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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 304/01
Verkündet am:
3. Dezember 2002
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
ja
SGB X § 117
Erbringen der Unfallversicherungsträger und der Rentenversicherungsträger einem
Unfallgeschädigten Rentenleistungen und reicht der gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf
die Versicherungsträger übergegangene Schadensersatzanspruch nicht aus, die
von beiden Versicherungsträgern erbrachten Leistungen abzudecken, so sind die
Versicherungsträger, soweit sie konkurrieren, entsprechend § 117 SGB X Gesamtgläubiger.
SGB VI § 93 Abs. 2 Nr. 2 a, SGB VII §§ 56 ff., SGB X § 117
Die Verletztenrente aus der Unfallversicherung ist auch nach Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 in vollem Umfang mit dem Erwerbsschaden des Unfallgeschädigten kongruent.
BGH, Urteil vom 3. Dezember 2002 - VI ZR 304/01 - KG Berlin
LG Berlin
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Dezember 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter
Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 12. Zivilsenats
des Kammergerichts vom 9. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen der Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die klagende Berufsgenossenschaft (Klägerin) macht gegen den beklagten Rentenversicherungsträger (Beklagte) unter Berufung auf § 117 Satz 2
SGB X einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 78.157,34 DM geltend.
Am 16. August 1994 wurde Frau F. auf dem Heimweg von ihrem Arbeitsplatz bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Auf Grund ihrer Verletzungen kann sie ihre vor dem Unfall ausgeübte Tätigkeit als Verkäuferin nicht
mehr ausüben. Von der Beklagten erhält sie deshalb eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Darüber hinaus bezieht sie von der Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung eine Verletztenrente auf der Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 vom Hundert.
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Im Mai 1998 vereinbarten die Beklagte und der - für die Unfallfolgen in
vollem Umfang eintrittspflichtige - Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers, den verletzungsbedingten Anspruch der F. auf Ersatz ihres Erwerbsschadens mit Wirkung ab 1. Juni 1998 zu kapitalisieren. Die Beklagte errechnete den im Innenverhältnis zur Klägerin auf sie entfallenden Teil dieses Anspruchs anhand des Verhältnisses der von den Parteien jeweils erbrachten
Sozialleistungen. Dabei berücksichtigte sie die von der Klägerin gezahlte Verletztenrente allerdings nicht in voller Höhe. Vielmehr kürzte sie diese im Hinblick auf die in § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI getroffene Regelung um den Betrag,
der bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 80 vom Hundert am 1. Juni
1998 als Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren gewesen wäre. Der Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers zahlte den derart
ermittelten Betrag von 298.956,28 DM an die Beklagte aus.
Die Klägerin ist u.a. der Auffassung, die von ihr gezahlte Verletztenrente
sei bei der Berechnung des Verhältnisses der von den Parteien erbrachten Sozialleistungen in voller Höhe zu berücksichtigen, weil diese Rente - ungeachtet
der in § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI getroffenen Regelung - in vollem Umfang
Lohnersatzfunktion habe. Bei Zugrundelegung dieser Auffassung entfällt auf
die Beklagte unstreitig ein anteiliger Schadensersatzanspruch in Höhe von lediglich 220.798,94 DM. Die Differenz zwischen diesem und dem vom Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers an die Beklagte gezahlten Betrag hat
die Klägerin mit der Klage geltend gemacht.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Ihre Berufung
ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihren Klageabweisungsantrag weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hält die Berufung der Beklagten für zulässig, obwohl die Parteien in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht
erklärt haben, sie seien mit einer Sprungrevision einverstanden. Darin liege die
wirksame Vereinbarung eines Berufungsverzichtes, der die Zulässigkeit der
Berufung nicht berühre, sondern erst auf entsprechenden Einwand der Gegenseite relevant werde; die Klägerin habe jedoch ausdrücklich erklärt, den Einwand der Unzulässigkeit der Berufung nicht zu erheben.
In der Sache meint das Berufungsgericht, die Klägerin könne von der
Beklagten in analoger Anwendung des § 117 Satz 2 SGB X die Zahlung des
Differenzbetrages von 78.157,34 DM verlangen. Die Parteien seien analog
§ 117 Satz 1 SGB X einander als Gesamtgläubiger im Verhältnis der von ihnen
erbrachten Sozialleistungen zum Ausgleich verpflichtet. Bei Annahme einer
Teilgläubigerschaft ergebe sich der geltend gemachte Zahlungsanspruch jedenfalls aus § 816 Abs. 2 BGB.
Bei der Berechnung des für den Klageanspruch maßgeblichen Größenverhältnisses der von den Parteien erbrachten Sozialleistungen sei die von der
Klägerin gezahlte Verletztenrente in voller Höhe zu berücksichtigen. Denn dieser Rente komme in vollem Umfang Lohnersatzfunktion zu; sie diene nicht
- auch nicht teilweise - dem Ausgleich immaterieller Schäden oder der Deckung
verletzungsbedingten Mehrbedarfs. Dies gelte auch für den Teilbetrag der
Verletztenrente in Höhe der bei gleichem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu gewährenden Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz, der
gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI von der Anrechnung auf die Erwerbsunfä-
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higkeitsrente ausgenommen sei. Vor Inkrafttreten des § 93 SGB VI habe kein
Zweifel daran bestanden, daß die Verletztenrente in voller Höhe Lohnersatzfunktion gehabt habe. Daß der Gesetzgeber den Charakter der Verletztenrente
habe ändern wollen, sei § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI nicht zu entnehmen. Der
Bezugnahme auf die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz sei über
eine bloße Berechnungsgrundlage hinaus keine weitergehende Bedeutung
beizumessen.
II.
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist die - mit der Revision nicht angegriffene - Annahme des Berufungsgerichts, die Berufung sei zulässig. Zwar
führt ein dem Gericht gegenüber wirksam erklärter Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung unmittelbar zur Unzulässigkeit der dennoch eingelegten
Berufung (vgl. Senatsurteil vom 12. März 2002 - VI ZR 379/01 - VersR 2002,
1125, 1126). Die Erklärung der Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht, wonach sie mit einer Sprungrevision einverstanden
sei, hatte aber keinen Berufungsverzicht zur Folge. Sie beinhaltet, was der Senat selbst durch Auslegung feststellen kann (vgl. Senatsurteil vom 12. März
2002 - VI ZR 379/01 – aaO), keine Verzichtserklärung. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Parteien mehr vereinbaren wollten, als sich dem
Wortlaut ihrer Erklärungen entnehmen läßt, insbesondere daß sie darüber hinaus unabhängig von der Frage, ob der Gegner tatsächlich Sprungrevision einlegt, auf die Berufung verzichten wollten. Derartiger Anhaltspunkte bedürfte es
jedoch für die Annahme eines Rechtsmittelverzichts (vgl. Senatsurteil vom
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12. März 2002 - VI ZR 379/01 - aaO m.w.N.; BGH, Beschluß vom 24. April
1997 - III ZB 8/97 - NJW 1997, 2387). Der Erklärung der Beklagten kommt
auch nicht die Verzichtswirkung des § 566a Abs. 4 ZPO a.F. zu; denn § 566a
Abs. 4 ZPO a.F. greift nur dann ein, wenn der Gegner tatsächlich Sprungrevision einlegt (vgl. BGH, Beschluß vom 24. April 1997 - III ZB 8/97 - aaO).
2. Zutreffend ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, die Parteien
seien hinsichtlich des auf sie übergegangenen Erwerbsschadensersatzanspruchs der Geschädigten F. in entsprechender Anwendung des § 117 Satz 1
SGB X Gesamtgläubiger.
a) § 117 Satz 1 SGB X ordnet eine Gesamtgläubigerschaft mehrerer Sozialversicherungsträger nur für den Fall an, daß der übergegangene Schadensersatzanspruch auf Grund einer gesetzlichen Haftungshöchstgrenze oder
mitwirkender Verantwortlichkeit des Geschädigten nicht ausreicht, um die von
ihnen erbrachten kongruenten Leistungen zu decken. Nicht geregelt dagegen
ist die Fallkonstellation, in der - wie im Streitfall - der Schadensersatzanspruch
des Geschädigten trotz unbeschränkter Haftung des Schädigers wegen der
unterschiedlichen Berechnungsweise im Zivil- und Sozialrecht geringer ist als
die infolge des Schadensereignisses erbrachten gleichartigen Sozialleistungen
verschiedener Sozialversicherungsträger.
b) Nach der überwiegenden Auffassung in der Literatur ist § 117 SGB X
auf diese Fallgestaltung entsprechend anzuwenden (vgl. Hauck/Haines,
SGB X/3, Stand 1. Mai 1985, § 117 Rdn. 10; Wannagat/Eichenhofer, SGB,
Stand März 2001, § 117 Rdn. 6 ff.; GK-SGB X 3/v. Maydell, § 117 Rdn. 23 ff.;
Kasseler Kommentar/Kater, Sozialversicherungsrecht, Stand März 2001, § 117
Rdn. 15 f.; Giese, SGB, Stand Januar 2002, § 117 SGB X Rdn. 3.3; v. Wulffen/Schmalz, SGB, 4. Aufl., § 117 Rdn. 4 f.; Pickel, SGB X, Stand Februar
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2001, § 117 Rdn. 15 f.; ders., SGb 1985, 177, 178; Küppersbusch, VersR 1983,
193, 205; ders., Ersatzansprüche bei Personenschaden, 7. Aufl., Rdn. 501;
Nagel, VersR 1988, 545; Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozeß, 23. Aufl.,
Kapitel 30 Rdn. 125; Wussow/Schneider, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., Kapitel 77 Rdn. 1; Krauskopf/Marburger, Die Ersatzansprüche nach § 116 SGB X,
Bd. II, 4. Aufl., S. 78 f.; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 1. Januar 1996, § 117 SGB X Rdn. 2; Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialleistungsträger vom 10./11. März
1983, DOK 1984, 471, 478 f; a.A. Jahn/Jansen, SGB X, Stand 1. September
1998, § 117 Rdn. 3). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Die Voraussetzungen für eine Analogie, eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes und eine vergleichbare Interessenlage
(vgl. dazu Senatsurteil vom 12. Dezember 2000 - VI ZR 411/99 - VersR 2001,
524, 525 m.w.N.), liegen vor.
aa) § 117 SGB X enthält eine planwidrige Regelungslücke. Der Gesetzgeber wollte mit dem SGB X die Zusammenarbeit der Leistungsträger übersichtlich und an einer Stelle regeln und ihr Handeln durch systematische Neufassung ihrer Erstattungsansprüche untereinander fördern (BT-Drucks. 9/95,
S. 1). § 123 des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, auf den der heutige
§ 117 SGB X zurückgeht, sollte zu diesem Zweck alle Fälle erfassen, in denen
der gemäß § 122 des Entwurfs (§ 116 SGB X) übergegangene Schadensersatzanspruch aus Rechtsgründen nicht zur vollen Befriedigung aller Leistungsträger ausreicht. Satz 1 der Bestimmung war deshalb ganz allgemein gefaßt; er
sah Gesamtgläubigerschaft immer dann vor, wenn jemand „mehreren Leistungsträgern gegenüber beschränkt“ haftet. Hierdurch sollte der zum Schadensersatz Verpflichtete entlastet werden; ihm sollte die oft schwierige Ermittlung, in welcher Höhe der einzelne Leistungsträger sachlich legitimiert ist, er-
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spart bleiben. Durch die Regelung in Satz 2 sollte ein baldiger Ausgleich unter
den Leistungsträgern sichergestellt werden (BT-Drucks. 9/95, S. 29; vgl. bereits § 138 Satz 2 des Referentenentwurfs zum SGB X – Neumann-Duesberg,
BKK 1979, 201, 209; Hauck/Haines, aaO, Rdn. 2 Fn. 10). § 123 des Regierungsentwurfes hätte die vorliegende Fallgestaltung erfaßt (vgl. Wannagat/Eichenhofer, aaO, Rdn. 6; Kasseler Kommentar/Kater, aaO, Rdn. 15).
Zwar wurde im Gesetzgebungsverfahren der Begriff der beschränkten
Haftung des Schädigers auf Anregung des Bundesrates durch die Verweisung
auf § 116 Satz 2 und 3 SGB X ersetzt (vgl. BT-Drucks. 9/95, S. 42 zu Ziff. 38).
Hierdurch sollte aber die vorliegende Fallgestaltung, in der der Gesamtbetrag
der Sozialleistungen, die infolge des Schadensereignisses erbracht werden,
die Schadensersatzverpflichtung des Schädigers trotz dessen voller Haftung
übersteigt, nicht endgültig aus dem Anwendungsbereich des § 117 SGB X herausgenommen werden. Der Bundesrat hatte mit seinem Änderungsvorschlag
die Anregung verbunden, zu prüfen, ob die von ihm vorgeschlagene Fassung
des § 123 des Entwurfs nicht auch auf diese Fälle ausgedehnt werden solle
(vgl. BT-Drucks. 9/95, S. 42 zu Ziff. 39). Die Bundesregierung hatte ausdrücklich die Prüfung der aufgeworfenen Frage zugesagt (BT-Drucks. 9/95, S. 48 zu
Ziff. 39), die indessen unterblieb.
Im Hinblick auf diesen Gang des Gesetzgebungsverfahrens, insbesondere die ursprüngliche Regelungsabsicht des Gesetzgebers, ist davon auszugehen, daß dieser entweder eine ausdrückliche Regelung getroffen oder zumindest nähere Ausführungen in der Gesetzesbegründung gemacht hätte,
wenn er die zuletzt genannte Fallkonstellation einer anderen rechtlichen Beurteilung hätte zuführen wollen, zumal ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung der jeweiligen Sachverhalte nicht ersichtlich ist.
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Zudem ist zu berücksichtigen, daß der Bundesgerichtshof bis zum Inkrafttreten des § 117 SGB X in ständiger Rechtsprechung nicht nur in den in
dieser Bestimmung ausdrücklich genannten Fällen, sondern auch dann, wenn
der übergegangene Schadensersatzanspruch aus anderen Gründen nicht ausreichte, um den beteiligten Sozialversicherungsträgern, soweit sie konkurrierten, vollen Ersatz ihrer kongruenten Leistungen zu gewähren, von einer Gesamtgläubigerschaft der Versicherungsträger ausging (vgl. Senatsurteile BGHZ
28, 68, 73 ff.; vom 1. Juli 1969 - VI ZR 216/67 - VersR 1969, 898; vom 4. März
1986 - VI ZR 234/84 - VersR 1986, 810, 811; BGH, Urteil vom 17. Mai 1979
- III ZR 176/77 – VersR 1979, 741).
bb) Der zur Beurteilung stehende Sachverhalt ist mit dem vergleichbar,
den der Gesetzgeber in § 117 SGB X geregelt hat. Ebenso wie in den vom
Wortlaut des § 117 SGB X erfaßten Fällen ist es dem Schädiger auch bei einer
Fallgestaltung wie der vorliegenden nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten
möglich, den Umfang der Regreßberechtigung des einzelnen Leistungsträgers
zu beurteilen. Der Ausgleich muß auch hier unter den Leistungsträgern gefunden werden und darf nicht zu Lasten des Schädigers ausgetragen werden (vgl.
Hauck/Haines, aaO, Rdn. 10; GK - SGB X 3/v. Maydell, aaO, Rdn. 23; Pickel,
aaO, Rdn. 16; Wannagat/Eichenhofer, aaO, Rdn. 6). Auch in der vorliegenden
Fallkonstellation sind die Leistungsträger gleichberechtigte Zessionare im Sinne des § 116 SGB X, die hinsichtlich des übergegangenen Ersatzanspruchs
konkurrieren (vgl. Hauck/Haines, aaO).
Insofern unterscheidet sich der zur Beurteilung stehende Sachverhalt
von dem, der der Entscheidung des Senats vom 14. Februar 1989 (VI ZR
244/88 - VersR 1989, 648) zugrunde liegt. Letzterer war dadurch gekennzeichnet, daß die beteiligten Sozialversicherungsträger jeweils lediglich Inhaber ei-
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nes bestimmten Teils des der Geschädigten zustehenden Schadensersatzanspruchs geworden waren; sie konnten bezüglich dieser Forderung nicht miteinander konkurrieren (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar 1989 - VI ZR 244/88 aaO, S. 649).
3. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch angenommen, daß der Klägerin der geltend gemachte Ausgleichsanspruch zusteht. Die Beklagte hat von
dem Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers eine höhere Schadensersatzleistung erhalten, als ihr im Verhältnis zur Klägerin gebührt.
a) Gemäß § 117 Satz 2 SGB X bestimmen sich die den Sozialversicherungsträgern im Innenverhältnis zustehenden Anteile am übergegangenen
Schadensersatzanspruch nach dem Verhältnis der von ihnen erbrachten Sozialleistungen. § 117 SGB X knüpft an den Forderungsübergang gemäß § 116
SGB X an. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift geht ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Schadensersatzanspruch auf den Versicherungsträger oder den Träger der Sozialhilfe über, soweit dieser auf Grund des
Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie
der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen. In die Berechnung
des Ausgleichs zwischen den mehreren Sozialversicherungsträgern fließen
demnach nur solche Leistungen ein, die dem dem Geschädigten entstandenen
Schaden sachlich und zeitlich kongruent sind (so schon zur alten Rechtslage
Senatsurteile BGHZ 28, 68, 72 und vom 15. März 1983 - VI ZR 156/80 - VersR
1983, 686, 687; vgl. jetzt z.B. Hauck/Haines, aaO, Rdn. 6; Kasseler Kommentar/Kater, aaO, Rdn. 17; Wannagat/Eichenhofer, aaO, Rdn. 9).
b) Danach ist im Streitfall die von der Klägerin gezahlte Verletztenrente
bei der Feststellung des für die Aufteilung im Innenverhältnis maßgeblichen
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Verhältnisses der von den Parteien erbrachten Sozialleistungen in voller Höhe
zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht der Beklagten muß sie nicht in Höhe
des Betrages, der gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI von der Anrechnung auf
die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgenommen ist, bei der
Berechnung außer Betracht bleiben. Sie ist auch in dieser Höhe mit dem auf
die Parteien übergegangenen Anspruch auf Ersatz des der F. entstandenen
Erwerbsschadens kongruent. Die Verletztenrente hat auch insoweit Lohnersatzfunktion.
aa) Der Senat hat die Zweckbestimmung der Verletztenrente bisher in
ständiger Rechtsprechung ausschließlich im Ausgleich des (abstrakt berechneten) Erwerbsschadens gesehen und deshalb die Kongruenz zwischen dieser
Sozialleistung und dem auf Ersatz des Verdienstausfalls gerichteten Schadensersatzanspruch uneingeschränkt bejaht (vgl. Senatsurteile BGHZ 85, 127,
130; vom 20. Mai 1958 - VI ZR 130/57 - VersR 1958, 454, 456; vom 30. Juni
1970 - VI ZR 5/69 - VersR 1970, 899; vom 21. Juni 1977 - VI ZR 16/76 - VersR
1977, 916; vom 9. März 1982 - VI ZR 317/80 – VersR 1982, 552 f.; vom
4. Dezember 1984 - VI ZR 117/83 – VersR 1985, 356).
(1) Der Senat hat dies mit folgenden Erwägungen begründet (Senatsurteil vom 20. Mai 1958 - VI ZR 130/57 - aaO, S. 456):
Die Verletztenrente stelle eine gesetzlich geregelte Entschädigung dafür
dar, daß der Verletzte infolge des Unfalls in seiner Fähigkeit beeinträchtigt sei,
sich einen Erwerb zu verschaffen. Dabei werde nicht auf den tatsächlich eingetretenen Verdienstentgang abgestellt, wie dies bei der Bemessung der
Schadensersatzpflicht
des
Verantwortlichen
nach
haftpflichtrechtlichen
Grundsätzen erforderlich sei, sondern nach Bruchteilen der vollen Erwerbsfähigkeit ermittelt, inwieweit der Verletzte mit den ihm verbliebenen Kräften auf
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dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar noch in Wettbewerb treten könne.
Grundsätzlich werde alsdann die Höhe der Rente auf der Grundlage des im
letzten Jahre vor dem Unfall erzielten Jahresarbeitsverdienstes errechnet.
Aufwendungen, die dem Verletzten wegen gesteigerter Bedürfnisse infolge des
Unfalls erwüchsen, würden neben der gradmäßig festgelegten Erwerbsminderung bei der Festlegung der Unfallrente nicht in Anschlag gebracht; so werde
die etwa zu zahlende Vollrente aus Gründen notwendiger Mehraufwendungen
weder erhöht noch bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit, die nicht die
Grenze der Rentenberechtigung erreiche, wegen Mehraufwendungen die
Rente doch gewährt. Die Verletztenrente stelle daher zweifellos eine laufende
pauschale Entschädigung für Erwerbseinbußen dar.
In
einer
Entscheidung
aus
dem Jahr
1984
(Senatsurteil
vom
4. Dezember 1984 - VI ZR 117/83 - aaO) hat der Senat ausgeführt, die Verletztenrente diene dem Ausgleich des (abstrakt berechneten) Erwerbsschadens, die unabhängig davon gezahlt werde, ob der Verletzte tatsächlich eine
Erwerbseinbuße aus seiner Berufstätigkeit habe; es handele sich um soziale
Existenzsicherung, die die Minderung der Erwerbsfähigkeit schlechthin auffangen solle, wie schon die Einbeziehung von Arbeitsunfällen Auszubildender oder Jugendlicher in die Rentenversorgung (§ 573 RVO) beweise.
(2) Der Senat hat bei dieser Einschätzung nicht den tatsächlichen Funktionswandel der Verletztenrente aus der Unfallversicherung verkannt, der auf
Grund veränderter Umstände in Teilbereichen eingetreten war (vgl. insbesondere Gitter, Festschrift für Krasney, 1997, S. 176 ff.; ders., SGb 1981, 204,
207 f.; ders., Festschrift für Sieg, 1976, 139 ff.; ders., Schadensausgleich im
Arbeitsunfallrecht, 1969, S. 162 ff.). Eine Darstellung dieses Funktionswandels
findet sich in dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November
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1972 (BVerfGE 34, 119, 128 ff.), mit dem es den Ausschluß des bürgerlichrechtlichen Anspruchs auf Ersatz des Nichtvermögensschadens (Schmerzensgeld) durch § 636 Abs. 1 Satz 1 und § 637 Abs. 1 RVO für verfassungsgemäß
erklärt hat. Darauf kann hier weitgehend Bezug genommen werden. Unter anderem hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, der Wandel der Arbeitsverhältnisse, aber auch der medizinischen Versorgung und der beruflichen Rehabilitation habe dazu geführt, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit überhaupt erst bei mittelschweren Fällen beginne, Lohneinbußen zu verursachen.
In den leichteren Fällen stehe der Verletztenrente in der Regel keine Verdienstminderung gegenüber. Aber auch in mittelschweren Fällen falle die Verdienstminderung regelmäßig nicht ins Gewicht, so daß auch hier der Verletztenrente oder einem großen Teil von ihr wirtschaftlich die Funktion des Ersatzes von Vermögensschaden nicht zukomme. Wegen dieser Abweichung der
tatsächlichen Lage von der gesetzlichen Typisierung vermöge die Verletztenrente bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 50 vom Hundert in
Wandlung ihrer eigentlichen Funktion den Nichtvermögensschaden weitgehend auszugleichen.
Der Senat hat diese Erkenntnisse nicht zum Anlaß genommen, der Verletztenrente eine andere Funktion als die eines Lohnersatzes zuzuweisen. In
dem Urteil vom 9. März 1982 (VI ZR 317/80 – aaO), in dem die Frage behandelt wird, ob bei der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen ist, daß
eine geschädigte Schülerin, die keine Erwerbseinbußen erlitten hat, eine Verletztenrente aus der Unfallversicherung bezieht, hat der Senat sich mit diesem
Gesichtspunkt auseinandergesetzt. Er hat dazu unter anderem ausgeführt, die
der Verletztenrente ursprünglich zugrunde liegende Annahme des Gesetzgebers, der abstrakt berechneten Minderung der Erwerbsfähigkeit, die die Rente
auffangen solle, stehe typischerweise ein entsprechender Verdienstausfall ge-
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genüber, treffe heute nicht mehr durchweg zu. Nicht nur ausnahmsweise aufgrund besonderer Fallgestaltung, sondern für ganze Gruppen von Versicherten, so insbesondere für die nach § 539 Abs. 1 Nr. 14a und b RVO versicherten
Kinder und Schüler, darüber hinaus aber auch allgemein bei leichten und u.U.
auch bei mittelschweren Unfallverletzungen fehle es falltypisch an entsprechenden konkreten Verdienstausfallschäden, die die Verletztenrente ausgleichen könne. Diese Entwicklung und die damit für den Versicherten verbundenen Vorteile der gesetzlichen Unfallversicherung habe das Bundesverfassungsgericht als einen der Gründe hervorgehoben, aus denen dem Gesetzgeber gestattet sei, den Versicherten im Wege der Haftungsablösung Schmerzensgeldansprüche gegen die nach §§ 636, 637 RVO haftungsprivilegierten
Schädiger zu versagen. In diesem Sinn "kompensiere" also die Gewährung von
Verletztenrente auch die immateriellen Nachteile des Unfallverletzten. Jedoch
sei damit nur eine "Kompensation" von Nachteilen angesprochen, die die Ablösung der Deliktshaftung des Unternehmers des Geschädigten und der diesen
gleichgestellten Personen gemäß den §§ 636, 637 RVO durch ein anderes
Entschädigungssystem für den Verletzten insgesamt bedeuten müsse. Die immateriellen Nachteile, für die ein nicht haftungsprivilegierter Dritter verantwortlich sei, würden dagegen von der Verletztenrente niemals aufgefangen. Auch
heute noch sei die Verletztenrente auf den Ausgleich einer Minderung der Erwerbsfähigkeit im Interesse materieller Existenzsicherung gerichtet; schadensrechtlich schlage sich diese Minderung allein im Verdienstausfall, also in einem
Vermögensschaden nieder. In den Fällen, in denen es falltypisch an einem
konkreten Erwerbsschaden fehle, seien die Rückgriffsmöglichkeiten für den
Sozialversicherungsträger nicht auf Ersatzansprüche für andere Nachteile des
Verletzten, etwa wegen Mehrbedürfnissen, oder gar auf das Schmerzensgeld
erweitert. Daß der Sozialversicherungsträger alsdann mit den Rentenleistun-
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gen wirtschaftlich endgültig belastet bleibe, sei eine Folge der Entscheidung
des Gesetzgebers für ein Versicherungssystem, das in dieser Weise seine sozialen Anliegen auf einer abstrakten Bemessungsgrundlage losgelöst von einer
konkreten Schadensbetrachtung verwirkliche; dieser Aufwand der Sozialversicherung könne auf den Schädiger nicht über die Individualhaftung abgewälzt
werden. Es würde den Aufgaben der Verletztenrente zuwiderlaufen, wenn sie,
weil es an einem konkreten Erwerbsschaden fehle, bei anderen Nachteilen des
Verletzten schadensmindernd berücksichtigt würde mit der Folge, daß letztlich
der Schädiger durch die Zahlung der Verletztenrente wirtschaftlich begünstigt
werde. Hierauf laufe aber die Berücksichtigung der Rentenzahlung bei der
Schmerzensgeldbemessung hinaus; auch diese Anrechnung widerspreche den
Zwecken, die den Rentenzahlungen zugrunde lägen. Die Vorteile, die dem
Verletzten aus dem Unfall versicherungsrechtlich erwüchsen, gingen den
Schädiger nichts an. Sie seien für die deliktische Haftung außer Betracht zu
lassen.
(3) Die ausschließliche Lohnersatzfunktion der Verletztenrente aus der
Unfallversicherung wird auch in anderen höchstrichterlichen Entscheidungen
bejaht.
Der Bundesgerichtshof hat diese Rente unter Berufung darauf unterhaltsrechtlich als Einkommen des Rentenempfängers angerechnet (BGH, Urteil
vom 20. Januar 1982 - IVb ZR 647/80 - NJW 1982, 1593; Urteil vom 13. April
1983 - IVb ZR 373/81 - NJW 1983, 1783, 1784). Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, die Verletztenrente sei bei der Ermittlung des wohngeldrechtlich maßgebenden Einkommens insgesamt anzurechnen (BVerwGE 101,
86 ff.). Zur Begründung hat das Bundesverwaltungsgericht unter Berufung auf
die Rechtsprechung des erkennenden Senats unter anderem ausgeführt, zwar
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könne die Verletztenrente tatsächlich aufgrund der technischen und sozialen
Entwicklung in vielen Fällen ihre ursprüngliche Lohnersatzfunktion ganz oder
teilweise eingebüßt haben, weil die abstrakt festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit häufig nicht mehr oder nicht in vollem Umfang zu einem wirklichen Einkommensverlust führe. Allein aus diesem in tatsächlicher Hinsicht eingetretenen teilweisen wirtschaftlichen Funktionswandel lasse sich jedoch noch
nicht folgern, Verletztenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung müßten
in Höhe einer vergleichbaren Beschädigten-Grundrente bei der wohngeldrechtlichen Einkommensermittlung als nicht zur Deckung des Lebensunterhalts bestimmte Leistungen außer Betracht bleiben. Nach dem die Entschädigung in
der gesetzlichen Unfallversicherung beherrschenden Grundsatz der abstrakten
Schadensberechnung komme es nicht darauf an, ob der Verletzte einen Einkommensverlust erlitten habe.
bb) Die durch das Rentenreformgesetz 1992 geänderte Rechtslage führt
entgegen der Auffassung der Revision nicht zu einer abweichenden Beurteilung. In der neueren Literatur wird die Kongruenz zwischen Erwerbsschaden
und der vom Unfallversicherungsträger gezahlten Verletztenrente weiterhin
ohne Problematisierung bejaht (vgl. etwa Küppersbusch, Ersatzansprüche bei
Personenschaden, aaO, Rdn. 460, S. 198; Wussow/Schneider, aaO, Kap. 74
Rdn. 34). Tatsächlich nötigt § 93 SGB VI bzw. dessen Entstehungsgeschichte
auch nicht dazu, die Kongruenz zwischen zivilrechtlichem Erwerbsschaden und
der vom Unfallversicherer gezahlten Verletztenrente teilweise zu verneinen.
(1) Insoweit ist von Bedeutung, daß § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI dem
Verletzten keine zusätzliche Leistung gewährt, die von der allgemeinen Berechnung seines Erwerbsschadens abgelöst ist. Die Berechnung der Verletztenrente in der Unfallversicherung erfolgt nach wie vor auf der Grundlage der
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Minderung der Erwerbsfähigkeit und des Jahresarbeitsverdienstes (§§ 580 ff.
RVO; jetzt §§ 56 ff., 81 ff. SGB VII). Diesen (neu gefaßten) Vorschriften über
die Unfallversicherung ist eine Änderung des Charakters der Verletztenrente
nicht zu entnehmen.
Es gilt weiterhin das Prinzip der abstrakten Schadensberechnung (vgl.
dazu etwa Brackmann/Burchardt, Handbuch der Sozialversicherung, Stand
Januar 2002, § 56 SGB VII Rdn. 43 ff. m.w.N.). Nach § 56 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über
die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom
Hundert gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach Absatz 2 der Vorschrift
richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus
der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des
Erwerbslebens, wobei bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit
Nachteile berücksichtigt werden, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie
bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.
Absatz 3 bestimmt, daß bei Verlust der Erwerbsfähigkeit Vollrente geleistet
wird, die zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes beträgt, und daß bei einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit Teilrente geleistet wird, die in der Höhe des
Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt wird, der dem Grad der Minderung
der Erwerbsfähigkeit entspricht.
Anders als im zivilen Schadensersatzrecht, in dem nicht der Wegfall der
Arbeitskraft und Erwerbsfähigkeit als solcher, sondern nur der dadurch ent-
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standene Ausfall der Arbeitsleistung als Schaden angesehen wird (Senatsurteil
BGHZ 54, 45, 50 ff.; st. Rspr.), stellt die Verletztenrente nicht den Ersatz für
einen im Einzelfall konkret nachweisbaren Schaden dar. Ausgeglichen wird
nicht der tatsächliche Minderverdienst; vielmehr bemißt sich die Rente nach
dem Unterschied der auf dem Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten des Verletzten vor und nach dem Unfall. Unerheblich ist
insbesondere auch, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Folgen des
Unfalls zu einem Einkommensverlust im Erwerbsleben geführt haben; die
Rente wird beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch gewährt,
wenn der Verletzte weiterhin eine Erwerbstätigkeit ausüben kann, durch die er
Einkünfte bezieht (BSGE 43, 208, 209).
(2) Nicht zuletzt im Hinblick auf den tatsächlichen Funktionswandel der
Verletztenrente sind im Vorfeld des Rentenreformgesetzes 1992 Vorschläge
diskutiert worden, die Verletztenrente zu reformieren, etwa durch eine konkrete
Schadensberechnung oder in Anlehnung an das Recht der sozialen Entschädigung durch Bildung einer einkommensunabhängigen Grundrente gekoppelt
mit einer progressiv gestuften Verletztenrente (vgl. etwa Benz, WzS 1996, 198,
206; Gitter, SGb 1981, 204, 209). Diese sind aber nicht Gesetz geworden.
Gitter (Festschrift für Krasney, aaO, S. 182 ff.) folgert daraus, bei der Einordnung des Unfallversicherungsrechts in das Sozialgesetzbuch sei am System
der Rentenberechnung keine Korrektur vorgenommen worden und die Chance,
im Rahmen der Neuregelung eine „persönlichkeitsrechtsnahe Neukonzipierung“ einer Rentenformel mit auch immaterieller sozialer Entschädigungsdimension vorzunehmen, nicht genutzt worden. Er hält deshalb eine künftige
Reform dahingehend für denkbar und richtig, die Verletztenrente in einen
Lohnausgleichsanteil und einen Anteil für den immateriellen Schadensausgleich zu trennen.
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cc) Damit ist die Kernfrage des vorliegenden Streitfalls angesprochen.
Während Gitter (aaO) die Regelung in § 93 SGB VI offenbar lediglich als gesetzgeberische „Anerkennung“ der in der Rechtswirklichkeit gewandelten
Funktion der Verletztenrente versteht, will die Revision aus dieser Vorschrift
herleiten, daß die Verletztenrente schon heute einen konkret faßbaren „immateriellen“ Bestandteil habe. Dem kann der erkennende Senat nicht folgen.
(1) § 93 SGB VI trifft im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung
eine besondere Regelung für den Fall, daß die gesetzliche Rente mit weiteren
Sozialleistungen zusammentrifft. Absatz 1 der Vorschrift bestimmt, daß, wenn
für denselben Zeitraum ein Anspruch auf eine Rente aus eigener Versicherung
und auf eine Verletztenrente aus der Unfallversicherung oder auf eine Hinterbliebenenrente und eine entsprechende Hinterbliebenenrente aus der Unfallversicherung besteht, die Rente insoweit nicht geleistet wird, als die Summe
der zusammentreffenden Rentenbeträge vor Einkommensanrechnung den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt. Absatz 3 bestimmt u.a., daß der Grenzbetrag
(derzeit) 70 vom Hundert eines Zwölftels des Jahresarbeitsverdienstes beträgt,
der der Berechnung der Rente aus der Unfallversicherung zugrunde liegt, vervielfältigt mit dem jeweiligen Rentenartfaktor für persönliche Entgeltpunkte der
Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten.
Diese Regelung bezweckt ebenso wie die durch sie abgelösten §§ 1278
RVO, 55 AVG, 75 RKG die Verhinderung einer Doppelversorgung durch funktionsgleiche Leistungen aus verschiedenen Versicherungssystemen. Denn sowohl die Rente aus der Rentenversicherung als auch die Verletztenrente sollen
an die Stelle des Lohnes treten, der bis zum Eintritt des Versicherungsfalles
erzielt worden ist. Der durch diese Leistungen bewirkte Lohnersatz soll in etwa
auf den Betrag des bisherigen Nettoeinkommens des Versicherten begrenzt
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werden (vgl. BVerfG, SozR 2200 § 1278 RVO Nr. 11 S. 28; NJW 1995, 1607;
BSGE 82, 83, 84, 90; BSG, SozR 3 – 2600 § 311 SGB VI Nr. 2). Die Festsetzung des Grenzbetrages von 70 vom Hundert trägt der Lohnabzugsquote sowie dem Umstand Rechnung, daß entsprechend dem Grad der Minderung der
Erwerbsfähigkeit ein bestimmter Teil der Verletztenrente freigestellt wird (vgl.
BT-Drucks. 11/4124, S. 174 zu § 92 des Entwurfs zum Rentenreformgesetz
1992).
(2) Abweichend von den §§ 1278 RVO, 55 AVG und 75 RKG trifft § 93
Abs. 2 Nr. 2a SGB VI folgende Regelung: Bei der Ermittlung der Summe der
zusammentreffenden Rentenbeträge bleibt bei der Verletztenrente aus der
Unfallversicherung der Betrag unberücksichtigt, der bei gleichem Grad der
Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz geleistet würde, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20
vom Hundert zwei Drittel der Mindestgrundrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um zehn vom Hundert ein Drittel der Mindestgrundrente. Die
weiteren Regelungen des § 93 Abs. 2 SGB VI betreffen weitere hier nicht interessierende Beträge, die bei der Ermittlung der Summe der Rentenbeträge unberücksichtigt bleiben.
Die Höhe des Betrages, der als Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz geleistet würde, ist unabhängig vom zuletzt erzielten Einkommen
des Verletzten; er richtet sich ausschließlich nach dem Grad der Erwerbsminderung. Nach § 31 BVG in der seit dem 26. Juni 2001 geltenden Fassung beträgt die Grundrente bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vom
Hundert 225 DM und bei voller Erwerbsunfähigkeit 1.178 DM mit Zwischenbeträgen bei einer jeweils um 10 vom Hundert gesteigerten Minderung der Erwerbsfähigkeit. Generalisierend läßt sich also sagen, daß die dem Verletzten
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verbleibende derart berechnete Gesamtrente den (fiktiven) letzten Nettoverdienst des Verletzten, wie er sich bei der Berechnung nach § 93 Abs. 1 und
Abs. 3 SGB VI ohne Berücksichtigung des Freibetrages darstellen würde, um
den im Einzelfall jeweils anzusetzenden Betrag übersteigt (BVerfG, NJW 1995,
1607).
(3) Diese Regelung hat folgenden Hintergrund:
Wie ausgeführt erfuhr die Verletztenrente auf Grund der Änderung der
tatsächlichen Verhältnisse einen Funktionswandel dahin, daß die Rente bei
leicht und mittelschwer Verletzten vielfach nicht mehr dem Ausgleich eines tatsächlich erlittenen Erwerbsschadens diente. Bei Schwerverletzten (ab einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 vom Hundert) trat dieser Effekt regelmäßig nicht ein; bei dieser Verletztengruppe wurde die Verletztenrente häufig
in vollem Umfang zum Ausgleich des Erwerbsschadens benötigt. Diese sinnwidrige Entwicklung, daß nämlich der Prozentsatz der Rente, der zum Ausgleich „immaterieller“ Schäden zur Verfügung stand, umso geringer war, je
schwerer die Verletzung war, ist wiederholt beanstandet worden (vgl. etwa
Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, aaO, S. 167; ders., Festschrift
für Sieg, aaO, insb. S. 143, 149; Krasney, Festschrift für Lauterbach, Band II,
1981, S. 273, 282). Mit der Regelung in § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI sollte dem
abgeholfen werden. In der Begründung zu § 92 des Entwurfs zum Rentenreformgesetz 1992 (BT-Drucks. 11/4124, S. 174) heißt es, in Nummer 2 Buchstabe a sei vorgesehen, daß - wie bereits im geltenden Recht bei der Berücksichtigung von Renten der Unfallversicherung bei Hinterbliebenenrenten nach
§ 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB IV - entsprechend dem Grad der Minderung der
Erwerbsfähigkeit ein Teil der Verletztenrente der Unfallversicherung, von dem
angenommen werde, daß er nicht Lohnersatzfunktion habe, sich nicht renten-
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mindernd auswirke; dadurch werde erreicht, daß Versicherte mit gleich hohem
Bruttoverdienst als Schwerbehinderte im Vergleich zu Leichtverletzten eine
höhere Gesamtleistung erhalten.
(4) Bei dieser Sachlage vermag der erkennende Senat einen über die
erstrebte Besserstellung Schwerverletzter
hinausgehenden
Wandel
der
Rechtslage nicht festzustellen. Der tatsächliche Funktionswandel der Verletztenrente hatte (über die bereits angeführten Fundstellen hinaus) auch in der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesarbeitsgerichts Berücksichtigung gefunden (vgl. BSGE 60, 128, 132; 71, 299 ff.; BSG, SozR 4480
§ 27 RehaAnO Nr. 4; BAGE 43, 173, 183; BAG, VersR 1988, 865 ff.; 1990,
504 ff.). Der Verweis in der Gesetzesbegründung auf einen „Teil der Verletztenrente der Unfallversicherung, von dem angenommen werde, daß er nicht
Lohnersatzfunktion habe“, griff mithin ebenso wie die Bezugnahme auf die
Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz lediglich seit längerem bekannte, die bestehende Rechtslage betreffende Erwägungen auf. Eine Absicht
des Gesetzgebers, der Verletztenrente, über die bestehende Rechtslage hinausgehend, eine grundsätzlich neue Funktion - und sei es auch nur für einen
Teilbetrag - zuzuweisen, ist nicht erkennbar. Dafür geben weder die gesetzliche Regelung noch die Gesetzesmaterialien etwas her. Diese enthalten keinen
Anhaltspunkt dafür, daß eine grundsätzlich neue Bewertung der Kongruenzfrage veranlaßt sein könnte. Dabei darf nicht übersehen werden, daß der Gesetzgeber die angestrebte Besserstellung der Schwerverletzten im Vergleich zu
den Nichtschwerverletzten durch eine abstrakt generalisierende Regelung erreichen will, die keinesfalls sicherstellt, daß dieses Ziel im Einzelfall erreicht
wird. So ist weder auszuschließen, daß ein Schwerverletzter (etwa bei voller
Wiedereingliederung in das Erwerbsleben) die Verletztenrente weit über den
Freibetrag hinaus zum Ausgleich „immaterieller“ Nachteile nutzen kann noch
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daß ihm auch nach der gesetzlichen Neuregelung durch die Gewährung der
Rente lediglich der Ausgleich der Erwerbsnachteile gelingt; auch von einer generellen Schlechterstellung Nichtschwerverletzter kann nach der Neuregelung
nicht durchweg ausgegangen werden (vgl. Gitter, Festschrift für Krasney, aaO,
S. 180 ff.; Richthammer, Das Zusammentreffen von Rentenversicherungs- und
Unfallversicherungsrenten, Diss. 1995, S. 112 ff.). Es läßt sich demnach auch
nicht sagen, dem einzelnen Verletzten stehe nunmehr auf jeden Fall eine
Geldsumme in Höhe des Freibetrages zur Kompensation immaterieller
Nachteile oder zusätzlicher Bedürfnisse zur Verfügung, so daß die Lohnersatzfunktion der Verletztenrente in diesem Umfang zwingend zu verneinen sei.
Die Kompensationseffekte der Rente sind auch nach neuem Recht durchaus
unterschiedlich; nach wie vor kann die Rente sowohl in vollem Umfang zum
Ausgleich erlittener Erwerbseinbußen benötigt werden oder aber auch in vollem Umfang zum Ausgleich anderer Nachteile zur Verfügung stehen. Bei dieser
Sachlage besteht kein Anlaß, von der bisherigen Rechtsprechung des Senats
abzuweichen.
(5) Die angeführte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des
Bundesarbeitsgerichts steht der Feststellung, daß die Verletztenrente (weiterhin) in vollem Umfang als kongruent zu dem Erwerbsschaden anzusehen ist,
nicht entgegen. Die dort behandelte Frage, ob es angemessen ist, die Verletztenrente nur in eingeschränktem Umfang als Einkommen des Verletzten zu behandeln, ist nach spezifisch sozial- und arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten zu
beantworten. In diesem Zusammenhang mag es durchaus angebracht sein,
wegen des tatsächlichen Funktionswandels der Verletztenrente zwischen einem auf den Ersatz des Erwerbsschadens bezogenen und einem den Ausgleich „immaterieller“ Schäden betreffenden Anteil zu unterscheiden und letzteren abstrakt nach dem Betrag der Grundrente nach dem Bundesversorgungs-
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gesetz zu bemessen. Dies nötigt jedoch aus schadensrechtlicher Sicht nicht zu
einer von der bisherigen Rechtsprechung des Senats abweichenden Beantwortung der Kongruenzfrage. Die Verletztenrente errechnet sich (nach wie vor)
nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit und dem Jahresarbeitsverdienst. Schon daraus ergibt sich die erforderliche Kongruenz zum Erwerbsschaden. Solange der Gesetzgeber die Rentenformel nicht teilweise von ihrem
Bezug zu den genannten Berechnungsgrundlagen löst, indem er etwa dem
Verletzten einen Teil der Verletztenrente in bezifferter oder konkret zu berechnender Weise als Schmerzensgeld zuweist, kann die (volle) Kongruenz zwischen der Rente und dem Erwerbsschaden nicht verneint werden.
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III.
Die Revision ist danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Müller
Greiner
Diederich-
sen
Pauge
Zoll