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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
_____________
StB 46/09
vom
4. März 2010
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
Unbekannt,
wegen Mordes u. a.
hier: Beschwerde des Zeugen E.
Erzwingung des Zeugnisses
gegen die Anordnung von Haft zur
-2-
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. März 2010 gemäß § 304 Abs. 5
StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Zeugen
E.
gegen den Beschluss
des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. September 2009 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
I.
1
Der Generalbundesanwalt führt ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und
anderer Straftaten. Gegenstand ist die Tötung des damaligen hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik Heinz-Herbert Karry in Frankfurt am Main am
11. Mai 1981 durch unbekannte Mitglieder der terroristischen Vereinigung "Revolutionäre Zellen" (RZ).
2
In diesem Verfahren hat der Zeuge M.
am 18. Januar 2001 Angaben
gemacht über Gespräche, die ab Frühjahr 1986 bis Anfang 1990 unter Angehö-
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rigen der "Revolutionären Zellen" geführt worden sind und die einzelne Umstände des Todes von Minister Karry zum Gegenstand hatten. An diesen Gesprächen soll nach Angaben des Zeugen auch der Beschwerdeführer teilgenommen haben.
3
Der Generalbundesanwalt hat, nachdem der Beschwerdeführer bei einer
staatsanwaltschaftlichen Vernehmung am 29. Juli 2009 unter Berufung auf § 55
StPO die Beantwortung jeder Frage zur Sache verweigert hatte, die richterliche
Vernehmung beantragt. Vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat
der Beschwerdeführer am 9. September 2009 im Beisein des ihm beigeordneten Zeugenbeistands, Frau Rechtsanwältin W.
, erklärt, er werde keine
Fragen zu dem Beweisthema "Zuhörer bei Gesprächen, anlässlich derer die
Ermordung von Minister Karry Gegenstand war" beantworten.
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Darauf hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gemäß § 70
Abs. 1 und 2 StPO durch den angefochtenen Beschluss gegen den Zeugen ein
Ordnungsgeld von 200 €, ersatzweise für je 100 € einen Tag Ordnungshaft
festgesetzt und Erzwingungshaft längstens bis zur Dauer von sechs Monaten
angeordnet, die Vollziehung der Beugehaft jedoch bis zur Entscheidung über
die Beschwerde gegen deren Anordnung ausgesetzt.
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Im Beschwerdeverfahren hat Rechtsanwältin W.
beantragt, ihr für
den Fall, dass der Senat die Ansicht vertrete, dem Beschwerdeführer stünde
ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht zu, Einsicht in die vollständigen Ermittlungsakten zu gewähren. Hiergegen hat der Generalbundesanwalt Bedenken
erhoben.
-4-
II.
6
Das Rechtsmittel ist hinsichtlich der Erzwingungshaft gemäß § 304
Abs. 5 StPO zulässig (BGHSt 36, 192). Der Senat kann darüber entscheiden,
ohne dass dem Beistand des Beschwerdeführers die begehrte Akteneinsicht
gewährt worden ist, da ein Akteneinsichtsrecht hier nicht besteht. In der Sache
bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.
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1. Die Entscheidung über die Akteneinsicht steht vorliegend dem Generalbundesanwalt zu, da es sich um ein Ermittlungsverfahren handelt (§ 478
Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. StPO). Daran ändert die Tatsache nichts, dass die Akten dem Senat zur Entscheidung über eine Beschwerde vorliegen. Ein Fall von
§ 478 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StPO ist deswegen nicht gegeben (Gieg in KK
6. Aufl. § 478 Rdn. 2). Der Senat hat indes aus Vereinfachungsgründen davon
abgesehen, den Beschwerdeführer darauf zu verweisen, zunächst eine förmliche Entscheidung des Generalbundesanwalts über das Akteneinsichtsgesuch
zu erwirken und sodann ggf. gemäß § 478 Abs. 3 StPO gegen eine Ablehnung
der Akteneinsicht gerichtliche Entscheidung zu beantragen, da er nach § 161 a
Abs. 3 StPO, § 135 Abs. 2 GVG auch darüber zu entscheiden hätte.
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2. Dem anwaltlichen Zeugenbeistand steht im Gegensatz zu dem Verteidiger (vgl. § 147 Abs. 1 StPO) ein eigenes Recht auf Akteneinsicht nicht zu.
Seine Rechtsstellung leitet sich aus der des Zeugen ab. Er hat keine eigenen
Rechte als Verfahrensbeteiligter und keine weitergehenden Befugnisse als der
Zeuge selbst. Dieser hat, sofern er nicht Verletzter ist, ein Akteneinsichtsrecht
nur als "Privatperson" im Sinne von § 475 StPO (HansOLG Hamburg NJW
2002, 1590; KG, Beschl. vom 7. Februar 2008 (1) 2 BJs 58/06-2 (2/08) - juris
m. w. N.; Ignor/Bertheau in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 68 b Rdn. 24).
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Ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis der Ermittlungsakten im Sinne von
§ 475 Abs. 1 Satz 1 StPO hat der Beschwerdeführer nicht. Dies gilt insbesondere, soweit es um die Kenntnis des Zeugen von der Aussage anderer Zeugen
geht, was schon aus § 58 Abs. 1, § 243 Abs. 2 Satz 1 StPO folgt: Danach ist
ein Zeuge in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen zu vernehmen; während der Einlassung des Angeklagten (sofern diese vor der Zeugenvernehmung
abgegeben wird) hat er den Sitzungssaal zu verlassen. Der Zeuge soll auf diese Weise unbeeinflusst von der Kenntnis der Angaben Dritter aussagen (vgl.
Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 58 Rdn. 2). Insoweit stehen zugleich Zwecke
des Strafverfahrens der Akteneinsicht entgegen (§ 477 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Der Beweiswert der Aussage des Beschwerdeführers wäre gemindert, wenn er
vor ihr im Einzelnen wüsste, was andere Zeugen zu dem Beweisthema bekundet haben.
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3. Dem Beschwerdeführer steht kein Auskunftsverweigerungsrecht in
dem von ihm in Anspruch genommenen Umfang zu.
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a) § 55 Abs. 1 StPO gewährt dem Zeugen das Recht, die Auskunft auf
solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder - was hier indes
nicht in Betracht kommt - einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Eine
Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO ist anzunehmen, wenn eine
Ermittlungsbehörde aus einer wahrheitsgemäßen Aussage des Zeugen Tatsachen entnehmen könnte, die sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens
(§ 152 StPO) veranlassen oder zur Aufrechterhaltung oder Verstärkung eines
Tatverdachts führen könnte. Hierfür genügt es bereits, wenn der Zeuge bestimmte Tatsachen angeben müsste, die lediglich mittelbar den Verdacht einer
Straftat begründen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die wahrheitsge-
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mäße Beantwortung einer Frage zwar allein eine Strafverfolgung nicht auslösen, jedoch "als Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude" zu einer Belastung des Zeugen beitragen könnte (vgl. BGH NJW 1999, 1413). Für die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung muss es konkrete tatsächliche Anhaltspunkte
geben; bloße Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen
nicht aus (BGH NStZ 1999, 415, 416).
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Selbst wenn danach von einer Verfolgungsgefahr ausgegangen werden
muss, so ist der Zeuge gemäß § 55 Abs. 1 StPO grundsätzlich nur berechtigt,
die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern. Nur ausnahmsweise ist er zu
einer umfassenden Verweigerung der Auskunft befugt, wenn seine gesamte in
Betracht kommende Aussage mit einem möglicherweise strafbaren Verhalten in
so engem Zusammenhang steht, dass im Umfang der vorgesehenen Vernehmungsgegenstände nichts übrig bleibt, wozu er ohne die Gefahr der Verfolgung
wegen einer Straftat wahrheitsgemäß aussagen könnte (vgl. BGH NStZ 2002,
607; NStZ-RR 2005, 316). Dies gilt auch im Hinblick auf die Vernehmung zu
einem einzelnen Tatsachenkomplex.
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b) Eine solche Gefahr hat der Beschwerdeführer weder glaubhaft gemacht noch ist sie ersichtlich. Im Einzelnen gilt:
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Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Kammergerichts vom 15. Juli
2004 wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion zu einer Freiheitsstrafe
von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Die Tat
hat er nach den Feststellungen des rechtskräftigen Urteils im Rahmen seiner
mitgliedschaftlichen Beteiligung bei den "Revolutionären Zellen" begangen. Er
war danach "im April 1986" aufgefordert worden, dieser Vereinigung beizutreten, und war dem Ansinnen "einige Wochen später" gefolgt. Seine Mitglied-
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schaft endete mit dem Zerfall der Berliner Gruppe der "Revolutionären Zellen"
im Frühjahr 1988. Die gegen den Beschwerdeführer erhobenen Anklagevorwürfe der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a StGB) sowie
des Herbeiführens einer weiteren Sprengstoffexplosion sind im Verfahren vor
dem Kammergericht im Zusammenhang mit einer verfahrensbeendenden Absprache gemäß § 154 a Abs. 2 StPO ausgeschieden worden, nachdem der Angeklagte eine geständige Einlassung abgegeben hatte.
Würde der Beschwerdeführer bekunden, an Gesprächen teilgenommen
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zu haben, die ab Frühjahr 1986 bis Anfang 1990 unter Angehörigen der "Revolutionären Zellen" geführt worden sind, so wäre eine Gefahr erneuter Verfolgung wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
aufgrund der sich auch auf die ausgeschiedenen Rechtsverletzungen erstreckenden Rechtskraft des Urteils des Kammergerichts zweifellos ausgeschlossen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 154 a Rdn. 28).
Es liegen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass eine solche Tat-
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sachenbekundung den Beschwerdeführer darüber hinaus in die Gefahr einer
Strafverfolgung wegen der Beteiligung an der Tötung von Herrn Karry bringen
könnte. Dass er sich ab Frühjahr 1986 an der terroristischen Vereinigung
mitgliedschaftlich beteiligt hat, steht seit Jahren aufgrund seiner geständigen
Einlassung vor dem Kammergericht fest. Zurecht hat der Generalbundesanwalt
mehrfach darauf hingewiesen, es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der
Beschwerdeführer vor dem im Urteil des Kammergerichts festgestellten Zeitpunkt sowie nach Auflösung der Berliner Gruppe Mitglied der "Revolutionären
Zellen" gewesen ist oder gar an dem Tötungsverbrechen im Jahr 1981 beteiligt
war.
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In gleicher Weise ist nicht zu erkennen, dass sich der Beschwerdeführer
der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung wegen sonstiger Vorwürfe aussetzen
könnte, wenn er einräumen würde, bei den Gesprächen Erkenntnisse über
mögliche Beteiligte an der Tötung gewonnen oder Vermutungen darüber angestellt zu haben, ohne in der Folgezeit den Strafverfolgungsbehörden darüber
Mitteilung zu machen.
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Nach alledem kann der Beschwerdeführer sich für die pauschale Verweigerung, auf Fragen zu dem Komplex "Zuhörer bei Gesprächen, anlässlich
derer die Ermordung von Minister Karry Gegenstand war" zu antworten, nicht
auf § 55 StPO berufen. Angesichts der Schwere der aufzuklärenden Straftat ist
die Anordnung von Erzwingungshaft auch verhältnismäßig.
Becker
Pfister
Hubert