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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 99/06
Verkündet am:
30. Januar 2007
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 249 Gb; ZPO § 287
Bei der Frage nach der Erforderlichkeit eines "Unfallersatztarifs" ist der Tatrichter im
Rahmen einer Schätzung nach § 287 ZPO nicht genötigt, die Kalkulationsgrundlagen
des konkreten Anbieters im Einzelnen betriebswirtschaftlich nachzuvollziehen. Vielmehr kommt es darauf an, ob etwaige Mehrleistungen und Risiken bei der Vermietung an Unfallgeschädigte generell einen erhöhten Tarif - u.U. auch durch einen pauschalen Aufschlag auf den "Normaltarif" rechtfertigen (vgl. Senatsurteile vom
25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 - VersR 2006, 133 und vom 14. Februar 2006 - VI ZR
126/05 - VersR 2006, 669, 671 m.w.N.).
Dass Mietwagenunternehmen dem Geschädigten zunächst nur einen Unfallersatztarif angeboten haben, reicht grundsätzlich nicht für die Annahme aus, dem Geschädigten wäre bei entsprechender Nachfrage kein wesentlich günstigerer Tarif zugäng-
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lich gewesen (Fortführung des Senatsurteils vom 13. Juni 2006 - VI ZR 161/05 VersR 2006, 1273, 1274).
BGH, Urteil vom 30. Januar 2007 - VI ZR 99/06 - LG Würzburg
AG Würzburg
-3-
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. Januar 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Wellner,
die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer
des Landgerichts Würzburg vom 12. April 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin macht restliche Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall
vom 17. März 2005 geltend. Die volle Haftung der Beklagten für den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit.
2
Die Klägerin mietete vom Unfalltag an bis zum 24. März 2005 bei der Autovermietung S. ein Ersatzfahrzeug zu einem Tagespreis von 158 € und insgesamt zu einem Mietpreis von 1.509,02 € an. Unter Anrechnung von 10% erspar-
-4-
ter Eigenaufwendungen erstattete die Beklagte 518 €. Mit vorliegender Klage
begehrt die Klägerin den Differenzbetrag.
3
Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, weitere 813,95 € nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das
Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom
Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
4
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagte habe die tatsächlich entstandenen Mietwagenkosten unter Berücksichtigung einer Eigenersparnis von 10% in voller Höhe zu erstatten, auch wenn diesen ein Unfallersatztarif
zugrunde liege, der im geltend gemachten Umfang mit Rücksicht auf die Unfallsituation zur Herstellung nicht "erforderlich" gewesen sei. Davon sei auszugehen, da die insoweit beweispflichtige Klägerin hinsichtlich der betriebswirtschaftlichen Erforderlichkeit des Unfallersatztarifes beweisfällig geblieben sei. Zur
Feststellung der Erforderlichkeit der sich an einem Unfallersatztarif orientierenden Mietwagenkosten hätte ein betriebswirtschaftliches Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, wofür die Klägerin einen entsprechenden
Kostenvorschuss hätte leisten müssen. Dazu sei sie nicht bereit gewesen. Jedoch komme es auf die Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs im Streitfall nicht
an, da die Klägerin den Nachweis geführt habe, dass ihr ein wesentlich günstigerer "Normaltarif" nicht ohne weiteres zugänglich gewesen sei. Der Sachverständige B. habe die Behauptung der Klägerin bestätigt, dass der Unfallersatz-
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tarif, der generell höher sei als der "Normaltarif", im vorliegenden Fall "vom
Technischen her" mit "Normaltarif" zu bezeichnen sei, weil ein Geschädigter
nach einem Verkehrsunfall bei einem Mietwagenunternehmen für sein verunfalltes Fahrzeug bei Offenlegung der Unfallsituation ein Fahrzeug gleicher Klasse
und sofort ausschließlich zum Unfallersatztarif bekomme. Dieser Umstand sei
auch der Kammer nach mannigfaltiger Befassung mit der vorliegenden Problematik bekannt.
II.
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
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stand.
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1. Zutreffend ist der Ansatz des Berufungsgerichts, dass der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand Ersatz der objektiv
erforderlichen Mietwagenkosten verlangen kann. Das Berufungsgericht hat
auch die Grundsätze zutreffend wiedergegeben, die der erkennende Senat zur
Erstattungsfähigkeit sogenannter Unfallersatztarife entwickelt hat (vgl. Senat,
BGHZ 160, 377, 383 f.; 163, 19, 22 f.; Urteile vom 26. Oktober 2004 - VI ZR
300/03 - VersR 2005, 241, 242; vom 15. Februar 2005 - VI ZR 160/04 - VersR
2005, 569 f. und - VI ZR 74/04 - VersR 2005, 568 f.).
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2. Es hat aber die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten zur Beurteilung der Erforderlichkeit des der Klageforderung zugrunde liegenden Unfallersatztarifs nicht ausgeschöpft.
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Wie der erkennende Senat inzwischen mehrfach dargelegt hat (vgl. Urteile vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 - VersR 2006, 133; vom 14. Februar
2006 - VI ZR 126/05 - VersR 2006, 669, 670; vom selben Tag - VI ZR 32/05 -
-6-
VersR 2006, 564, 565; vom 9. Mai 2006 - VI ZR 117/05 - VersR 2006, 986, 987;
vom 13. Juni 2006 - VI ZR 161/05 - VersR 2006, 1273, 1274 und vom 4. Juli
2006 - VI ZR 237/05 - VersR 2006, 1425, 1426) ist es nicht erforderlich, dass
der bei der Schadensabrechnung nach § 287 ZPO besonders freigestellte Tatrichter für die Prüfung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines "Unfallersatztarifs" die Kalkulation des konkreten Unternehmens - gegebenenfalls
nach Beratung durch einen Sachverständigen - in jedem Fall nachvollzieht.
Vielmehr kann sich die Prüfung darauf beschränken, ob spezifische Leistungen
bei der Vermietung an Unfallgeschädigte allgemein einen Aufschlag rechtfertigen, wobei unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den "Normaltarif" in Betracht kommt (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 und vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05 - jeweils aaO). Jedenfalls ist "Normaltarif" nicht der Tarif, der dem Unfallgeschädigten in seiner besonderen Situation angeboten wird, sondern derjenige, der dem Selbstzahler normalerweise
angeboten und der unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gebildet wird
(vgl. Senatsurteil BGHZ 163, 19, 23). In Ausübung des Ermessens nach § 287
ZPO kann der Tatrichter den "Normaltarif" auch auf der Grundlage des gewichteten Mittels des "Schwacke-Mietpreisspiegels" im Postleitzahlengebiet des
Geschädigten - gegebenenfalls mit sachverständiger Beratung - ermitteln (vgl.
Senatsurteil vom 9. Mai 2006 - VI ZR 117/05 - aaO).
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Danach durfte das Berufungsgericht nicht schon deshalb annehmen, der
der Klageforderung zugrunde liegende Unfallersatztarif sei auch mit Rücksicht
auf die Unfallsituation nicht im geltend gemachten Umfang zur Herstellung "erforderlich" gewesen, weil die insoweit beweispflichtige Klägerin nicht bereit gewesen ist, einen Vorschuss für ein betriebswirtschaftliches Gutachten zur Überprüfung des Tarifs zu erbringen. Vielmehr hätte es versuchen müssen, die Frage in anderer Weise zu klären.
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3. Im Streitfall konnte die Frage der Erforderlichkeit auch nicht offen blei-
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ben.
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a) Zwar bedarf die Erforderlichkeit des den "Normaltarif" übersteigenden
Unfallersatztarifs dann keiner Klärung, wenn zur Überzeugung des Tatrichters
feststeht, dass dem Geschädigten die Anmietung zum "Normaltarif" nach den
konkreten Umständen nicht möglich gewesen ist (vgl. Senatsurteile vom 4. Juli
2006 - VI ZR 237/05 - aaO und vom 23. Januar 2007 - VI ZR 243/05 - und
- VI ZR 18/06 - z.V.b.). Doch verstoßen die Feststellungen des Berufungsgerichts gegen § 286 ZPO, im Übrigen sind die Ausführungen auch nicht frei von
Rechtsirrtum. Dies bemängelt die Revision zu Recht.
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b) Nach den vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätzen (vgl.
Senatsurteile BGHZ 163, 19, 24 ff. und vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05 aaO, 671 m.w.N.) muss der Geschädigte darlegen und erforderlichenfalls beweisen, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und
Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten
unter zumutbaren Anstrengungen kein wesentlich günstigerer Tarif auf dem in
seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt - zumindest auf Nachfrage zugänglich war (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 - aaO;
vom 4. April 2006 - VI ZR 338/04 - VersR 2006, 852, 864 und vom 4. Juli 2006
- VI ZR 237/05 - aaO). Für die Frage der Erkennbarkeit der Tarifunterschiede
für den Geschädigten kommt es insbesondere darauf an, ob ein vernünftiger
und wirtschaftlich denkender Geschädigter unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu einer Nachfrage nach einem günstigeren Tarif gehalten gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn er Bedenken gegen die Angemessenheit
des ihm angebotenen Unfallersatztarifs haben muss, die sich insbesondere aus
dessen Höhe ergeben können. Dabei kann es je nach Lage des Einzelfalles
auch erforderlich sein, sich nach anderen Tarifen zu erkundigen und ggf. ein
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oder zwei Konkurrenzangebote einzuholen. In diesem Zusammenhang kann es
eine Rolle spielen, wie schnell der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug benötigt.
Allein das allgemeine Vertrauen darauf, der ihm vom Autovermieter angebotene
Tarif sei "auf seine speziellen Bedürfnisse zugeschnitten", rechtfertigt es dagegen nicht, zu Lasten des Schädigers und seines Haftpflichtversicherers ungerechtfertigt überhöhte und nicht durch unfallbedingte Mehrleistungen des Vermieters gedeckte Unfallersatztarife zu akzeptieren. An die Überzeugungsbildung des Tatrichters sind auch in diesem Punkt die Anforderungen zu stellen,
die für anspruchsbegründende Tatsachen gelten. Denn kann der Geschädigte
nach § 249 BGB grundsätzlich nur den zur Herstellung "erforderlichen" Betrag
verlangen, so gilt dies erst recht für die ausnahmsweise Ersatzfähigkeit an sich
nicht erforderlicher Aufwendungen wegen der Nichtzugänglichkeit eines günstigeren Normaltarifs (vgl. Senatsurteile vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05 -;
vom 9. Mai 2006 - VI ZR 117/05 -; vom 13. Juni 2006 - VI ZR 161/05 - und vom
4. Juli 2006 - VI ZR 237/05 - jeweils aaO).
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c) Im Streitfall fehlt es bereits an schlüssigem, die Nichtzugänglichkeit eines Normaltarifs hinreichend stützenden Klägervortrag, der Umstände aufzeigt
und erforderlichenfalls unter Beweis stellt, welche ausnahmsweise geeignet
gewesen wären, die vom Berufungsgericht angenommene Unmöglichkeit, einen
Ersatzwagen zu einem günstigeren Tarif anzumieten, zu begründen.
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In Anbetracht des Umstandes, dass der angebotene Tarif auffällig hoch
war, hätte es für die Klägerin nahe gelegen, sich nach anderen Tarifen zu erkundigen. Es sind keine Umstände aufgezeigt, die für eine besondere Eilbedürftigkeit der Anmietung und gegen eine Erkundigungspflicht nach günstigeren
Tarifen bzw. Anbietern sprechen könnten (vgl. hierzu Senatsurteile BGHZ 163,
19, 26; vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 - VersR 2006, 133, 134; vom 4. April
2006 - VI ZR 338/04 - und vom 9. Mai 2006 - VI ZR 117/05 - sowie vom 13. Juni
-9-
2006 - VI ZR 161/05 - jeweils aaO). Auch wenn die Anmietung des Ersatzfahrzeuges bereits am Unfalltag erfolgte, handelte sich hierbei um einen normalen
Werktag, an dem in einer mittleren Universitätsstadt, wie der Stadt W., die Angebote anderer Autovermieter ohne größere Schwierigkeiten zur Verfügung
stehen.
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d) Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Autovermieter im
Bereich der Stadt W. einem unfallgeschädigten Kunden ausschließlich den "Unfallersatztarif" anbieten, stützt für sich allein im Hinblick auf die Maßgeblichkeit
der Umstände des konkreten Einzelfalls nicht die Annahme, der Klägerin sei ein
günstigerer Tarif nicht zugänglich gewesen. Allein aus dem Umstand, dass der
Klägerin bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges unter Offenlegung der Unfallsituation von einem Mietwagenunternehmen im Bereich der Stadt W. zunächst ausschließlich der Unfallersatztarif angeboten worden wäre, kann nicht
der Schluss gezogen werden, alle Vermieter hätten die erforderliche Frage
nach einem günstigeren Tarif für Selbstzahler wahrheitswidrig verneint. Danach
kommt es für den Erfolg der Revision nicht mehr entscheidend darauf an, ob die
Beweiswürdigung des Berufungsgerichts im Übrigen den gesetzlichen Anforderungen entspricht und ob die hiergegen erhobenen Rügen der Revision durchgreifen.
III.
16
Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird zu klären haben, ob der Klägerin unter den konkreten Umständen die Anmietung eines
Fahrzeuges zum Normaltarif zugänglich gewesen wäre. Bei Nichterweislichkeit
des fehlenden Zugangs zu einem günstigeren Tarif wird es unter Beachtung der
vom Senat entwickelten Grundsätze zu prüfen haben, ob der geltend gemachte
- 10 -
"Unfallersatztarif" wegen unfallbedingter Mehrkosten seiner Struktur nach als
"erforderlicher" Aufwand zur Schadensbeseitigung angesehen werden kann.
Müller
Wellner
Stöhr
Diederichsen
Zoll
Vorinstanzen:
AG Würzburg, Entscheidung vom 30.11.2005 - 12 C 1581/05 LG Würzburg, Entscheidung vom 12.04.2006 - 42 S 71/06 -