17 und L 19 sowie der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung durch die Nabe SG-4 R 35 realisierten Klinkenkupplungen mit einem
Formgehemme durch eine Reibeinrichtung im Sinne der Merkmale g3 und h der
erfindungsgemäßen Lehre zu ersetzen.
Auch auf der Grundlage des europäischen Patents 803 430, das als
62
Stand der Technik in der Beschreibung des Streitpatents berücksichtigt worden
ist, konnte der Fachmann nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand von
Patentanspruch 22 in der verteidigten Fassung gelangen. Die Entgegenhaltung
offenbart dem Fachmann jedenfalls nicht, eine Reibeinrichtung vorzusehen, die
derart in die Erzeugung der begrenzbaren Servokraft einbezogen ist, dass die
Ableitung der Servokraft über eine reibschlüssige Drehmitnahmeverbindung
zwischen dem Antriebsteil und der Eingangsseite der Servokrafterzeugungseinrichtung erfolgt. Zudem ergibt sich aus der Schrift nicht, dass der Zustand der
begrenzten Servokraft bis zur eintretenden Schaltwilligkeit des Schaltelements
erhalten bleiben soll. Entgegen der Ansicht der Klägerin haben den Fachmann
auch nicht seine im Studium erworbenen Grundkenntnisse über Konstruktionselemente zu einer entsprechenden Lösung geführt. Zwar waren Schlingfederkupplungen zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents allgemein in Lehrbüchern
- 33 -
beschrieben. Es fehlt aber jeder Anhalt dafür, dass der Fachmann dadurch dazu angeregt wurde, eine solche im Sinne der Lehre aus Patentanspruch 22 in
der verteidigten Fassung einzusetzen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG i.V.m. §§ 97
63
Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Meier-Beck
Keukenschrijver
Grabinski
Mühlens
Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 17.10.2007 - 1 Ni 17/07 -