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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 34/11
Verkündet am:
14. Dezember 2011
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
AUB 88 § 7
Nach der für die Bemessung der Invaliditätsleistung maßgeblichen Gliedertaxe
schließt der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit eines funktionell höher bewerteten,
rumpfnäheren Gliedes den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren
Gliedes ein (hier: Schulter und Hand des rechten Arms). Eine Addition der einzelnen
Invaliditätsgrade findet nicht statt.
Führt die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Körperteils zu einem höheren Invaliditätsgrad als die Funktionsunfähigkeit des rumpfnäheren Körperteils, so stellt die
Invaliditätsleistung für das rumpffernere Körperteil die Untergrenze der geschuldeten
Versicherungsleistung dar.
BGH, Urteil vom 14. Dezember 2011 - IV ZR 34/11 - OLG Frankfurt am Main
LG Wiesbaden
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller auf die
mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2011
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
3. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Auf die An-
schlussrevision der Beklagten wird das angefochtene Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger macht Invaliditätsansprüche aus einer mit der Bekla gten geschlossenen Unfallversicherung geltend. Am 9. August 2003 stürzte er von einer Leiter, wobei er sich unter anderem das Schultergelenk
des rechten Armes auskugelte und es zu einer Läsion des Plexus br achialis, d.h. einer Schädigung des den Arm und die Hand versorgenden
-3-
Nervengeflechts kam. Der Versicherungsvertrag sieht eine Invaliditätssumme von 102.259 € mit einer progressiven Invaliditätsstaffel von 350%
vor. Ihm liegen die AUB 88 sowie bezüglich der Progression die UBB 201
zugrunde. Die AUB 88 enthalten in § 7 u.a. folgende Bestimmungen:
I. Invaliditätsleistung
(1) Führt der Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung
der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit
(Invalidität) des Versicherten, so entsteht Anspruch
aus Kapitalleistung aus der für den Invaliditätsfall
versicherten Summe. …
(2) Die Höhe der Leistung richtet sich nach dem Grad der
Invalidität.
a) Als feste Invaliditätsgrade gelten - unter Ausschluss
des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität - bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit:
eines Arms im Schultergelenk
eines Arms bis oberhalb des Ellenbogengelenks
eines Arms unterhalb des Ellenbogengelenks
einer Hand im Handgelenk
eines Daumens
eines Zeigefingers
eines anderen Fingers
b) Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung eines
dieser Körperteile oder Sinnesorgane wird der entsprechende Teil des Prozentsatzes nach a) angenommen.
d) Sind durch den Unfall mehrere körperliche oder geistige Funktionen beeinträchtigt, so werden die Invalid itätsgrade, die sich nach (2) ergeben, zusammengerechnet. Mehr als 100% werden jedoch nicht angenommen."
70%
65%
60%
55%
20%
10%
5%
-4-
2
Auf dieser Grundlage macht der Kläger geltend, bei ihm liege eine
vollständige Funktionsunfähigkeit des rechten Arms vor, weshalb ein
Gliedertaxwert von 70% zugrunde zu legen sei. Unter Berücksichtigung
der Progressionsstaffel stehe ihm eine Versicherungsleistung von
204.518 € zu. Die Beklagte hat eine Funktionsbeeinträchtigung von 1/2 Armwert anerkannt und insgesamt 56.242,45 € gezahlt. Den Differenzbetrag von 148.275,55 € zuzüglich Rechtsanwaltskosten macht der Kläger
mit der Klage geltend.
3
Das Landgericht hat nach Einholung eines unfallchirurgischen
Gutachtens der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung ihres weitergehenden
Rechtsmittels verurteilt, an den Kläger 58.798,93 € nebst Zinsen zu zahlen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des lan dgerichtlichen Urteils. Die Beklagte begehrt mit der Anschlussrevision e ine Abweisung der Klage insgesamt.
Entscheidungsgründe:
4
Das Rechtsmittel des Klägers hat keinen Erfolg. Auf die Anschlussrevision der Beklagten ist das angefochtene Urteil aufzuheben,
soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
5
I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2011, 487 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Kläger könne die Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in Höhe von 58.798,93 € verlangen. Dies entspreche
15/20 des Armwerts oder 52,5% der vereinbarten Versicherungssumme
-5-
unter Einbeziehung der Progressionsstaffel. Hierbei seien die Feststellungen des Sachverständigen zugrunde zu legen. Dieser sei in seinem
schriftlichen Gutachten und in seiner mündlichen Anhörung nicht zu w idersprüchlichen Ergebnissen gekommen, sondern habe lediglich die im
schriftlichen Gutachten festgestellte Beeinträchtigung des Arms mit
11/20 in seiner Anhörung aufgeschlüsselt. Der ergänzenden Einholung
eines neurologischen Gutachtens bedürfe es nicht, da durch den Sac hverständigen jedenfalls eine Mindestbeeinträchtigung festgestellt worden
sei. Bei Anwendung der Gliedertaxe sei von der Position "Arm im Schu ltergelenk" auszugehen, während eine zusätzliche Berücksichtigung auch
der Gliedertaxenbereiche Finger, Hand oder Ellenbogen nicht in Betracht
komme. Es sei allein auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung abz ustellen, die hier im Schultergelenk des Arms liege. Der Umstan d, dass
die dort verletzten Nerven zugleich zu Beeinträchtigungen auch des U nterarms und der Hand geführt hätten, sei bei der Bemessung des für den
gesamten Arm vereinbarten Taxwertes bereits berücksichtigt. Ob eine
andere Betrachtung in den Fällen eines Polytraumas geboten sei, könne
offen bleiben, da ein derartiger Fall nicht vorliege. Auch eine Addition der
Gliedertaxeneinzelwerte nach § 7 I (2) d) AUB 88 komme nicht in Betracht, da sich die Klausel lediglich auf die Funktion verschiedener Kö rperglieder beziehe.
6
Allerdings dürfe bei der Berechnung die für das maßgebliche kö rpernähere Glied ermittelte Funktionsbeeinträchtigung nicht hinter derjenigen zurückbleiben, die für das körperfernere Glied ermittelt werde. Der
Sachverständige habe die Beeinträchtigung des Arms mit 11/20 bewertet, was ausgehend von einem Invaliditätsgrad des Arms von 70% zu e inem Anspruch auf 38,5% der Versicherungsleistung führe. Den Umfang
der Beeinträchtigung der Hand allein habe der Sachverständige aber
-6-
schon auf 80% geschätzt, was bei einem Invaliditätsgrad der Hand von
55% der Versicherungsleistung zu einem Anspruch des Klägers in Höhe
von 44% führe. Diese Untergrenze von 44% müsse, weil bei dem Kläger
nicht nur die Hand, sondern auch weitere Teile des Arms beeinträchtigt
worden seien, erhöht werden. Die gesamte Quote sei auf 15/20 des
Armwerts, d.h. 52,2% der Versicherungsleistung, zu schätzen. Der Kläger könne zudem keinen Ersatz der ihm entstandenen vorgerichtlichen
Kosten verlangen, da es an einer schlüssigen Darlegung fe hle, wann er
seinen Rechtsanwalt zu welchen Tätigkeiten beauftragt habe.
7
II. Das hält rechtlicher Überprüfung nur teilweise stand.
8
1. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Eine über 52,5% hinausgehende Invaliditätsentschädigung steht dem Kläger jedenfalls nicht
zu. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass keine
Addition der Invaliditätswerte stattfindet, wenn neben Verlust oder Fun ktionsunfähigkeit eines rumpfnäheren Körperteils zugleich Verlust oder
Funktionsunfähigkeit eines rumpfferneren Körperteils vorliegt.
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a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie
ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren
Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an
(Senatsurteil vom 23. Juni 1999 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; Senatsbeschluss vom 24. Juni 2009 - IV ZR 110/07, VersR 2009, 1617
Rn. 7). Hierbei sind Versicherungsbedingungen aus sich selbst heraus
-7-
zu interpretieren ohne vergleichende Betrachtung mit anderen Bedi ngungen, die dem Versicherungsnehmer regelmäßig nicht bekannt sind
und auch nicht bekannt sein müssen, so dass ihm eine bedingungsübe rgreifende Würdigung von vornherein verschlossen bleibt. Die Entst ehungsgeschichte der Bedingungen hat ebenso wie ihre spätere Entwic klung außer Betracht zu bleiben (Senatsurteil vom 15. Dezember 2010
- IV ZR 24/10, VersR 2011, 202 Rn. 10).
10
b) Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer entnimmt
§ 7 I (1) AUB 88 zunächst, dass die Beklagte ihm eine Invaliditätslei stung verspricht für den Fall, dass ein Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Inval idität) führt. Grundlage für die Berechnung der Leistung bilden die Vers icherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität. Wie sich
die Höhe der Leistungen im Einzelnen bemisst, kann der Versicherungsnehmer § 7 I (2) a) AUB 88 für die dort genannten Körperteile und Sinnesorgane entnehmen. Die Gliedertaxe bestimmt nach einem abstrakten
und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder d iesem
gleichgestellter Funktionsunfähigkeit der mit ihr benannten Glieder. Gle iches gilt bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines durch die Gliedert axe abgegrenzten Teilbereichs eines Gliedes. Demgemäß beschreibt die
Regelung abgegrenzte Teilbereiche eines Armes und Beines u nd ordnet
jedem Teilbereich einen festen Invaliditätsgrad zu, der mit Rumpfnähe
des Teilgliedes steigt. Die Gliedertaxe stellt damit für den Verlust und für
die Funktionsunfähigkeit der in ihr genannten Gliedmaßen oder deren
Teilbereiche durchgängig allein auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung ab (vgl. zu diesem Verständnis der Gliedertaxe Senatsurteile vom
15. Dezember 2010 aaO Rn. 11; vom 24. Mai 2006 - IV ZR 203/03,
VersR 2006, 1117 unter II 1 a; vom 17. Januar 2001 - IV ZR 32/00,
-8-
VersR 2001, 360 unter 2 a; vom 23. Januar 1991 - IV ZR 60/90, VersR
1991, 413).
11
Der Systematik der Gliedertaxe kann der Versicherungsnehmer
ferner entnehmen, dass für die Bereiche der mit dem Arm und dem Bein
zusammenhängenden Körperteile abgestufte Invaliditätsgrade festgesetzt werden, die beim Arm mit der Bewertung der Invalidität eines Fi ngers mit 5% beginnen und mit dem Arm im Schultergelenk mit 70% e nden. Hiermit trägt die Gliedertaxe dem Umstand Rechnung, dass Glie dverluste - Entsprechendes gilt für völlige oder teilweise Gebrauchsunfähigkeit - mit zunehmender Rumpfnähe der Stelle, an der das Körperglied
verloren gegangen (oder die Gebrauchsbeeinträchtigungen auslösende
Ursache zu lokalisieren) ist, zu wachsender Einschränkung der generellen Leistungsfähigkeit von Menschen führen (vgl. Senatsurteile vom
9. Juli 2003 - IV ZR 74/02, VersR 2003, 1163 unter II 2 c (3); vom
17. Oktober 1990 - IV ZR 178/89, VersR 1991, 57 unter 3 b; vom 30. Mai
1990 - IV ZR 143/89, VersR 1990, 964 unter 2 a; Bruck/Möller/Leverenz,
VVG 9. Aufl. AUB 2008 Ziff. 2.1 Rn. 185; Knappmann, VersR 2003, 430,
431).
12
c) Ausgehend hiervon erkennt ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, dass der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit des Armes
im Schultergelenk (nur) deshalb mit dem höchsten Invaliditätsgrad von
70% bemessen wird, weil hierin zugleich die Beeinträchtigung der übr igen Teilglieder des Armes enthalten ist. In jedem der in der Gliedertaxe
genannten Invaliditätssätze ist bereits mitberücksichtigt, wie sich der u nfallbedingte Verlust oder die Gebrauchsunfähigkeit eines Gliedteils auf
den verbleibenden Gliedrest auswirkt. Daraus resultiert das Ansteigen
des Invaliditätsprozentsatzes mit zunehmender Rumpfnähe des Gliedve r-
-9-
lustes oder der Funktionsstörung (Senatsurteile vom 17. Januar 2001
aaO; vom 30. Mai 1990 aaO). Anderenfalls wäre kein Grund dafür ersichtlich, warum der Invaliditätsgrad kontinuierlich mit Rumpfnähe a nsteigt. Wären die Invaliditätsgrade für die verschiedenen Teilglieder is oliert zu berechnen und zu addieren, so müsste eine gesonderte Bewertung der rumpfnäheren Teilglieder ohne Berücksichtigung der rumpffe rneren erfolgen.
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d) Den Grundsatz, dass keine Addition der einzelnen Invalidität swerte erfolgt, wird der Versicherungsnehmer auch daraus entnehmen,
dass für den gesamten Arm im Schultergelenk lediglich eine maximale
Invalidität von 70% vorgesehen ist. Wären demgegenüber sämtliche I nvaliditätsgrade der Teilglieder zu addieren, würde der Versicherungsnehmer bereits bei vollständiger Invalidität der Hand im Handgelenk, des
Daumens und der Finger eine 100%ige Invalidität erreichen. Käme noch
der Arm unterhalb bzw. oberhalb des Ellenbogengelenks hinzu, so erg äbe sich häufig eine Invalidität von über 100% und eine Deckelung auf
100% würde jeweils erst durch die Regelung in § 7 I (2) d) AUB 88 erreicht (vgl. OLG Celle VRR 2010, 424, 425; LG Dortmund r+s 2009, 476;
Grimm, AUB 4. Aufl. AUB 99 Ziff. 2 Rn. 20; HK- VVG/Rüffer, 2. Aufl. AUB
2008 Ziff. 2 Rn. 23).
14
e) Ferner ersieht der Versicherungsnehmer aus der Gliedertaxe,
dass diese Verlust und Funktionsunfähigkeit der aufgeführten Körperteile
und Sinnesorgane gleichstellt. Hierbei spielt es keine Rolle, dass etwa
der Verlust eines Armes oder einer Hand der Funktionsunfähigkeit dieses
Gliedes im Gelenk bei verbleibender Teilfunktionsfähigkeit nicht gleichstehen muss, gleichwohl aber derselbe Invaliditätsgrad in Betracht
kommt. Der Versicherungsnehmer kann das auf die mit der Gliedertaxe
- 10 -
vorgenommene pauschalisierende Bewertung des Invaliditätsgrades z urückführen, deren versicherungswirtschaftliche oder medizinische Rechtfertigung sich ihm ohnehin nicht erschließt (Senatsurteil vom 9. Juli 2003
aaO unter II 2 c (2)). Dieser Bewertung kann der Versicherungsnehmer
zugleich entnehmen, dass der Verlust eines Körperteils oder Sinnes organs in jedem Fall denselben Invaliditätsgrad nach sich zieh t wie die
Funktionsunfähigkeit. Das wäre aber nicht mehr der Fall, wenn bei Fun ktionsunfähigkeit die Invaliditätsgrade von rumpffernen und rumpfnahen
Körperteilen zusammenzurechnen wären. Dies würde - wie vom Kläger
geltend gemacht - beim Arm im Schultergelenk und dessen vollständiger
Funktionsunfähigkeit bei gleichzeitiger Funktionsunfähigkeit rumpffern erer Teilglieder dazu führen, dass der Invaliditätsgrad regelmäßig deutlich
über 100% liegt, während bei vollständigem Verlust eines Armes im
Schultergelenk, etwa infolge Amputation, immer nur die Höchstgrenze
der Invalidität von 70% zu gewähren wäre. Eine derart unterschiedliche
Invaliditätsbemessung erschließt sich einem durchschnittlichen
15
16
Versicherungsnehmer nicht.
f) Der Kläger kann auch nichts aus der Regelung in § 7 I (2) d)
AUB 88 für sich herleiten, die bestimmt, dass bei Beeinträchtigung me hrerer Körperteile oder Sinnesorgane die nach den vorstehenden Besti mmungen ermittelten Invaliditätsgrade zusammengerechnet, mehr als
100% jedoch nicht angenommen werden. Diese Addition greift nur in
dem Fall ein, dass nach den vorangegangenen Bestimmungen isolierte
Invaliditätsgrade anzusetzen sind. Das kann etwa in Betracht kommen,
wenn der Arm und das Bein beeinträchtigt sind oder es um eine Komb ination der Invalidität nach der Gliedertaxe mit der Invaliditätsbestimmung
nach der allgemeinen Regelung in § 7 I (2) c) AUB 88 geht. Ein solcher
Fall liegt hier nicht vor.
- 11 -
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g) Ohne Erfolg beruft sich die Revision ferner auf die Unklarheitenregelung gemäß § 305c Abs. 2 BGB. Unklar sind Klauseln, bei denen
nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden
ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungen
rechtlich vertretbar sind (Senatsurteil vom 23. Juni 2004 - IV ZR 130/03,
BGHZ 159, 360, 364). Demgegenüber genügt es für eine Unklarheit
nicht, dass eine Klausel lediglich auf den ersten Blick unklar erscheint
oder Streit über ihre Auslegung besteht (Prölss in Prölss/Martin, VVG
28. Aufl. Vorbem. III Rn. 21). Auf dieser Grundlage ist nach den obigen
Ausführungen für eine Mehrdeutigkeit oder sonstige Unklarheit i.S. des
§ 305c Abs. 2 BGB nichts ersichtlich. Insbesondere kann der Kläger zu
seinen Gunsten nichts aus der Rechtsprechung des Senats zu den Klauseln in der Gliedertaxe bezüglich des "Fußes im Fußgelenk" (Urteil vom
17. Januar 2001 - IV ZR 32/00, VersR 2001, 360), der "Hand im Handgelenk" (Urteil vom 9. Juli 2003 aaO) sowie des "Armes im Schultergelenk"
(Urteile vom 24. Mai 2006 aaO und vom 12. Dezember 2007 - IV ZR
178/06, VersR 2008, 483) herleiten. In diesen Urteilen hat der Senat l ediglich entschieden, dass die entsprechenden Formulierungen der Gli edertaxe unklar sind, weil sie sowohl eine Auslegung dahin erlaub en, dass
bereits auf die Funktionsunfähigkeit des Gelenks isoliert abzustellen ist ,
als auch eine solche Interpretation möglich ist, nach der es auf die Funktionsunfähigkeit des gesamten Teilgliedes Hand, Schulter bzw. Fuß a nkommt. In diesen Fällen kommt nach § 305c Abs. 2 BGB die dem Versicherungsnehmer günstigste Auslegung in Betracht, mithin ein Abstellen
allein auf die Funktionsunfähigkeit des Gelenkes selbst.
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Um eine derartige Fallkonstellation geht es hier nicht, sondern um
Funktionsunfähigkeiten in verschiedenen Teilbereichen des Armes vom
- 12 -
Schultergelenk bis hinunter zu den Fingern. Mit der Frage, ob bei Funkt ionsunfähigkeit verschiedener Teilglieder eines Armes oder Beines der
Invaliditätsgrad für das jeweils rumpfnähere Körperteil den Invalidit ätsgrad für das rumpffernere Körperteil beinhaltet, hat der Senat sich in den
genannten Entscheidungen nicht befasst. Selbst wenn es im Einzelfall in
Betracht kommt, dass der Versicherungsnehmer etwa die Regelung b ezüglich des "Armes im Schultergelenk" dahin verstehen darf, dass es für
die Funktionsunfähigkeit allein auf das Gelenk ankommt, führt dies nicht
dazu, dass er zugleich davon ausgehen dürfte, Funktionsunfähigkeiten
weiterer rumpfferner Körperteile wie etwa der Hand seien bei der B emessung des Invaliditätsgrades zu addieren (vgl. auch OLG Hamm ZfS
2011, 280; OLG Celle aaO; LG Dortmund aaO).
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h) Auf dieser Grundlage entspricht es nahezu einhellige r Meinung
in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Funktionsunfähigkeit eines
rumpfnäheren Gliedes die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Gliedes einschließt und eine Addition der Werte aus der Gliedertaxe nicht
stattfindet (OLG Hamm aaO S. 281, 282; OLG Celle aaO; OLG Brandenburg r+s 2006, 207, 208; OLG Köln r+s 2003, 472; LG Dortmund aaO;
HK-VVG/Rüffer aaO; Grimm aaO; Bruck/Möller/Leverenz aaO Rn. 187,
190; Schubach/Jansen, Private Unfallversicherung Ziff. 2.1 Rn. 40; Mangen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch
§ 47 Rn. 188; Stiefel/Maier, AKB 18. Aufl. AKB A 4.5 Rn. 21 f.; Kloth/
Neuhaus, Private Unfallversicherung G V 2 g Rn. 89, 90; Terbille/Hormuth, Münchner Anwaltshandbuch 2. Aufl. § 24 Rn. 74). Lediglich
Knappmann äußert Bedenken, ob das System der Gliedertaxe hinre ichend transparent sei, weil einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer kaum hinreichend vor Augen gestellt werde, dass zusätzliche B eschwerden und unfallbedingte krankhafte Veränderungen außerhalb des
- 13 -
Sitzes der unmittelbaren Verletzung und der Beschwerden nicht bewertet
werden sollten (Prölss/Martin aaO Nr. 2 AUB 2008 Rn. 31). Jedenfalls für
die hier in Betracht kommende Fallgruppe, bei der es darum geht, ob die
Funktionsunfähigkeit des rumpfnäheren Gliedes die Funktionsunfähigkeit
des rumpfferneren Gliedes bei der Bemessung der Invalidität beinhaltet,
kann der Versicherungsnehmer aus den genannten Gründen den Bedingungen entnehmen, dass keine Addition der einzelnen Invaliditätsgrade
stattfindet.
20
i) Eine Einschränkung erfährt diese Auslegung der AUB lediglich
für den Fall, dass die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Körperteils
zu einem höheren Invaliditätsgrad führt als die Funktionsunfähigkeit des
rumpfnäheren Körperteils. Das kommt insbesondere dann in Betracht,
wenn die verschiedenen Körperteile keine vollständige Funktionsunf ähigkeit erfahren haben, sondern nur teilweise beeinträchtigt sind. In einem solchen Fall stellt die Invaliditätsleistung für das rumpffernere Kö rperteil die Untergrenze der geschuldeten Versicherungsleistung dar
(OLG Hamm aaO S. 282; OLG Köln r+s 2003, 472; Kloth/Neuhaus aaO
Rn. 89; Stiefel/Maier aaO Rn. 22; Bruck/Möller/Leverenz aaO Rn. 189).
Auf der Grundlage der bisherigen sachverständigen Feststellungen (hierzu nachfolgend unter 3.) ergibt sich eine Funktionsbeeinträchtigung des
Arms im Schultergelenk als körpernächstes Glied von 40%, mithin eine
Invaliditätsleistung von 28% (70% x 40%). Aus der von dem Sachverständigen für die Hand ermittelten Funktionsbeeinträchtigung von 80%
folgt eine Invaliditätsleistung von 44% (55% x 80%) als Untergrenze. Da
das Berufungsgericht bereits eine weitere Erhöhung auf 52,2% vorgenommen hat, kann der Kläger jedenfalls mit der Revision keine höhere
Invalidität beanspruchen.
- 14 -
21
2. Ohne Erfolg macht der Kläger ferner geltend, das Berufungsg ericht hätte ihm die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten auf
der Grundlage der geltend gemachten 2,0 Geschäftsgebühr gemäß
Nr. 2300 VV RVG zumindest anteilig zuerkennen müssen. Diesbezüglich
fehlt es an einer schlüssigen Darlegung der Verzugsvoraussetzung g emäß § 286 BGB. Der Kläger hat nicht dargelegt, wann er seinen Prozessbevollmächtigten zunächst mit der außergerichtlichen Vertretung
beauftragt und wann er Klagauftrag erteilt hat. Sollte der Kläger von A nfang an unbedingten Klagauftrag erteilt haben, so fallen auch die Täti gkeiten vor Erhebung der Klage allein unter die Verfahrensgebühr nach
Nr. 3100 VV RVG (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG).
22
3. Begründet ist dagegen die Anschlussrevision der Beklagten.
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a) Sie macht mit Recht geltend, das Berufungsgericht habe nicht
ohne weiteres von den vom Sachverständigen angesetzten Invaliditätswerten für das rechte Schultergelenk von 40% und der rechten Hand von
80% ausgehen dürfen. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bestanden konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkei t
der entscheidungserheblichen Feststellungen begründeten und deshalb
eine erneute Feststellung geboten. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit eines Sachverständigengutachtens können sich aus dem
Gutachten oder der Person des Gutachters ergeben, insbesondere wenn
das Gutachten in sich widersprüchlich oder unvollständig ist oder wenn
der Sachverständige erkennbar nicht sachkundig war (BGH, Urteile vom
15. Juli 2003 - VI ZR 361/02, NJW 2003, 3480 unter II 1 a; vom 8. Juni
2004 - VI ZR 230/03, BGHZ 159, 254, 259 f.).
- 15 -
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Hier sind die Feststellungen der Invaliditätswerte durch den Sac hverständigen bei einem Vergleich seines schriftlichen Gutachtens mit
den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung teilweise nicht nac hvollziehbar und in sich widersprüchlich. In seinem schriftlichen Gutachten
hatte der Sachverständige sich noch insgesamt allein am Armwert orie ntiert und diesen mit 11/20 bemessen, wobei er hierzu Teilwerte für die
Bewegungseinschränkung der Schulter mit 1/10-Armwert, der Ellenbogen- und Handgelenke mit 0/10-Armwert und der hochgradigen Störung
der Greiffunktion der rechten Hand mit 9/20-Armwert angegeben hatte.
Diese Systematik entspricht nicht der Gliedertaxe, da diese keine einheitliche Bewertung des Arms vorsieht, sondern auf die einzelnen Teilglieder abstellt. Hierauf ist der Sachverständige dann mit seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2010 eingegangen.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Sachverständige sein Gesamtergebnis nicht lediglich "aufgeschlüsselt". So hat der
Gutachter beispielsweise in seinem schriftlichen Gutachten die Beei nträchtigung der rechten Hand mit 9/20-Armwert angegeben, was bei einem Invaliditätswert von 70% einer Invaliditätsleistung für die Hand von
31,5% entspräche. In der mündlichen Anhörung hat er dagegen den reinen Handwert mit 80% bemessen, was bei einem Invaliditätswert von
55% einer Versicherungsleistung von 44% entspricht. Nachvollziehbar
erläutert wurde das nicht.
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Dasselbe gilt für die Funktionsbeeinträchtigung an der Schulter. Im
schriftlichen Gutachten ist der Sachverständige lediglich von einem
Armwert von 1/10 ausgegangen, was bei einem Invaliditätswert von 70%
einer Versicherungsleistung von 7% entspricht. In der mündlichen Anh örung hat der Sachverständige eine Funktionsbeeinträchtigung von 40%
zugrunde gelegt, was bei einem Invaliditätswert von 70% einer Invalid i-
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tätsleistung von 28% entspricht. Soweit er hierzu ausgeführt hat, dass er
nur die Funktion der Schulter betrachtet habe, so ist schon im schrif tlichen Gutachten bei dem 1/10-Armwert lediglich von einer Bewegungseinschränkung der Schulter die Rede. Erst recht bestehen nicht nachvollziehbare Unterschiede in der Gesamtbewertung der Invalidität, wenn
der Sachverständige im schriftlichen Gutachten einen Armwert von 11/20
zugrunde legt, was einer Versicherungsleistung von 38,5% entspricht .
Das ist mit den Angaben in der mündlichen Anhörung nicht in Überei nstimmung zu bringen, unabhängig davon, ob die Einzelwerte für die Tei lglieder addiert werden oder nur vom rumpfnächsten Teilglied ausgegangen wird.
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b) Unabhängig von diesen Unklarheiten im Gutachten des unfal lchirurgischen Sachverständigen hätte das Berufungsgericht in jedem Fall
ein neurologisches Zusatzgutachten einholen müssen. Der Schwerpunkt
der Verletzungen des Klägers liegt nicht auf unfallchirurgischem Gebiet,
sondern auf neurologischem. So heißt es bereits im fachchirurgischen
Gutachten des W.
H.
vom 29. Dezember 2003, er-
hebliche Unfallfolgen am Schultergelenk seien nicht aufgetreten. Die
festgestellten Bewegungsminderungen der Gelenkfunktionen der rechten
oberen Gliedmaße seien Folge des Nervenschadens, der mit seinen m otorischen und sensiblen Ausfallerscheinungen die Hauptunfallfolge da rstelle. Ob es noch zu einer Besserung komme, solle durch ein neurologisches Zusatzgutachten abgeklärt werden. Der von der … Versicherung
beauftragte Orthopäde hat in seinem Gutachten vom 30. Juni 2004 ausgeführt, er rate dringend zu einer Abschlussbegutachtung mit neurologischer Zusatzbegutachtung.
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Dem unfallchirurgischen Sachverständigen fehlen für den neurologischen Bereich die erforderlichen Fachkenntnisse. Er hat in seiner Anhörung erklärt, soweit er bezüglich der Hand noch von einer Restfunktion
ausgegangen sei, habe er dies den neurologischen Vorgutachten entnommen. Er habe kein neurologisches Zusatzgutachten für erforderlich
gehalten, weil er die vorausgehenden neurologischen Begutachtungen
nachvollziehbar gefunden habe und nach ärztlicher Erfahrung bei dieser
Art von Verletzungen in neurologischer Hinsicht nicht mehr mit einer wesentlichen Veränderung zu rechnen sei. Hierbei wird übersehen, dass die
neurologischen Gutachten keinesfalls eindeutig sind. So geht etwa die
den Kläger behandelnde Neurologin in ihrem Gutachten vom 14. November 2006 davon aus, bei dem Kläger liege eine globale Armplexusparese
rechts vor, die mit 1/1-Armwert zu bewerten sei. Die von der Beklagten
beauftragten Neurologen sind in ihren Gutachten zu Armwerten von 3/10
und 1/2 gekommen.
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Eine neurologische Zusatzbegutachtung ist daher unabdingbar.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann dies auch nicht mit
der Begründung übergangen werden, dass jeder Sachverständige eine
Beeinträchtigung auf seinem Fachgebiet feststelle, die als Mindestbeeinträchtigung anzusehen sei. Wenn daher eine zusätzliche neurologische
Begutachtung eine geringere Beeinträchtigung ergebe, könne dies die
Höhe der Entschädigung nicht reduzieren. Dieser Ansatz verkennt, dass
die Feststellung der Beeinträchtigungen des Klägers und des Invaliditätswerts für den Arm im Schultergelenk und die Hand im Handgelenk
nur durch eine fachübergreifende chirurgisch-neurologische Begutachtung möglich sind. Eine isolierte Begutachtung durch den Sachverständ igen einer Fachrichtung mit der Festsetzung eines Mindestwertes kommt
demgegenüber nicht in Betracht. Das gilt gerade auch im vorliegenden
- 18 -
Fall, in dem der Schwerpunkt der Unfallfolgen auf neurologischem und
nicht auf chirurgischem Gebiet liegt.
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c) Wird der Umfang der Invalidität des Klägers weiter aufzuklären
sein, so kommt es im derzeitigen Verfahrensstadium nicht darauf an, ob
- wie das Berufungsgericht angenommen hat - es zulässig war, den zugrunde zu legenden Invaliditätswert für die Hand im Handgelenk mit 44%
allein deshalb zu erhöhen, weil auch weitere Teile des Arms betroffen
waren, und deshalb eine Gesamtinvalidität von 15/20 anzunehmen.
Dr. Kessal-Wulf
Harsdorf-Gebhardt
Lehmann
Dr. Karczewski
Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 27.05.2010 - 3 O 7/07 OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 03.02.2011 - 3 U 160/10 -