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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 42/06
vom
22. Januar 2009
in dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Lugano-Übk Art. 31 Abs. 1
Ein vollstreckbares gerichtliches Urteil eines schweizerischen Gerichts oder ein gesetzliches Surrogat eines solchen Urteils stellt eine vollstreckbare Entscheidung im
Sinne des Art. 31 Abs. 1 Luganer Übereinkommen dar, ohne dass in der Schweiz der
Betreibungsweg beschritten und das Verfahren der definitiven Rechtsöffnung durchgeführt werden muss.
BGH, Beschl. vom 22. Januar 2009 - IX ZB 42/06 - OLG Schleswig Holstein
LG Lübeck
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter und die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp
am 22. Januar 2009
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom
11. April 2005 und der Beschluss des 16. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen
Oberlandesgerichts
in
Schleswig
vom
9. Februar 2006 aufgehoben.
Die
Verfügung
des
Bezirksgerichts
Zürich,
Schweiz,
vom
19. November 2003, Prozess-Nr. FO 030456/U1 wird mit folgendem Inhalt für vollstreckbar erklärt:
Der Antragsgegner ist verpflichtet, an den Antragsteller CHF
2330,-- zuzüglich Verzugszinsen von 5 % seit 27. Januar 2003 zu
bezahlen sowie Kosten von CHF 285,-- und eine Umtriebsentschädigung von CHF 227,--.
Die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich ist mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
1.480 € festgesetzt.
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Gründe:
I.
1
Der Antragsteller begehrt die Vollstreckbarerklärung einer Verfügung des
Bezirksgerichts Zürich, die ergangen ist, nachdem der Antragsgegner mitgeteilt
hatte, dass er die Klage des Antragstellers auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von CHF 2330,-- zuzüglich Verzugszinsen von 5 % seit
27. Januar 2003 anerkenne. In der Verfügung wurde der Prozess als durch Anerkennung der Klage erledigt abgeschrieben und der Antragsgegner verurteilt,
die Kosten von CHF 285,-- und eine Umtriebsentschädigung von CHF 227,-- zu
bezahlen.
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Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde
verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Vollstreckbarerklärung weiter.
II.
3
Das gemäß § 15 Abs. 1 AVG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte
Rechtsmittel ist zulässig, weil die Frage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574
Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ob ein rechtskräftiges vollstreckbares gerichtliches Urteil
oder ein diesem gleichstehendes Surrogat nach schweizerischem Recht als
vollstreckbare Entscheidung im Sinne des Art. 31 des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (BGBl.
1994 II S. 2660; im Folgenden auch: LugÜ) anzusehen ist. Die Rechtsbe-
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schwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden, § 15 Abs. 2 und 3, § 16 AVAG.
III.
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Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verfügung des Bezirksgerichts
Zürich ist gemäß § 8 AVAG für vollstreckbar zu erklären (§ 17 Abs. 3 AVAG).
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1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Voraussetzungen des Art. 31
Abs. 1 LugÜ lägen nicht vor, weil es an der Vollstreckbarkeit der vorgelegten
Entscheidung in der Schweiz fehle. Zwar stelle die hier streitgegenständliche
Verfügung nach Schuldanerkennung ein gesetzliches Surrogat eines vollstreckbaren gerichtlichen Urteils dar. Der Gläubiger müsse aber zunächst den Betreibungsweg beschreiten und dem Schuldner einen Zahlungsbefehl zustellen lassen. Auf einen - einem Widerspruch gegen einen Mahnbescheid vergleichbaren - Rechtsvorschlag des Schuldners müsse er das sogenannte definitive
Rechtsöffnungsverfahren betreiben. Der Gläubiger könne beim Richter die definitive Aufhebung der Einstellungswirkung des Rechtsvorschlags verlangen, wobei der Schuldner - anders als beim provisorischen Rechtsöffnungsverfahren nur mit Einwendungen gehört werde, welche die Tilgung, Stundung oder Verjährung der Schuld seit Erlass des Urteils beträfen. Bringe der Schuldner keine
begründeten Einwendungen vor, werde der Rechtsvorschlag beseitigt und dem
Gläubiger die definitive Rechtsöffnung erteilt; erst damit könne er in der
Schweiz zur Vollstreckung im eigentlichen Sinne schreiten.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung teilweise nicht stand.
Das Beschwerdegericht hat den Begriff der vollstreckbaren Entscheidung in
Art. 31 Abs. 1 LugÜ verkannt.
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a) Auf das vorliegende Verfahren findet das Übereinkommen von Lugano
Anwendung, da die Schweiz nicht Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ist, Art. 54b Abs. 2 Buchst. c LugÜ.
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b) Die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich stellt nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ein gesetzliches Surrogat eines vollstreckbaren
gerichtlichen Urteils eines schweizerischen Gerichts dar. Dies wurde von der
Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen (vgl. auch § 80 Abs. 2 des Schweizerischen Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, im Folgenden:
SchKG). Gemäß Art. 25 LugÜ ist unter einer Entscheidung im Sinne dieses Übereinkommens jede von einem Gericht eines Vertragsstaates erlassene Entscheidung zu verstehen ohne Rücksicht auf die Bezeichnung.
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c) Ein vollstreckbares schweizerisches Urteil oder ein ihm gleichgestelltes Surrogat stellt eine vollstreckbare Entscheidung im Sinne des Art. 31 LugÜ
dar, die auf Antrag eines Berechtigten in Deutschland für vollstreckbar erklärt
werden kann, ohne dass in der Schweiz der Betreibungsweg beschritten und
die definitive Rechtsöffnung erwirkt worden sein muss.
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(1) Wie sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entnehmen lässt, betrifft der Begriff der Vollstreckbarkeit im Urteilsstaat lediglich
die Vollstreckbarkeit in formeller Hinsicht, nicht aber die Voraussetzungen, unter denen die Entscheidung im Urteilsstaat tatsächlich vollstreckt werden kann
(vgl. EuGH, Urt. v. 29. April 1999 Rs C-267/97 Eric Coursier/Fortis Bank SA,
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Sammlung 1999 S. 2543, 2571 Rn. 29). Diese Rechtsprechung ist zwar zu der
mit Art. 31 LugÜ übereinstimmenden Bestimmung des Art. 31 EuGVÜ ergangen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Brüsseler EWGÜbereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelsachen ist jedoch nach den Erklärungen der Vertreter der Regierungen der Unterzeichnerstaaten des Luganer
Übereinkommens (BGBl. 1999 II S. 2700 ff) auch bei dessen Auslegung zu berücksichtigen (vgl. z.B. MünchKomm-ZPO/Gottwald, 2. Aufl. LugÜ Protokoll
Nr. 2 Rn. 4, 5).
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(2) Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des schweizerischen Betreibungsrechts steht der Vollstreckbarkeit im Sinne des Art. 31 LugÜ nicht entgegen. Die definitive Rechtsöffnung in diesem Sinne ist keine Voraussetzung der
Vollstreckbarerklärung schweizerischer Titel in Deutschland.
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aa) Nach schweizerischem Betreibungsrecht kann, wie das Beschwerdegericht festgestellt hat, der Schuldner nur mit Einwendungen gehört werden,
welche die Tilgung, Stundung oder Verjährung der Schuld seit Erlass des Urteils betreffen. Bringt der Schuldner keine begründeten Einwendungen in diesem Sinne vor, wird sein Rechtsvorschlag beseitigt und dem Gläubiger die definitive Rechtsöffnung erteilt, womit dieser zur Vollstreckung im eigentlichen Sinne in der Schweiz schreiten kann. Damit entspricht dieses Verfahren funktional
der deutschen Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO (Walter, ZZP 107
(1994), 301, 313; Keßler, Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gemäß Art. 31
und 47 Nr. 1 EuGVÜ, S. 142). Das schweizerische Verfahren der definitiven
Rechtsöffnung ist in derartigen Fällen deshalb ebenso wie die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO ein Verfahren, das das Vollstreckungsverfahren im
Sinne des Art. 16 Nr. 5 LugÜ zum Gegenstand hat (vgl. EuGH, Urt. v. 4. Juli
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1985, Rechtssache 220/84, AS-Autoteile Service/Malhé, Sammlung 1985,
2267, 2277 f Rn. 12, 19).
bb) Da die definitive Rechtsöffnung nach schweizerischem Recht dem
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Zwangsvollstreckungsverfahren im Sinne des Art. 16 Nr. 5 LugÜ zuzurechnen
ist, fehlt es bereits an der internationalen Zuständigkeit schweizerischer Gerichte, wenn die Vollstreckung im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates
durchgeführt werden soll (vgl. Keßler aaO S. 141/142 und die dort zitierte herrschende schweizer Rechtslehre; Walter, aaO S. 313). International zuständig
sind ausschließlich die Gerichte im Vollstreckungsstaat. Dies schließt es aus,
als Voraussetzung der Vollstreckbarkeit im Sinne des Art. 31 LugÜ die Durchführung des Verfahrens der definitiven Rechtsöffnung in der Schweiz zu verlangen. Denn ein solches Verfahren könnte dort mangels internationaler Zuständigkeit gar nicht durchgeführt werden. Eine Auslegung, die dies trotzdem fordert, wäre mit einer völkerrechtsfreundlichen Handhabung des Luganer
Übereinkommens nicht vereinbar, weil sie die Vollstreckbarerklärung in anderen
Vertragsstaaten ausschlösse.
cc) Der Schuldner kann die Einwendungen, die er im definitiven Rechts-
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öffnungsverfahren nach schweizerischem Recht erheben könnte, auch im deutschen Verfahren auf Vollstreckbarerklärung vorbringen. Er kann sie gemäß § 12
Abs. 1
AVAG
im
Verfahren
der
sofortigen
Beschwerde
vor
dem
Oberlandesgericht oder in einem späteren Verfahren nach Maßgabe des § 14
AVAG geltend machen.
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3. Die Beschwerdeentscheidung ist auch nicht aus anderen Gründen
richtig, § 17 Abs. 2 Satz 2 AVAG, § 577 Abs. 3 ZPO.
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Die Auffassung des Landgerichts, es liege schon kein vollstreckbarer
Titel vor, hat das Beschwerdegericht nach Prüfung des schweizerischen Rechts
im Hinblick auf § 80 Abs. 2 SchKG für unzutreffend erachtet. Dies ist der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht gemäß § 17 Abs. 1 AVAG entzogen.
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4. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen
Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 17 Abs. 2
AVAG, § 577 Abs. 5 ZPO.
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Anerkennungshindernisse gemäß Art. 34 Abs. 2 LugÜ aus den in Art. 27
und 28 LugÜ angeführten Gründen sind nicht gegeben. Die erforderlichen Unterlagen nach Art. 46 ff LugÜ sind vorgelegt. Einwendungen nach § 12 Abs. 1
AVAG hat der Antragsgegner nicht geltend gemacht.
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5. Die Festlegung des Streitwertes richtet sich nach dem Wechselkurs
bei Eingang der Rechtsbeschwerde am 21. März 2006. Er betrug an diesem
Tag nach Auskunft der Deutschen Bundesbank 1,5738.
Ganter
Gehrlein
Fischer
Vill
Grupp
Vorinstanzen:
LG Lübeck, Entscheidung vom 11.04.2005 - 10 O 56/05 OLG Schleswig, Entscheidung vom 09.02.2006 - 16 W 59/05 -