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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 136/13
Verkündet am:
22. Mai 2014
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 109 Abs. 1 Satz 2
Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters oder
Treuhänders hinsichtlich der Wohnung des Schuldners erlangt der Mieter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Mitvertragsverhältnis zurück. Dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder fehlt die Prozessführungsbefugnis, gegen den Vermieter Ansprüche auf Auszahlung von Guthaben aus Nebenkostenabrechnungen an
die Masse für einen Zeitraum nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung geltend zu machen.
BGH, Urteil vom 22. Mai 2014 - IX ZR 136/13 - LG Berlin
AG Berlin-Lichtenberg
-2-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Februar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den
Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin
Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil der Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin vom 24. Mai 2013 und das Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 12. September 2012 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin wurde mit Eröffnung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des
K.
(künftig: Schuldner) am 11. August 2009 zur
Treuhänderin bestellt. Der Schuldner bewohnte eine von der Beklagten angemietete Wohnung in Berlin. Mit Schreiben vom 26. August 2009 an die Beklagte
gab die Klägerin die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ab.
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2
Die Klägerin begehrt Auszahlung eines Betriebskostenguthabens für den
Abrechnungszeitraum 2010 in Höhe von 754,11 €, welches die Beklagte mit
Schreiben vom 12. September 2011 der Klägerin mitgeteilt, aber an den
Schuldner ausgekehrt hat.
3
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete
Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision verfolgt die Beklagte ihr Abweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
4
Die Revision ist begründet und führt zur Klageabweisung.
I.
5
Das Berufungsgericht hat gemeint, die Klägerin sei zur Geltendmachung
des Guthabenanspruchs befugt, weil dieser in die Masse falle. Die Enthaftungserklärung ändere hieran nichts. Diese habe nur zur Folge, dass Ansprüche, die nach Ablauf der in § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO genannten Frist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Durch die
Erklärung werde der Mietvertrag jedoch nicht beendet, sondern vom Schuldner
fortgesetzt. Die Regelung diene der Enthaftung der Masse für Ansprüche aus
dem Mietverhältnis, denen sie sonst nach § 108 Abs. 1 InsO ausgesetzt wäre.
Aus der Enthaftung folge aber keine Freigabe des Mietverhältnisses. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Mietverhältnis falle nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nicht an den Schuldner zurück. Wie ein
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Kautionsrückzahlungsanspruch falle auch ein Anspruch auf ein nach Eröffnung
entstandenes Betriebskostenguthaben in die Masse.
II.
6
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Klage ist
bereits unzulässig. Der Klägerin fehlt hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch die Prozessführungsbefugnis.
7
Das Schreiben der Klägerin vom 26. August 2009, mit dem sie hinsichtlich der vom Schuldner bei der Beklagten angemieteten Wohnung die Enthaftungserklärung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgab, hat zur Folge, dass
nach Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses wieder auf den Schuldner
überging.
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1. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners über das zur Insolvenzmasse gehörende
Vermögen gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Verwalter über, im vereinfachten
Insolvenzverfahren gemäß § 313 Abs. 1, § 80 Abs. 1 InsO auf den Treuhänder.
Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände
oder Räume bestehen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. § 108 Abs. 1 InsO verdrängt insoweit § 103 Abs. 1 InsO
(BGH, Urteil vom 5. Juli 2007 - IX ZR 185/06, BGHZ 173, 116 Rn. 9), in der Insolvenz des Vermieters unter der Voraussetzung, dass die Mietsache im Zeit-
-5-
punkt der Eröffnung bereits an den Mieter übergeben war (BGH, Urteil vom
5. Juli 2007, aaO Rn. 13 ff).
9
Der Verwalter hat das Sonderkündigungsrecht gemäß § 109 Abs. 1
Satz 1 InsO. Handelt es sich jedoch um die Wohnung des Schuldners, steht
dem Verwalter nur die Möglichkeit der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1
Satz 2 InsO zur Verfügung. Gibt der Verwalter die Enthaftungserklärung ab,
verbleibt es bis zum Ablauf der Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO
bei dem Fortbestehen des Mietverhältnisses mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - IX ZR 29/11, ZIP 2012, 784
Rn. 10). Nach Ablauf der Frist können jedoch gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO
Ansprüche, die nach diesem Zeitpunkt fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden.
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2. Die Frage, welche Auswirkungen die Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nach Ablauf der in § 109 Abs. 1
Satz 1 InsO genannten Frist für das betroffene Wohnraummietverhältnis hat, ist
umstritten. Im Wesentlichen werden drei Meinungen vertreten.
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a) Nach einer Auffassung beschränkt sich die Bedeutung der Enthaftungserklärung darauf, dass die Masse für die nach Ablauf der Kündigungsfrist
fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht mehr hafte. Das Mietverhältnis unterliege aber weiterhin dem Insolvenzbeschlag. Dem Insolvenzverwalter oder
Treuhänder komme weiterhin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses zu. § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO lasse die Rechtswirkungen des § 80 Abs. 1 InsO (gegebenenfalls iVm § 313 Abs. 1 InsO) unberührt (Uhlenbruck/Wegener, InsO, 13. Aufl., § 109 Rn. 21 ff; Jaeger/Jacoby,
InsO, § 109 Rn. 57, 70 f; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO,
-6-
2. Aufl., § 109 Rn. 22; Eckert, NZM 2006, 803, 806; Flatow, NZM 2011, 607,
610; Cymutta, WuM 2008, 441, 443).
12
b) Nach anderer Auffassung geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach Ablauf der Frist vollständig auf den Schuldner über (HK-InsO/
Marotzke, 6. Aufl. § 109 Rn. 16; Pape, NZM 2004, 401, 410 f; FK-InsO/
Wegener, 7. Aufl., § 109 Rn. 16; MünchKomm-InsO/Eckert, 3. Aufl., § 109
Rn. 54; BK-InsO/Goetsch, 2007, § 109 Rn. 10).
13
c) Nach einer dritten Ansicht fällt zwar die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner zurück. Einzelne Forderungen aus dem Mietvertrag, wie diejenige auf Rückzahlung der Kaution, seien aber als Neuerwerb des
Schuldners der Masse zuzuordnen (Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, 2007,
§ 109
Rn. 20;
HmbKomm-InsO/Ahrendt,
4. Aufl.,
§ 109
Rn. 22;
Graf-
Schlicker/Breitenbücher, InsO, 3. Aufl., § 109 Rn. 12; Hain, ZInsO 2007, 192,
197; Heinze, ZInsO 2010, 1073).
14
3. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage bisher offen gelassen (BGH,
Urteil vom 9. Mai 2012 - VIII ZR 327/11, NJW 2012, 2270 Rn. 32). Sie ist dahin
zu entscheiden, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des
Mietverhältnisses mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung in vollem Umfang auf den Schuldner übergeht (vgl. jetzt schon BGH, Urteil vom 9. April 2014
- VIII ZR 107/13, zVb).
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a) Der Wortlaut der Vorschrift, der auf die Geltendmachung im Insolvenzverfahren abstellt, könnte zwar dafür sprechen, dass die Enthaftungserklärung nur Folgen für Passivansprüche hat, die der Vermieter nicht mehr gegen
die Masse, sondern nur noch gegen den Schuldner persönlich geltend machen
-7-
kann. Die Enthaftungserklärung tritt jedoch an die Stelle der Kündigung nach
§ 109 Abs. 1 Satz 1 InsO. Durch die Kündigung des Mietverhältnisses wird die
Verbindung zur Masse für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist vollständig
gelöst. Dies spricht dafür, Entsprechendes für die Enthaftungserklärung anzunehmen (BGH, Urteil vom 9. April 2014, aaO Rn. 14).
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Durch die Enthaftungserklärung wird der Mietvertrag nicht beendet, er
wird, sofern keine anderweitigen Beendigungsgründe eintreten, zwischen
Schuldner und Vermieter fortgesetzt (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012, aaO
Rn. 10 mwN; Amtliche Begründung zu § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, BT-Drucks.
14/5680 S. 27 zu Nr. 11). Der Mieter erhält dadurch die Möglichkeit, durch die
Übernahme der Mietzahlung und der Nebenkostenvorauszahlung aus seinem
freien Vermögen die Wohnung zu behalten (BGH, Urteil vom 19. Juni 2008
- IX ZR 84/07, ZIP 2008, 1736 Rn. 22).
17
b) Bliebe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters im
Übrigen für das Mietverhältnis bestehen, hätte dies für die Masse erhebliche
Nachteile. Ansprüche des Mieters gegen den Vermieter, etwa auf Mängelbeseitigung, Schadensersatz oder Minderung des Mietzinses, müssten vom Verwalter oder Treuhänder auf Kosten der Masse geltend gemacht werden. Die Erklärungen des Vermieters könnten umgekehrt nur dem Verwalter oder Treuhänder
gegenüber abgegeben werden, der sie an den Schuldner weiterleiten müsste
(Abmahnungen, Kündigung, Mieterhöhungsverlangen, Betriebskostenabrechnung). Prozesse müssten für den Schuldner auf Kosten der Masse geführt werden, ohne dass dem für die Masse Vorteile gegenüberstünden. Zudem könnte
sich infolge des besonderen Aufwands des Verwalters dessen Vergütung durch
Zuschläge gemäß § 3 Abs. 1 InsVV zum Nachteil der Masse erhöhen.
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c) Für den Schuldner wäre es äußerst unpraktikabel, wenn er Erklärungen gegenüber dem Vermieter nicht selbst, sondern nur durch den Verwalter
mit dessen Einverständnis abgeben könnte. Eine eigene Kündigungserklärung
durch den Mieter wäre bei fortbestehender Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters unwirksam. Der Verwalter selbst könnte aber nach § 109
Abs. 1 Satz 2 InsO eine Kündigungserklärung überhaupt nicht abgeben. Eine
derartige Bindung des Schuldners an den Mietvertrag kann nicht angenommen
werden. Deswegen wird selbst von der Meinung, die das Verwaltungs- und Verfügungsrecht weiterhin beim Verwalter sieht, eine Kündigungsmöglichkeit bejaht. Hierfür wird etwa eine Einschränkung der Verwaltungsbefugnis des Verwalters hinsichtlich der Kündigung (Uhlenbruck/Wegener, aaO Rn. 21) angenommen oder ein Zusammenwirken zwischen Verwalter und Schuldner zu einer
gemeinsamen Kündigung für notwendig erachtet (MünchKomm-InsO/Eckert,
aaO Rn. 55).
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d) Für den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den
Schuldner mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung spricht auch der
Schutz des Vermieters. Diesem dürfen bestehende Aufrechnungsmöglichkeiten
nicht dadurch entzogen werden, dass die nach § 387 BGB erforderliche Gegenseitigkeit der Ansprüche durch die Enthaftungserklärung aufgelöst wird.
Könnte der Vermieter danach entstehende Ansprüche nur gegen den Schuldner
geltend machen, während gegen ihn gerichtete neue Ansprüche aus dem Mietvertrag der Masse zuständen, hätte er wegen der Unzulässigkeit der Aufrechnung Nachteile hinzunehmen, die mit dem Wesen des an sich unverändert fortgesetzten Mietvertrages nicht vereinbar wären. Selbst wenn man § 404 BGB
entsprechend anwenden würde, stände einer Aufrechnung § 96 Abs. 1 Nr. 4
InsO entgegen.
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e) Im Ergebnis kann nichts anderes gelten als bei einer Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO.
21
aa) Nach dieser Vorschrift muss der Insolvenzverwalter hinsichtlich einer
selbständigen Tätigkeit des Schuldners in jedem Fall erklären, ob Ansprüche
aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.
Bei der Schaffung dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber an § 109 Abs. 1
Satz 2 InsO orientiert (BT-Drucks. 16/3227 S. 17 zu Nr. 12; BAG, ZIP 2014, 339
Rn. 21).
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Zu § 35 Abs. 2 InsO hat der Senat bereits entschieden, dass sich die
Freigabe auf das Vermögen des Schuldner erstreckt, das seiner gewerblichen
Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse
(BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 19). Die
freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betrifft im Unterschied
zur echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine
Gesamtheit von Gegenständen und Werten. Die Freigabe verwirklicht sich mit
dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner. Die Erklärung zerschneidet das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den
Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit und leitet die der selbständigen
Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des
Schuldners um (BGH, aaO Rn. 19). Der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zur Freigabe auch von Vertragsverhältnissen hat in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO hinreichend Ausdruck gefunden
(BGH, aaO Rn. 21 f).
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bb) Durch den Hinweis auf § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO bei Einführung des
§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Gesetzgeber zwar nicht die in § 109 Abs. 1 ge-
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regelten Fristen in Bezug genommen, weshalb solche bei der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht einzuhalten sind (BGH, Urteil vom
9. Februar 2012, aaO Rn. 23 ff; BAG, ZIP 2014, 339 Rn. 21). Die Bezugnahme
macht aber deutlich, dass auch die freigabeähnliche Erklärung nach § 109
Abs. 1 Satz 2 InsO das Vertragsverhältnis als Ganzes betrifft. Auch § 35 Abs. 2
Satz 1 InsO regelt, wie § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, an sich nur, ob Ansprüche
aus der selbständigen Tätigkeit "im Insolvenzverfahren" geltend gemacht werden können. Auch hier betrifft der Wortlaut also lediglich Ansprüche gegen die
Masse. Ansprüche aus freigegebenen Vertragsverhältnissen können jedoch bei
§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO nur vom Schuldner geltend gemacht werden. Mit der
Freigabeerklärung ist die allgemeine Überleitung des Vertragsverhältnisses von
der Masse auf den Schuldner verbunden. Nur dies ermöglicht eine klare Abgrenzung der die Masse und der den Schuldner treffenden, aus der selbständigen Tätigkeit herrührenden Verbindlichkeiten (BGH, aaO Rn. 27).
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Auch die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO muss wie
die Regelung in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO eine solche Überleitung des Mietverhältnisses von der Masse auf den Schuldner zur Folge haben, weil nur so den
Belangen der Beteiligten angemessen Rechnung getragen und in der gebotenen Klarheit der rechtliche Rahmen für die Fortsetzung des Mietverhältnisses
geschaffen werden kann. Nur so können, wie bei § 35 Abs. 2 InsO, die zahlreichen Zweifelsfragen geklärt werden, die sich andernfalls aus dem unklaren
Wortlaut der Regelung ergeben würden.
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cc) Die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ist allerdings, anders als die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO, nicht
gegenüber dem Schuldner abzugeben, sondern gegenüber dem Vermieter.
Dies erklärt sich zum einen daraus, dass dessen Rechte gegen die Masse nach
- 11 -
§ 108 Abs. 1 InsO beschränkt werden, zum anderen aus dem Umstand, dass
die Person des Vermieters bekannt ist. Ihm gegenüber kann die Erklärung abgegeben werden. Daneben ist der Schuldner zu informieren (MünchKommInsO/Eckert, aaO Rn. 50).
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Eine derartige Erklärung gegenüber allen Vertragspartnern des Schuldners bei einer Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO ist dagegen nicht möglich, weil regelmäßig nicht alle Vertragspartner feststellbar sein werden, zumal
sich die Freigabe auch auf künftige Verträge bezieht. Deshalb genügt hier eine
Erklärung gegenüber dem Schuldner, die allerdings gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1
InsO dem Gericht gegenüber anzuzeigen und nach § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO von
diesem öffentlich bekannt zu machen ist. Die Wirksamkeit der Freigabe tritt
zwar schon mit der Erklärung gegenüber dem Schuldner ein. Durch die anschließende Veröffentlichung der Freigabeerklärung werden die Gläubiger und
der Geschäftsverkehr jedoch informiert, so dass bei Verfahrensbeteiligten und
Dritten keine Unklarheiten im Zusammenhang mit den durch den Schuldner im
Rahmen der selbständigen Tätigkeit und den freigegebenen Vertragsverhältnissen abgegebenen Erklärungen auftreten (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012,
aaO Rn. 24). Eines solchen besonderen Schutzes durch öffentliche Bekanntmachung bedarf es bei § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht.
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dd) Der Umstand, dass den Schuldner nach der Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO eine Abführungspflicht an die Masse nach dem
Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO trifft (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13. Juni
2013 - IX ZB 38/10, WM 2013, 1612 Rn. 20; Urteil vom 13. März 2014 - IX ZR
43/12, WM 2014, 751 Rn. 17), steht einer Gleichbehandlung der Regelungen
hinsichtlich ihrer freigabeähnlichen Wirkungen nicht entgegen. Die Abführungspflicht im laufenden Insolvenzverfahren besteht nur, soweit der Schuldner mit
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seiner Tätigkeit tatsächlich Gewinn erzielt. Sie ist der Höhe nach gemäß dem
Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO beschränkt (BGH, Beschluss vom 13. Juni
2013, aaO Rn. 11 ff). Es soll damit verhindert werden, dass er besser gestellt ist
als ein unselbständig tätiger Schuldner, dessen pfändbares Einkommen in die
Masse fällt. Bei der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO bedarf
es eines solchen Ausgleichsmechanismusses nicht, weil aus dem Mietvertrag
für den Schuldner als Mieter kein Gewinn zu erzielen ist. Selbständige und Unselbständige sind zudem gleichermaßen betroffen.
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ee) Durch die freigabeähnliche Wirkung der Enthaftungserklärung nach
§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO und den dadurch bewirkten Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses auf den
Schuldner geht den Gläubigern keine Haftungsmasse verloren. Die Forderungen des Vermieters muss der Schuldner aus seinem insolvenzfreien Vermögen
befriedigen, auf das die Gläubiger auch außerhalb des Insolvenzverfahrens
keinen Zugriff hätten (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2008 - IX ZR 84/07, ZIP
2008, 1736 Rn. 22).
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ff) Ob die Entstehung oder Realisierung eines dem Schuldner aus dem
Mietverhältnis zustehenden Anspruchs, etwa auf Auszahlung eines Nebenkostenguthabens, als Neuerwerb in die Masse fällt und vom Schuldner an den
Verwalter abgeführt werden muss, ist im vorliegenden Prozess des Verwalters
gegen den Vermieter nicht entscheidungserheblich und kann offen bleiben.
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Der Senat weist aber auf folgendes hin:
31
(1) Bezieht der Schuldner Arbeitslosengeld II, ist ein Erstattungsanspruch
aus einer Betriebs- und Heizkostenabrechnung des Vermieters unpfändbar,
- 13 -
weil die entsprechende Rückzahlung gemäß § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 SGB II
nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II (früher § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II) die Leistungen des Folgemonats an den Hilfeempfänger mindert. Wäre in diesem Fall die
Pfändung zulässig, würde sie nach dem Gesetz zu Lasten öffentlicher Mittel
erfolgen, die dem Leistungsbezieher das Existenzminimum sichern. Da hiernach der Anspruch unpfändbar ist, fällt er gemäß § 36 Abs. 1 InsO auch nicht in
die Masse (BSGE 112, 85 Rn. 16 ff; BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 - IX ZR
310/12, NJW 2013, 2819 Rn. 8).
32
(2) Im Übrigen ist allerdings anerkannt, dass zu dem nach Verfahrenseröffnung begründeten Neuerwerb nicht nur das pfändbare Arbeitseinkommen
gehört, sondern auch Gegenstände, die mit insolvenzfreien Mitteln erworben
wurden, ebenso der Erlös beim Verkauf einer unpfändbaren Sache. Gleiches
gilt für das aus dem unpfändbaren Teil des Arbeitseinkommens angesparte
Vermögen (BGH, Beschluss vom 26. September 2013 - IX ZB 247/11, ZIP
2013, 2112 Rn. 8 mwN). Hinsichtlich dieser als Neuerwerb zur Masse gehörenden Gegenstände besteht für Insolvenzgläubiger das Vollstreckungsverbot des
§ 89 Abs. 1 InsO. Der Verwalter oder Treuhänder kann aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses gemäß § 148 Abs. 2 InsO
die Herausgabe der Gegenstände oder die Abtretung derartiger Forderungen
verlangen.
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(3) Das gilt indessen nicht bei freigegebenen Gegenständen. Wird eine
Forderung freigegeben, fällt ein mit deren Beitreibung erzieltes Vermögen nicht
gemäß § 35 InsO in die Masse (BGH, Urteil vom 21. April 2005 - IX ZR 281/03,
BGHZ 163, 32, 37 unter III).
- 14 -
34
(4) Ist nicht ein einzelner Gegenstand freigegeben, sondern die selbständige Tätigkeit des Schuldners, können die Neugläubiger, die nach der Freigabeerklärung Forderungen gegen den Schuldner erworben haben, auf die ab
diesem Zeitpunkt durch die selbständige Tätigkeit erwirtschafteten Vermögenswerte des Schuldners als eigenständige Haftungsmasse zugreifen. Den Altgläubigern ist dagegen die Vollstreckung gemäß § 89 InsO in diese Vermögensgegenstände verwehrt (BT-Drucks. 16/3227 S. 17; BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 28). Eine Herausgabevollstreckung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders aus § 148 Abs. 2 InsO ist hinsichtlich solcher Gegenstände nicht möglich (BGH, Urteil vom 13. März 2014
- IX ZR 43/12, WM 2014, 741 Rn. 12 f).
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(5) Wegen der Parallelität der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1
Satz 2 InsO mit der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt es
nahe, dass für das von der Enthaftungserklärung betroffene Mietverhältnis dieselben Grundsätze Anwendung finden, die bei der Freigabe nach § 35 Abs. 2
Satz 1 InsO gelten.
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gg) Der Gesetzgeber ist allerdings möglicherweise davon ausgegangen,
dass der Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution in die Masse falle, weil er
bereits vor Verfahrenseröffnung entstanden sei. Dieser Anspruch könne jedoch
vom Insolvenzverwalter erst nach Beendigung des Mietverhältnisses geltend
gemacht werden (BT-Drucks. 14/5680 S. 27 zu Nr. 11). Ob dabei die Auswirkungen der Enthaftungserklärung auf den Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution ausreichend bedacht worden sind, lässt sich der Gesetzesbegründung
nicht entnehmen. Offenbar ist aber davon ausgegangen worden, dass es bei
diesem Anspruch der Masse trotz der Enthaftungserklärung des Verwalters
- 15 -
verbleiben würde. Ein zwingender Umkehrschluss, dass die Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis aus diesem Grund beim Insolvenzverwalter verbleiben sollte, ergibt sich aber aus diesen Annahmen der Gesetzesbegründung nicht.
Kayser
Vill
RinBGH Lohmann ist erkrankt
und kann nicht unterschreiben
Kayser
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
AG Berlin-Lichtenberg, Entscheidung vom 12.09.2012 - 11 C 113/12 LG Berlin, Entscheidung vom 24.05.2013 - 63 S 627/12 -