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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
NotZ 51/05
vom
20. März 2006
in dem Verfahren
wegen Bestellung zum Notar
-2-
Der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, hat durch den Vorsitzenden
Richter Schlick, die Richter Galke und Becker sowie die Notare Dr. Lintz und
Eule am 20. März 2006
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss
des 1. Senats für Notarsachen des Oberlandesgerichts Frankfurt
am Main vom 14. November 2005 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig zurückgewiesen wird, soweit der Antragsteller in Haupt- und
Hilfsantrag begehrt, den Antragsgegner zu verpflichten, die Rücknahme der Ausschreibung einer Notarstelle für den Amtsgerichtsbezirk F.
vom 1. Juli 2003 zurückzunehmen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu
tragen und die dem Antragsgegner im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für beide Rechtszüge wird auf
50.000 €
festgesetzt.
-3-
Gründe:
I.
Der Antragsteller wurde am 12. Mai 1993 zur Rechtsanwaltschaft zuge-
1
lassen. Er betreibt seine Anwaltspraxis in Sozietät mit zwei Anwaltsnotaren und
einem weiteren Rechtsanwalt in F.
aus.
Am 1. Juli 2003 schrieb der Antragsgegner eine Notarstelle für den
2
Amtsgerichtsbezirk F.
aus (JMBl. Hessen S. 246). In der Aus-
schreibung, in die zahlreiche weitere Notarstellen in anderen Bezirken aufgenommen waren, wurde wegen der Voraussetzungen für das Notaramt auf den
Runderlass des Hessischen Ministeriums für Justiz und Europaangelegenheiten
zur Ausführung der Bundesnotarordnung vom 25. Februar 1999 (JMBl. Hessen
S. 222) verwiesen und eine Bewerbungsfrist bis zum 12. August 2003 gesetzt.
Der Antragsteller bewarb sich - neben drei weiteren Rechtsanwälten, darunter
dem Beigeladenen - hierauf fristgerecht um die im Amtsgerichtsbezirk
F.
zu besetzende Notarstelle. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts
Frankfurt am Main teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 24. Mai 2004 mit,
dass nach dem Ergebnis des Auswahlverfahrens beabsichtigt sei, diese Notarstelle mit ihm zu besetzen.
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Mit Beschluss vom 20. April 2004 erklärte das Bundesverfassungsgericht
die durch Verwaltungsvorschriften einzelner Bundesländer - u. a. auch den genannten Runderlass des Hessischen Ministeriums für Justiz und Europaangelegenheiten - konkretisierte Auslegung und Anwendung der in § 6 BNotO normierten Auswahlmaßstäbe für die Besetzung freier Notarstellen für verfassungswidrig; die chancengleiche Bestenauslese, die zur Gewährleistung der
verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit geboten sei, werde auf Grund-
-4-
lage dieser Maßstäbe nicht erreicht (BVerfGE 110, 304 = NJW 2004, 1935 =
DNotZ 2004, 560 = ZNotP 2004, 281).
4
Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt sandte dem Antragsteller mit Schreiben vom 29. Juni 2004 seine Bewerbungsunterlagen zurück und teilte ihm mit, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 20. April 2004 eine Neubewertung der bisher durchgeführten Bewertungspraxis bei der Besetzung freier Notarstellen zur Folge habe, weshalb zum 1. Juli
2004 die Stellenausschreibung zurückgenommen werde und eine Neuausschreibung der Stellen nach Veröffentlichung der modifizierten Kriterien für das
Besetzungsverfahren für den 1. Oktober 2004 vorgesehen sei.
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Der Antragsgegner nahm am 1. Juli 2004 die Ausschreibung vom 1. Juli
2003 zurück. Diese Maßnahme wurde wie folgt begründet: "Freie Notarstellen
können ab sofort nur unter Beachtung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 (1 BvR 838/01) besetzt werden. Die aufgrund
der Ausschreibung im Justiz-Ministerial-Blatt für Hessen vom 1. Juli 2003
(JMBl. S. 246) eingeleiteten und noch nicht abgeschlossenen Auswahlverfahren
werden deshalb abgebrochen und die betreffenden … Ausschreibungen zurückgenommen"(JMBl. Hessen S. 290). Mit Runderlass des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 10. August 2004 (JMBl. Hessen S. 323) wurde der
Runderlass vom 25. Februar 1999 geändert. Am 1. Oktober 2004 schrieb der
Antragsgegner u. a. die Notarstelle, auf die sich der Antragsteller bereits aufgrund der Ausschreibung vom 1. Juli 2003 beworben hatte, neu aus; den Ablauf
der Bewerbungsfrist setzte er auf den 12. November 2004 fest (JMBl. Hessen
S. 527). Hierauf bewarben sich der Antragsteller sowie der Beigeladene erneut.
Mit Schreiben vom 25. August 2005 teilte die Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main dem Antragsteller mit, dass beabsichtigt sei, die Stelle
mit dem Beigeladenen zu besetzen.
-5-
6
Der Antragsteller hat am 26. Juli 2004 beim Oberlandesgericht Antrag
auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Er hat beantragt, den Antragsgegner zu
verpflichten, die Rücknahme der Ausschreibung einer Notarstelle im Amtsgerichtsbezirk F.
zurückzunehmen und diese Stelle mit ihm zu be-
setzen, hilfsweise das mit der Ausschreibung vom 1. Juli 2003 eröffnete Besetzungsverfahren unter den Bewerbern für diese Stelle fortzusetzen. Zur Begründung hat er namentlich geltend gemacht, dass hinsichtlich der im Amtsgerichtsbezirk F.
zu besetzenden Notarstelle ein sachlicher Grund für den
Abbruch des ursprünglichen Bewerbungsverfahrens nicht vorgelegen habe, jedenfalls habe der Antragsgegner bei der Entscheidung über den Abbruch dieses Verfahrens das ihm zustehende Ermessen nicht, zumindest nicht fehlerfrei
ausgeübt. Denn er habe hierdurch in unverhältnismäßiger Weise in das grundgesetzlich garantierte Recht des Antragstellers auf Berufsfreiheit eingegriffen,
da er ihn durch die Neuausschreibung der Notarstelle der Konkurrenz mit neuen Bewerbern ausgesetzt und seine Bewerbungschancen zusätzlich dadurch
verringert habe, dass als Folge der neuen Bewerbungsfrist die Möglichkeit eröffnet wurde, weitere für die Bewerbung berücksichtigungsfähige Tatsachen in
das Verfahren einzuführen. Gerade dies sei der Grund, warum aufgrund der
neuen Ausschreibung die Stelle mit dem Beigeladenen besetzt werden solle.
Sein durch das Schreiben vom 24. Mai 2004 begründetes, berechtigtes Vertrauen, die fragliche Notarstelle übertragen zu erhalten, werde damit in nicht zu
rechtfertigender Weise verletzt. Im Übrigen habe der Antragsgegner den
Gleichheitssatz verletzt, weil er auch noch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 2004 Notarstellen aufgrund der Ausschreibung vom 1. Juli 2003 besetzt habe.
7
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein ursprüngliches Begehren weiter verfolgt.
-6-
II.
8
Das zulässige Rechtsmittel (§ 111 Abs. 4 BNotO, § 42 Abs. 4 BRAO) hat
in der Sache keinen Erfolg.
9
1. Das in Haupt- und Hilfsantrag des Antragstellers enthaltene Begehren,
den Antragsgegner zu verpflichten, die Rücknahme der Ausschreibung der Notarstelle für den Amtsgerichtsbezirk F.
vom 1. Juli 2003 "zurück-
zunehmen", ist als solches unzulässig.
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a) Die Entscheidung, ein Besetzungsverfahren abzubrechen, ist Ausdruck der Organisationsgewalt der Landesjustizverwaltung. Diese und das damit einhergehende Organisationsermessen beschränken sich nicht auf Zahl und
Zuschnitt der Notariate gemäß § 4 BNotO, sondern erstrecken sich darüber
hinaus auf alle Maßnahmen zur Errichtung, Ausgestaltung und Einziehung der
Notarstellen. Das schließt die Entscheidung über die endgültige Besetzung
oder Nichtbesetzung einer Stelle ebenso mit ein, wie die über ihre Ausschreibung oder deren Rücknahme.
11
Die Ausschreibung, die das Besetzungsverfahren einleitet, das in dem
sich anschließenden Auswahlverfahren fortgesetzt wird, ist dabei - insoweit
vergleichbar dem rein verwaltungsinternen Errichtungsvorgang - zunächst lediglich ein verwaltungstechnisches Hilfsmittel, das der Gewinnung geeigneter Bewerber und damit den Interessen einer geordneten Rechtspflege dient (vgl. Senat BGHZ 127, 83, 90). Unmittelbare Rechtswirkung für bestimmte oder unbestimmte Personen entfaltet sie nicht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 31. März 2003
- NotZ 24/02 - ZNotP 2003, 277, 278; 24. November 1997 - NotZ 10/97 -NJWRR 1998, 849 und 18. September 1995 - NotZ 46/94 - DNotZ 1996, 902, 903;
-7-
BVerwGE 101, 112, 115; Custodis in: Eylmann/Vaasen, BNotO und BeurkG
2. Aufl. § 111 BNotO Rdn. 97; Bohrer, Das Berufsrecht der Notare Rdn. 266;
Sandkühler in: Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO 5. Aufl. § 111 Rdn. 16 a).
Das gilt gleichermaßen für die entgegengerichtete Ausschreibungsrück-
12
nahme. Auch diese ist nur eine verwaltungstechnische Maßnahme. Dass davon
nach Ablauf der Bewerbungsfrist des § 6b BNotO nur noch eine begrenzte Anzahl von Bewerbern betroffen wird, ändert daran nichts. Die Rücknahme der
Ausschreibung diente hier verwaltungstechnisch als Voraussetzung der beabsichtigten Neuausschreibung nach Abbruch des Besetzungsverfahrens und war
in diesem Sinne - anders als die Entscheidung, das bereits begonnene Auswahlverfahren abzubrechen - bloß vorgelagerter Organisationsakt ohne Regelungscharakter mit Außenwirkung. Das Begehren des Antragstellers ist insofern
weder auf die Aufhebung noch auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet
(Senat, Beschluss vom 28. November 2005 - NotZ 30/05 - Rdn. 8 bis 10, zur
Veröffentlichung bestimmt).
b) Auch als Leistungsantrag - d. h. als Antrag auf Vornahme einer Amts-
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handlung, die keinen Verwaltungsakt darstellt - wäre das Begehren nicht zulässig.
14
Inwieweit auf Ausschreibungsmaßnahmen bezogene Leistungsanträge in
diesem Verfahren überhaupt möglich sind (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Juli
2004 - NotZ 8/04 - ZNotP 2004, 410 = NJW-RR 2004, 1572 und 18. September
1995 aaO), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Gleiches gilt für
die weitere Zulässigkeitsvoraussetzung, dass die behaupteten Tatsachen eine
Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers möglich erscheinen lassen
müssen, der Antragsteller mithin geltend machen kann, möglicherweise in solchen Rechten oder rechtlich geschützten Interessen verletzt zu sein (vgl. Senat,
-8-
Beschlüsse vom 31. März 2003 aaO und 24. November 1997 aaO S. 849 f.;
Custodis, aaO § 111 Rdn. 86, 91, 96). Denn für sein Begehren fehlt ihm jedenfalls das erforderliche Rechtsschutzinteresse.
15
Fehler im Ausschreibungsverfahren, dem Beginn des gesamten Besetzungsverfahrens, können zusammen mit der Rechtmäßigkeit der abschließenden Entscheidung im Verfahren über die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle überprüft werden. Das gilt, wenn eine Entscheidung zugunsten eines Bewerbers ergeht, aber auch wenn die Endentscheidung auf Abbruch des Auswahlverfahrens nach zurückgenommener Ausschreibung lautet (vgl. Senat, Beschluss vom 10. März 1997 - NotZ 44/95 - DNotZ 1997, 889; zu dem entsprechenden Rechtsgedanken in § 44 a VwGO vgl. Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl.
§ 44 a Rdn. 1; Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Bd. 1
Loseblatt Stand September 2004 § 44 a Rdn. 5; OVG Bautzen NVwZ-RR 1999,
209 f.).
16
Auch das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) mit
dem daraus abzuleitenden weiten Verständnis des Rechtsschutzbedürfnisses
gebietet in dieser Verfahrenssituation keine andere Sichtweise. Das weitere
Begehren des Antragstellers, ihn auf der Grundlage der Ausschreibung vom
1. Juli 2003 als Notar für den Amtsgerichtsbezirk F.
zu bestellen,
hilfsweise das frühere Auswahlverfahren für diese Stelle aufgrund dieser Ausschreibung mit den ursprünglichen Bewerbern fortzusetzen, gewährleistet eine
vollständige Überprüfung der Rechtslage (Senat, Beschluss vom 28. November
2005 - NotZ 30/05 - Rdn. 11 bis 14, zur Veröffentlichung bestimmt).
-9-
Eines Hinweises an den Antragsteller, um ihm Gelegenheit zu geben,
17
seinen Antrag abzuändern oder klarzustellen, bedurfte es nicht, da sein
Rechtsschutzbegehren insgesamt erfolglos bleiben muss.
2. Die weiteren Anträge des Antragstellers, ihm in dem durch die Stellen-
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ausschreibung vom 1. Juli 2003 eröffneten Auswahlverfahren die Notarstelle im
Amtsgerichtsbezirk F.
zuzuweisen oder - hilfsweise - das entspre-
chende ursprüngliche Auswahlverfahren fortzusetzen, sind dagegen als Verpflichtungsanträge gemäß § 111 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 BNotO, § 41 Abs. 3 Satz
2 BRAO zulässig (Sandkühler, aaO § 111 Rdn. 33 m. w. N.). Der Antragsteller
erstrebt insoweit eine - ihm günstige - Entscheidung über seine Bewerbung im
ursprünglichen Besetzungsverfahren, die ihm durch den Abbruch dieses Verfahrens vorenthalten wird. Dazu will er den Antragsgegner verpflichtet wissen.
Den
darauf
gerichteten
Bewerbungsverfahrensanspruch
kann
er
- da er einen Abbruch des Besetzungsverfahrens sachlich nicht für gerechtfertigt hält - mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung geltend machen (vgl.
Senat, Beschlüsse vom 26. März 2001 - NotZ 31/00 - DNotZ 2001, 731 und
10. März 1997 aaO; s. a. OVG Bautzen DÖD 2005, 116, 117). Denn sollte sich
der Abbruch als rechtswidrig erweisen, ist das ursprüngliche Verfahren fortzusetzen (vgl. BVerfG NJW-RR 2005, 998, 1001) und über seinen Bewerbungsantrag zu entscheiden (Senat, Beschluss vom 28. November 2005 - NotZ
30/05 - Rdn 15, zur Veröffentlichung bestimmt).
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3. Soweit Haupt- und Hilfsantrag danach zulässig sind, bleiben sie jedoch in der Sache ohne Erfolg. Der Senat hat am 28. November 2005 in dem
Verfahren NotZ 30/05 und in zahlreichen weiteren Parallelverfahren bereits
über vergleichbare Sachverhalte aus dem Bereich der Landesjustizverwaltung
Nordrhein-Westfalen entschieden. An seiner dort dargelegten und vom Bundesverfassungsgericht unbeanstandet gebliebenen (soweit unterlegene Be-
- 10 -
schwerdeführer Verfassungsbeschwerden erhoben haben, sind diese durchweg
vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden,
Beschlüsse vom 1. Februar 2006 - 1 BvR 198/06 - zu dem Verfahren NotZ
24/05; vom 2. Februar 2006 - 1 BvR 159/06, 169/06 und 177/06 - zu den Verfahren NotZ 43/05, NotZ 28/05 und NotZ 27/05) Rechtsauffassung hält er fest.
Danach gilt (Senat aaO Rdn. 17 ff.):
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Der Antragsgegner war nicht verpflichtet, das Besetzungsverfahren auf
der Grundlage der Ausschreibung vom 1. Juli 2003 fortzusetzen und die Bewerbung des Antragstellers unter Fortführung des bisherigen Auswahlverfahrens zu bescheiden. Eine Bewerbung als Notar setzt voraus, dass eine Stelle
zu vergeben ist. Das ist nach der Beendigung des Besetzungsverfahrens nicht
mehr der Fall. Der Antragsgegner durfte die Ausschreibung vom 1. Juli 2003
zurücknehmen und das Auswahlverfahren abbrechen. Die Bewerbung des Antragstellers hat durch diesen organisatorischen Akt ihre Erledigung gefunden
(Senat, Beschluss vom 10. März 1997 aaO S. 890). Einen Anspruch auf Verfahrensbeendigung durch Besetzungsentscheidung hat der Antragsteller danach
nicht mehr (vgl. Linke DNotZ 2005, 411, 415).
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a) Durch die Gestaltung und den Zeitpunkt des Besetzungsverfahrens
kann allerdings Einfluss auf die Konkurrenzsituation der jeweiligen Bewerber
und damit auf das Ergebnis der späteren Auswahlentscheidung genommen
werden. Nicht nur durch die Art und Weise der Bekanntgabe vakanter Stellen,
das Setzen von Bewerbungsfristen und die Terminierung der Besetzungen,
sondern auch durch den Abbruch von Besetzungsverfahren und eine spätere
Neuausschreibung von Notarstellen lässt sich die Zusammensetzung des Bewerberkreises steuern. Eine solche Steuerung kann in grundrechtsrelevanter
Weise Chancengleichheit und Berufsfreiheit von Notarbewerbern berühren. Die
Wahrung ihrer Grundrechte insbesondere aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 33
- 11 -
Abs. 2 GG erfordert eine dem Grundrechtschutz angemessene Verfahrensgestaltung (BVerfGE 73, 280, 296). Die im Rahmen des insoweit bestehenden
weiten Ermessensspielraums von der Justizverwaltung bei der Notarauswahl zu
berücksichtigenden öffentlichen Interessen sind in Bezug auf die Grundrechte
der Bewerber zu gewichten und mit verhältnismäßigen Mitteln durchzusetzen
(BVerfG DNotZ 2002, 891, 892 m. krit. Anm. Linke, aaO).
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Die Justizverwaltung muss demgemäß bei der Frage, ob ein Besetzungsverfahren fortzusetzen oder abzubrechen ist, das ihr eingeräumte Organisationsermessen pflichtgemäß ausüben. Die Entscheidung für den Abbruch
erfordert dann - wie auch im Beamtenrecht - sachlich nachvollziehbare Gründe,
die eine angemessene Beachtung und Bewertung der betroffenen öffentlichen
und individuellen Belange belegen. Nur insoweit erlauben die Berufsfreiheit und
das Recht der Bewerber auf Chancengleichheit den Abbruch laufender Verfahren (BVerfG NJW-RR 2005, 998, 1001; DNotZ 2002, 891, 892; Senat, Beschlüsse vom 26. März 2001 - NotZ 31/00 - DNotZ 2001, 731, zustimmend Linke, aaO S. 419, und 10. März 1997 aaO; BVerwGE 101, 112, 115).
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b) Diese Grundsätze hat der Antragsgegner beachtet. Er war sich bewusst, dass der Besetzungsabbruch eines sachlichen Grundes bedarf. Diesen
hat er in der Ausschreibungsrücknahme zusammengefasst angegeben. Der
Verfahrensabbruch sollte eine den Anforderungen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 genügende Auswahlentscheidung
ermöglichen. Diese Begründung ist nachvollziehbar. Die bisherigen Auswahlkriterien im Runderlass vom 25. Februar 1999, auf den in der Ausschreibung ausdrücklich hingewiesen worden war, hatten sich als nicht verfassungsgemäß erwiesen. Bewerber um ein Notaramt mussten damals davon ausgehen, keinen
Erfolg zu haben, wenn sie diese Voraussetzungen nicht erfüllten, während sie
sich mit einer auf diese Kriterien zugeschnittenen Bewerbung Erfolgsaussichten
- 12 -
ausrechnen konnten. Die Rücknahme der Ausschreibung und der anschließende Neubeginn des Bewerbungsverfahrens sollten mithin allen möglichen Bewerbern gleichermaßen Zugang zu einer nunmehr verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden Auswahlentscheidung eröffnen.
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Es ist auch hier nicht zu erkennen, dass sich die Justizverwaltung insoweit im Hinblick auf die vorgenannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als gebunden angesehen haben könnte und von dem ihr eingeräumten
Ermessen keinen Gebrauch gemacht hätte. Die denkbaren Alternativen
- Fortführung des laufenden Verfahrens oder Abbruch mit anschließendem
Neubeginn - lagen offen, wurden in der Literatur erörtert und in der Praxis auch
angewandt (vgl. zur Fortführung eines Bewerbungsverfahrens Senat, Beschluss
vom 22. November 2004 - NotZ 16/04 - NJW 2005, 212, 213; Harborth, DNotZ
2004, 659, 670 f.; Jung, DNotZ 2004, 570 f.; Maaß, ZNotP 2004, 250, 255;
Lerch, ZNotP 2004, 267, 269). Dies zeigt auch der Inhalt des Schriftsatzes vom
17. September 2004, in dem die Vertreterin des Antragsgegners ausdrücklich
darauf hingewiesen hat, dass es sachgerecht erschien, die Auswahlkriterien
nicht im laufenden Besetzungsverfahren den Vorgaben der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts anzupassen, sondern vielmehr, das "Verfahren"
zurückzunehmen, um zunächst eine Änderung der maßgeblichen Verwaltungsvorschriften herbeizuführen und den Bewerbern sodann die Möglichkeit zu eröffnen, die geänderten Richtlinien zur Kenntnis zu nehmen und ihre Bewerbung
danach auszurichten. Eine persönliche Anhörung der betroffenen Bewerber vor
Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens war dabei - entgegen der Ansicht
des Beschwerdeführers - nicht geboten.
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Weder in der Entscheidung des Antragsgegners, zugunsten aller potentiellen Bewerber das Besetzungsverfahren abzubrechen, noch in seiner Auffas-
- 13 -
sung, die Belange des Antragstellers müssten dahinter zurückstehen, liegt ein
Ermessensfehlgebrauch.
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aa) Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die gesetzlichen Eignungskriterien des § 6 Abs. 3 BNotO gebilligt, weil sie bei der Auswahl der Anwaltsnotare eine angemessene Berücksichtigung solcher Kenntnisse und Fähigkeiten
erlauben, die sich speziell auf den Zweitberuf des Notars beziehen. Es hat jedoch festgestellt, dass die Auslegung und Anwendung dieser Norm nach allgemeinen Verfügungen in Angelegenheiten der Notarinnen und Notare wie dem
Runderlass des Hessischen Ministeriums für Justiz und Europaangelegenheiten
zur Ausführung der Bundesnotarordnung vom 25. Februar 1999 bei der Auswahl der Bewerber aus dem Kreis der Rechtsanwälte, die für das Amt des Notars in Betracht kommen, nicht den Vorrang desjenigen mit der besten fachlichen Eignung gewährleisten (BVerfGE 110, 304, 326 ff.). Eine nach den bisherigen Maßstäben erstellte Prognose über die Eignung eines Bewerbers für das
von ihm erstrebte öffentliche Amt oder über seine bessere Eignung bei der
Auswahl aus einem Kreis von Bewerbern lässt vor allem eine konkrete und einzelfallbezogene Bewertung der fachlichen Leistungen des Bewerbers vermissen. Erforderlich ist statt dessen eine Neubewertung, bei der auch die von den
Bewerbern bei der Vorbereitung auf das angestrebte Amt gezeigten theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen - wie insbesondere bei den Beurkundungen - differenziert zu gewichten sind. Solange es insoweit an beachtlichen Bewertungen noch fehlt, ist eine individuelle Eignungsprognose im weiteren Sinn zu treffen, bei der diese beiden notarspezifischen Eignungskriterien mit
eigenständigem, höheren Gewicht als bisher im Verhältnis zu der Anwaltspraxis
und dem Ergebnis des Staatsexamens einfließen müssen (BVerfG aaO S.
326 ff., 336; Senat, Beschluss vom 22. November 2004 aaO S. 213).
- 14 -
27
bb) Diesen Anforderungen an eine verfassungsgemäße Vergabe noch
nicht besetzter Notarstellen in einer am Grundrechtsschutz aller in Betracht
kommenden Bewerber orientierten, angemessenen Verfahrensgestaltung wollte
der Antragsgegner durch den Abbruch des laufenden Bewerbungsverfahrens
mit anschließender Neuausschreibung gerecht werden. Insoweit stand ihm ein
sachlicher Grund zur Seite, da die bisherigen Verfahren vor allem infolge fehlerhafter Gewichtung von Examensnote und Anwaltspraxis an Mängeln litten,
die grundsätzlich einen vom Organisationsermessen gedeckten Abbruch rechtfertigen können (vgl. OVG Rheinland-Pfalz DÖD 1998, 167, 168; Lerch, aaO
S. 269).
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Der Antragsteller kann dem nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Justizverwaltung dürfe eine an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ausgerichtete Auswahlentscheidung nur unter den Konkurrenten im laufenden Bewerbungsverfahren treffen.
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(1) Die bei dem Zugang zu einem öffentlichen Amt, das ein Notar ausübt
(§ 1 BNotO; BVerfGE 17, 371, 377), aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 33
Abs. 2 GG abzuleitenden Grundsätze für die Auswahlentscheidung gebieten
zum Schutz des wichtigen Gemeinschaftsgutes einer qualitätsvollen Rechtspflege, dass tatsächlich von allen potentiellen Bewerbern derjenige zum Zuge
kommt, der den Anforderungen des Amtes am ehesten entspricht (BVerfGE 73,
280, 296; BVerfG NJW 2005, 50). Verfassungsrechtlich ist es danach geboten,
alle in Betracht kommenden Personen mit dem Bewerbungsverfahren anzusprechen und auch wirklich zu erreichen. Das lässt bei der Verfahrensgestaltung jedenfalls die Möglichkeit eines Abbruchs bereits begonnener Auswahlverfahren zu, wenn die geforderte Erreichbarkeit aller möglichen Bewerber etwa
infolge der Abfassung des Bewerbungsangebotes und der darin mitgeteilten
Besetzungskriterien nicht sichergestellt war. Diesem Gebot wollte die Justiz-
- 15 -
verwaltung bei der von dem Antragsteller beanstandeten Vorgehensweise gerade gehorchen. Sie wollte das Auswahlverfahren auch denjenigen öffnen, die
infolge der angegebenen Auswahlmaßstäbe, die sich aufgrund verfassungsgerichtlicher Überprüfung nachträglich als verfassungswidrig erwiesen haben, von
einer Beteiligung mangels Erfolgsaussicht Abstand genommen hatten, während
sie sich nach neuen, für sie erfolgversprechenderen Maßstäben beteiligt hätten.
So liegen die Dinge hier.
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Die Zugangskriterien zum Anwaltsnotariat müssen sich jetzt - bei geringerem Gewicht der Examensnoten - stärker an der Notarfunktion ausrichten.
Bewerber mit schwächeren Abschlussnoten haben daher bessere Aussichten
als bisher auf die Vergabe einer Notarstelle, wenn sie gerade die fachbezogenen Anforderungen, wie beispielsweise durch eine größere Beurkundungspraxis
oder eine notarnähere Ausgestaltung ihrer Anwaltstätigkeit, in überdurchschnittlichem Maße erfüllen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass gerade solche potentiellen Bewerber in Kenntnis der bisherigen Gewichtung von einer Bewerber
abgesehen haben (vgl. KG, KG-Report 2005, 143, 144 sowie Beschluss vom 3.
Februar 2005 - Not 8-10/04; OVG Münster NVwZ-RR 2003, 52, 53). Einer näheren konkreten Prüfung durch die Landesjustizverwaltung, ob für jede der ursprünglich ausgeschriebenen Notarstellen überhaupt derartige potentielle Bewerber vorhanden waren, bedurfte es entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht; denn dies wäre einer verfassungsrechtlich bedenklichen Probeausschreibung nahe gekommen (vgl. BVerfG DNotZ 2002, 891, 894).
31
Der bei richtigem Verfassungsverständnis nunmehr durchaus als geeignet einzustufenden potentiellen Bewerbergruppe durfte die Justizverwaltung
nach dem im öffentlichen Interesse bestehenden Grundsatz der Bestenauslese
und den verfassungsrechtlich garantierten Ansprüchen aller Bewerber auf gleichen Zugang zu einem öffentlichen Amt durch den Abbruch des Bewerbungs-
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verfahrens Beachtung schenken. Diesen Personen wäre sonst eine Bewerbung
um die zu besetzende Stelle nicht mehr möglich, nachdem sich der Bewerberkreis wegen des Ablaufs der Bewerbungsfrist bereits geschlossen hatte.
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Es spielt ferner keine Rolle, dass im Zeitpunkt der ersten Ausschreibung
bereits Verfassungsbeschwerden zu den bisherigen Auswahlmaßstäben anhängig waren, in denen die bisherigen Kriterien für die Bewerberauswahl als
verfassungswidrig beanstandet wurden. Für den Einzelnen war nicht abzuschätzen, wann und mit welchem Ergebnis das Bundesverfassungsgericht entscheiden würde. Angesichts der dadurch bedingten Zufälligkeiten, vor allem bei
der zeitliche Abfolge und den Qualifikationsnachweisen, war eine bloß vorsorgliche, nach bisherigen Auswahlmaßstäben aussichtslose Bewerbung nicht zu
verlangen.
33
Schließlich kommt der Anzahl der noch zu besetzenden Stellen, der
Größe des verbliebenen Bewerberfeldes und dem Stand des Bewerbungsverfahrens bei der Entscheidung, es abzubrechen oder fortzusetzen, keine ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. aber Harborth, aaO S. 671). Das mit der
Bestenauslese verfolgte verfassungsrechtliche Anliegen, alle geeigneten Bewerber zu erreichen, bleibt stets das gleiche.
34
Es erweist sich daher unter diesem Gesichtspunkt insgesamt als ermessensfehlerfrei, wenn den angeführten Interessen der Vorrang gegenüber denen
des Antragstellers eingeräumt worden ist, im bisherigen Auswahlverfahren zu
verbleiben, ohne sich weiterer Konkurrenz stellen zu müssen.
35
(2) Die Entscheidung der Justizverwaltung, die bisherige Ausschreibung
zurückzunehmen und das Auswahlverfahren insgesamt zu wiederholen, findet
aber auch mit Blick auf die vorhandenen Bewerber ihre Berechtigung. Nach
§ 6b Abs. 2 BNotO ist die Bewerbung innerhalb der mit der Ausschreibung ge-
- 17 -
setzten - als gesetzliche Ausschlussfrist gestalteten - Bewerbungsfrist einzureichen; dementsprechend sind gemäß § 6b Abs. 4 Satz 1 BNotO nur solche Umstände zu berücksichtigen, die bei Ablauf der Bewerbungsfrist vorlagen. Die
Justizverwaltung darf die fachliche Eignung eines Bewerbers um das Amt nur
dann bejahen, wenn diese bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist nachgewiesen
ist. Dies gilt insbesondere auch für den Nachweis der fachlichen Leistungen, die
im Auswahlverfahren nach § 6 Abs. 3 BNotO von Bedeutung sind. Der erforderliche fristgemäße Nachweis der Leistungen setzt neben der Vorlage der entsprechenden Bescheinigungen voraus, dass der Bewerber der Justizverwaltung
innerhalb der Bewerbungsfrist mitgeteilt hat, welche bei der Vorbereitung auf
den Notarberuf bereits erbrachten Leistungen bei der Auswahlentscheidung
Beachtung finden sollen. Insoweit dient die Festlegung eines Stichtags der
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, aber auch der Gleichbehandlung aller Bewerber aufgrund einer einheitlichen Bewerbungssituation, die nur gewährleistet
ist, wenn zu Beginn des Auswahlverfahrens sämtliche für den Bewerber maßgeblichen Kriterien feststehen (vgl. Senat BGHZ 126, 39, 46 ff.; Beschlüsse
vom 22. November 2004 aaO S. 214; 3. November 2003 - NotZ 14/03 - ZNotP
2004, 451, 452; 14. Juli 1997 - NotZ 48/96 - NJW-RR 1998, 57, 58 und 16.
März 1998 - NotZ 13/97 - NJW-RR 1998, 1599, 1600).
36
Da sich die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Auswahlstäbe hier erst
nach Ablauf der Bewerbungsfrist herausgestellt hat, konnten die Bewerber nicht
mehr ohne weiteres ergänzende Leistungen und Nachweise in das Verfahren
einbringen, um so ihre fachliche Eignung entsprechend der nunmehr zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Auswahlentscheidung zu belegen. Dabei versteht es sich keineswegs von selbst, dass - auch wenn nur der
verbliebene Bewerberkreis in den Blick genommen wird - bei einer erneuten
Ausschreibung kein wesentlich davon abweichendes Ergebnis zu erwarten wäre (so aber wohl SchlHOLG SchlA 2005, 88, 90). Es ist allein im Hinblick auf die
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bisherige Deckelung anrechenbarer Beurkundungen schon zweifelhaft, ob für
das erste Bewerbungsverfahren nur die bereits eingereichten Nachweise zur
Verfügung gestanden haben (vgl. dagegen aber Schöbener, NWVBl. 2005, 41,
52). Jedenfalls hinsichtlich der jetzt mit weitaus höherem Gewicht als bisher zu
berücksichtigenden sonstigen notarspezifischen Qualifikationsmerkmale ist das
wenig wahrscheinlich.
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Statt hier eine - unter Umständen schwierige - Abgrenzung zwischen
neuen, durch § 6b Abs. 4 BNotO präkludierten Umständen und lediglich zusätzlichen, durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts veranlassten
nachträglichen Erläuterungen vor allem der notarspezifischen Bezüge der anwaltlichen Tätigkeit vorzunehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 22. November
2004 aaO) oder auf etwaige Wiedereinsetzungen in den vorigen Stand mit unterschiedlichen Erfolgschancen zu setzen (§ 6b Abs. 3 BNotO; vgl. Senat, Beschluss vom 3. November 2003 aaO S. 453), war es der Justizverwaltung nicht
verwehrt, das Auswahlverfahren insgesamt neu zu eröffnen, um sich von der
Prüfung und Entscheidung im Einzelfall und möglichen daran knüpfenden
Rechtsmittelverfahren zu entlasten. Auf diese Weise vermag sie zwischen den
Bewerbern Chancengleichheit herzustellen (Art. 12, 3, 33 Abs. 2 GG) und ihre
Gleichbehandlung bezüglich der von ihnen vorzuweisenden Leistungen über
eine sachlich gleichmäßige materielle und formelle Verfahrensgrundlage zu gewährleisten (vgl. Senat, Beschluss vom 3. November 2003 aaO). Zugleich
schafft sie damit eine vollständige Beurteilungsgrundlage, die eine fehlerfreie
Auswahlentscheidung sicherstellt. Zusätzlich werden damit zu erwartende Folgestreitigkeiten vermieden, ob die Auswahl das gesamte ursprüngliche Bewerberfeld miteinzubeziehen oder nur unter den noch Verbliebenen zu erfolgen hat
(vgl. dazu Harborth, aaO S. 671). Es ist daher jedenfalls nicht ermessensfehlerhaft, bei dieser Sachlage einer neuen Ausschreibung den Vorzug zu geben, um
die erkennbaren Schwierigkeiten bei der sonst anstehenden Umstellung auf
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eine individuelle Eignungsprognose (BVerfGE 110, 304, 327 ff., 336 ff.; vgl. dazu Harborth, aaO) zu umgehen.
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Diese Vorgehensweise ist nicht mit einer verfassungsrechtlich bedenklichen Probeausschreibung zur Sichtung von Bewerbern (vgl. BVerfG DNotZ
2002, 891, 894) zu vergleichen, sondern mit einem veränderten Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle, das im öffentlichen Dienst eine Neuausschreibung regelmäßig rechtfertigen und sogar gebieten kann (vgl. BVerwGE
115, 58, 60 f.; OVG Münster, DÖD 2004, 205 f. und NVwZ-RR 2002, 52 f.).
Veränderungen im Anforderungsprofil und Neugewichtungen der für den Zugang zu dem Amt geltenden Auswahlmaßstäbe können den Bewerberkreis in
ähnlicher Weise beeinflussen. Ein Abbruch des zunächst begonnenen Besetzungsverfahrens mit anschließendem Neubeginn, um gleiche Ausgangsvoraussetzungen für den alten wie den neuen Bewerberkreis zu schaffen, ist aus diesem Gesichtspunkt ebenfalls insgesamt nicht zu beanstanden.
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Befürchtungen, dass damit das Stichtagsprinzip faktisch aufgehoben
würde, die Konturen eines Bewerbungsverfahrens durch die Suche nach dem
bestmöglichen Bewerber aufgeweicht würden und jedweder Fehler bei einer
Auswahlentscheidung künftig den Abbruch und die Neuausschreibung zur Folge haben würde, was zu einem Stillstand der Rechtspflege im Notarbereich mit
nicht absehbaren wirtschaftlichen und personellen Konsequenzen führen könnte, sind angesichts der besonderen Situation für die Justizverwaltung, aus verfassungsrechtlichen Gründen bislang allgemein gültige Auswahlkriterien anpassen bzw. ändern zu müssen, unbegründet.
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(3) Die Entscheidung der Justizverwaltung, im Rahmen der ihr zustehenden Organisationsgewalt das Besetzungsverfahren abzubrechen und eine - für
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weitere Bewerber offene - neue Ausschreibung vorzunehmen, erweist sich gegenüber dem Antragsteller auch als verhältnismäßig.
41
Ihm wird dadurch keine schon verfestigte Rechtsposition genommen.
Zwar hatte er unter den ursprünglichen Bewerbern den Spitzenplatz eingenommen und war ihm in dem Schreiben vom 24. Mai 2004 mitgeteilt worden,
dass beabsichtigt sei, die freie Notarstelle im Amtsgerichtsbezirk F.
mit ihm zu besetzen. Dennoch ist die Entscheidung der Landesjustizverwaltung, mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
20. April 2004 das Besetzungsverfahren abzubrechen, nicht ermessensfehlerhaft und der Antragsteller nicht in einem berechtigten Vertrauen, diese Stelle
übertragen zu erhalten, verletzt (vgl. Senat, Beschluss vom 28. November 2005
- NotZ 34/05 - Rdn. 12 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
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Ändern sich aus verfassungsrechtlichen Gründen während eines laufenden Verfahrens die für die Besetzungsentscheidung von der Justizverwaltung
allgemein angewandten und den potentiellen Bewerbern als verbindlich vorgegebenen materiell-rechtlichen Beurteilungskriterien erheblich - wie hier durch
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts festgestellt -, gibt es für ein
etwaiges von Bewerbern gebildetes Vertrauen, sie würden gemäß einer entsprechenden Mitteilung der Justizverwaltung zum Notar ernannt werden oder
es werde auch nur in Fortführung des Verfahrens bei dem noch vorhandenen
Bewerberkreis verbleiben, keine Grundlage mehr. Das dahingehende Interesse
des Antragstellers kann sich gegenüber dem gegenläufigen Interesse von Konkurrenten nicht durchsetzen, die auf der Basis verfassungswidriger Maßstäbe
unterlegen sind und möglicherweise gerade im Vertrauen auf die Fortgeltung
dieser Maßstäbe von einer Anfechtung der Auswahlentscheidung abgesehen
oder sich erst gar nicht beworben haben. Schon wegen der aus Gründen der
Bestenauslese in dieser Situation gebotenen Öffnung des Bewerberkreises für
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alle potentiellen Kandidaten ist es daher ohne Belang, dass sich der Antragsteller nach den früheren Auswahlkriterien im ursprünglichen Verfahren als aussichtsreichster Bewerber erwiesen hat.
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Daran ändert es auch nichts, dass bereits vorgenommene Besetzungen
von gleichzeitig ausgeschriebenen Stellen nach Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr rückgängig gemacht werden
können. Dies ist aus Gründen der Ämterstabilität hinzunehmen (vgl. Senat
BGHZ 160, 190, 194 m. w. N.), vermag aber einen Vertrauensschutz für den
Antragsteller nicht zu begründen. Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers
ist auch nicht erkennbar, dass der Antragsgegner dadurch gegen den Gleichheitssatz verstoßen hätte, dass er andere Notarstellen, die am 1. Juli 2003 ausgeschrieben worden waren, auch noch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 besetzt hat. Der Antragsgegner hat ausdrücklich vorgetragen, dass dies in Unkenntnis der verfassungsgerichtlichen
Entscheidung geschah und er keine Besetzungen mehr vorgenommen habe,
als ihm der Beschluss vom 20. April 2004 durch Veröffentlichung bekannt geworden war. Dieses Vorbringen wird indiziell dadurch bestätigt, dass auch dem
Antragsteller noch mit Schreiben vom 24. Mai 2004 mitgeteilt wurde, es sei beabsichtigt, die freie Notarstelle im Amtsgerichtsbezirk F.
mit ihm
zu besetzen. Dem ist der Antragsgegner nicht in beachtlicher Weise entgegengetreten. Er verkennt, dass die Bestellung zum Notar mit Aushändigung der
Bestallungsurkunde wirksam wird (§ 12 Satz 1 BNotO), nicht mit der späteren
Veröffentlichung der Ernennung im Justizministerialblatt. Es bestand daher kein
Anlass, seinem Sachvortrag weiter nachzugehen. Es kann somit auch offen
bleiben, ob der Antragsteller aus Stellenbesetzungen, die in Kenntnis des Verfassungsgerichtsbeschlusses - rechtswidrig - vorgenommen worden wären,
überhaupt etwas zu seinen Gunsten ableiten könnte.
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(4) Zutreffend macht der Antragsteller allerdings geltend, dass sich durch
die Neuausschreibung der Notarstelle im Amtsgerichtsbezirk F.
sei-
ne Bewerbungschancen erkennbar verschlechtert haben; denn nunmehr soll
diese Stelle mit dem Beteiligten besetzt werden. Dies hat der Antragsteller jedoch hinzunehmen; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird hierdurch nicht
zu seinem Nachteil verletzt. Wie bereits dargelegt, ist dem Antragsteller allein
durch die aussichtsreiche Teilnahme an dem ursprünglichen Bewerbungsverfahren keine verfestigte Rechtsposition erwachsen. Für ihn bestand lediglich
eine ungesicherte Aussicht auf den Erfolg seiner Bewerbung, der jedoch verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht genügende Auswahlkriterien zugrunde
lagen. Das Interesse des Antragstellers, diese Ernennungschance nicht zu verlieren, durfte der Antragsgegner dem öffentlichen Interesse an einer Bestenauslese nach verfassungskonformen Auswahlmaßstäben unterordnen. Dabei war er auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen gehalten, nur das
ursprüngliche Ausschreibungsverfahren für weitere potentielle Bewerber zu öffnen, diesen Gelegenheit zu geben, innerhalb einer neuen Bewerbungsfrist die
berücksichtigungsfähigen Tatsachen vorzubringen, die sie zum Zeitpunkt des
Ablaufs der ursprünglichen Bewerbungsfrist am 12. August 2003 bereits vorzuweisen hatten, und sodann unter Alt- und Neubewerbern eine Auswahl nach
Kriterien zu treffen, die den vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Maßstäben entsprachen. Wie bereits ausgeführt, hätte sich der Antragsgegner hierauf nicht beschränken dürfen. Vielmehr hätte er auch den Altbewerbern Gelegenheit geben müssen, nunmehr berücksichtigungsfähige bewerbungsrelevante
Tatsachen nachzutragen. Auf ein derartiges Verfahren, das im Kern auf eine
Neuausschreibung der Notarstellen mit einem in der Vergangenheit liegenden
Stichtag nach § 6b Abs. 4 Satz 1 BNotO hinausgelaufen wäre, bei dessen Ablauf die Auswahlkriterien für die späteren Bewerber aber nicht erkennbar waren,
musste sich der Antragsgegner - unbeschadet der Frage der Vereinbarkeit ei-
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nes solchen Verfahrens mit dem geltenden Recht - jedenfalls nicht einlassen.
Vielmehr durfte er dem öffentlichen Interesse daran, die offenen Notarstellen
mit den Bewerbern zu besetzen, die sich nach verfassungskonformen Auswahlkriterien aktuell hierfür als die geeignetsten erweisen, den Vorzug geben.
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Soweit die jetzige Bevorzugung des Beteiligten auf der Neufassung des
Abschnitts A II. Nr. 3 Buchst. c und d des geänderten Runderlasses beruht,
kann dahinstehen, ob auch gegen diese Neufassung verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht werden könnten; denn auf die Entscheidung, das ursprüngliche Besetzungsverfahren abzubrechen, ist die spätere Änderung des
Runderlasses ohne Einfluss. Diese Frage ist vielmehr gegebenenfalls in dem
vom Antragsteller eingeleiteten gerichtlichen Verfahren gegen die beabsichtigte
Ernennung des Beteiligten zum Notar im Amtsgerichtsbezirk F.
zu klären.
Schlick
Galke
Lintz
Becker
Eule
Vorinstanz:
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 14.11.2005 - 1 Not 8/04 -