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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 159/09
Verkündet am:
27. Januar 2010
Ermel,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 573 Abs. 2 Nr. 2
Leibliche Nichten und Neffen des Vermieters sind kraft ihres nahen Verwandtschaftsverhältnisses zum Vermieter Familienangehörige im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2
BGB (Fortführung des Senatsurteils vom 9. Juli 2003 - VIII ZR 276/02, NJW 2003,
2604).
BGH, Urteil vom 27. Januar 2010 - VIII ZR 159/09 - LG Baden-Baden
AG Baden-Baden
-2-
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. Januar 2010 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Hessel sowie die Richter Dr. Achilles und
Dr. Bünger
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Baden-Baden vom 26. Mai 2009 im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht hinsichtlich
der Eigenbedarfskündigung vom 14. März 2008 zum Nachteil der
Klägerin entschieden hat. Im Übrigen wird die Revision als unzulässig verworfen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts
Baden-Baden vom 1. Juli 2008 - unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im Übrigen - teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die von ihnen bewohnte Wohnung in B.
Straße
, H.
, 2. Obergeschoss, sowie die zur Wohnung gehörende
Garage nebst Fernbedienung an die Klägerin herauszugeben.
Den Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31. Mai 2010 eingeräumt.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/13 und die
Beklagten 12/13 zu tragen.
Von Rechts wegen
-3-
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt die Rückgabe einer von den Beklagten gemieteten
Wohnung in B.
sowie Erstattung vorgerichtlich entstandener
Rechtsanwaltskosten.
2
Im Sommer 2004 zog die damals 85-jährige Klägerin aus ihrer Eigentumswohnung in B.
aus und übersiedelte in die nahe gelegene Se-
niorenresidenz "Be.
". Sie vermietete die Wohnung ab dem 1. September
2004 an die Beklagten zu einer monatlichen Miete von 1.050 €; ab Oktober
2006 mieteten die Beklagten zusätzlich eine zu der Wohnung gehörende Garage für 50 € monatlich.
3
Mit notariellem Vertrag vom 17. August 2007 übertrug die verwitwete und
kinderlose Klägerin das Eigentum an der Wohnung schenkungsweise im Wege
vorweggenommener Erbfolge auf ihre in W.
wohnende Nichte; dabei be-
hielt sich die Klägerin den Nießbrauch an der Wohnung vor. In § 4 des Vertrages verpflichtete sich die Nichte als Gegenleistung gegenüber der Klägerin, auf
Lebenszeit deren Haushalt in der Seniorenresidenz zu versorgen und die häusliche Grundpflege der Klägerin zu übernehmen. Die Vertragschließenden vereinbarten zur Sicherung dieser Verpflichtung die Eintragung einer Reallast im
Grundbuch und erklärten, dass die Nichte "beabsichtigt, in nächster Zukunft in
die hier übertragene Eigentumswohnung zu ziehen, so dass es ihr räumlich
möglich wird, die vorstehende Pflegeverpflichtung persönlich zu erfüllen". Der
Vertrag wurde im Grundbuch vollzogen.
4
Durch Anwaltsschreiben ihres erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten
ließ die Klägerin seit August 2007 mehrfach sowohl fristlose als auch ordentliche Kündigungen des mit den Beklagten bestehenden Mietverhältnisses aussprechen. Als Kündigungsgründe wurden zunächst nur verspätete Mietzahlun-
-4-
gen geltend gemacht, später auch Eigenbedarf aufgrund der Pflegevereinbarung im Vertrag vom 17. August 2007 und schließlich noch der Höhe nach unstreitige Teilbeträge der Miete, die die Beklagten wegen behaupteter Mängel
der Mietwohnung einbehalten haben.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Rückgabe der Wohnung nebst Garage verlangt und einen Zahlungsanspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.101,46 € nebst Zinsen gemäß der Gebührenrechnung ihres erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 14. März 2008 geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und hat im Hinblick
darauf, dass es die auf Eigenbedarf gestützte ordentliche Kündigung vom
14. März 2008 für gerechtfertigt gehalten hat, gemäß § 308a ZPO die Anordnung getroffen, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien zu denselben
Konditionen wie bisher auf unbestimmte Zeit, mindestens jedoch bis zum
31. August 2009, fortgesetzt wird. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die im Urteil des Amtsgerichts getroffene Anordnung über die Fortsetzung des Mietverhältnisses ersatzlos in
Wegfall gerät. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese ihr Rückgabe- und Zahlungsbegehren im Hinblick auf die ordentliche Kündigung vom 14. März 2008 wegen Eigenbedarfs
und die fristlose Kündigung vom 20. November 2008 wegen Zahlungsrückständen weiterverfolgt.
-5-
Entscheidungsgründe:
6
Die Revision hat im Wesentlichen Erfolg.
I.
7
Das Berufungsgericht hat, soweit im Revisionsverfahren von Interesse,
ausgeführt:
8
Der Klägerin stehe gegen die Beklagten ein Anspruch auf Räumung und
Herausgabe der Mietwohnung nach § 546 BGB nicht zu. Das Mietverhältnis sei
durch die auf Eigenbedarf gestützte ordentliche Kündigung vom 14. März 2008
nicht beendet worden. Die Kammer sei durch das Verbot der reformatio in peius
nicht daran gehindert, die vom Amtsgericht befürwortete Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung vom 14. März 2008 zu verneinen, obwohl seitens der
durch das erstinstanzliche Urteil gleichfalls beschwerten Beklagten eine (Anschluss-)Berufung hiergegen nicht eingelegt worden sei. Denn die Klägerin habe insoweit durch das erstinstanzliche Urteil keine Rechtsstellung erlangt, deren
Aufrechterhaltung schutzwürdig wäre.
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Die auf Eigenbedarf gestützte Kündigung vom 14. März 2008 erweise
sich als unwirksam, da die Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB weder
im Bezug auf die Klägerin selbst noch hinsichtlich deren Nichte erfüllt seien. Die
betagte, seit mehreren Jahren in einem Seniorenstift lebende Klägerin sei nicht
darauf angewiesen, gerade durch ihre Nichte (ergänzend) gepflegt zu werden,
weshalb eine Nutzung der Wohnung durch die Nichte geboten wäre. In der Seniorenresidenz "Be.
" werde der Klägerin die erforderliche Betreuungspfle-
ge in überdurchschnittlichem Maße zuteil. Dass diese Einrichtung in ausreichendem Maße über ausgebildetes Fachpersonal selbst für schwerstpflegebedürftige Senioren verfüge, sei gerichtsbekannt. Eine Notwendigkeit für eine "zu-
-6-
sätzliche Pflege" bestehe eingedenk dessen ersichtlich nicht. Überdies könne
die Klägerin von ihrer Nichte eine Erfüllung der vertraglich vereinbarten "Pflegeverpflichtung" ohnehin nicht fordern. Spätestens seitdem sie nach Erhebung der
Räumungsklage am 22. Mai 2008 einen Schlaganfall erlitten habe und deshalb
dauerhaft pflegebedürftig sei, ruhe diese Verpflichtung gemäß § 4 des notariellen Übergabevertrags.
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Ebenso wenig seien beachtenswerte Gründe für die gewünschte Nutzung der Wohnung durch die Nichte vorgetragen. Auf einen von der Klägerin
abgeleiteten Eigenbedarf könne sich die Nichte nicht berufen. Zu dem uneingeschränkt privilegierten Personenkreis im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zähle die Nichte trotz ihrer Verwandtschaft mit der Klägerin nicht. Der Begriff des
Familienangehörigen sei im Hinblick auf den Schutzzweck der Bestimmung einschränkend auszulegen. Es sei zwischen engen Familienangehörigen und denjenigen, die mit dem Vermieter nur weitläufig verwandt oder verschwägert seien, zu unterscheiden. Nur bei der ersten Gruppe genüge die bloße Tatsache
der Verwandtschaft, während bezüglich der entfernten Angehörigen darüber
hinaus erforderlich sei, dass der Vermieter jenen gegenüber rechtlich oder moralisch aufgrund einer besonderen persönlichen Nähe zu Unterhaltsgewährung
oder sonstiger Fürsorge verpflichtet sei. Gemessen an diesen Kriterien bleibe
für die Annahme eines abgeleiteten Eigenbedarfs kein Raum. Bei einer Nichte
handele es sich nicht um eine enge Familienangehörige des Vermieters. Anhaltspunkte, die auf das Bestehen einer - wie auch immer gearteten - Fürsorgepflicht der Klägerin gegenüber ihrer Nichte hindeuten könnten, seien nicht ersichtlich.
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Die vom Amtsgericht gemäß § 308a ZPO, § 574a Abs. 2 BGB getroffene
Anordnung über die Fortsetzung des Mietverhältnisses könne nicht aufrechterhalten werden, da die ausgesprochene Eigenbedarfskündigung bereits unwirk-
-7-
sam gewesen sei. Da sich das Räumungsbegehren als von Anfang an unbegründet erweise, könne die Klägerin von den Beklagten auch nicht die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangen.
II.
12
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
13
A. Die Revision ist entgegen der Auffassung der Klägerin nur insoweit
zulässig, als sich das Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Kündigung wegen Eigenbedarfs vom 14. März 2008 wendet.
Denn das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision wirksam auf die
Frage der Beendigung des Mietverhältnisses durch diese ordentliche Kündigung beschränkt. Soweit die Revision das Berufungsurteil auch hinsichtlich der
Entscheidung über die fristlose Kündigung vom 20. November 2008 angreift, ist
das Rechtsmittel dagegen mangels Zulassung durch das Berufungsgericht als
unzulässig zu verwerfen.
14
1. Das Berufungsgericht kann die Zulassung der Revision auf Teile des
Streitgegenstandes beschränken. Die Beschränkung muss nicht im Tenor des
Urteils angeordnet sein, sondern sie kann sich auch aus den Entscheidungsgründen ergeben (st. Rspr.; BGHZ 153, 358, 360 f.; Senatsurteil vom 28. Oktober 2009 - VIII ZR 164/08, WuM 2009, 733, Tz. 11; BGH, Urteil vom
12. November 2004 - V ZR 42/04, NJW 2005, 894, unter B I 1 a; Urteil vom
17. Juni 2004 - VII ZR 226/03, NJW 2004, 3264, unter II 2; Urteil vom 9. März
2000 - III ZR 356/98, NJW 2000, 1794, unter II 1). Allerdings muss sich die Beschränkung eindeutig aus den Entscheidungsgründen entnehmen lassen (Senatsurteil vom 4. Juni 2003 - VIII ZR 91/02, WM 2003, 2139, unter II). Dies ist
anzunehmen, wenn die Rechtsfrage, zu deren Klärung das Berufungsgericht
die Revision zugelassen hat, bei mehreren teilbaren Streitgegenständen nur für
-8-
einen von ihnen erheblich ist, weil dann in der Angabe dieses Zulassungsgrundes regelmäßig die eindeutige Beschränkung der Zulassung der Revision auf
diesen Anspruch zu sehen ist (BGHZ aaO, 361 f.; Senatsurteil vom 28. Oktober
2009, aaO). So verhält es sich hier.
15
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil es für klärungsbedürftig hält, ob das Berufungsgericht aufgrund des Verbotes der reformatio in
peius daran gehindert ist, abweichend von der Einschätzung des erstinstanzlichen Gerichts die Berechtigung einer auf Eigenbedarf gestützten Kündigung zu
verneinen, wenn das mit einer Fortsetzungsanordnung nach § 574a Abs. 2
BGB zu unveränderten Bedingungen versehene Urteil allein von dem auf Räumung und Herausgabe der Mietsache klagenden Vermieter angefochten wurde.
Damit hat es die Revision allein auf die Frage der Beendigung des Mietverhältnisses aufgrund der Eigenbedarfskündigung vom 14. März 2008 beschränkt.
Die Beendigung des Mietverhältnisses aufgrund der späteren fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs vom 20. November 2008 und der Zahlungsanspruch wegen vorgerichtlicher Anwaltskosten stellen davon unabhängige Teile
des Streitstoffs dar, die von der Zulassungsfrage nicht berührt werden.
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2. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beschränkung ist auch
wirksam. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Zulassung der Revision auf einen tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des
Streitstoffs beschränkt werden, der Gegenstand eines Teilurteils sein oder auf
den der Revisionskläger seine Revision beschränken könnte (st. Rspr.; Senatsurteil vom 28. Oktober 2009, aaO, Tz. 13; BGH, Urteil vom 9. März 2000, aaO;
BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 78/07, NJW 2008, 2351, Tz. 21).
Letzteres trifft hier zu. Die Frage, ob das Mietverhältnis durch die Eigenbedarfskündigung vom 14. März 2008 beendet worden ist, stellt, wie ausgeführt, einen
abgrenzbaren, rechtlich selbständigen Teil des Streitstoffs dar, der in tatsächli-
-9-
cher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von der Frage, ob die spätere fristlose
Kündigung vom 20. November 2008 das Mietverhältnis beendet hat, beurteilt
werden kann und auf den die Klägerin ihre Revision hätte beschränken können
(vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 2009, aaO).
17
B. Soweit die Revision zulässig ist, hält die Beurteilung des Berufungsgerichts der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ein Anspruch der Klägerin aus
§ 546 Abs. 1 BGB auf Rückgabe der von den Beklagten gemieteten Wohnung
kann nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verneint werden. Die Kündigung vom 14. März 2008, mit der die Klägerin das Mietverhältnis
hilfsweise wegen Eigenbedarfs zum 30. Juni 2008 ordentlich gekündigt hat, ist
entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gemäß § 573 Abs. 1, Abs. 2
Nr. 2, § 573c Abs. 1 BGB wirksam. Auf die Rechtsfrage, zu deren Klärung das
Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, kommt es nicht an, weil das
Amtsgericht die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung mit Recht bejaht hatte
und das Berufungsgericht davon nicht hätte abweichen dürfen.
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Nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses vor, wenn der Vermieter die
Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Berufungsgericht die Nichte der Klägerin nicht als Familienangehörige im Sinne dieser Bestimmung angesehen und aus diesem Grund die Kündigung für nicht
wirksam gehalten hat.
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1. Der Senat hat entschieden, dass Geschwister des Vermieters kraft ihres nahen Verwandtschaftsverhältnisses privilegierte Familienangehörige im
Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB sind; zwischen Geschwistern besteht ein so
enges Verwandtschaftsverhältnis, dass es eines zusätzlichen einschränkenden
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Tatbestandsmerkmals, wie etwa einer engen sozialen Bindung zum Vermieter,
nicht bedarf (Urteil vom 9. Juli 2003 - VIII ZR 276/02, NJW 2003, 2604, Ls. und
unter II 1, zu § 564b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB aF).
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Damit hat der Senat zum Ausdruck gebracht, dass für die Bestimmung
des Kreises der durch § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB privilegierten Familienangehörigen bei entfernten Verwandten ein zusätzliches Kriterium heranzuziehen ist,
das auf die konkrete persönliche oder soziale Bindung zwischen dem Vermieter
und seinem Angehörigen im Einzelfall abstellt. Dass eine solche Einschränkung
bei entfernten Verwandten aufgrund des Gesetzeszwecks - Kündigungsschutz
des Mieters - geboten ist, entspricht auch der einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. den Überblick bei Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 9. Aufl., § 573 BGB Rdnr. 51 ff. m.w.N.; Staudinger/Rolfs, BGB (2006),
§ 573 Rdnr. 74 ff. m.w.N.). Je weitläufiger der Grad der Verwandtschaft oder
Schwägerschaft ist, umso enger muss die über die bloße Tatsache der Verwandtschaft oder Schwägerschaft hinausgehende persönliche oder soziale
Bindung zwischen dem Vermieter und dem Angehörigen im konkreten Einzelfall
sein, um eine Kündigung wegen des Wohnbedarfs eines Angehörigen zu rechtfertigen (OLG Braunschweig, WuM 1993, 731, 732; Staudinger/Rolfs, aaO,
Rdnr. 79).
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2. Nichten und Neffen des Vermieters gehören zwar nicht mehr zu dessen engsten Angehörigen wie Eltern, Kinder oder Geschwister, sie sind aber als
Kinder der Geschwister entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts immer
noch eng verwandt mit dem Vermieter und gehören nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, zu den entfernten, nur weitläufig Verwandten. Das Gesetz
erlaubt die Kündigung von Mietverhältnissen wegen des Wohnbedarfs von Familienangehörigen, weil es davon ausgeht, dass innerhalb der Familie aufgrund
enger Verwandtschaft ein Verhältnis persönlicher Verbundenheit und gegensei-
- 11 -
tiger Solidarität besteht, das die Privilegierung einer Kündigung zugunsten von
Familienangehörigen rechtfertigt. Vom Bestehen einer solchen familiären Verbundenheit und Solidarität, die nicht im Einzelfall nachgewiesen sein muss, ist
nicht nur bei Geschwistern auszugehen (Senatsurteil vom 9. Juli 2003, aaO),
sondern auch bei deren Kindern, das heißt den leiblichen Nichten und Neffen
des Vermieters.
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Diese Wertung ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift.
Denn der Gesetzgeber hat den Begriff der Familienangehörigen in § 573 Abs.
2 Nr. 2 BGB nicht näher bestimmt; auch aus den Gesetzesmaterialien ist für
dessen Auslegung nichts zu entnehmen. Die generelle Einbeziehung von Nichten und Neffen in den Kreis der privilegierten Familienangehörigen ist aber vor
dem Hintergrund anderer Regelungen der Rechtsordnung gerechtfertigt, in denen ebenfalls Familienangehörige allein aufgrund ihrer engen verwandtschaftlichen Beziehung privilegiert werden, ohne dass eine tatsächlich bestehende
persönliche Verbundenheit im Einzelfall nachgewiesen werden muss. Einen
Anknüpfungspunkt dafür, wie weit der Kreis der Familienangehörigen in diesem
Sinn zu ziehen ist, bieten die Regelungen über das Zeugnisverweigerungsrecht
aus persönlichen Gründen (§ 383 ZPO, § 52 StPO), in denen der Kreis der privilegierten Familienangehörigen - unabhängig vom tatsächlichen Bestehen persönlicher Bindungen - konkretisiert wird. Gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und
§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO steht ein Zeugnisverweigerungsrecht - neben Verlobten,
Ehegatten und Lebenspartnern (§ 383 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 2a ZPO, § 52 Abs. 1
Nr. 1, 2 und 2a StPO) - auch denjenigen zu, die mit einer Partei in gerader Linie
verwandt oder verschwägert sind, sowie denjenigen, die in der Seitenlinie bis
zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder
waren. Damit gehören auch Nichten und Neffen noch zu dem Personenkreis,
dem allein aufgrund enger verwandtschaftlicher Beziehung zur Partei ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. In dieser Regelung kommt zum Ausdruck, dass
- 12 -
der Gesetzgeber Nichten und Neffen ohne Weiteres noch als enge Familienangehörige ansieht. Diese gesetzgeberische Wertung ist bei der Auslegung des
§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu berücksichtigen und rechtfertigt es, Nichten und Neffen auch hier in den Kreis der privilegierten Familienangehörigen einzubeziehen. Bei ihnen bedarf es deshalb - ebenso wie bei Geschwistern des Vermieters (Senatsurteil vom 9. Juli 2003, aaO) - über die Tatsache der Verwandtschaft hinaus nicht eines zusätzlichen einschränkenden Tatbestandsmerkmals
wie etwa einer tatsächlich bestehenden engen sozialen Bindung zum Vermieter. Es kommt deshalb im vorliegenden Fall nicht darauf an, dass nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts eine enge persönliche Beziehung zwischen der Klägerin und ihrer Nichte als ihrer einzigen noch lebenden Verwandten tatsächlich besteht.
III.
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Da die Revision, soweit sie zulässig ist, Erfolg hat, ist das Berufungsurteil
insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst
entscheiden, weil es weiterer tatrichterlicher Feststellungen nicht bedarf und die
Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 ZPO). Auf die Berufung der
Klägerin ist das Urteil des Amtsgerichts, wie im Tenor ausgesprochen, teilweise
abzuändern.
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Hinsichtlich des auf die Eigenbedarfskündigung vom 14. März 2008 gestützten Räumungsbegehrens hat die Berufung Erfolg. Die Beklagten sind zur
Rückgabe der Wohnung verpflichtet, weil die ordentliche Kündigung vom
14. März 2008, wie ausgeführt, wirksam ist. Die Kündigung hat das Mietverhältnis mit Ablauf des 30. Juni 2008 beendet (§ 573c Abs. 1 BGB). Für die vom
Amtsgericht nach § 308a ZPO i.V.m. §§ 574 ff. BGB getroffene Anordnung über
eine unbefristete, mindestens bis zum 30. September 2009 dauernde Fortset-
- 13 -
zung des Mietverhältnisses ist kein Raum mehr. Der Senat kann den Sachverhalt zu der für eine Anordnung nach § 308a ZPO maßgeblichen Frage, ob die
Beendigung des Mietverhältnisses eine Härte bedeuten würde, die auch unter
Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist
(§ 574 Abs. 1 Satz 1 BGB), selbst würdigen, weil das Berufungsgericht hierzu
- von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen hat
und weitere Feststellungen auch nicht zu erwarten sind.
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Es kann dahingestellt bleiben, ob es für die Beklagten im Anschluss an
die Kündigung vom 14. März 2008 zumutbar war, die im September 2004 angemietete Wohnung bereits mit Ablauf des 30. Juni 2008 wieder zu verlassen.
Denn inzwischen sind mehr als eineinhalb Jahre vergangenen, in denen die
Beklagten in der Wohnung weiter gelebt haben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt
bedeutet die Räumung der Wohnung für die Beklagten in Anbetracht des berechtigten Interesses der hochbetagten Klägerin, ihre Nichte in ihrer Nähe zu
haben und von ihr betreut zu werden, jedenfalls keine unzumutbare Härte mehr.
Gründe für eine solche Härte sind von den Beklagten weder dargelegt worden
noch ersichtlich. Die Beklagten haben insbesondere nicht geltend gemacht,
dass sie angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht
beschaffen könnten (§ 574 Abs. 2 BGB). Sie haben sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 1. Juli 2008 lediglich darauf berufen, es sei
ihnen unzumutbar, nach so kurzer Zeit schon wieder auszuziehen, sie seien
schließlich keine "Nomaden". Eine unzumutbar kurze Mietzeit liegt aber nicht
mehr vor, nachdem das Mietverhältnis mittlerweile mehr als fünf Jahre bestanden hat. Auch das Amtsgericht ist bei seiner Anordnung über die Fortsetzung
des Mietverhältnisses davon ausgegangen, dass sich die Interessenabwägung
nach Ablauf von fünf Jahren zu Gunsten der Klägerin anders darstellen kann,
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als es das Amtsgericht für den Zeitpunkt seiner Entscheidung angenommen
hat.
Ball
Dr. Frellesen
Dr. Achilles
Dr. Hessel
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Baden-Baden, Entscheidung vom 01.07.2008 - 7 C 150/08 LG Baden-Baden, Entscheidung vom 26.05.2009 - 2 S 9/09 -