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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 199/06
Verkündet am:
10. Juli 2007
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB §§ 254 Ea, 823 Ac; StVG §§ 9, 17
Ein Leasinggeber, der Eigentümer aber nicht Halter des Leasing-Kraftfahr-zeugs ist,
muss sich im Rahmen der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach
§ 823 BGB wegen Verletzung seines Eigentums am Leasingfahrzeug bei einem
Verkehrsunfall weder ein Mitverschulden des Leasingnehmers oder des Fahrers
des Leasingfahrzeugs noch dessen Betriebsgefahr anspruchsmindernd zurechnen
lassen.
BGH, Urteil vom 10. Juli 2007 - VI ZR 199/06 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
-2-
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Juli 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Zoll
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 10. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 28. Juli 2006 wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin nimmt nach einem Verkehrsunfall als Leasinggeberin und
Eigentümerin des geschädigten Leasingfahrzeugs die Beklagte zu 1 als Fahrerin des gegnerischen Fahrzeugs und die Beklagte zu 2 als deren Haftpflichtversicherer aus unerlaubter Handlung auf Ersatz ihres gesamten Schadens in Anspruch. Die Beklagten haben die Forderung zu 50 % beglichen und eingewandt,
die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden der Leasingnehmerin bzw. von deren Fahrer anrechnen lassen.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstreben
die Beklagten weiter die Klageabweisung.
-3-
Entscheidungsgründe:
I.
3
Das Berufungsgericht lehnt bei deliktischen Ansprüchen des Leasinggebers als nicht haltendem Kfz-Eigentümer gegen den Schädiger eine Zurechnung etwaigen Mitverschuldens des Fahrers oder der Betriebsgefahr des eigenen Fahrzeugs ab, da es hierfür an einer gesetzlichen Zurechnungsnorm fehle.
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Eine Anspruchskürzung nach § 17 Abs. 2 StVG komme nicht in Frage,
da diese Vorschrift die Haftungsverteilung der Halter untereinander regele, die
Klägerin als Leasinggeberin aber nicht Halter sei. Eine erweiternde Auslegung
dieser Vorschrift sei auch nach dem 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 nicht angezeigt. § 9 StVG gelte nur
für die Gefährdungshaftung und sei nicht auf das allgemeine Deliktsrecht anwendbar. An einer nach § 254 BGB zurechenbaren Betriebsgefahr fehle es,
weil die Klägerin als nicht haltende Eigentümerin für die Betriebsgefahr nicht
einzustehen habe. Eine Zurechnung nach § 278 BGB bzw. § 831 BGB scheide
aus, da weder Leasingnehmerin noch Fahrer Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfe der Klägerin seien.
II.
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Das Urteil hält den Angriffen der Revision stand. Der Klägerin ist ein etwaiges Mitverschulden des Fahrers des Leasingfahrzeugs oder dessen Betriebsgefahr unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zuzurechnen.
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1. Ohne Erfolg greift die Revision die Auffassung des Berufungsgerichts
an, für eine Abwägung nach § 17 Abs. 2 StVG sei vorliegend kein Raum, da die
Klägerin im Zeitpunkt des Unfalles nicht Halterin des Leasingfahrzeugs gewesen sei.
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a) Halter eines Kraftfahrzeugs ist, wer es für eigene Rechnung in
Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt (vgl. Senatsurteile BGHZ 13, 351; 87, 133, 135 und vom 11. Juli 1969
- VI ZR 49/68 - VersR 1969, 907, 908). Entscheidend ist dabei nicht das
Rechtsverhältnis am Kraftfahrzeug, insbesondere nicht die Frage, wer dessen
Eigentümer ist; vielmehr ist maßgebend eine wirtschaftliche Betrachtungsweise,
bei der es vor allem auf die Intensität der tatsächlichen, in erster Linie wirtschaftlichen Beziehung zum Betrieb des Kraftfahrzeuges im Einzelfall ankommt.
Wer danach tatsächlich und wirtschaftlich der eigentlich Verantwortliche für den
Einsatz des Kraftfahrzeuges im Verkehr ist, schafft die vom Fahrzeug ausgehenden Gefahren, für die der Halter nach den strengen Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes einstehen soll (Senatsurteil BGHZ 87, 133, 135). Halter
eines Leasingfahrzeugs ist demnach bei üblicher Vertragsgestaltung - von deren Vorliegen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier auszugehen
ist - nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats der Leasingnehmer, nicht jedoch der Leasinggeber, auch wenn diesem das Eigentum verbleibt
(Senatsurteile BGHZ 87, 133, 136 und vom 26. November 1985 - VI ZR
149/84 - VersR 1986, 169).
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b) Der erkennende Senat hat aus diesem Grund bereits in seinem Urteil
vom 30. März 1965 - VI ZR 257/63 - (VersR 1965, 523) ausgesprochen, dass
§ 17 StVG nur dann Anwendung findet, wenn auch der Geschädigte nach den
Bestimmungen des StVG haftet, und eine Erstreckung auf den nicht haltenden
(dort: Sicherungs-)Eigentümer des Kraftfahrzeugs abgelehnt. Daran hält der
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Senat auch nach den Änderungen in § 17 Abs. 3 Satz 3 StVG durch das 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002
(BGBl I 2674) fest. Zwar gilt nach § 17 Abs. 3 Satz 3 StVG der Ausschluss der
Ersatzpflicht für ein unabwendbares Ereignis auch gegenüber einem Eigentümer eines Kraftfahrzeugs, der nicht Halter ist. Dies wurde in der Literatur teilweise zum Anlass genommen, eine entsprechende Anwendung der Regelungen von § 17 Abs. 1 und 2 StVG auf den nicht haltenden Eigentümer zu fordern
(Geigel/Kunschert, Haftpflichtprozess, 24. Aufl., Kap. 25 Rn. 38, auch Geigel/Bacher, aaO, Kap. 28 Rn. 260, Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs,
4. Aufl. 2007, § 22 Rn. 30, 89; Schmitz, NJW 2002, 3070, 3071; ders. bereits
NJW 1994, 301, 302; a.A. Geyer, NZV 2005, 565, 566; wohl auch Jagow/Burmann/Hess, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., § 17 StVG Rn. 9 und § 9
StVG Rn. 9). Doch lassen die Gesetzesmaterialien zu dieser Änderung erkennen, dass dem Gesetzgeber die Möglichkeit des Auseinanderfallens von Halterund Eigentümerstellung gerade beim Leasing durchaus bewusst war, jedoch
eine Gleichstellung der Haftung nur für den Fall des unabwendbaren Ereignisses erfolgen sollte, um auf diese Weise den "Idealfahrer" davor zu bewahren,
vom "Eigentümer des anderen Unfallfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch
genommen zu werden, ohne sich davon befreien zu können" (BT-Drs. 14/8780,
22 f.). Mithin war eine durchgehende Gleichstellung von Eigentümer und Halter
im Rahmen des § 17 StVG nicht beabsichtigt. Bei dieser Sachlage ist es nicht
gerechtfertigt, gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut (so auch Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 7 StVG Rn. 16a) die auf den Fall des unabwendbaren Ereignisses beschränkte Haftungsgleichstellung von Eigentümer
und Halter auf die von § 17 Abs. 1 und 2 StVG erfassten Fälle zu übertragen.
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c) Die vor der Gesetzesänderung vertretene Auffassung, in § 17 Abs. 1
und 2 StVG sei "bei verständigem Lesen" der nicht haltende Eigentümer miteinzubeziehen (Schmitz, NJW 1994, 301, 302; Geigel/Schlegelmilch, Der Haft-
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pflichtprozess, 22. Aufl., Kap. 28 Rn. 182; a.A. OLG Hamm NJW 1995, 2233
und NZV 1995, 320; Wussow/Baur, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., Rn. 57), da
der historische Gesetzgeber des StVG 1909 stillschweigend vom Regelfall,
dass der Halter auch Eigentümer des Fahrzeugs sei, ausgegangen sei, ist jedenfalls angesichts der deutlichen Unterscheidung zwischen Eigentümer und
Halter im geänderten § 17 Abs. 3 StVG nicht mehr haltbar. Ohnehin begegnete
jene Auffassung angesichts der Tatsache, dass sich der historische Gesetzgeber bewusst für eine Anknüpfung der Haftung an den Halter unabhängig von
dessen Eigentümerstellung entschieden hat (Amtliche Begründung zu § 3 des
Gesetzesentwurfs über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Verhandlungen des
Reichstages 1909 Bd. 248, 5593, 5598), auch zuvor bereits erheblichen Bedenken.
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2. Ebenfalls mit Recht hat das Berufungsgericht eine Zurechnung von
Mitverschulden und Betriebsgefahr nach § 9 StVG im Rahmen der deliktischen
Haftung verneint.
11
a) Nach dieser Bestimmung finden, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt hat, die Vorschriften des § 254
des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der
Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht. Da sich § 9 StVG nur auf Ansprüche eines - selbst nicht nach dem StVG
mithaftenden - Geschädigten aus der Gefährdungshaftung bezieht, scheidet
eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift auf deliktische Schadensersatzansprüche im Sinne des § 823 BGB aus. Eine Anspruchsminderung wegen Mitverschuldens ist nach dem Deliktsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs regelmäßig nur möglich, wenn die Voraussetzungen des § 254 BGB vorliegen, der
im Gegensatz zu § 9 StVG dem Geschädigten das Verschulden desjenigen
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nicht zurechnet, der die tatsächliche Gewalt über die (beschädigte) Sache ausübt.
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b) Entgegen der Auffassung der Revision liegt auch keine Regelungslücke vor. Denn die gegenüber § 254 BGB erfolgte Erweiterung der Mithaftung
des geschädigten Eigentümers durch § 9 StVG entspricht dem unterschiedlichen Haftungssystem bei der Gefährdungshaftung und der Verschuldenshaftung. Sie dient ebenso wie die in § 12 StVG festgelegten Höchstbeträge dem
Ausgleich für die verschärfte Gefährdungshaftung (Senatsurteil vom 30. März
1965 - VI ZR 257/63 - VersR 1965, 523; vgl. Amtliche Begründung zu § 3 des
Gesetzesentwurfs über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Verhandlungen des
Reichstages 1909 Bd. 248, 5593, 5597, 5599; s.a. OLG Hamm NJW 1995,
2233). Deshalb ist für eine entsprechende Anwendung des § 9 StVG auf Fälle
der Verschuldenshaftung im Sinne des § 823 BGB kein Raum, denn eine solche Analogie würde die vom Gesetzgeber gewollten Unterschiede beider Haftungssysteme verwischen.
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Im Übrigen hat der Gesetzgeber etwaige Billigkeitserwägungen, die für
eine Übertragung der Grundsätze des § 9 StVG auf den Bereich der Verschuldenshaftung sprechen könnten, im Rahmen der Änderungen des Schadensrechts durch das 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 nicht zum Anlass genommen, an dieser Rechtslage etwas zu ändern (vgl. Geyer, NZV 2005, 565, 567). Ohnehin erscheint die bestehende Regelung nicht unbillig, denn der Schädiger hat gegen den mitschuldigen Sachinhaber den Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB; er kann
dessen Mitverschulden lediglich nicht im Rahmen von § 254 BGB dem geschädigten Leasinggeber entgegenhalten, wenn dieser ihn wegen schuldhafter Verletzung seines Eigentums nach § 823 BGB auf Schadensersatz in Anspruch
-8-
nimmt (vgl. Senatsurteil vom 30. März 1965 - VI ZR 257/63 - aaO; vgl. auch
Senatsurteil BGHZ 87, 133, 138).
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c) Die Revision kann sich für ihre Auffassung auch nicht auf das Urteil
des III. Zivilsenats vom 18. November 1999 - III ZR 63/98 - (VersR 2000, 356)
stützen. Soweit der III. Senat dort dem Kaskoversicherer, der nach § 67 VVG
übergegangene Amtshaftungsansprüche "der geschädigten Versicherungsnehmer" geltend machte, bei denen es sich anscheinend sowohl um den Eigentümer als auch den Halter des Flugzeugs handelte (vgl. Urteilsanmerkung
Mühlbauer, VersR 2000, 357), die Betriebsgefahr als in den Verantwortungsbereich des geschädigten "Halters oder Eigentümers als des ursprünglichen Gläubigers des Amtshaftungsanspruchs" fallend zugerechnet hat, war er wegen der
besonderen Konstellation des Falles nicht gezwungen, zwischen Ansprüchen
des Eigentümers und denen des Halters zu unterscheiden. Eine Abkehr von der
Grundlinie der Rechtsprechung, dass die Betriebsgefahr nur dem Halter und
dem haltenden Eigentümer, nicht jedoch dem nicht haltenden Eigentümer entgegengehalten werden kann, ist dieser Entscheidung daher nicht zu entnehmen
(a.A. Prölss, VersR 2001, 166, 167).
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3. Mit Recht und von der Revision nicht beanstandet hat das Berufungsgericht schließlich eine Zurechnung des Mitverschuldens des Fahrers und/oder
der Betriebsgefahr des Leasingfahrzeugs nach § 254 BGB verneint. Zwischen
der Klägerin, deren Leasingnehmerin und deren Fahrer fehlt es an einer vertraglichen oder sonstigen rechtlichen Sonderverbindung, die eine Zurechnung
deren Mitverschuldens an dem Verkehrsunfall nach § 278 BGB als Erfüllungsgehilfen der Leasinggeberin gestatten würde. Durch die Teilnahme am Straßenverkehr war nämlich keine Tätigkeit aus dem Pflichtenkreis des Leasingvertrages betroffen.
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Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeuges kann sich zwar nach ständiger
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Rechtsprechung des erkennenden Senats (Senatsurteile BGHZ 12, 124, 128;
20, 259, 260 f.; vom 5. April 1960 - VI ZR 49/59 - VersR 1960, 636, 637; vom
30. Mai 1972 - VI ZR 38/71 - VersR 1972, 959 f.; siehe auch BGHZ 6, 319,
322 f.) in erweiternder Auslegung des § 254 BGB grundsätzlich anspruchsmindernd auswirken. Voraussetzung hierfür ist aber, dass sich der Geschädigte die
Betriebsgefahr seines Kfz dem Schädiger gegenüber zurechnen lassen muss
(Senatsurteile vom 5. April 1960 - VI ZR 49/59 - aaO; vom 30. Mai 1972 - VI ZR
38/71 - aaO; vgl. auch Senatsurteil vom 24. Februar 1959 - VI ZR 66/58 - VersR
1959, 455, 456). Dies ist beim nicht haltenden Fahrzeugeigentümer nicht der
Fall.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller
Greiner
Pauge
Wellner
Zoll
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 28.10.2005 - 10 O 407/05 OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 28.07.2006 - 10 U 184/05 -