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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 69/15
Verkündet am:
18. November 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum
4. November 2015 eingereicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der
7. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 23. Dezember 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
4.375,17 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) b egehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc kzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversich erung.
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Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsb eginn zum 1. Dezember 1999 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen.
3
Im Februar 2003 und nochmals im Februar 2004 kündigte d. VN
den Vertrag. Der Versicherer akzeptierte die letzte Kündigung und zahlte
den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 19. November 2012 erklärte
d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.
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Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren
noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, in sgesamt 4.375,17 €.
5
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
7
-4-
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z urückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
8
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Es könne dahinstehen, ob d. VN
nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt worden sei.
Ein etwaiger Bereicherungsanspruch sei mit Zahlung der jeweiligen Prämie entstanden und demnach gemäß § 199 Abs. 4 BGB verjährt.
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II. Die Revision ist begründet.
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1. Ein - mit der Revision allein weiter verfolgter - Anspruch auf
Prämienrückzahlung aus ungerechtfertigter Bereicherung kann mit der
vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden.
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a) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen,
ob d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen,
eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. übersandt wurden.
Für das Revisionsverfahren ist zu unterstellen, dass d. VN die genannten
Unterlagen nicht erhielt.
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aa) Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt. Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen
Sachverhalt bestand das Widerspruchsrecht hier aber nach Ablauf der
Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
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13
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G erichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e rfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier zu unterstellen - nicht ordnungsgemäß über das
Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucheri nformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
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bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
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b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e ine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
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2. Aus der Erklärung des Widerspruchs folgende bereicherungsrechtliche Ansprüche sind, anders als das Berufungsgericht gemeint hat,
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nicht verjährt. Die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist
des § 195 BGB konnte erst mit Schluss des Jahres 2012 beginnen, da
die Klägerin erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte, und war bei
Klageerhebung im September 2013 noch nicht abgelaufen. Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im
Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte
d. VN Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der
Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).
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3. Der Höhe nach umfasst ein etwaiger Rückgewähranspruch nach
§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten
Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen
Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages geno ssenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versich erungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation b emessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil
Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45
m.w.N.). Auch hierzu fehlt es an Feststellungen.
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Die fehlenden Feststellungen wird das Berufungsgericht nachzuh olen haben und dabei - je nachdem zu welchem Ergebnis es gelangt - die
Vorgaben der Senatsurteile vom 7. Mai 2014 (aaO), vom 16. Juli 2014
(IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102) und vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14,
VersR 2015, 1101; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104) zu beachten haben.
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Lehmann
Dr. Karczewski
Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Bad Schwalbach, Entscheidung vom 20.03.2014 - 3 C 611/13 (70) LG Wiesbaden, Entscheidung vom 23.12.2014 - 7 S 14/14 -