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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 99/05
vom
15. November 2007
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 4; ZPO § 765a
Ein im Rechtsbeschwerdeverfahren erstmals gestellter Vollstreckungsschutzantrag
ist unbeachtlich.
BGH, Beschluss vom 15. November 2007 - IX ZB 99/05 - LG Chemnitz
AG Chemnitz
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer und die Richter Dr. Ganter, Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein und Vill
am 15. November 2007
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom
21. März 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu
seinem Nachteil entschieden worden ist.
Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss
des Amtsgerichts Chemnitz vom 4. Februar 2000 wird insgesamt
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens
trägt der Schuldner.
Der Gegenstandswert wird auf 10.496,40 € festgesetzt.
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Gründe:
I.
Durch Beschluss vom 30. September 2004 eröffnete das Amtsgericht
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Chemnitz auf dessen Eigenantrag das Insolvenzverfahren über das Vermögen
des Schuldners und bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter.
Der Schuldner, der als selbständiger Unternehmer ein Autohaus betrieb, bezieht aus einer privaten Lebensversicherung eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 874,70 €.
Den Antrag des Schuldners, die Rente pfandfrei zu stellen und von dem
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Beteiligten einbehaltene Beträge an ihn auszubezahlen, hat das Amtsgericht
Chemnitz - Insolvenzgericht - zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde
des Schuldners hat das Landgericht Chemnitz die Rente pfandfrei gestellt, jedoch den weitergehenden Antrag auf Auszahlung der einbehaltenen Beträge
zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Beteiligte, die Rente dem Insolvenzbeschlag zu unterwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und
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auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Sie hat auch in der Sache
Erfolg.
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1. Arbeitseinkommen kann, wie der Verweisung des § 36 Abs. 1 Satz 2
InsO auf §§ 850 ff ZPO zu entnehmen ist, nur in Höhe des pfändbaren Teils zur
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Insolvenzmasse gezogen werden. Die Entscheidung von Streitfällen über die
Reichweite der Pfändbarkeit ist gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO dem Insolvenzgericht als besonderem Vollstreckungsgericht vorbehalten. Darum richtet sich
der Rechtsmittelzug in diesen Fällen nicht nach der Insolvenzordnung, sondern
nach den allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Vorschriften. Die Rechtsbeschwerde ist danach zulässig, weil sie von dem Beschwerdegericht in seiner
Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Schuldners (§ 793 ZPO) zugelassen wurde (BGH, Beschl. v. 5. April 2006 - IX ZB 169/04, ZVI 2007, 78;
BGH, Beschl. v. 12. Januar 2006 - IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340). Der Beteiligte
ist als Insolvenzverwalter gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 InsO beschwerdebefugt.
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2. Das Landgericht hat gemeint, auf einer privaten Lebensversicherung
beruhende Renten ehemaliger Freiberufler oder Selbständiger seien im Einklang mit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (NJW 1992, 527) als Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO zu qualifizieren. Es sei
- auch im Lichte einer Gesetzesinitiative der Bundesregierung - kein Grund ersichtlich, weshalb eine Berufsunfähigkeits(zusatz)rente eines ehemaligen Arbeitnehmers Pfändungsschutz genieße, während die aus einer privaten Lebensversicherung herrührende Berufsunfähigkeitsrente eines ehemaligen Selbständigen uneingeschränkt pfändbar sei.
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3. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Rentenbezüge des
Schuldners nicht als Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO
anzusehen sind und darum mangels eines denkbaren Pfändungsschutzes in
vollem Umfang dem Insolvenzbeschlag unterliegen (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO).
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a) Der Grundsatz des § 35 InsO, wonach das gesamte Vermögen des
Schuldners in die Insolvenzmasse fällt, findet in § 36 InsO eine Einschränkung.
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Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung ausgesetzt sind, gehören gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. Außerdem unterwirft
§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO Arbeitseinkommen nur in den Grenzen der Pfändbarkeit dem Insolvenzbeschlag, so dass der gemäß §§ 850 ff ZPO unpfändbare
Teil des Arbeitseinkommens nicht Bestandteil der Insolvenzmasse wird. Wäre
die von dem Schuldner bezogene Rente als Arbeitseinkommen zu qualifizieren,
könnte sich die Insolvenzmasse mit Rücksicht auf einen etwaigen Pfändungsschutz verringern. In Rechtsprechung und Schrifttum wird die danach streitentscheidende Frage, ob private Versicherungsrenten von - wie im Fall des
Schuldners - selbständig oder freiberuflich tätig gewesenen Personen nach
§ 850 Abs. 3 lit. b ZPO Arbeitseinkommen darstellen und ihnen infolge dieser
Einordnung Pfändungsschutz zukommt, kontrovers beurteilt.
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Überwiegend wird angenommen, dass Versorgungsrenten von Versicherungsnehmern, die einen selbständigen Beruf ausgeübt haben, nicht als Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 3 lit. b zu verstehen sind (OLG Frankfurt/Main VersR 1996, 614; LG Frankfurt/Oder Rpfleger 2002, 322 f; LG Braunschweig NJW-RR 1998, 1690; Stöber, Forderungspfändung 14. Aufl. Rn. 892;
MünchKomm-ZPO/Smid, 3. Aufl. § 850 Rn. 39 ff; Musielak/Becker, ZPO 5. Aufl.
§ 850 Rn. 13; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 65. Aufl. § 850 Rn. 14;
Thomas/Putzo/Hüßtege,
ZPO
28. Aufl.
§ 850
Rn. 9;
Hk-ZPO/
Kemper, 2. Aufl. § 850 Rn. 17; Walker in Schuschke/Walker, Vollstreckung und
vorläufiger Rechtsschutz Bd. I 3. Aufl. § 850 Rn. 16; Berner Rpfleger 1957, 193,
197). Nach der auch von der Rechtsbeschwerdeerwiderung vertretenen Gegenansicht, die den Beschäftigungsstatus des Versicherungsnehmers als nachrangig ansieht und aus sozialen Erwägungen den Versorgungscharakter der
Leistungen in den Vordergrund rückt, sind auch Versicherungsrenten früherer
Freiberufler den in § 850 Abs. 3 lit. b genannten Bezügen gleichzustellen
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(Stein/Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 850 Rn. 48; Wieczorek/Lüke, ZPO 3. Aufl.
§ 850 Rn. 71; Boewer/Bommermann, Lohnpfändung und Lohnabtretung 1987
Rn. 394; Bock/Speck, Einkommenspfändung 1964 S. 54; Walter, Lohnpfändungsrecht 3. Aufl. S. 71; v. Gleichenstein ZVI 2004, 149, 152 f). Der Senat
schließt sich der zuerst genannten Auffassung an.
b) Wortlaut und Systematik des § 850 ZPO bringen zweifelsfrei zum
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Ausdruck, dass nur auf Versicherungsverträgen beruhende Rentenbezüge von
Beamten und Arbeitnehmern durch § 850 Abs. 3 lit. b ZPO dem unter einschränkenden Voraussetzungen pfändbaren Arbeitseinkommen gleichgestellt
sind.
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aa) Pfändungsschutz sieht § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der
§§ 850a ff ZPO nur für Arbeitseinkommen vor. Dazu gehören nach der Legaldefinition des § 850 Abs. 2 ZPO einmal die Dienst- und Versorgungsbezüge der
Beamten, zum anderen Arbeits-, und Dienstlöhne, Ruhegelder und ähnliche
nach dem Ausscheiden aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis gewährte fortlaufende Einkünfte, ferner Hinterbliebenenbezüge und schließlich sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners
vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen. Neben den
aktiven Einkünften der Beamten und Arbeitnehmer erstreckt § 850 Abs. 2 ZPO
den Pfändungsschutz auf deren Versorgungsbezüge und Ruhegelder, die - je
nach Status des Versorgungsberechtigten - gegen den Dienstherrn oder den
Arbeitgeber gerichtet sind. Versorgungsrenten werden von dem Pfändungsschutz folgerichtig nur erfasst, soweit sie auf einem früheren Dienst- oder Arbeitsverhältnis beruhen (Hk-ZPO/Kemper, aaO § 850 Rn. 6). Zwar erstreckt
§ 850 Abs. 2 letzter Halbsatz ZPO den Pfändungsschutz auf gewisse wiederkehrende Vergütungen einen selbständigen Beruf ausübender Personen (vgl.
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etwa BGHZ 96, 324). Da Selbständige entsprechend ihrem rechtlichen Status
weder bei einem Dienstherrn noch einem Arbeitgeber Rentenansprüche erwerben können, ist zu ihren Gunsten im Rahmen des § 850 Abs. 2 ZPO für einen
Pfändungsschutz von Renten von vornherein kein Raum. Mithin ist es rechtssystematisch gerechtfertigt, als "Arbeitseinkommen" im engeren Sinn nur die
Einkünfte
der
Beamten
und
Arbeitnehmer
zu
bezeichnen
(Tho-
mas/Putzo/Hüßtege, aaO § 850 Rn. 6 und 7 jeweils am Anfang).
bb) In Anknüpfung an den Schutzzweck des § 850 Abs. 2 ZPO, der Ver-
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sorgungsbezüge der Beamten und Ruhegelder der Arbeitnehmer dem Arbeitseinkommen zuordnet, gewährt § 850 Abs. 3 lit. b ZPO abhängig Beschäftigten, die eine versicherungsrechtliche Altersvorsorge für sich oder ihre Angehörigen begründet haben, ebenfalls Vollstreckungsschutz. Ein Arbeitnehmer,
der anstelle eines betrieblichen Ruhegeldes oder in Ergänzung hierzu Versicherungsleistungen bezieht, soll in gleicher Weise vor dem Gläubigerzugriff geschützt sein wie ein Schuldner, der etwa aus einer Betriebsrente über ausreichende arbeitsrechtliche Versorgungsbezüge verfügt. Unter den Schutz der
Vorschrift fallen nach dem eindeutigen Sinnzusammenhang ausschließlich solche privaten Renten, die ein Ruhegehalt oder eine Hinterbliebenenversorgung
nach Art des § 850 Abs. 2 ZPO ersetzen. Da § 850 Abs. 2 ZPO lediglich Renten
und Ruhegelder aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis schützt, muss
es sich im Rahmen des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO um Versicherungsleistungen
handeln, die aus Anlass des Ausscheidens aus einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis
begründet
werden
(Musielak/Becker,
aaO;
Stöber,
aaO;
Thomas/Putzo/Hüßtege, aaO § 850 Rn. 9; Hk-ZPO/Kemper, aaO § 850 Rn. 17;
Berner aaO).
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cc) Vor diesem Hintergrund können nur Versicherungsrenten solcher
Personen, die bei Abschluss des Versicherungsvertrages entweder Beamte
oder Arbeitnehmer waren oder in einem arbeitnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnis standen, Arbeitseinkommen gleichgestellt werden (OLG Frankfurt/Main VersR 1996, 614). Fortlaufende Renteneinkünfte freiberuflich oder
überhaupt nicht berufstätig gewesener Personen sind demgegenüber kein Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO (LG Braunschweig
NJW-RR 1998, 1690). Mit der Einführung des nunmehr privaten Altersrenten
beruflich selbständiger Personen Pfändungsschutz zuerkennenden - vorliegend
bereits mangels eines darauf zugeschnittenen Sachvortrags des Schuldners
unanwendbaren - § 851c ZPO durch das Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 368) hat der Gesetzgeber zum
Ausdruck gebracht (BT-Drucks. 16/886 S. 7), dass Altersrenten dieses Personenkreises nach dem Regelungsinhalt des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO kein Arbeitseinkommen bilden und darum nach dieser Vorschrift keinen Pfändungsschutz genießen. Die von dem Schuldner als Selbständigem erworbenen Rentenansprüche sind folglich nicht durch § 850 Abs. 3 lit. b ZPO geschützt.
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c) Diese rechtliche Würdigung steht in Einklang mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus Art. 20 Abs. 1 GG
folgenden Sozialstaatsprinzip.
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Die mit § 850 Abs. 3 lit. b ZPO verbundene Ungleichbehandlung von
Selbständigen im Verhältnis zu Personen, die als Beamte oder Arbeitnehmer
berufstätig gewesen sind, beruht auf der in Ansehung des Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigten sozialpolitischen Erwägung, Pfändungsschutz nur abhängig Beschäftigten zu gewähren. Zwar mag - wie der Gesetzgeber im Zusammenhang
mit der Einführung des § 851c ZPO zum Ausdruck gebracht hat - die
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Überlegung, dass Selbständigen aufgrund einer gehobenen sozialen Stellung
eine höhere Verantwortlichkeit und Mündigkeit zukomme, für sich genommen
nicht mehr allein geeignet sein, die unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen (BT-Drucks 16/886 S. 7). Immerhin sprechen in Übereinstimmung mit dem
Bundesfinanzhof (BFH, Urt. v. 12. Juni 1991 - VII R 54/90, NJW 1992, 527)
- der sich mit der Pfändung einer Kapitallebensversicherung befasst und sich
entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts zur Pfändbarkeit einer privaten Altersversorgung Selbständiger nicht geäußert hat - eine Reihe weiterer
Gesichtspunkte für die Verfassungsmäßigkeit der bisherigen gesetzlichen Regelung: Einmal erscheinen Selbständige auch heute noch in geringerem Maße
schutzbedürftig, weil die mit der Ausübung ihrer Tätigkeit regelmäßig verknüpften höheren Erwerbschancen auch eine weitergehende vollstreckungsrechtliche
Inanspruchnahme nahelegen. Zum anderen steht es Selbständigen frei (§ 7
SGB VI), durch Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung mit Pfändungsschutz ausgestattete (§ 54 Abs. 4 SGB I, §§ 850 ff ZPO) Versorgungsbezüge
(vgl. BGH, Beschl. v. 25. August 2004 - IXa ZB 271/03, NJW 2004, 3771) zu
erwerben. Der Gesetzgeber ist darum nicht gehalten, jede zulässige eigenverantwortliche Gestaltung der Altersvorsorge vollstreckungsrechtlich gleich zu
behandeln.
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4. Vorliegend bedarf es bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen keiner Prüfung, ob und inwieweit § 765a ZPO aufgrund der Verweisung des § 4
InsO im eröffneten Insolvenzverfahren anwendbar ist (vgl. MünchKommInsO/Ganter, 2. Aufl. § 4 Rn. 34 mit weiteren Nachweisen in Fn. 92). Der
Schuldner hat sich erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren auf § 765a ZPO
berufen. Da Vollstreckungsschutz nur auf Antrag des Schuldners gewährt wird,
haben sich die Vorinstanzen mit dieser Frage nicht befasst und dazu auch keine Feststellungen getroffen. Im Rechtsbeschwerdeverfahren kann der Antrag
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mangels tatsächlicher Feststellungen der Vordergerichte nicht wirksam nachgeholt werden (OLG Köln NZI 2000, 104, 107; Hk-InsO/Kirchhof aaO § 4
Rn. 19; MünchKommInsO/Ganter aaO § 4 Rn. 34).
Dr. Fischer
Dr. Ganter
Prof. Dr. Gehrlein
Dr. Kayser
Vill
Vorinstanzen:
AG Chemnitz, Entscheidung vom 04.02.2005 - 1106 IN 2869/04 LG Chemnitz, Entscheidung vom 21.03.2005 - 3 T 186/05 -