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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 364/98
Verkündet am:
17. März 2000
Kanik,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. März 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter
Dr. Lambert-Lang, Tropf, Dr. Klein und Dr. Lemke
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 18. August 1998
aufgehoben und das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts
Magdeburg vom 10. September 1997 abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Widerklage ist dem Grunde nach berechtigt.
Im übrigen wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an
das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Kosten der Erschließung eines Grundstücks.
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Die Klägerin ist Erbin ihres verstorbenen Ehemannes (im folgenden:
Erblasser). Dieser schloß am 22. Dezember 1993 mit der Stadt M.
(im
folgenden: Stadt) einen Tauschvertrag über mehrere Grundstücke. Die von der
Stadt dem Erblasser eingetauschten Grundstücke waren nicht erschlossen.
Ihm war bekannt, daß sie von der Beklagten aufgrund eines Vertrages gemäß
§ 124 BauGB erschlossen werden sollten. Im Tauschvertrag heißt es insoweit:
"Die Grundstücke, die Herr A.
K. B.
im Tauschwege
von der Stadt M.
erhält, sind erschließungsbeitragspflichtig. Der Erschließungsbeitrag wird ca. 75 DM/qm betragen. Eine
Garantie dafür kann jedoch nicht übernommen werden."
Am 21. Februar 1994 schloß die Stadt mit der Beklagen einen Erschließungsvertrag. Die Beklagte erschloß in der Folgezeit die Grundstücke. Eines
von ihnen, die Parzelle Nr. 48 (im folgenden: das Grundstück), übertrug der
Erblasser der Klägerin. Mit Schreiben vom 4. Juli 1995 teilte er der Beklagten
mit, man könne sich wegen der von ihr verlangten Erschließungskosten auf
den "vertraglich vereinbarten Erschließungskostenanteil" einigen. Im Schreiben
vom 7. August 1995 berief er sich darauf, daß der Tauschvertrag die Höhe dieser Kosten bestimme. Mit Schreiben vom 26. September 1995 lehnte er im
Namen der Klägerin den Abschluß eines Vertrages zur Erstattung der von der
Beklagten behaupteten Kosten der Erschließung des Grundstücks ab. In diesem Schreiben heißt es unter anderem:
"Darüber hinaus sind wir der Auffassung, daß überhaupt ein Erschließungsvertrag nicht notwendig ist, weil sich die Erschließungspflicht und der Erschließungspreis bereits aus dem
Tauschvertrag vom 22. Dezember 1993 ergibt."
-4-
Am 30. Juni 1998 trat die Stadt ihre Ansprüche aus dem Tauschvertrag
an die Beklagte ab.
Am 6. März 1996 stellte die Beklagte der Klägerin für die Erschließung
des Grundstücks 1.514.535,51 DM in Rechnung. Die Klägerin hat hierauf Klage mit dem Antrag erhoben, festzustellen, daß der Beklagten wegen der Erschließung des Grundstücks eine Forderung in dieser Höhe nicht zustehe.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat
die Beklagte Widerklage auf Zahlung des Betrages von 1.514.535,51 DM erhoben. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Widerklage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Abweisung der
Klage und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, nachdem der Abschluß des von der Beklagten vorbereiteten Kostenerstattungsvertrages vom Erblasser namens der
Klägerin abgelehnt worden sei, fehle es an einer Verpflichtung der Klägerin,
die Kosten der Erschließung des Grundstücks zu erstatten. Der Tauschvertrag
enthalte keine Verpflichtung des Erblassers, diese Kosten zu tragen, sondern
nur die Ankündigung, daß die Stadt einen Erschließungsbeitrag in Höhe von
etwa 75 DM/qm erheben werde. Öffentlich-rechtlichen Ansprüche auf Zahlung
eines Erschließungskostenbeitrags seien nicht Gegenstand der erfolgten Abtretung.
-5-
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
II.
Soweit das Berufungsgericht der Klage stattgegeben hat, ist das angefochtene Urteil schon deshalb aufzuheben, weil die Klage unzulässig ist. Der
Klägerin fehlt das zur Zulässigkeit der Klage notwendige Feststellungsinteresse. Dieses ist Sachurteilsvoraussetzung und damit auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Auf eine Rüge der Revision kommt es insoweit nicht an (Senat, BGHZ 33, 398, 399).
Seit über den von der Beklagten mit der Widerklage geltend gemachten
Anspruch verhandelt worden ist, konnte die Widerklage nicht mehr ohne das
Einverständnis der Klägerin zurückgenommen werden. Über den von der Beklagten geltend gemachten Anspruch war vielmehr sachlich zu entscheiden.
Damit ist das Feststellungsinteresse entfallen. Dies gilt auch für die
- ursprünglich allein verfolgte - Feststellung, daß der Beklagten kein Anspruch
aus einem mit der Klägerin abgeschlossenen Vertrag zustehe. Denn die Widerklage ist nicht, wie die Revisionsbeklagte meint, nachträglich auf die im
Laufe des Berufungsverfahrens von der Stadt abgetretenen Ansprüche aus
dem Tauschvertrag beschränkt worden. Dadurch, daß die Beklagte die Widerklage auch hierauf gestützt hat, ist vielmehr ein weiterer Streitgegenstand in
den Rechtsstreit einbezogen worden, für den das Interesse der Klägerin
ebenfalls nicht über die Abweisung des von der Beklagten geltend gemachten
Zahlungsanspruchs hinausgeht.
-6-
III.
Das Berufungsurteil ist auch sonst nicht rechtsfehlerfrei.
1. Die Entscheidung ist in sich widersprüchlich. Das Berufungsgericht
nimmt zur Begründung auf die Entscheidung des Landgerichts Bezug. Dieses
hält aber den Erblasser aus dem Tauschvertrag für verpflichtet, die Kosten der
Erschließung zu tragen und verneint (nur) die Passivlegitimation der Beklagten,
während das Berufungsgericht in den weiteren Gründen des Urteils eine Verpflichtung des Erblassers aus dem Tauschvertrag verneint.
2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht auch nicht die von der Revision in Bezug genommenen Schriftstücke in seine Erwägungen einbezogen.
Diese Schriftstücke sind zwar nicht, wie die Revision meint, für die Auslegung
des Tauschvertrages von Bedeutung. Denn durch Auslegung kann nur der objektive Erklärungswert ermittelt werden. Aus diesem Grunde können für die
Auslegung nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die dem Empfänger
bei Zugang der Willenserklärung erkennbar waren. Spätere Umstände können
aber bei der Ermittlung des übereinstimmenden Parteiwillens eine Rolle spielen. Diese Ermittlung hat das Berufungsgericht unterlassen. Insoweit kommt es
darauf an, wie die Schreiben des Erblassers vom 4. Juli, 7. August und
26. September 1995 sowie die Abtretung der Stadt vom 30. Juni 1998 zu würdigen sind.
a) Das Schreiben vom 4. Juli 1995 geht von einem "vertraglich vereinbarten" Erschließungskostenanteil aus. Auch in dem Schreiben vom 7. August
1995 stellt der Erblasser seine Verpflichtung nur in der seinerzeit von der Be-
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klagten behaupteten Höhe nicht aber dem Grunde nach in Abrede. Mit dem
Schreiben vom 26. September 1995 verweigert der Erblasser namens der Klägerin den in deren Namen geschlossenen Kostenerstattungsvertrag u.a. mit
der Begründung, daß es des Abschlusses eines solchen Vertrages nicht bedürfe, weil sich die Verpflichtung zur Tragung der Erschließungskosten bereits
aus dem Tauschvertrag ergebe.
b) Mit diesem Verständnis der vertraglichen Regelung durch den Erblasser stimmt überein, daß die Stadt ihre Ansprüche aus dem Vertrag vom
22. Dezember 1993 am 30. Juni 1998 an die Beklagte abgetreten hat. Gegenstand der Abtretung können nur die zivilrechtlichen Ansprüche aus dem Vertrag sein. Ein öffentlich-rechtlicher Anspruch der Stadt auf einen Erschließungsbeitrag ist weder entstanden, noch kann er entstehen, weil die Stadt die
Erschließung der dem Erblasser hingegebenen Grundstücke durch den Vertrag
vom 21. Februar 1994 der Beklagten übertragen hat. Die Erhebung eines Erschließungskostenbeitrags durch die Stadt gegen den Erblasser oder einen
Nachfolger des Erblassers in das Eigentum an dem Grundstück kam niemals in
Betracht. Auch dem Erblasser war bei Abschluß des Tauschvertrages bekannt,
daß die Stadt die Erschließung nicht selbst durchführen, sondern auf der
Grundlage eines Erschließungsvertrages durch die Beklagte vornehmen lassen
würde. Damit ist für die Annahme des Berufungsgerichts, der Tauschvertrag
enthalte nur eine Ankündigung der Stadt, einen solchen Beitrag zu erheben,
kein Raum.
3. Das in den genannten Schreiben zum Ausdruck gekommene Verständnis des Erblassers von dem Inhalt der vertraglichen Regelung als einer
eingegangenen Verpflichtung, die Abtretung der Forderungen der Stadt aus
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dem Tauschvertrag an die Beklagte und die Tatsache, daß eine Heranziehung
der Grundstückseigentümer zur Erstattung von Erschließungskosten durch einen Beitragsbescheid aufgrund der beabsichtigten und erfolgten Erschließung
der Grundstücke durch die Beklagte ausschied, lassen nur den Schluß zu, daß
der Erblasser gegenüber der Stadt im Tauschvertrag die Verpflichtung übernehmen wollte, die aufgrund der Erschließung der Grundstücke entstehenden
Kosten im Bereich von 75 DM/qm dem Erschließungsträger zu erstatten (§ 328
Abs. 1 BGB). Diesen Anspruch hat die Stadt der Beklagten abgetreten. Damit
kann die Beklagte die Klägerin als Erbin sowohl aus eigenem als auch aus abgetretenem Recht aus dem Tauschvertrag in Anspruch nehmen. Insoweit ist
der Rechtsstreit zur Entscheidung reif und die Verpflichtung der Klägerin dem
Grunde nach festzustellen (§ 304 Abs. 1 ZPO).
4. Eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits ist dem Senat
nicht möglich. Der Vereinbarung zwischen dem Erblasser und der Stadt im
Tauschvertrag vom 22. Dezember 1993 kann nicht entnommen werden, daß
der Erblasser sich verpflichtet hätte, unabhängig von der Höhe der tatsächlich
entstandenen Kosten und unabhängig von der Frage, ob diese Kosten von der
Beklagten zutreffend auf die Grundstücke des Erschließungsgebiets verteilt
worden sind, 75 DM/qm an den Erschließungsträger zu zahlen. Daß die Kosten
der Erschließung des Grundstücks der Klägerin 75 DM/qm betragen und die für
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die Erschließung der Grundstücke insgesamt entstandenen Kosten zutreffend
verteilt worden sind, hat die Klägerin bestritten. Insoweit bedarf es weiterer
Feststellungen.
Wenzel
Lambert-Lang
Klein
Tropf
Lemke