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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 527/15
Verkündet am:
14. Dezember 2016
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Besondere Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung
(BB-BUZ) § 2 Abs. 1
1. Für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit bleibt auch dann die zuletzt in gesunden
Tagen ausgeübte Tätigkeit maßgebend, wenn der Versicherte nach dem erstmaligen Eintritt des Versicherungsfalles zunächst einer leidensbedingt eingeschränkten Tätigkeit nachging.
2. Bei Vereinbarung einer konkreten Verweisungsmöglichkeit begründet die Beendigung der Vergleichstätigkeit erneut eine Leistungspflicht des Versicherers, wenn
der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen unverändert außerstande ist, der in
gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit nachzugehen.
BGH, Urteil vom 14. Dezember 2016 - IV ZR 527/15 - OLG Schleswig
LG Kiel
ECLI:DE:BGH:2016:141216UIVZR527.15.0
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf -Gebhardt,
den Richter Lehmann und die Richterin Dr. Bußmann auf die mündliche
Verhandlung vom 14. Dezember 2016
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 5. November 2015 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Rentenversicherung
mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weiterhin
die mit der Zusatzversicherung versprochenen Leistungen zu erbringen.
2
Dem Versicherungsvertrag liegen Besondere Bedingungen für die
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (im Folgenden: BB-BUZ) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:
-3-
"§ 2 Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?
(1) Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der
Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder
Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, vorau ssichtlich mindestens drei Jahre außerstande sein wird,
seinen Beruf auszuüben und er auch keine andere Tätigkeit ausübt, die seiner bisherigen Lebensstellung
entspricht.
§ 6 Was gilt für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit?
(1) Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen de r
Berufsunfähigkeit und ihren Grad nachzuprüfen; … Dabei können wir erneut prüfen, ob der Versicherte eine
andere Tätigkeit im Sinne von § 2 ausübt, wobei auch
Tätigkeiten zu berücksichtigen sind, die der Versicherte
aufgrund neu erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten
ausübt.
(4) Ist die Berufsunfähigkeit weggefallen oder hat sich
ihr Grad auf weniger als 50% vermindert, können wir
unsere Leistungen einstellen. ..."
3
Der Kläger ist HNO-Arzt und war seit Januar 2000, zunächst in einer Gemeinschaftspraxis und ab Dezember 2002 in einer Einzelpraxis,
selbständig tätig. Ab dem Jahr 2000 kam es bei ihm zu einer kompletten
Arthrose des rechten Schultergelenks und dadurch bedingt zu Ei nschränkungen seiner beruflichen Tätigkeit. Seit 2005 führte der Kläger
bei seinen Patienten keine ambulanten chirurgischen Eingriffe in seiner
Praxis und Operationen in einem Belegkrankenhaus mehr durch. Er stel lte im Februar 2006 eine Assistenzärztin ein, die kleinere ambulante Eingriffe vornahm und weitere ärztliche Tätigkeiten ausübte, zu denen er
selbst aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr
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in der Lage war. Nachdem der Kläger im Jahre 2006 Leistungen aus der
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung beantragt hatte, erkannte die Beklagte ihre Leistungspflicht ab April 2006 an und erbrachte ab Mai 2006
die vertraglich vereinbarten Leistungen.
4
Mit Schreiben vom 15. August 2010 teilte der Kläger der Beklagten
mit, dass seine Praxis in ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ)
übergegangen und er seitdem bei dessen Trägerunternehmen angestellt
sei. Außerdem war er zum ärztlichen Leiter des MVZ bestellt worden. Die
Beklagte kündigte mit Schreiben vom 15. April 2011 an, ihre Leistungen
im Nachprüfungsverfahren zum 31. Mai 2011 einzustellen; bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liege nicht mehr vor, weil die vom Kläger seit
August 2010 ausgeübte Tätigkeit seine bisherige Lebensstellung wahre.
5
Seine Klage auf Versicherungsleistungen hat der Kläger f ür den
Zeitraum ab April 2013 zusätzlich darauf gestützt, dass seine Tätigkeit
im MVZ unstreitig aufgrund einer Aufhebungsvereinbarung zum 31. März
2013 geendet hat. Seit Mai 2013 ist der Kläger gegen ein monatliches
Honorar als Praxisvertreter in einer Gemeinschaftspraxis in H .
tä-
tig.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des
Klägers hat das Oberlandesgericht ihm - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - Rentenleistungen ab April 2013 bis längstens 30. November 2020 zuerkannt, die Beklagte zur Erstattung im Zei traum von April 2013 bis November 2015 gezahlter Beiträge verurteilt und
zudem festgestellt, dass der Kläger berufsunfähig im Sinne des Vers icherungsvertrages sei und ab Dezember 2015 keine Beiträge zu zahlen
-5-
habe. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wied erherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
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Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
8
I. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren
von Belang - angenommen, die konkrete Verweisungsmöglichkeit der
Beklagten sei durch die Beendigung der Tätigkeit des Klägers im MVZ
entfallen und es sei nunmehr nicht erneut Voraussetzung für einen A nspruch des Klägers, dass neue gesundheitliche Beeinträchtigungen ei ngetreten seien, die eine Berufsunfähigkeit nach § 2 Abs. 1 BB-BUZ begründeten. Denn aufgrund der Verweisung werde diese Tätigkeit nicht zu
derjenigen in gesunden Tagen. Es sei vielmehr immer noch auf die T ätigkeit vor Eintreten der Beschränkungen abzustellen, die zum Anerkenntnis der Beklagten geführt hätten; an dieses Anerkenntnis sei die
Beklagte weiterhin gebunden, weil das Ergebnis des Nachprüfungsve rfahrens gerade keine gesundheitliche Veränderung zum Besseren gewesen sei. Allein entscheidend für die Frage der Leistungspflicht der B eklagten sei damit, ob der Kläger immer noch eine Tätigkeit ausübe, die
seiner bisherigen Lebensstellung entspreche. Das sei für seine Tätigkeit
als Praxisvertreter zu verneinen.
9
Die Tatsache, dass die Beklagte nach § 6 Abs. 1 BB-BUZ berechtigt sei, die Anspruchsvoraussetzungen jederzeit zu Lasten des Versicherten zu überprüfen, führe dazu, dass nach Treu und Glauben auch
-6-
der Versicherte Nachprüfung verlangen könne, ob er immer noch eine
andere Tätigkeit ausübe, die seiner bisherigen Lebensstellung entspr eche. Ansonsten ginge das Risiko späterer nachteiliger Arbeitsplatzveränderungen ausschließlich zu Lasten des Versicherten. Selbst wenn der
Kläger seine Tätigkeit beim MVZ aufgrund eines persönlichen Zerwür fnisses beendet habe, handele es sich dabei um ein übliches Arbeit splatzrisiko, das sich bei Tätigkeiten im Angestelltenverhältnis jederzeit
verwirklichen könne.
10
II. Das hält rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand.
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1. Die Revision ist zulässig, insbesondere gemäß § 543 Abs. 1
Nr. 1 ZPO aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht auch insoweit statthaft, als sich die Beklagte mit ihr gegen die getroffene Feststellung der Berufsunfähigkeit des Klägers wendet. Entgegen der Auffa ssung der Revisionserwiderung ist diese Feststellung nicht von der Zula ssung ausgenommen.
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Ausweislich des Urteilstenors hat das Berufungsgericht die Revis ion für den Zeitraum ab April 2013 zugelassen und damit die Zulassung
des Rechtsmittels auf den Gegenstand der Verurteilung der Beklagten
beschränken wollen. Eine darüber hinausgehende Beschränkung der Zulassung lässt sich den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht
entnehmen. Das Berufungsgericht hat die Frage für grundsätzlich kl ärungsbedürftig gehalten, ob bei einer konkreten Verweisungsmöglichkeit
die Vergleichstätigkeit oder aber der "in gesunden Tagen" ausgeübte Beruf Anknüpfungspunkt für die Berufsunfähigkeit sei, wenn die Vergleichs tätigkeit wieder beendet werde.
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Mit ihrer Annahme, die zur Begründung der Zulassungsentscheidung aufgeworfene Frage lasse sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von der Frage der Berufsunfähigkeit des Klägers b eantworten, berücksichtigt die Revisionserwiderung die Voraussetzungen
des Begriffs bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht ausreichend.
Kann der Versicherte seinen bisherigen Beruf aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr ausüben, steht bedingungsgemäße Berufsunfähi gkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 BB-BUZ und damit der Eintritt des Versicherungsfalles noch nicht fest; es muss vielmehr hinzukommen, dass der
Versicherte auch keine andere Tätigkeit ausübt, die seiner bisherigen
Lebensstellung entspricht. "Berufsunfähigkeit" in der von der Beklagten
ihren Bedingungen zugrunde gelegten Definition ist demgemäß ein e igenständiger juristischer Begriff, der eine Kombination aus rechtlic hen
und medizinischen Aspekten enthält (vgl. Senatsurteile vom 27. September 1995 - IV ZR 319/94, VersR 1995, 1431 unter 2 a [juris Rn. 13]; vom
30. September 1992 - IV ZR 227/91, BGHZ 119, 263 unter II 1, 2 [juris
Rn. 11 f.]; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. A Rn. 76,
79) und die Frage der Verweisbarkeit des Versicherten auf eine Ve rgleichstätigkeit einschließt.
14
2. Die Revision ist indessen unbegründet.
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a) Entgegen der Rüge der Revision hat das Berufungsgericht die
Feststellungsklage zutreffend auch insoweit als zulässig behandelt, als
der Kläger mit ihr seine Berufsunfähigkeit festgestellt wissen möchte.
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Zwar ist es richtig, dass es sich bei der Frage bedingungsgemäßer
Berufsunfähigkeit für sich genommen um kein feststellungsfähiges
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Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO (vgl. dazu Senatsurteil
vom 5. März 2014 - IV ZR 102/13, juris Rn. 15 m.w.N.) handelt. Klageanträge sind jedoch als Prozesserklärungen auszulegen. Für diese Ausl egung, die der erkennende Senat als Revisionsgericht selbst vornehmen
kann, ist - ebenso wie bei materiell-rechtlichen Willenserklärungen - nicht
allein der Wortlaut der Erklärung maßgebend. Entscheidend ist vielmehr
der erklärte Wille, wie er auch aus Begleitumständen und nicht zuletzt
der Interessenlage hervorgehen kann. Im Zweifel gilt, was nach den
Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen
Interessenlage entspricht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. April 2016
- VI ZB 63/14, NJW-RR 2016, 759 Rn. 11; Urteile vom 7. April 2016
- IX ZR 216/14, WM 2016, 982 Rn. 11; vom 16. September 2008 - VI ZR
244/07, VersR 2009, 121 Rn. 11 m.w.N.; st. Rspr.).
17
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs entsprach es dem Int eresse des Klägers, die Feststellung seiner Befreiung von der Beitr agspflicht für Haupt- und Zusatzversicherung zu erreichen. Hierbei ging er
davon aus, dass das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit
- was zutrifft - eine notwendige rechtliche Vorfrage für diesen Anspruch
ist. Auch sein Wille war erkennbar lediglich auf Feststellung der Beitragsbefreiung gerichtet. Dass er die Berufsunfähigkeit nur als Begrü ndungselement des Anspruchs auf Beitragsbefreiung ansieht, macht b ereits die Zusammenfassung beider Fragen in einem einheitlichen Klag eantrag deutlich.
18
b) Zu Recht rügt die Revision hingegen die Annahme des Berufungsgerichts als unzutreffend, die Beklagte sei ungeachtet ihrer im
Nachprüfungsverfahren erfolgten Änderungsmitteilung wieder an das im
Rahmen der Erstfeststellung der Berufsunfähigkeit des Klägers erfolgte
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Anerkenntnis gebunden, weil die Leistungseinstellung nicht wegen einer
Verbesserung des Gesundheitszustands des Klägers erfolgt sei.
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aa) Durch die wirksame Änderungsmitteilung der Beklagten end eten vielmehr ihre Leistungspflicht im konkreten Versicherungsfall und die
Bindung an ihr abgegebenes Anerkenntnis.
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Der Versicherer kann im Wege des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 6 BB-BUZ von der durch sein Anerkenntnis geschaffenen Selbstbindung abrücken (vgl. Senatsurteil vom 30. März 2011 - IV ZR 269/08,
NJW 2011, 1736 Rn. 13) und seine bereits anerkannte Leistungspflicht
wieder beseitigen (Senatsurteile vom 28. April 1999 - IV ZR 123/98,
VersR 1999, 958 unter II 1 a [juris Rn. 9]; vom 17. Februar 1993 - IV ZR
206/91, BGHZ 121, 284 unter III [juris Rn. 39]). Damit ist der gedehnte
Versicherungsfall (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Juni 2010 - IV ZR
226/07, BGHZ 186, 171 Rn. 21) beendet (so auch HK-VVG/Mertens,
3. Aufl. § 6 BB-BUZ Rn. 5).
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bb) Aus der Beseitigung
der Selbstbindung des Versicherers im
Wege des Nachprüfungsverfahrens folgt, dass die frühere Leistung spflicht des Versicherers mit der Beendigung der Vergleichstätigkeit nicht
wieder auflebt, der Versicherte vielmehr - will er wiederum Leistungen
erhalten - einen neuen Leistungsantrag stellen muss (so auch Neuhaus,
Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. H Rn. 169). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich nicht aus dem Grundsatz von
Treu und Glauben, dass der Versicherte angesichts des jederzeitigen
bedingungsgemäßen Nachprüfungsrechts des Versicherers im Falle einer konkreten Verweisung seinerseits Nachprüfung verlangen kann, ob
er immer noch eine andere Tätigkeit ausübt, die seiner bisherigen L e-
- 10 -
bensstellung entspricht. Ein derartiges eigenes Nachprüfungsrecht des
Versicherten findet im Wortlaut der Bedingungen keine Stütze; es ist
auch unter Symmetriegesichtspunkten weder mit Blick auf das bei Ve rtragsschluss abgegebene Leistungsversprechen des Versicherers noch
den Zweck der Berufsunfähigkeitsversicherung geboten. Ein eigenes
Nachprüfungsrecht des Versicherten ist zudem auch nicht erforderlich.
Ihm ist es unbenommen, jederzeit erneut Leistungen zu beantragen,
während sich der Versicherer von seinem Leistungsanerkenntnis nur u nter den erschwerten Voraussetzungen des Nachprüfungsverfahrens lösen kann.
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c) Gleichwohl bleibt die Revision ohne Erfolg. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nämlich, dass beim Kläger ab April
2013 die Voraussetzungen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit im
Sinne von § 2 Abs. 1 BB-BUZ erneut vorliegen. Der versicherte Beruf
des Klägers war auch zum Zeitpunkt dieses neuen Versicherungsfalles
die Tätigkeit eines selbständigen HNO-Arztes, wie er ihn ausübte, bevor
er aufgrund der Arthrose des rechten Schultergelenks seine är ztliche Tätigkeit einschränken musste und insbesondere keine Operationen mehr
durchführte. Dass der Kläger diese Tätigkeit auch ab April 2013 gesun dheitlich weiterhin nicht ausüben kann, hat die Beklagte nicht bestritten.
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aa) Anders als die Revision meint, beruht die angefochtene Entscheidung nicht auf einem unzutreffenden Verständnis des in der B erufsunfähigkeits-Zusatzversicherung versicherten Berufs. Nach ständiger
Rechtsprechung des Senats ist für die Prüfung, ob bedingungsgemäße
Berufsunfähigkeit eingetreten ist, grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung maßgebend, so wie sie "in gesunden Tagen" ausgestaltet
war, d.h. solange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht ei n-
- 11 -
geschränkt war (Senatsurteile vom 24. Februar 2010 - IV ZR 119/09,
VersR 2010, 619 Rn. 11; vom 26. Februar 2003 - IV ZR 238/01, VersR
2003, 631 unter II 1 [juris Rn. 9]; vom 12. Januar 2000 - IV ZR 85/99,
VersR 2000, 349 unter 2 a [juris Rn. 10]; vom 22. September 1993
- IV ZR 203/92, VersR 1993, 1470 unter 3 [juris Rn. 21]; vgl. nunmehr
auch § 172 Abs. 2 VVG, der die frühere Rspr. umgesetzt hat, so Terno,
r+s 2008, 361; Klenk in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 172
Rn. 8). Dies gilt für Versicherungsbedingungen wie den vorliegenden § 2
Abs. 1 BB-BUZ, nach denen der Versicherte außerstande sein muss,
"seinen Beruf" auszuüben. Entgegen der Auffassung der Revision bedarf
es keiner Vereinbarung einer sogenannten Tätigkeitsklausel, um den
versicherten Beruf in dieser Weise zu bestimmen. Eine solche hätte
vielmehr die Funktion, ein im Versicherungsschein genanntes allgeme ines Berufsbild anstelle der konkreten, in gesunden Tagen zuletzt ausg eübten Tätigkeit zum versicherten Beruf zu machen, so dass Berufsunf ähigkeit erst dann einträte, wenn dem Versicherten das gesamte al lgemeine Berufsbild verschlossen wäre (vgl. Gebert/Steinbeck in Veith/
Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess 3. Aufl. § 9 Rn. 49; Rixecker in
Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl.
§ 46 Rn. 59; OLG Köln, r + s 1995, 436, 437).
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bb) Die aufgrund der Arthrose des rechten Schultergelenks eing eschränkte ärztliche Tätigkeit, die der Kläger zunächst in seiner HNO -Praxis und anschließend als Angestellter im MVZ ausübte, wurde nicht zum
versicherten Beruf des Klägers im Sinne von § 2 Abs. 1 BB-BUZ. War ein
Berufswechsel vor Eintritt des Versicherungsfalles ausschließlich le idensbedingt, bleibt Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunf ähigkeit der vor diesem Wechsel ausgeübte Beruf (vgl. Senatsurteil vom
30. November 1994 - IV ZR 300/93, VersR 1995, 159 unter 3 b [juris
- 12 -
Rn. 20]; Lücke in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 172 Rn. 53; Höra in Te rbille/Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 3. Aufl. § 26
Rn. 36; im Grundsatz ebenso, aber mit - insbesondere zeitlichen - Grenzen: Klenk in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 172 Rn. 8; Ne uhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. F Rn. 79; vgl. auch Benkel/
Hirschberg, Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung 2. Aufl. § 2
BUZ 2008 Rn. 49; MünchKomm-VVG/Dörner, 2. Aufl. § 172 Rn. 68 f.;
HK-VVG/Mertens, 3. Aufl. § 172 Rn. 22; Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 46 Rn. 16 ff.;
OLG Saarbrücken VersR 2014, 1114). Dies gilt auch dann, wenn der
Versicherte nach dem erstmaligen Eintritt des Versicherungsfalles zunächst weiterhin eine leidensbedingt eingeschränkte Tätigkeit ausgeübt
hat und nach Beendigung dieser Tätigkeit erneut Versicherungsansprüche geltend macht. Dies ergibt die Auslegung von § 2 Abs. 1 BB -BUZ.
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(1) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie
ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer
sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht (Senat surteil vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; st. Rspr.).
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(2) Dabei wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem
Wortlaut der Klausel entnehmen, dass bedingungsgemäße Berufsunf ähigkeit eintritt, wenn er "infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräft everfalls" zur Ausübung seines Berufs außerstande ist. Die leidensbedin gte Einschränkung seiner beruflichen Fähigkeiten begrün det danach gerade den Versicherungsfall, gegen den er sich mit der Berufsunfähi gkeitsversicherung nach deren erkennbarem Zweck absichern will. Die
Feststellung einer solchen Einschränkung bedarf jedoch eines Ve r-
- 13 -
gleichsmaßstabs, unter dem der Versicherungsnehmer nur seine berufliche Leistungsfähigkeit in gesunden Tagen verstehen kann. Der bedi ngungsgemäß festgelegte Grad von Berufsunfähigkeit, der erst einen A nspruch auf die zugesagten Leistungen gibt, orientiert sich nicht an einem
fortlaufend absinkenden Leistungsniveau des Versicherten als Vergleichsmaßstab (vgl. Senatsurteil vom 22. September 1993 - IV ZR
203/92, VersR 1993, 1470 unter 3 [juris Rn. 20]). Dies muss daher auch
die Definition seines versicherten Berufes bestimmen. Andernfalls set zten zukünftige Versicherungsansprüche eine immer weiter fortschreite nde Verschlechterung seines Gesundheitszustands voraus. Der Versich erungsnehmer kann aber § 2 Abs. 1 BB-BUZ nicht entnehmen, dass ein
während der Versicherungsdauer verschlechterter gesundheitlicher Zustand dann, wenn er bereits einmal den Versicherungsfall ausgelöst hat,
für die restliche Laufzeit der Versicherung zum neuen Normalzustand
werden soll, an dem künftig der Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunf ähigkeit zu messen wäre. Bei einem anderen Klauselverständnis würde
der versprochene und durch unverminderte Beiträge erworbene Vers icherungsschutz während der Versicherungsdauer zunehmend entwertet
(vgl. Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, VersicherungsrechtsHandbuch 3. Aufl. § 46 Rn. 17; Höra in Terbille/Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 3. Aufl. § 26 Rn. 36).
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(3) Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist weder aus
§ 2 Abs. 1 BB-BUZ noch aus den Versicherungsbedingungen im Übrigen
erkennbar, dass dieser Versicherungsschutz für seinen Beruf aus gesunden Tagen einer zeitlichen Grenze unterliegen könnte. Eine solche
einschränkende Regelung fehlt in den Klauseln. Der Versicherungsne hmer kann daher bei verständiger Würdigung den Versicherungsbedi ngungen nicht entnehmen, ab wann eine gesundheitlich verminderte Leis-
- 14 -
tungsfähigkeit und eine daran angepasste Berufstätigkeit im Weiteren
zum versicherten Normalzustand werden könnte, weshalb zeitliche
Grenzen nicht konstruiert werden können (entgegen Neuhaus, Berufsu nfähigkeitsversicherung 3. Aufl. F Rn. 79 (drei Jahre); Benkel/Hirschberg,
Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung 2. Aufl. § 2 BUZ 2008
Rn. 49 (fünf Jahre)).
28
cc) Es steht der Annahme bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit
nicht entgegen, dass der Kläger nach Beendigung des ersten Versicherungsfalles und vor dem erneuten Leistungsantrag eine inzwischen b eendete Tätigkeit im MVZ ausgeübt hat, auf die ihn die Beklagte wirksam
verwiesen hat. Bei Vereinbarung einer konkreten Verweisungsmöglic hkeit begründet die Beendigung der Vergleichstätigkeit erneut eine Leistungspflicht des Versicherers, wenn der Versicherte aus gesundheitl ichen Gründen unverändert außerstande ist, der "in gesunden Tagen"
ausgeübten Tätigkeit nachzugehen.
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Der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnimmt dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 BB-BUZ, dass bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit
eintritt, wenn er zur Ausübung seines Berufs außerstande ist und auch
keine andere Tätigkeit "ausübt", die seiner bisherigen Lebensstellung
entspricht. Damit verdeutlicht ihm der Versicherer, dass eine Verweisung
auf Tätigkeiten, die er zwar ausüben könnte, aber nicht ausübt, ausg eschlossen sein soll. Indem nur auf die tatsächliche Ausübung einer and eren Tätigkeit abgestellt wird, soll der Versicherungsnehmer zugleich der
Beweispflicht dafür enthoben werden, aus gesundheitlichen Gründen
keine Vergleichstätigkeit ausüben zu können. Während bei Vereinbarung
einer abstrakten Verweisungsmöglichkeit Berufsunfähigkeit nur dann ei ntritt, wenn der Versicherte zur Ausübung eines Vergleichsberufs aus
- 15 -
ausschließlich gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist (vgl.
Senatsurteil vom 7. Februar 2007 - IV ZR 232/03, VersR 2007, 631
Rn. 12), sind solche erhöhten Voraussetzungen für den Eintritt des Ve rsicherungsfalles aus dem W ortlaut der vorliegenden Klausel nicht ersichtlich. Für den Versicherungsnehmer ist nicht erkennbar, dass - bei
unverändertem Gesundheitszustand - die zeitweilige Ausübung einer
Vergleichstätigkeit auch über deren Beendigung hinaus für die Zukunft
zum Verlust des Versicherungsschutzes in seinem versicherten Beruf
führt. Es trifft daher nicht zu, dass sich bei Beendigung einer konkreten
Verweisungstätigkeit aus anderen als gesundheitlichen Gründen das
versicherte Risiko nicht realisiert habe (entgegen Rixecker in Beckmann/
Matusche-Beckmann,
Versicherungsrechts-Handbuch
3.
Aufl.
§
46
Rn. 142; MünchKomm-VVG/Dörner, 2. Aufl. § 172 Rn. 178). Auf die
Gründe des Klägers für die Beendigung seiner zwischenzeitlich ausgeü bten Vergleichstätigkeit kommt es somit nicht an.
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dd) Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass die Beklagte den Kläger - ausgehend von seinem Ausgangsberuf - nicht auf seine seit Mai 2013 ausgeübte Tätigkeit als Praxisvertreter verweisen kann. Die Festellung des Berufungsgerichts, diese
Tätigkeit sei mit seiner Tätigkeit als niedergelassener HNO -Arzt hinsichtlich der bisherigen Lebensstellung nicht vergleichbar, ist revisionsrech tlich nicht zu beanstanden. Hierbei kommt es - anders als die Revision
meint - nicht allein auf einen Einkommensverlust und die Vergleichba rkeit der Arbeitsbedingungen, sondern auch auf die Wahrung des sozialen Status des Versicherten an. Insoweit ist es aus Rechtsgründen nicht
zu beanstanden dass das Berufungsgericht davon ausgeht, einer Tätig-
- 16 -
keit als Praxisvertreter komme nicht die gleiche soziale Wertschätzung
wie jener eines niedergelassenen Facharztes mit eigener Praxis zu.
Mayen
Felsch
Lehmann
Harsdorf -Gebhardt
Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
LG Kiel, Entscheidung vom 28.05.2014 - 17 O 169/13 OLG Schleswig, Entscheidung vom 05.11.2015 - 16 U 84/14 -