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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 23/08
vom
14. Oktober 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 236 B
Unterstellt das Berufungsgericht den Vortrag des Berufungsführers zur Eintragung
der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender als wahr, darf
es nicht zugleich diesen Vortrag als unsubstantiiert beanstanden.
BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - VI ZB 23/08 - OLG Frankfurt a.M.
LG Frankfurt a.M.
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Oktober 2008 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Zoll
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des
19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
2. Januar 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 36.004,20 €
Gründe:
I.
Die Kläger verlangen Ersatz von Schäden an ihrem Haus, die durch eine
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umgestürzte Zeder vom Nachbargrundstück des Beklagten verursacht worden
sind.
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Das Landgericht hat mit Urteil vom 3. Juli 2007 die Klage abgewiesen.
Mit Empfangsbekenntnis vom 10. Juli 2007 hat der Prozessbevollmächtigte der
Kläger den Empfang dieses Urteils bestätigt. Am 17. August 2007 haben die
Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, das Urteil des Landgerichts sei bei
ihrem Prozessbevollmächtigten am 17. Juli 2007 eingegangen. Das Berufungs-
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gericht hat die Berufung mit dem angefochtenen Beschluss vom 2. Januar 2008
als unzulässig verworfen.
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Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kläger hätten
den Beweis nicht geführt, dass die Berufungsschrift am 17. August 2007 innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat nach Zustellung des angefochtenen Urteils beim Berufungsgericht eingegangen sei. Das Empfangsbekenntnis
ihres Prozessbevollmächtigten weise als Datum der Zustellung des landgerichtlichen Urteils den 10. Juli 2007 aus. Die anwaltliche Versicherung, dabei handele es sich um ein Schreibversehen, genüge für den von den Klägern zu erbringenden Beweis nicht. Das gelte auch dann, wenn der Prozessbevollmächtigte
der Kläger die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist selbst auf
17. August 2007 und 17. September 2007 berechnet habe und dann diese Fristen rot im Fristenkalender unter Fristablauf eingetragen worden seien. Es sei
nicht einmal dargetan und unter Beweis gestellt, aus welchem Grund der Prozessbevollmächtigte der Kläger entgegen dem Inhalt des Empfangsbekenntnisses dieses nicht am 10. Juli 2007 unterzeichnet haben sollte und weshalb der
17. Juli 2007 als zutreffendes Zustellungsdatum in Betracht zu ziehen sei. Es
sei durchaus denkbar, dass das Empfangsbekenntnis das Datum des Empfangs richtig wiedergebe, die Fristen aber erst am 17. Juli 2007 notiert worden
seien.
II.
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Der angefochtene Beschluss hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde
nicht Stand.
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1. Die Rechtsbeschwerde der Kläger ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4,
574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 574
Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2, 575 ZPO), weil die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert
(vgl. BVerfG, BVerfGE 79, 372, 376 f.; NJW-RR 2002, 1004).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
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Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht mit der Begründung als
unzulässig verwerfen, die Kläger hätten nicht bewiesen, dass die Berufungsschrift rechtzeitig bei Gericht eingegangen sei. Ausgehend vom Vorbringen der
Kläger hat der Eingang der Berufungsschrift bei Gericht am 17. August 2007 die
Berufungsfrist gewahrt (§ 517 ZPO). Das Berufungsgericht setzt sich mit dem
Vortrag, das Urteil des Landgerichts sei erst am 17. Juli 2007 ihrem Prozessbevollmächtigten zugestellt worden, nicht in der erforderlichen Weise auseinander.
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a) Richtig ist zwar, dass das Empfangsbekenntnis eines Anwalts, obgleich Privaturkunde (§ 416 ZPO), wie eine Zustellungsurkunde gemäß § 418
ZPO Beweis für die Entgegennahme des bezeichneten Schriftstücks als zugestellt und für den Zeitpunkt dieser Entgegennahme erbringt (§ 174 Abs. 1,
Abs. 4 Satz 1 ZPO; vgl. BVerfG, NJW 2001, 1563, 1564; BGH, Beschluss vom
13. Juni 1996 - VII ZB 12/96 - VersR 1997, 86). Auch verweist das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler darauf, dass zwar der Gegenbeweis der Unrichtigkeit
eines Empfangsbekenntnisses zulässig ist, aber dafür die bloße Möglichkeit der
Unrichtigkeit nicht genügt, vielmehr jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen werden muss (vgl. Senat, Urteil vom 24. April
2001 - VI ZR 258/00 - VersR 2001, 1262, 1263; BGH, Urteil vom 18. Januar
2006 - VIII ZR 114/05 - NJW 2006, 1206, 1207). Andererseits dürfen an einen
Gegenbeweis nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen
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der Beweisnot der betroffenen Partei keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Mai 2007 - VI ZB 80/06 - VersR
2008, 512, 513 m.w.N.).
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Hier hatten die Kläger vorgetragen, das Datum 10. Juli 2007 auf dem
Empfangsbekenntnis beruhe auf einem Schreibversehen. Ihrem Prozessbevollmächtigten sei das erstinstanzliche Urteil erst am 17. Juli 2007 zugegangen.
Aus diesem Grund habe er die Berufungsfrist mit 17. August 2007 und die Frist
zur Begründung der Berufung mit 17. September 2007 rot notiert, also beide
Fristen im Fristenkalender eingetragen. Diesen Vortrag hat er anwaltlich versichert. Das Berufungsgericht hat den Vortrag als wahr unterstellt. Es vermisst
jedoch die Angabe eines Grundes, aus dem der Prozessbevollmächtigte das
Empfangsbekenntnis nicht am 10. Juli 2007 unterzeichnet habe, und die Angabe des Grundes, weshalb der 17. Juli 2007 als Zeitpunkt der Zustellung zutreffend sei.
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Diese Begründung ist nicht nachvollziehbar, erscheint willkürlich und verstößt damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar macht die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt
vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird (vgl. BVerfG, NJW
2008, 1726) oder sich bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken der Schluss aufdrängt, dass der Fehler auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 1 BvR
646/06 - juris Rn. 33). Das ist hier jedoch der Fall. Die Entscheidung beruht auf
einem Verstoß gegen die Denkgesetze.
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aa) Das Berufungsgericht übersieht, dass die Kläger ein Schreibversehen als Grund für die fehlerhafte Angabe geltend gemacht haben. Die Angabe
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eines Grundes für das Schreibversehen selbst vermisst das Berufungsgericht
nicht. Ein solcher ist auch regelmäßig nicht nachzuvollziehen. Menschliches
Augenblicksversagen kann oft schon im unmittelbaren Anschluss nicht mehr
erklärt werden, erst recht nicht, wenn es - wie hier - erst nach Ablauf von mehreren Monaten bemerkt wird.
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bb) Die Rechtsbeschwerde beanstandet ferner mit Erfolg, dass das Berufungsgericht von den Klägern eine Erklärung dafür verlangt hat, aus welchem
Grund das angefochtene Urteil ihrem Prozessbevollmächtigten erst am 17. Juli
2007 zugegangen sei. Das entzog sich nämlich ihrer Kenntnis selbst dann,
wenn der Prozessbevollmächtigte des Gegners das Urteil zu einem näher am
10. Juli 2007 liegenden Tag zugestellt erhalten haben sollte.
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b) Soweit das Berufungsgericht den den Klägern obliegenden Beweis
deshalb als nicht geführt ansieht, weil die eingetragenen Fristen vom 17. Juli
und 17. August 2007 erst am 17. Juli 2007 notiert worden sein könnten, obwohl
das Urteil bereits am 10. Juli 2007 zugestellt worden sein könne, ist diese Möglichkeit theoretisch geblieben. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür führt das Berufungsgericht nicht an. Es überspannt damit die Anforderungen an den Gegenbeweis gegen § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO und verstößt deshalb gegen den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen
Rechtsschutzes. Dieser verbietet es, einer Partei die Rechtsverfolgung aufgrund von Anforderungen an ihre Sorgfaltspflichten zu versagen, die nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie
auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfG, BVerfGE 79, 372, 379 f.; NJW-RR
2002, 1004). Der Umstand, dass dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten
das erstinstanzliche Urteil bereits am 11. Juli 2007 zugestellt worden ist, deutet
zwar die Möglichkeit einer früheren Zustellung an, vermag aber ohne vollstän-
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dige Klärung der Umstände nicht zu einer Abweisung der Berufung als unzulässig zu führen.
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c) Soweit das Berufungsgericht im Übrigen die anwaltliche Versicherung
des Prozessbevollmächtigten der Kläger von der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils erst am 17. Juli 2007 nicht für ausreichend erachten wollte, hätte
es darauf hinwirken müssen, dass Zeugenbeweis angetreten wird. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei kann auch bei Fortdauer seiner Funktion als
Zeuge vernommen werden (vgl. Senat, Urteil vom 10. Mai 1994 - VI ZR
306/93 - EzFamR ZPO § 418 Nr. 2). Einen entsprechenden Hinweis hat das
Berufungsgericht jedoch unterlassen und damit nicht nur gegen § 139 ZPO,
sondern im konkreten Zusammenhang auch gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen. Den auf einen entsprechenden Hinweis gehaltenen Vortrag haben die
Kläger in der Rechtsbeschwerdebegründung nachgeholt.
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3. Die genannten Rechtsfehler sind entscheidungserheblich. Es ist nicht
auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei vollständiger Berücksichtigung
des Vortrages der Kläger anders entschieden hätte.
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4. Nach allem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache
an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577
Abs. 4 Satz 1 ZPO). Eine eigene Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts
(§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO) ist nicht angebracht.
Müller
Greiner
Pauge
Wellner
Zoll
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 03.07.2007 - 2/10 O 186/06 OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 02.01.2008 - 19 U 169/07 -