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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 243/17
Verkündet am:
17. Mai 2018
Kirchgeßner
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 675, 611, 667; BRAO § 50; ZPO § 386 Abs. 1, § 383 Abs. 1 Nr. 6
Ein Rechtsanwalt ist grundsätzlich verpflichtet, seinem Mandanten auf Verlangen die
gesamte Handakte herauszugeben. Soweit der Anwalt die Herausgabe mit Rücksicht
auf Geheimhaltungsinteressen sonstiger Mandanten verweigert, hat er dies unter
Angabe näherer Tatsachen nachvollziehbar darzulegen.
BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 - IX ZR 243/17 - LG Heidelberg
AG Heidelberg
ECLI:DE:BGH:2018:170518UIXZR243.17.0
-2-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Mai 2018 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Prof.
Dr.
Gehrlein,
Grupp,
die
Richterin
Möhring
und
den
Richter
Dr. Schoppmeyer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer
des Landgerichts Heidelberg vom 13. September 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 25. November
2014 über das Vermögen der U.
G.
mbH (nachfolgend: Schuld-
nerin) am 26. März 2015 eröffneten Insolvenzverfahren.
2
Die Beklagte, eine Rechtsanwaltsgesellschaft, vertrat die Schuldnerin in
einem vor dem Landgericht Mannheim und dem Oberlandesgericht Karlsruhe
gegen
S.
und die R.
S.
GmbH & Co. KG geführten
-3-
Rechtsstreit. Ferner übernahm die Beklagte die außergerichtliche Vertretung
der Schuldnerin bei der Geltendmachung von Zahlungsansprüchen gegen M.
S.
. Die Mandate waren der Beklagten von dem Geschäftsführer
der Schuldnerin unmittelbar vor Stellung des Insolvenzantrages erteilt worden.
3
Der Kläger forderte die Beklagte wiederholt ohne Erfolg auf, die Handakten beider Verfahren herauszugeben. Das Amtsgericht hat die Beklagte unter
Abweisung des weitergehenden Begehrens verurteilt, die Handakten mit Ausnahme solcher Schriftstücke herauszugeben, die von Dritten, zu denen ein gesondertes Mandatsverhältnis bestand oder besteht, im Rahmen dieses Mandatsverhältnisses verfasst oder übergeben wurden. Die dagegen eingelegte
Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, die Beklagte zur uneingeschränkten Herausgabe der Handakten zu verurteilen.
Entscheidungsgründe:
4
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
5
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
-4-
6
Der Bundesgerichtshof gehe davon aus, dass den Rechtsanwalt im
Grundsatz aus dem Anwaltsvertrag gegenüber dem Mandanten eine Herausgabepflicht hinsichtlich der Handakten treffe (BGHZ 109, 260, 264). Der
Rechtsanwalt könne die Herausgabe und die Erteilung von Auskünften verweigern, soweit er andernfalls gegen seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit
verstoße. Das Berufsgeheimnis bestehe nicht im eigenen Interesse des
Rechtsanwalts, wohl aber in dem des "Geheimnisherrn", der den Rechtsanwalt
von seiner Verpflichtung entbinden könne (BGHZ 109, 260, 269).
7
Erfolge eine solche Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht
nicht, könnten Geheimhaltungsinteressen Dritter, zu denen ein gesondertes
Mandatsverhältnis bestanden habe, ein Auskunftsverweigerungsrecht begründen. In dieser Fallkonstellation sei es als ausreichend zu erachten, dass sich
das Gericht auf die anwaltliche Versicherung stütze, dass sich in den Handakten Schriftstücke von Personen befänden, zu denen ein separates Mandatsverhältnis bestanden habe. Der Bundesgerichtshof habe es bei der prozessualen
Würdigung von Wahrnehmungen eines Rechtsanwalts, die im Wesentlichen
seine eigene Tätigkeit beträfen, gebilligt, dass von dem als richtig versicherten
Vortrag ausgegangen werden könne, solange nicht konkrete Anhaltspunkte
ausschlössen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für zutreffend zu erachten. Deshalb könne von der Beklagten nicht mehr
als die anwaltliche Versicherung verlangt werden, dass sich in den Handakten
Schriftstücke von Personen befänden, zu denen Mandatsverhältnisse bestünden.
8
An die Darlegungslast der Beklagten könnten nicht die Anforderungen
angelegt werden, die der Bundesgerichtshof im Falle der Auskunftsverweige-
-5-
rung des Rechtsanwalts gegenüber einem Insolvenzverwalter im Hinblick auf
persönliche Geheimhaltungsinteressen von Organmitgliedern einer Insolvenzschuldnerin aufstelle, die den Rechtsanwalt in eigener Sache mandatiert habe
(BGHZ 109, 260, 271). Dabei gehe der Bundesgerichtshof davon aus, dass die
Interessen der Insolvenzschuldnerin, über die der Insolvenzverwalter disponiere, Vorrang vor den Interessen der außerhalb des Mandatsverhältnisses stehenden Organmitglieder habe. Hier lägen die Dinge anders. Es könne differenziert werden zwischen dem Mandatsverhältnis der Schuldnerin und der Beklagten einerseits und dem Mandatsverhältnis der Beklagten zu sonstigen Personen
andererseits.
9
Selbst wenn in der von dem Bundesgerichtshof entschiedenen Sache zu
den Organmitgliedern ein Mandatsverhältnis bestanden haben sollte, ändere
dies an der Bewertung nichts. Die gesteigerten Darlegungsanforderungen seien
vielmehr darin begründet, dass das Verhältnis der Organmitglieder zu dem
Rechtsanwalt gegenüber dem Mandatsverhältnis zu der Insolvenzschuldnerin
nachrangig sei. Den Organmitgliedern sei es verwehrt, ihren eigenen Geheimhaltungsbelangen gegenüber denen der Schuldnerin den Vorrang einzuräumen.
Diese Erwägungen griffen in dem hier zu entscheidenden Fall nicht durch, weil
von der Beklagtenseite nicht Geheimhaltungsinteressen von Organmitgliedern,
sondern die sonstiger Dritter als Argument für die Auskunftsverweigerung ins
Feld geführt würden. Soweit der Kläger annehme, dass es sich bei den Dritten
ebenfalls um Organmitglieder der Schuldnerin handle, sei dies gerade nicht erwiesen.
-6-
II.
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Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung in wesentlichen Punkten
nicht stand. Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann
nicht von einer nur eingeschränkten Pflicht der Beklagten zur Herausgabe der
von ihr für die Schuldnerin geführten Handakten ausgegangen werden.
11
1. Auf den Anwaltsdienstvertrag finden nach § 675 BGB auch die Vorschriften der §§ 666, 667 BGB Anwendung. Der Anspruch des Klägers auf Herausgabe der die anwaltliche Tätigkeit des Beklagten betreffenden Akten folgt
aus § 667 BGB in Verbindung mit § 50 BRAO.
12
a) Zu den nach § 667 BGB herauszugebenden Unterlagen gehören die
Handakten des Rechtsanwalts (BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR
112/88, BGHZ 109, 260, 264; vom 3. November 2014 - AnwZ 72/13,
NJW-RR 2015, 186 Rn. 11; RGRK/Steffen, BGB, 12. Aufl., § 667 Rn. 12; Soergel/Beuthien, BGB, 13. Aufl., § 667 Rn. 11; Dauner-Lieb/Langen/Schwab, BGB,
3. Aufl., § 667 Rn. 7; Erman/Berger, BGB, 16. Aufl., § 667 Rn. 8). Diese Herausgabepflicht wird auch in § 50 BRAO vorausgesetzt (vgl. Henssler/Prütting/
Offermann-Burckart, BRAO, 4. Aufl., § 50 Rn. 27, 35 ff; Feuerich/Weyland/
Träger, BRAO, 9. Aufl., § 50 Rn. 17; Tauchert/Dahns in Gaier/Wolf/Göcken,
Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 50 BRAO Rn. 11; Kleine-Cosack, BRAO,
7. Aufl., § 50 Rn. 4). Dokumente, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, hat er gemäß
§ 50 Abs. 1 BRAO seinem Auftraggeber auf Verlangen herauszugeben. Dabei
fallen die Unterlagen, die dem Anwalt von seinem Auftraggeber ausgehändigt
worden sind, unter die erste Alternative und der Schriftverkehr, den der Anwalt
für seinen Auftraggeber geführt hat, unter die zweite Alternative des § 667 BGB.
-7-
Aus der Geschäftsbesorgung erlangt ist daher insbesondere der gesamte drittgerichtete Schriftverkehr, den der Rechtsanwalt für den Auftraggeber erhalten
und geführt hat, also sowohl die dem Rechtsanwalt zugegangenen Schriftstücke als auch Kopien eigener Schreiben des Rechtsanwalts. Die herauszugebenden Unterlagen umfassen auch Notizen über Besprechungen, die der Anwalt im Rahmen der Besorgung des Geschäfts geführt hat (BGH, Urteil vom
30. November 1989, aaO S. 265).
13
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der
Schuldnerin steht der Herausgabeanspruch aus § 667 BGB dem Kläger zu. Der
Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen der Schuldnerin und der Beklagten ist
mit Insolvenzeröffnung erloschen (§§ 115, 116 InsO). Für ein Fortbestehen des
Mandats nach der Ausnahmeregelung des § 115 Abs. 2 InsO fehlt es an tatsächlichen Anhaltspunkten. Daraus folgt, dass die aus dem beendeten Mandatsverhältnis entstandenen Ansprüche der Schuldnerin in die Insolvenzmasse
fallen und der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Klägers unterliegen
(§ 80 InsO). Dies bedeutet, dass der Kläger unter den gleichen Voraussetzungen und in demselben Umfang Herausgabe oder Einsichtsgewährung der
Handakte verlangen kann, wie es ohne die Insolvenz die Schuldnerin bei einer
anderweitigen Mandatsbeendigung selbst gekonnt hätte (BGH, aaO S. 264).
14
b) Der Anwalt ist jedoch nicht stets zur umfassenden Herausgabe der
Handakte verpflichtet. Ausnahmsweise können Eigeninteressen des Anwalts
oder Geheimhaltungsinteressen Dritter Vorrang genießen.
15
aa) Eine Ausnahme hinsichtlich der Herausgabepflicht gilt für solche Unterlagen, die nicht lediglich über das Tun im Rahmen der Vertragserfüllung Aufschluss geben, sondern persönliche Eindrücke, die der Anwalt in den Gesprä-
-8-
chen gewonnen hat, wiedergeben. Aufzeichnungen des Anwalts über derartige
persönliche Eindrücke sind oft nützlich; sie sind im Zweifel jedoch nicht für die
Einsicht durch den Mandanten bestimmt und eine solche wäre dem Anwalt
auch nicht zumutbar. Ein Anwalt, der zur Herausgabe von Handakten verpflichtet ist, braucht daher nicht auch derartige Aufzeichnungen offenzulegen. Darüber hinaus wird dem Anwalt bei der Ausführung des Mandats ein gewisser
Freiraum zuzuerkennen sein, vertrauliche "Hintergrundinformationen" zu sammeln, die er auch und gerade im wohl verstandenen Interesse seines Mandanten sowie im Interesse der Rechtspflege diesem gegenüber verschweigen darf.
Aufzeichnungen über derartige Vorgänge unterliegen nicht der Herausgabepflicht (BGH, aaO S. 265).
16
bb) Zudem bestehen Verschwiegenheitspflichten des auf Herausgabe
der Handakte in Anspruch genommenen Rechtsanwalts mit Rücksicht auf Interessen seiner sonstigen Mandanten. Die Verschwiegenheitspflicht findet ihre
Grundlage in dem auf einem besonderen Vertrauensverhältnis beruhenden
Anwaltsvertrag (Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der
Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rn. 339; Weinland in Henssler/Gehrlein/Holzinger,
Handbuch der Beraterhaftung, 2018, Kap. 3 Rn. 15). Der Rechtsanwalt ist zudem berufsrechtlich gemäß § 43a Abs. 2 Satz 1 BRAO zur Verschwiegenheit
verpflichtet. Diese Verschwiegenheitspflicht, die sich auf alles bezieht, was dem
Anwalt in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist, betrifft insbesondere
Kenntnisse aus einzelnen Mandatsverhältnissen, die sonstigen Mandanten
nicht offenbart werden dürfen. Eine Verletzung der anwaltlichen Schweigepflicht
kann eine Vertragshaftung des Rechtsanwalts aus § 280 Abs. 1 BGB, aber
auch eine deliktische Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB, § 203 Abs. 1 Nr. 3
StGB begründen (Heinemann in Greger/Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaf-
-9-
tungsrecht, 4. Aufl., § 15 Rn. 3; Vill, aaO § 2 Rn. 340; Weinland, aaO Kap. 3
Rn. 18).
17
cc) Persönliche Geheimhaltungsinteressen von an Besprechungen mit
dem Anwalt beteiligten dritten Personen vermögen für diesen zumindest nicht
ein uneingeschränktes Auskunftsverweigerungsrecht zu begründen. Dies hat
der Bundesgerichtshof für Gespräche entschieden, die der Anwalt der späteren
Schuldnerin mit deren Organmitgliedern geführt hat (BGH, Urteil vom
30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 271). Ein Auskunftsverweigerungsrecht kommt in einer solchen Konstellation nur dann in Betracht,
wenn zwischen dem Anwalt und dem einzelnen Organmitglied eine besondere
Vertrauensbeziehung bestanden hat, die individuell begründet worden ist, etwa
dadurch, dass das betreffende Mitglied den Anwalt ausdrücklich um eine persönliche Beratung gebeten hat. Nur für einen solchen Ausnahmefall könnte es
gebilligt werden, dass es sich bei den Beziehungen des Anwalts zu der Schuldnerin einerseits und den Organmitgliedern andererseits um zwei getrennte,
rechtlich selbständige Rechtsverhältnisse gehandelt habe. An die dem Anwalt
insoweit obliegende Darlegungslast sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen, zumal eine solche Konstellation deswegen ungewöhnlich wäre, weil die
Gefahr eines Interessenkonflikts mit dem ursprünglichen Auftraggeber nicht von
der Hand zu weisen ist (BGH, aaO S. 272). Insoweit obliegt die Darlegungslast
dem beklagten Rechtsanwalt (BGH, aaO S. 273 f).
18
2. Nach diesen im Schrifttum geteilten (Heinemann, aaO § 15 Rn. 17;
Vill, aaO § 2 Rn. 370; Fahrendorf in Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des
Rechtsanwalts, 9. Aufl., Kap. 2 Rn. 684; Weinland, aaO Kap. 3 Rn. 41), weiter
gültigen Grundsätzen hat die Beklagte ihrer Darlegungslast, mit Rücksicht auf
- 10 -
Belange Dritter einer nur eingeschränkten Herausgabepflicht zu unterliegen,
nicht genügt.
19
a) Soweit der Anwalt unter Berufung auf Verschwiegenheitspflichten die
Herausgabe der Handakte verweigert, hat er den Darlegungspflichten eines
Zeugen zu genügen, der ein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nimmt
(vgl. § 386 Abs. 1, § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Ist der Grund der Herausgabeverweigerung nicht ohne weiteres erkennbar, ist die Angabe näherer Tatsachen
unerlässlich (RG JW 1903, 241 Nr. 15). Das Gericht muss sich auf der Grundlage der Sachverhaltsangaben, ohne dass das Geheimnis aufzudecken ist, ein
Bild davon machen können, um was es geht (MünchKomm-ZPO/Damrau,
5. Aufl., § 386 Rn. 2). Deshalb müssen die Angaben so weit ins Einzelne gehen, dass dem Richter ein Urteil über den Weigerungsgrund möglich ist
(Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 386 Rn. 1). Handelt es sich um eine
Auskunftsverweigerung aus beruflichen Gründen, bedarf es der beweisgeeigneten Darlegung, dass es sich um Tatsachen handelt, die im Rahmen der Berufsausübung anvertraut oder bekannt geworden sind. Insoweit ist in geeigneten
Sachverhalten von der anerkannten Befugnis Gebrauch zu machen, eine vollständig anonymisierte Darstellung abzugeben, die keine Bezugsherstellung zu
den beteiligten Personen gestattet (AnwG Köln, AnwBl. 2009, 792, 793 aE). Im
Blick auf die Tatsachen, aus denen die Auskunftsverweigerung hergeleitet wird,
ist nach Möglichkeit Beweis anzubieten. Im Streitfall käme die zeugenschaftliche Vernehmung von Rechtsanwalt D.
als zuständigem Sachbearbeiter
in Betracht, der nicht zu den vertretungsberechtigten Organen der Beklagten
gehört. Diesen Darlegungsanforderungen ist entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts unabhängig davon zu genügen, ob der Rechtsanwalt die Herausgabe der Handakte im Blick auf von ihm gefertigte persönliche Aufzeich-
- 11 -
nungen, Interessen anderer Mandanten oder dritter Personen verweigert, weil
die Verschwiegenheitspflicht unterschiedslos gilt.
20
b) Den Anforderungen an die Spezifizierung (Wieczorek/Schütze/Ahrens,
ZPO, 4. Aufl., § 386 Rn. 6) hat die Beklagte durch die bloße, nicht näher unterlegte Angabe, dass Interessen anderer Mandanten durch die Herausgabe der
Akten beeinträchtigt werden können, nicht genügt. Es fehlt an jeglichen Angaben, inwiefern die Mandate der Schuldnerin Berührungspunkte zu sonstigen
Mandaten der Beklagten haben können. Darum kann nach bisherigem Sachund Streitstand nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die Herausgabe der Handakten mit Rücksicht auf die Geheimhaltungsinteressen anderer Mandanten verweigern darf.
21
aa) Die Vordergerichte durften im Streitfall nicht allein auf der Grundlage
des Beklagtenvorbringens zu der Überzeugung gelangen, dass einer uneingeschränkten Herausgabepflicht der Akten Geheimhaltungsinteressen anderer
Mandanten der Beklagten entgegenstehen. Dem Richter ist es zwar grundsätzlich erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (§ 286
ZPO). Ein solches Verfahren darf aber nur in Ausnahmefällen angewandt werden, wenn der vorgetragene Sachverhalt beider Parteien klar, widerspruchsfrei
und überzeugend ist (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1981 - X ZR 57/80, BGHZ 82,
13, 20 f; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 286 Rn. 14; MünchKomm-ZPO/
Prütting, 5. Aufl., § 286 Rn. 13; Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, 9. Aufl., § 286
Rn. 2). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben, weil die Beklagte widersprüchlich vorgetragen hat.
- 12 -
22
(1) Die Beklagte hat sich vorgerichtlich lediglich darauf berufen, dass "in
diesen Schriftstücken natürliche Personen involviert" seien, hinsichtlich derer
eine Verschwiegenheitspflicht bestehe. Diese Darstellung hat die Beklagte im
vorliegenden Rechtsstreit dahin ergänzt, dass der Schriftwechsel mit diesen
Personen für die Schuldnerin geführt worden sei. Ferner hat sie ausgeführt, der
Inhalt der Handakte betreffend das Mandat gegen
S.
S.
und die R.
GmbH & Co. KG bestehe, lasse man den Schriftwechsel mit der
Schuldnerin außer Betracht, aus den erstinstanzlich und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätzen. Die Handakte aus dem Mandat gegen M.
S.
beschränke sich auf ein Anspruchsschreiben der Beklagten, durch das
namens der Schuldnerin der Rücktritt von Kaufverträgen über Eigentumswohnungen erklärt worden sei, sowie ein Antwortschreiben des von M.
S.
beauftragten Rechtsanwalts. Erst in der mündlichen Verhandlung vor
dem Amtsgericht hat die Beklagte geltend gemacht, in den Handakten seien
Schriftstücke dritter Personen enthalten, zu denen ein Mandatsverhältnis bestehe.
23
(2) Angesichts des wechselnden, von dem Kläger bestrittenen Sachvortrags kann nicht davon ausgegangen werden, dass die herauszugebenden
Handakten dritte Personen betreffende Schriftstücke enthalten, die durch ein
Mandatsverhältnis mit der Beklagten verbunden sind. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte zunächst lediglich ohne Bezug auf ein Mandatsverhältnis geltend gemacht hat, dass "in diesen Schriftstücken natürliche Personen involviert" seien, hinsichtlich derer eine Verschwiegenheitspflicht bestehe. Daraus kann schon nicht entnommen werden, ob die Schriftstücke von diesen Personen stammen oder diese Personen lediglich im Rahmen der Mandate
schriftsätzlich erwähnt wurden. Überdies legen die erstinstanzlichen schriftsätz-
- 13 -
lichen Darlegungen der Beklagten nahe, dass die Handakten tatsächlich nur
das Mandatsverhältnis zu der Schuldnerin betreffende Unterlagen aufweisen.
Die Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, zu dritten
Personen sei ein Mandatsverhältnis begründet worden, entbehrt jeder auch nur
abstrakten Konkretisierung. Da eine besondere Geheimhaltungspflicht erst
nachträglich behauptet wurde, hätte sie zumindest plausibel gemacht werden
müssen. Ferner kommt hinzu, dass die Beklagte von der Schuldnerin in zwei
Verfahren mandatiert wurde. Es erscheint erklärungsbedürftig, dass ausgerechnet mit diesen beiden Mandaten gesonderte Mandate der Beklagten zu
dritten Personen verknüpft sind.
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bb) Zudem ist eine erhöhte Darlegungspflicht der Beklagten geboten,
weil es die anwaltlichen Berufspflichten verletzen kann, unterschiedliche Mandate betreffende Schriftsätze in einer Handakte zu vereinigen.
25
cc) Gemäß § 50 Abs. 1 BRAO muss der Rechtsanwalt durch Anlegen
von Handakten ein geordnetes Bild über die von ihm entfaltete Tätigkeit geben
können. Um dieser Verpflichtung zu genügen, hat der Anwalt zu jedem Mandat
eine eigenständige Akte anzulegen. Die Pflicht zur Anlegung der Handakte ist
lückenlos (Henssler/Prütting/Offermann-Burckart, BRAO, 4. Aufl., § 50 Rn. 6,
11 f; Feuerich/Weyland/Träger, BRAO, 9. Aufl., § 50 Rn. 1; Tauchert/Dahns in
Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 50 BRAO Rn. 3). Die
Norm bezweckt die Sicherstellung der Mindestvoraussetzung einer Verwaltungsstruktur für die anwaltliche Tätigkeit einerseits und die Schaffung eines
Beweismittels für den Rechtsanwalt und seinen Mandanten andererseits. Die
Regelung dient dem Schutz des Mandanten, der mit der Handakte ein Beweismittel für ein etwaiges Fehlverhalten des Anwalts erhält (Tauchert/Dahns, aaO).
Die Führung einer Handakte für unterschiedliche Verfahren stellt darum regel-
- 14 -
mäßig einen Organisationsmangel des Rechtsanwalts dar (vgl. BGH, Beschluss
vom 14. Januar 1999 - III ZB 44/98, NJW-RR 1999, 716).
26
dd) Bei dieser Sachlage war es der Beklagten ohne besonderen Anlass
verwehrt, andere Mandate betreffende Schriftstücke in die Handakten einzufügen, welche die Verfahren der Schuldnerin zum Gegenstand haben. Vor diesem Hintergrund bedürfte es einer eingehenden Darlegung, warum die Beklagte für die unterschiedlichen Mandate nicht gesonderte Handakten geführt hat.
III.
27
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es wird aufgehoben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist,
wird sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
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zurückverwiesen. Dieses wird nunmehr aufgrund ergänzenden Sachvortrags
der Beklagten darüber zu befinden haben, ob sie den Anforderungen an die
Darlegung einer Geheimhaltungspflicht genügt hat.
Kayser
Gehrlein
Möhring
Grupp
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
AG Heidelberg, Entscheidung vom 20.01.2017 - 26 C 215/16 LG Heidelberg, Entscheidung vom 13.09.2017 - 4 S 3/17 -