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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 89/07
Verkündet am:
13. November 2007
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 249 Hb
Der Geschädigte, der Ersatz des Reparaturaufwands über dem Wiederbeschaffungswert verlangt, bringt sein für den Zuschlag von bis zu 30% ausschlaggebendes Integritätsinteresse regelmäßig dadurch hinreichend zum Ausdruck,
dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt.
Im Regelfall wird hierfür ein Zeitraum von sechs Monaten anzunehmen sein,
wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen.
BGH, Urteil vom 13. November 2007 - VI ZR 89/07 - LG Mainz
AG Mainz
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. November 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 28. Februar 2007 wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall
vom 30. April 2005, bei dem sein PKW VW Golf I Cabriolet, Erstzulassung Juli
1991, im Heckbereich beschädigt wurde. Die volle Haftung der Erstbeklagten
als Fahrerin und der Zweitbeklagten als Haftpflichtversicherer steht dem Grunde nach außer Streit. Der vom Kläger beauftragte Kfz-Sachverständige C.
schätzte die Reparaturkosten auf 3.093,58 € zuzüglich Mehrwertsteuer, den
Wiederbeschaffungswert auf 3.000,00 € einschließlich Mehrwertsteuer und den
Restwert auf 500,00 €. Am 16. Juni 2005 veräußerte der Kläger das Fahrzeug
an einen Kaufinteressenten in Hamburg.
2
Der Kläger hat behauptet, er habe das Fahrzeug in der Zeit vom 17. bis
21. Mai 2005 durch den Zeugen D. auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens ordnungsgemäß und fachgerecht reparieren lassen. Vor der Repa-
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ratur habe er nicht die Absicht gehabt, den PKW alsbald zu veräußern. Er sei
jedoch am 16. Juni 2005 auf offener Straße von dem Kaufinteressenten angesprochen worden. Dieser habe ihm ein fantastisches Kaufangebot unterbreitet,
das er als wirtschaftlich und verständig handelnder Mensch angenommen habe.
3
Der Kläger verlangt Schadensersatz auf der Basis der von dem Sachverständigen ermittelten Netto-Reparaturkosten nebst einer Nutzungsausfallentschädigung von 215,00 €, Sachverständigenkosten von 443,12 €, einer Kostenpauschale von 25,00 € sowie den Kosten für eine Nachbegutachtung in Höhe von 76,56 € (insgesamt 3.853,26 €). Die Beklagte zu 2 hat auf der Basis eines wirtschaftlichen Totalschadens reguliert und den Wiederbeschaffungswert
abzüglich des Restwertes (2.500,00 €), die Kosten der Erstbegutachtung sowie
die Kostenpauschale ersetzt (insgesamt 2.968,12 €).
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Das Amtsgericht hat die auf Zahlung des Differenzbetrages von 885,14 €
gerichtete Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers
zurückgewiesen und die Revision zugelassen, mit der der Kläger sein Begehren
weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
I.
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Das Berufungsgericht billigt dem Kläger einen Ersatzanspruch nur in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands zu. Es führt aus, nach einem Verkehrsunfall mit wirtschaftlichem Totalschaden könne der Geschädigte zwar grundsätzlich Ersatz des Reparaturaufwands bis zur Grenze von 130% des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs verlangen, wenn die Reparatur fachgerecht
und vollständig durchgeführt werde. Der sogenannte Integritätszuschlag von
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30% sei jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn der Geschädigte das Fahrzeug
nach der Reparatur auch tatsächlich weiter benutzen wolle, nicht dagegen,
wenn er von vornherein die Absicht habe, es danach alsbald zu veräußern. Die
Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Wille zur Weiterbenutzung des
Fahrzeugs bei Reparaturbeginn vorgelegen habe, trage der Geschädigte. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger seinen PKW schon etwa vier Wochen
nach der Reparatur verkauft habe, hätte es im Streitfall näheren Vortrags dazu
bedurft, wie es zu dem von ihm behaupteten "Sinneswandel" gekommen sei.
Daran fehle es hier, da der Kläger den Inhalt des behaupteten Kaufangebots
nicht mitgeteilt habe. Zudem sei der Vortrag dazu auch verspätet und deshalb
nicht zuzulassen. Die beantragte Parteivernehmung des Klägers sei nicht zulässig, da die Beklagten ihr widersprochen hätten und es auch an dem erforderlichen Anfangsbeweis dafür fehle, dass der Kläger das Kaufangebot erst nach
der Reparatur erhalten habe.
II.
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Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im
Ergebnis stand.
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1. Das Berufungsgericht unterstellt, dass die Reparatur des Fahrzeugs
fachgerecht und in einem Umgang durchgeführt worden ist, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat. Von diesem
Sachverhalt ist für das Revisionsverfahren auszugehen.
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2. Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der
Geschädigte in einem solchen Fall unter bestimmten Voraussetzungen Ersatz
des Reparaturaufwandes bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des
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Fahrzeugs verlangen (Senatsurteile BGHZ 115, 363, 371; 162, 161, 166; vom
8. Dezember 1998 - VI ZR 66/98 - VersR 1999, 245, 246 und vom 17. März
1992 - VI ZR 226/91 - aaO; vgl. auch OLG Hamm, NZV 1991, 351, 352 = DAR
1991, 333, 334; Medicus, Jus 1973, 211, 212; Weber, DAR 1991, 11). Mit den
schadensrechtlichen Grundsätzen des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Verbots der Bereicherung (vgl. Senatsurteil BGHZ 154, 395, 397 f.) ist es grundsätzlich vereinbar, dass dem Geschädigten, der sich zu einer Reparatur entschließt und diese auch nachweislich durchführt, Kosten der Instandsetzung
zuerkannt werden, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30% übersteigen
(Senatsurteil BGHZ 115, 364, 371). Denn der Eigentümer eines Kraftfahrzeugs
weiß, wie dieses ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden
ist, ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben
worden sind. Demgegenüber sind dem Käufer eines Gebrauchtwagens diese
Umstände, die dem Fahrzeug ein individuelles Gepräge geben (vgl. Jordan,
VersR 1978, 688, 691), zumeist unbekannt. Dass ihnen ein wirtschaftlicher
Wert zukommt, zeigt sich auch darin, dass bei dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs aus "erster Hand" regelmäßig ein höherer Preis gezahlt wird (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 1998 - VI ZR 66/98 - aaO).
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3. Dass der Geschädigte Schadensersatz erhält, der den Wiederbeschaffungswert übersteigt, steht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Bereicherungsverbot aber nur im Einklang, wenn er den Zustand des ihm vertrauten
Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der
Reparatur weiter zu nutzen. Sein für den Zuschlag von bis zu 30% ausschlaggebendes Integritätsinteresse bringt der Geschädigte im Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen
längeren Zeitraum nutzt. Für die Fälle, in denen der Fahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt und der Geschädigte sein Fahrzeug zunächst weiter nutzt, später aber veräußert, hat der erkennende Senat entschie-
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den, dass ein Anspruch auf Ersatz der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten ohne Abzug des Restwerts besteht, wenn der Geschädigte das
Fahrzeug mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt (BGHZ 168,
43, 47 f.). Die Frage, wie lange der Geschädigte sein Fahrzeug weiter nutzen
muss, um sein Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck zu bringen, ist für
Fälle der vorliegenden Art grundsätzlich nicht anders zu beurteilen. Im Regelfall
wird hierfür ein Zeitraum von sechs Monaten anzunehmen sein, wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen.
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4. Solche besonderen Umstände sind nach den vom Berufungsgericht
getroffenen Feststellungen vorliegend nicht gegeben.
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a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, den Kläger treffe die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er
den Willen zur Weiterbenutzung seines Fahrzeugs gehabt habe. Nach allgemeinen Grundsätzen des Beweisrechts ist es Sache des Anspruchstellers, diejenigen Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar
2006 - VI ZR 126/05 - VersR 2006, 669, 670; Baumgärtel/Strieder, Handbuch
der Beweislast im Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl., § 249 Rn. 1). Die Darlegungs- und
Beweislast dafür, dass der als Ersatz verlangte Geldbetrag objektiv zur Wiederherstellung im Sinne des § 249 BGB erforderlich ist, trägt mithin der Geschädigte (vgl. Senatsurteile BGHZ 54, 45, 47; vom 10. Februar 1987 - VI ZR 17/86 VersR 1987, 668; vom 21. Januar 1992 - VI ZR 142/91 - VersR 1992, 457 und
vom 4. April 2006 - VI ZR 338/04 - VersR 2006, 852, 854; BGH, Urteile vom
22. Oktober 1987 - III ZR 197/86 - NJW-RR 1988, 410 und vom 23. Oktober
1991 - XII ZR 144/90 - NJW-RR 1992, 202). Verlangt er nach einem Verkehrsunfall mit wirtschaftlichem Totalschaden Ersatz des den Wiederbeschaffungswert seines Fahrzeugs übersteigenden Reparaturaufwands, muss er im
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Rechtsstreit gegebenenfalls den Nachweis erbringen, dass die Voraussetzungen für eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis vorliegen. Da ihm diese
Möglichkeit bei einem wirtschaftlichen Totalschaden nur dann offen steht, wenn
er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall deshalb wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen, ist er
dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass dieser Nutzungswille vorgelegen
hat (OLG Düsseldorf, VersR 2004, 1620, 1622).
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b) Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kläger habe angesichts
der Tatsache, dass er seinen PKW schon knapp vier Wochen nach Abschluss
der Reparatur veräußert habe, nicht hinreichend dargetan, dass er die Absicht
gehabt habe, das Fahrzeug weiter zu benutzen. Diese tatrichterliche Beurteilung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Allerdings sind an den
Nachweis des Weiterbenutzungswillens, für den das Beweismaß von § 287
ZPO gilt, nur maßvolle Anforderungen zu stellen (vgl. OLG Düsseldorf, VersR
2004, 1620, 1622; OLG Karlsruhe, aaO; OLG Hamm, ZfSch 1995, 415, 416).
Dass das Berufungsgericht dies verkannt habe, ist nicht ersichtlich und wird von
der Revision auch nicht geltend gemacht. Soweit sie meint, der Kläger habe
substanziiert dargelegt, dass er entgegen seiner ursprünglichen Absicht der
Weiterbenutzung des Fahrzeugs dieses aufgrund eines nicht vorhersehbaren
Kaufangebots veräußert habe, verkennt sie, dass der Kläger, worauf das Berufungsgericht mit Recht hinweist, keine näheren Angaben zum Inhalt des von
ihm behaupteten Kaufangebots vorgetragen hat. Bei dieser Sachlage brauchte
das Berufungsgericht seinem Vortrag zu dem von ihm in Anspruch genommenen Integritätsinteresse nicht nachzugehen, zumal es dafür auch an einem zulässigen Beweisantrag fehlte. Die Voraussetzungen für die vom Kläger beantragte eigene Parteivernehmung lagen, wie das Berufungsgericht zutreffend
ausführt, nicht vor (§§ 447, 448 ZPO). Dem Antrag auf Zeugenvernehmung des
Kaufinteressenten konnte schon deshalb nicht entsprochen werden, weil der
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Kläger dessen Anschrift nicht rechtzeitig, sondern erst - durch Vorlage einer
Kopie des Kaufvertrages - mit dem am 16. Februar 2007 nach Ablauf der ihm
gewährten Schriftsatzfrist (13. Februar 2007) eingegangenen Schriftsatz mitgeteilt hat.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Müller
Greiner
Pauge
Wellner
Stöhr
Vorinstanzen:
AG Mainz, Entscheidung vom 10.01.2006 - 72 C 379/05 LG Mainz, Entscheidung vom 28.02.2007 - 3 S 11/06 -