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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 204/11
Verkündet am:
13. Juli 2012
Lesniak
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachträglicher Leitsatz
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
WEG § 15 Abs. 3
Die Nutzung einer Wohnung zum Betrieb einer entgeltlichen Tagespflegestelle für bis
zu fünf Kleinkinder stellt eine teilgewerbliche Nutzung dar.
BGH, Urteil vom 13. Juli 2012 - V ZR 204/11 - LG Köln
AG Köln
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth, die Richterinnen Dr. Brückner und
Weinland
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 29. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11. August 2011 wird auf Kosten der Beklagten
mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass nicht der "unzulässige"
Gebrauch, sondern der "ungenehmigte" Gebrauch der Wohnung
als Kindertagespflegestelle zu unterlassen ist.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft.
Die Wohnung der Klägerin befindet sich im Erdgeschoss des Hauses, die darüber liegende Wohnung der Beklagten im ersten Obergeschoss. Die Teilungserklärung enthält folgende Regelung:
"Die Ausübung eines Gewerbes oder Berufes in der Wohnung ist nur mit
Zustimmung des Verwalters zulässig. Die Zustimmung darf nur aus wichtigem Grund verweigert werden. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes
kann sie auch von der Erfüllung von Auflagen abhängig gemacht werden.
Als wichtiger Grund für die Verweigerung der Zustimmung gilt insbesonde-
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re, wenn die Ausübung des Gewerbes oder Berufes eine unzumutbare
Beeinträchtigung anderer Wohnungseigentümer oder Hausbewohner befürchten lässt … . Erteilt der Verwalter eine beantragte Zustimmung nicht
…, so kann der betroffene Miteigentümer einen Beschluss der Gemeinschaft herbeiführen, die die Entscheidung des Verwalters mit dreiviertel
Mehrheit der abgegebenen Stimmen ändern kann."
2
Die Mieterin der Beklagten betreut in ihrer Wohnung mit Erlaubnis der
Stadt gegen Entgelt bis zu fünf Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren von 7.00 Uhr
bis 19.00 Uhr. Im Mai 2009 erklärte die Verwalterin gegenüber den Beklagten
schriftlich, dass sie dieser Nutzung wegen der mit der Kinderbetreuung einhergehenden Lärmbelästigungen nicht zustimmen werde. In der Eigentümerversammlung vom 28. September 2009 stimmten die Wohnungseigentümer mit
weniger als dreiviertel der abgegebenen Stimmen für eine Genehmigung der
Kinderbetreuungstätigkeit. Der Beschluss wurde nicht angefochten. Die Mieterin
setzte die Kinderbetreuung fort.
3
Das Amtsgericht hat die gegen die Beklagten gerichtete Klage der Klägerin auf Unterlassung der Nutzung der Wohnung als Kindertagespflegestelle abgewiesen. Das Landgericht hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision
möchte die Klägerin eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
4
Das Berufungsgericht bejaht einen Unterlassungsanspruch aus § 1004
BGB i.V.m. § 15 Abs. 3 WEG. Zwar widerspreche die Nutzung der Wohnung
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zur entgeltlichen Kinderbetreuung nicht dem Beschluss der Eigentümerversammlung vom 28. September 2009, da Gegenstand des Beschlusses nicht
eine Untersagung der weiteren Kinderbetreuungstätigkeit, sondern lediglich die
Nichterteilung der erforderlichen Genehmigung gewesen sei. Es liege jedoch
ein Verstoß gegen die Teilungserklärung vor, da die Tagespflegestelle ohne die
erforderliche Zustimmung betrieben werde. Die Verwalterin habe die Zustimmung zu Recht versagt. Bei einer typisierenden Betrachtung sei davon auszugehen, dass eine ganztätige Kinderbetreuung in einem Wohnhaus zu Beeinträchtigungen wie einem erhöhten Lärmpegel, einer gesteigerten Besucherfrequenz, vermehrtem Schmutz im Treppenhaus und einem erhöhten Müllaufkommen durch Windeln führe. Die Beeinträchtigungen seien unzumutbar, weil
sie wegen des täglichen Publikumsverkehrs, der zudem zu ungewöhnlichen
Zeiten stattfinde, und der Verschmutzung des Treppenhauses über diejenigen
hinausgingen, die mit einer normalen Wohnungsnutzung einhergingen. Außerdem habe die Klägerin - anders als bei im Familienverbund aufwachsenden
Kindern - nicht die Perspektive, dass die Lärmbeeinträchtigungen mit zunehmendem Alter der Kinder nachlassen.
II.
5
Dies hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung stand. Der Klägerin
steht gegen die Beklagten gemäß § 15 Abs. 3 WEG i.V.m. § 14 Nr. 2 WEG ein
Anspruch darauf zu, dass die Mieterin der Beklagten die gegenwärtige Nutzung
der Wohnung als Kindertagespflegestelle unterlässt.
6
1. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass die Nutzung einer Wohnung zum Betrieb einer entgeltlichen Tagespflegestelle für bis zu fünf
Kleinkinder die "Ausübung eines Gewerbes oder Berufes in der Wohnung" im
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Sinne der Teilungserklärung darstellt und daher der Zustimmung des Verwalters oder einer ¾-Mehrheit der hierüber abstimmenden Wohnungseigentümer
bedarf.
7
a) Aus der Zweckbestimmung von Räumen als Wohnungseigentum oder
Wohnung folgt, dass das Wohneigentum zum Wohnen bestimmt ist und sich
seine ordnungsmäßige Nutzung nach diesem Zweck richtet. Hierzu gehört in
erster Linie die Nutzung der Wohnung als Lebensmittelpunkt (Senat, Urteil vom
15. Januar 2010 - V ZR 72/09, NJW 2010, 3093 Rn. 15). Zwar gehört zum
Wohnen auch die Möglichkeit, in der Familie neben den eigenen Kindern fremde Kinder zu betreuen, etwa bei regelmäßigen Besuchen von Freunden der
Kinder oder im Wege der Nachbarschaftshilfe. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Nutzung der Wohnung zur (werk-)täglichen Erbringung von Betreuungsdienstleistungen gegenüber Dritten in Form einer Pflegestelle für bis zu
fünf Kleinkinder, bei der der Erwerbscharakter im Vordergrund steht. Eine solche teilgewerbliche Nutzung der Wohnung wird vom Wohnzweck nicht mehr
getragen und ist als "Ausübung eines Gewerbes oder Berufes" im Sinne der
Teilungserklärung zu qualifizieren (vgl. LG Berlin, NJW-RR 1993, 907;
LG Hamburg, NJW 1982, 2387).
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b) Aus § 24 SGB VIII folgt - anders als die Revision meint - kein anderes
Ergebnis. Die Vorschrift regelt die Rechte des Kindes zur Inanspruchnahme von
Tageseinrichtungen und Kindertagespflege. Adressat der dort normierten Leistungspflichten ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, der darauf hinzuwirken hat, dass ein entsprechendes Angebot zu Verfügung steht. In die Rechtsbeziehungen von Wohnungseigentümern bei der Nutzung des Wohneigentums
greift die Regelung hingegen nicht ein.
-6-
9
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es aber auf
die Frage, ob die Verwalterin zu Recht die Zustimmung zum Betrieb einer Tagespflegestelle in der Wohnung der Beklagten verweigert hat, nicht an. Denn
ein Unterlassungsanspruch der Klägerin gemäß § 15 Abs. 3 WEG folgt bereits
daraus, dass den Beklagten die weitere Ausübung der Tätigkeit ihrer Mieterin in
der Wohnung als Tagesmutter durch bestandskräftigen Beschluss der Wohnungseigentümer untersagt wurde.
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a) Der Beschluss der Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 28. September 2009 erschöpft sich nicht allein in einem Negativbeschluss des Inhalts, dass sich die erforderliche Mehrheit für die Erteilung einer
Genehmigung nicht fand. Vielmehr beinhaltet die Verweigerung der Genehmigung - wie bereits die Formulierung des der Beschlussfassung zugrunde liegenden Tagesordnungspunktes deutlich macht ("Beschlussfassung über die
Genehmigung
bzw.
Untersagung
der
bereits
bestehenden
gewerbli-
chen/beruflichen Nutzung") - zugleich die Untersagung einer weiteren Fortsetzung der in der Wohnung ausgeübten Kinderbetreuungstätigkeit. Der Beschluss
ist, nachdem er nicht angefochten wurde, bestandskräftig geworden. Dies hat
zur Folge, dass die Klägerin, der gemäß § 15 Abs. 3 WEG ein Anspruch auf
einen der Beschlussfassung entsprechenden Gebrauch der Wohnung zusteht,
von den Beklagten die Unterlassung der gleichwohl fortgesetzten Tagesmuttertätigkeit verlangen kann.
11
b) Die Klägerin ist an der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert. Denn die Beklagten haben sich bisher zu keinem Zeitpunkt um die Erteilung einer Zustimmung
zum Betrieb einer - nach Anzahl der zu betreuenden Kinder und zeitlichem Umfang konkret beschriebenen - Kindertagespflegestelle bemüht. Damit fehlt es
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schon an einer tatsächlichen Grundlage für die Beurteilung der Frage, ob den
Klägern ein Zustimmungsanspruch zusteht. Den Beklagten bleibt es aber unbenommen, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Der Umstand, dass die
Wohnungseigentümer in
der Eigentümerversammlung vom 28. Septem-
ber 2009 gegen die Erteilung einer Genehmigung gestimmt haben, stünde einer
erneuten Befassung der Wohnungseigentümer nicht entgegen. Denn insoweit
handelt es sich um einen Negativbeschluss, der für eine erneute Beschlussfassung über denselben Gegenstand keine Sperrwirkung entfaltet (Senat, Beschluss vom 19. September 2002 - V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 51). Über einen
Antrag der Beklagten wäre unter Berücksichtigung der tatsächlichen konkreten
Gegebenheiten innerhalb der Wohnungseigentumsanlage, der Wertungen des
§ 22 Abs. 1a BImSchG, die nach dem Willen des Gesetzgebers auch auf das
Wohnungseigentumsrecht ausstrahlen sollen, und der in der Teilungserklärung
ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit der Erteilung von Auflagen zu entscheiden. Solange eine erforderliche Zustimmung aber nicht vorliegt, darf die Tagesmuttertätigkeit aufgrund des bestandskräftigen Untersagungsbeschlusses
nicht fortgesetzt werden. Insoweit ist das Berufungsurteil klarzustellen.
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III.
12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 WEG.
Krüger
Schmidt-Räntsch
Brückner
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 12.11.2010 - 204 C 74/10 LG Köln, Entscheidung vom 11.08.2011 - 29 S 285/10 -
Roth
Weinland