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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 22/16
Verkündet am:
21. Februar 2017
Olovcic
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 313a, § 540; BGB § 254 (Dc)
Aus einem Berufungsurteil, gegen das die Revision stattfindet, muss zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist,
welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen. Fehlen solche Darstellungen, hat das Revisionsgericht das Urteil von Amts wegen aufzuheben und
die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (Fortführung Senatsurteil vom 30. September 2003 - VI ZR
438/02, BGHZ 156, 216).
BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 - VI ZR 22/16 - LG Oldenburg
AG Westerstede
ECLI:DE:BGH:2017:210217UVIZR22.16.0
- 2 -
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Februar 2017 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter
Offenloch und die Richterinnen Dr. Oehler, Dr. Roloff und Müller
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 13. Januar 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin nimmt den Beklagten nach einem Verkehrsunfall aus § 7
Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG auf restlichen (Sach-)Schadensersatz in
Anspruch.
2
Das Fahrzeug der Klägerin wurde im August 2014 bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Ein von der Klägerin eingeholtes Sachverständigengutachten
wies einen Wiederbeschaffungswert von 13.990 € und einen Restwert von
4.000 € aus. Die Klägerin veräußerte das beschädigte Fahrzeug, indem sie es
beim Kauf eines anderen Fahrzeugs zum im Gutachten ausgewiesenen Restwert in Zahlung gab, ohne dem Beklagten - jedenfalls vor Abschluss der ent-
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sprechenden Vereinbarung - Gelegenheit gegeben zu haben, das Unfallfahrzeug besser zu verwerten. Am 5. September 2014 legte der Beklagte ein
Restwertangebot über 7.770 € vor. Den auf der Grundlage eines Restwerts
von 7.770 € errechneten Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 6.220 €
(13.990 € abzüglich 7.770 €) ersetzte er der Klägerin. Diese verlangt in der
Hauptsache als weiteren Schadensersatz die Differenz zum - auf die Höhe der
fiktiven Reparaturkosten beschränkten - Wiederbeschaffungsaufwand bei Zugrundelegung eines Restwerts von 4.000 €, insgesamt einen Betrag von
3.740,29 €.
3
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat das
Urteil des Amtsgerichts auf die Berufung des Beklagten abgeändert und die
Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
4
Das Berufungsgericht hat angenommen, zwar sei im Grundsatz davon
auszugehen, dass der Geschädigte dem Wirtschaftlichkeitsgebot nachkomme
und folglich nicht gegen § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB verstoße, wenn er das Unfallfahrzeug auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens und des darin ausgewiesenen Restwerts verkaufe oder in Zahlung gebe. Der Geschädigte verletze die ihm obliegende Schadensminderungspflicht
aber, wenn er das Unfallfahrzeug veräußere, ohne zuvor dem Schädiger oder
dessen Kfz-Haftpflichtversicherer Gelegenheit gegeben zu haben, eine günstigere Verwertung als im Gutachten vorgesehen vorzunehmen. Dies gelte jeden-
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falls, wenn der Geschädigte kein berechtigtes Interesse an einer sofortigen
Verwertung habe. Dem Schädiger sei dann nicht zuzumuten, in jedem Falle die
Ergebnisse des vom Geschädigten eingeholten Privatgutachtens hinzunehmen.
Da die Klägerin im Streitfall keinen vernünftigen Grund vorgetragen habe, das
Fahrzeug sofort zu veräußern, sei der Berechnung der Schadensersatzhöhe
das vom Beklagten vorgelegte Restwertangebot zugrunde zu legen.
II.
5
Die Revision der Klägerin ist schon deshalb begründet, weil das Berufungsurteil eine der Vorschrift des § 540 ZPO entsprechende Darstellung nicht
enthält.
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1. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass aus einem Berufungsurteil, gegen das die Revision stattfindet, zu ersehen sein muss,
von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist, welches
Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen
Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den Sachverhalt selbst zu ermitteln, um abschließend beurteilen zu können, ob die Revision begründet ist (Senatsurteil vom 30. September
2003 - VI ZR 438/02, BGHZ 156, 216, 218; BGH, Urteil vom 5. März 2015 - I ZR
164/13, NJW 2015, 3309 RN. 7; jeweils mwN). Fehlen im Berufungsurteil die
entsprechenden Darstellungen, leidet es an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel; das Revisionsgericht hat das Urteil in einem
solchen Fall grundsätzlich aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (Senatsurteil
vom 30. September 2003 - VI ZR 438/02, aaO 220; BGH, Urteile vom 5. März
2015 - I ZR 164/13, aaO Rn. 8; vom 11. Oktober 2012 - VII ZR 10/11, NJW
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2012, 3569 Rn. 6 und 8; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 540 Rn. 6a; HkZPO/Wöstmann, 7. Aufl., § 540 Rn. 2; jeweils mwN).
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2. Das angefochtene Urteil wird den dargestellten Erfordernissen nicht
gerecht.
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a) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht von der Bezugnahme auf
die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger
Änderungen und Ergänzungen unter Anwendung von § 540 Abs. 1 Nr. 1,
Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen. Nachdem das Berufungsgericht
die Revision selbst zugelassen hat, lagen die Voraussetzungen für ein Absehen
von der von § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich vorgeschriebenen
Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit
Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen offensichtlich nicht vor.
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b) Von einer Aufhebung und Zurückverweisung kann im Streitfall auch
nicht ausnahmsweise abgesehen werden.
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Von der Aufhebung und Zurückverweisung bei Fehlen eines Tatbestandes und der in § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO genannten Darstellung kann nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung zwar ausnahmsweise abgesehen werden,
wenn sich die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung hinreichend deutlich aus den Gründen des Berufungsurteils ergeben (BGH, Urteil
vom 11. Oktober 2012 - VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569 Rn. 6). Ein solcher
Ausnahmefall liegt im Streitfall aber nicht vor. Aus den Gründen des Berufungsurteils lässt sich kein ausreichendes Bild vom Sach- und Streitstand gewinnen.
So fehlen Ausführungen dazu, was die Parteien zum Haftungsgrund vorgetragen haben; dem angefochtenen Urteil lässt sich nicht entnehmen, ob die volle
Einstandspflicht des Beklagten auch in der Berufungsinstanz unstreitig war. Zudem wird das Rechtsschutzbegehren der Klägerin nur unvollständig wiederge-
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geben. So mag sich den Gründen des angefochtenen Urteils noch hinreichend
deutlich entnehmen lassen, dass die Klägerin in der Hauptsache Zahlung von
3.740,29 € verlangt. Was sich hinter den im Berufungsurteil erwähnten "geltend
gemachten Nebenforderungen" verbirgt, ergibt sich aus dem Berufungsurteil
aber nicht. Schließlich bleibt auch unklar, ob das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass sich die Klägerin im Zeitpunkt des Nachweises der alternativen Verwertungsmöglichkeit durch den Beklagten hinsichtlich der Verwertung
bereits anderweitig gebunden hatte oder nicht. Denn einerseits stellt es fest, die
Klägerin habe das Fahrzeug am 29. August 2014 für 4.000 € veräußert, andererseits führt es aus, die Klägerin habe durch den "Kauf eines neuen Fahrzeugs
und die Inzahlungnahme des Unfallfahrzeugs" einen Kaufvertrag mit Ersetzungsbefugnis abgeschlossen, weshalb es ihr unbenommen gewesen sei, den
Unfallwagen anderweitig zu veräußern und die fehlenden 4.000 € als Geldverbindlichkeit zu erfüllen.
III.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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Soweit der angefochtenen Entscheidung die Rechtsauffassung zugrunde
liegt, ein Geschädigter habe vor dem Verkauf des Unfallfahrzeugs zu dem im
von ihm eingeholten Gutachten ermittelten Restwert dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer grundsätzlich Gelegenheit zu geben, eine günstigere
Verwertung als im Gutachten vorgesehen vorzunehmen, widerspricht dies der
gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats (Senatsurteile vom
27. September 2016 - VI ZR 673/15, DAR 2017, 19 Rn. 9, 12; vom 6. April 1993
- VI ZR 181/92, VersR 1993, 769, 770). Sollte sich die Klägerin, was - wie dargestellt - im Berufungsurteil unklar bleibt, im Zeitpunkt, in dem ihr das vom Be-
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klagten vorgelegte Restwertangebot über 7.770 € bekannt wurde, hinsichtlich
der Verwertung des Unfallfahrzeugs noch nicht anderweitig gebunden haben,
wird im Hinblick auf ihre Pflicht zur Geringhaltung des Schadens gemäß § 254
Abs. 2 Satz 1 BGB allerdings zu prüfen sein, ob es ihr in der konkreten Situation zumutbar war, von dem Restwertangebot Gebrauch zu machen (vgl. Senatsurteil vom 1. Juni 2010 - VI ZR 316/09, NJW 2010, 2722 Rn. 8 ff., mwN).
Galke
Offenloch
Roloff
Oehler
Müller
Vorinstanzen:
AG Westerstede, Entscheidung vom 16.04.2015 - 22 C 894/14 LG Oldenburg, Entscheidung vom 13.01.2016 - 5 S 225/15 -