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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 343/15
Verkündet am:
1. Juni 2016
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:010616UIVZR343.15.0
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller auf die
mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung
des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 9. Juni
2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als sie
zur Zahlung von mehr als 1.632,49 € nebst Zinsen verurteilt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
2.519,52 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer, im Folgenden: d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden: Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen L ebensversicherung nebst Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.
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Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsb eginn zum 1. Januar 1996 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden : § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
erhielt d. VN vor Vertragsschluss nicht die Verbraucherinformation nach
§ 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG).
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D. VN zahlte Versicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt
4.823,74 €, wie in der Revisionsverhandlung unstreitig gestellt worden
ist. Im Juli 2004 kündigte d. VN den Vertrag. Der Versicherer zahlte den
Rückkaufswert von 2.667,30 € sowie eine Überschussbeteiligung von
36,30 €
und
Verzugszinsen
von
9,21 €
aus.
Mit
Schreiben
vom
3. Dezember 2012 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.
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Mit der Klage hat d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkauf swerts, insgesamt 6.709,05 € verlangt.
5
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Er sei niemals über sein Widerspruchsrecht belehrt
worden. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht
hat ihr auf die Berufung des Klägers unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels in Höhe von 2.519,52 € nebst Zinsen stattgegeben. Insoweit verfolgt der Versicherer mit der Revision seinen Antrag auf
Zurückweisung der Berufung weiter.
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Entscheidungsgründe:
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Die Revision hat teilweise Erfolg.
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I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat d. VN aus ungerechtfertigter Bereicherung Anspruch auf weitere Rückzahlung von Be iträgen und aus diesen gezogenen Nutzungen. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag sei durch den - nicht verfristeten - Widerspruch d. VN unwirksam geworden. Nach den Feststellungen
des Landgerichts habe d. VN die Verbraucherinformation vor Vertrag sschluss nicht erhalten. Der Vertrag habe daher nur im Policenmodell z ustande kommen können. Über das hiernach bestehende Widerspruch srecht habe der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß belehrt. Bei der
Belehrung im Antragsformular fehle der notwendige Hinweis darauf, dass
der Widerspruch schriftlich erfolgen müsse. Das Widerspruchsrecht habe
auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. und
noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fortbestanden.
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D. VN habe sein Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Ein
schutzwürdiges Vertrauen könne der Versicherer schon deshalb nicht in
Anspruch nehmen, weil er d. VN keine ordnungsgemäße Widersp ruchsbelehrung erteilt habe. Aus demselben Grund liege in der Geltendm achung des Bereicherungsanspruchs keine widersprüchliche Rechtsau sübung.
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Im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung müsse
sich d. VN den Versicherungsschutz anrechnen lassen, den er bis zur
Kündigung des Vertrages genossen habe. Die Parteien hätten den Wert
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des Risikoschutzes von 300 € unstreitig gestellt. Die dem Versicherer
nach seinem Vortrag entstandenen Abschluss- und Verwaltungskosten
müsse sich d. VN im Rahmen der gebotenen Saldierung nicht entgege nhalten lassen.
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Die von dem Versicherer aus den Beiträgen gezogenen und he rauszugebenden Nutzungen seien auf 370 € für die Zeit bis zur Beendigung der Beitragszahlungen durch d. VN und auf weitere 360 € für die
nachfolgende Zeit zu schätzen. Bei der Schätzung der Höhe der Nutzungen sei die durchschnittliche Nettoverzinsung der Kapitalanlagen der
deutschen Lebensversicherer zugrunde zu legen. D. VN könne die Herausgabe von Nutzungen nicht beanspruchen, soweit der Versicherer die
vereinbarten Beiträge in einen Fonds investiert habe. Der Versicherer
habe den Sparanteil der Beiträge mit 2.997,34 € angegeben und den
Wert der Fondsanteile am Tag der Kündigung mit 2.826,66 € beziffert.
Hiernach seien Nutzungen aus dem Sparanteil nicht gezogen worden.
Diesem Vorbringen sei d. VN nicht hinreichend konkret entgegen getreten. Der Versicherer habe auch keine Nutzungen aus denjenigen Beitr ägen ziehen können, die er für die Verwaltung des Lebensversicherung svertrages und für Abschlusskosten habe aufwenden müssen.
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II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen
Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
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1. Die Revision ist insgesamt zulässig. Das Berufungsgericht hat
sie entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht nur b eschränkt auf die Höhe der gegen den Versicherer bestehenden Zahlungsansprüche d. VN zugelassen. Eine Beschränkung der Revisionszu-
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lassung auf die Anspruchshöhe lässt sich dem Berufungsurteil nicht en tnehmen. Ausweislich seines Tenors wurde die Revision uneingeschränkt
zugelassen. In den Gründen heißt es, die Zulassung der Revision erfolge
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Über die Frage, wie
der bereicherungsrechtliche Anspruch nach Widerspruch gemäß § 5a
VVG a.F. zu berechnen sei, würden in der Rechtsprechung unterschie dliche Auffassungen vertreten; insbesondere sei umstritten, ob die bekla gten Versicherungsunternehmen in derartigen Fällen die Rückzahlung der
Beiträge auch insoweit verweigern könnten, als sie diese für Abschluss und Verwaltungskosten verbraucht hätten. Daraus lässt sich eine Beschränkung der Zulassung nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit ersehen.
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2. Die Revision ist teilweise begründet.
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a) Sie wendet sich allerdings ohne Erfolg dagegen, dass d as Berufungsgericht d. VN dem Grunde nach einen Anspruch auf Erstattung der
gezahlten Prämien aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zuerkannt hat.
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aa) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen.
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(1) Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a
Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
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(a) Die Widerspruchsfrist gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. wurde nicht in Gang gesetzt. Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass
der Vertrag im Wege des Policenmodells abgeschlossen wurde, nimmt
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die Revision hin. Sie räumt außerdem ein, dass der Versicherer d. VN
bei Übersendung des Versicherungsscheins nicht im Sinne von § 5a
Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht belehrte. Auf die
Belehrung im Antragsformular kommt es entgegen der Ansicht des Ber ufungsgerichts nicht an.
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(b) Anders als die Revision meint, war eine ordnungsgemäße B elehrung über das Widerspruchsrecht hier auch nicht ausnahms weise
deshalb entbehrlich, weil d. VN bei seinem Antrag auf Abschluss des
Versicherungsvertrages durch einen Versicherungsmakler beraten wo rden ist. Eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung war nach § 5a
Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. gesetzlich vorgeschrieben. Darauf, ob d. VN im
Einzelfall trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung von seinem Wide rspruchsrecht gleichwohl zutreffend Kenntnis hatte, kommt es nicht an.
Die Frage der Ordnungsgemäßheit der Belehrung ist abstrakt zu beurte ilen (Senatsbeschluss vom 27. Januar 2016 - IV ZR 130/15, juris Rn. 15).
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(2) Das Widerspruchsrecht bestand nach Ablauf der Jahresfrist
des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des
§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., wie der Senat mit Urteil vom 7. Mai 2014
(IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen
begründet hat.
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bb) Entgegen der Auffassung der Revision hat d. VN das Recht
zum Widerspruch nicht verwirkt. Es fehlt hier jedenf alls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der Versicherer schon de shalb nicht in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt
hat, indem er d. VN keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung e r-
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teilte (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 39 m.w.N.). Aus diesem
Grund widerspricht die Ausübung des Widerspruchsrechts in Ermang elung über die reine Prämienzahlung hinausgehender, besonders gravierender Umstände auch nicht Treu und Glauben.
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b) Die Angriffe der Revision gegen die Bemessung des Bereicherungsanspruchs sind zum Teil berechtigt.
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aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass
der Rückgewähranspruch der Höhe nach nicht uneingeschränkt alle g ezahlten Prämien umfasst. Es hat d. VN bei der bereiche rungsrechtlichen
Rückabwicklung den jedenfalls faktisch bis zur Kündigung genossenen
Versicherungsschutz angerechnet. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.). Ausgehend
davon hat das Berufungsgericht den Wertersatz entsprechend dem von
den Parteien unstreitig gestellten Risikoanteil mit 300 € bemessen.
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bb) Zu Recht hat es auch den bereits an d. VN ausgekehrten
Rückkaufswert von 2.667,30 € und die mit ihm ausgezahlte Überschussbeteiligung von 36,30 € nebst Verzugszinsen von 9,21 € in Abzug gebracht. Eine Überschussbeteiligung steht zwar grundsätzlich d. VN zu.
Dies setzt aber einen wirksamen Vertrag voraus, der hier - infolge des
vom VN erklärten Widerspruchs - nicht zustande gekommen ist. Dies gilt
auch, soweit der Versicherer d. VN im Zusammenhang mit der Ausza hlung des Rückkaufswerts Verzugszinsen in Höhe von 9,21 € gutgeschrieben hat.
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cc) In Abzug zu bringen sind weiterhin die Fondsverluste (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33
Rn. 35 ff.), die d. VN aus der Fondsanlage in Höhe von 178,44 € unstreitig erlitten hat.
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dd) Der von dem Versicherer erhobene Einwand der Entreicherung
gemäß § 818 Abs. 3 BGB greift nicht hinsichtlich der von ihm in Abzug
gebrachten Abschluss- und Verwaltungskosten durch. Insoweit kann sich
der Versicherer nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Di es hat
der Senat in den Urteilen vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14, VersR 2015,
1101 Rn. 41 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 46 ff.), die vergleichbare Sachverhalte betrafen, entschieden und im Einzelnen b egründet. Soweit die Revision darauf verweist, der Versicherer habe Verwaltungskosten in Höhe von 56,60 € vorgetragen, die spezifisch für den
Abschluss des Vertrages angefallen seien, verkennt sie, dass solche A bschlusskosten nicht als "vertragsspezifische Verwaltungskosten" in A bzug gebracht werden können.
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ee) Der d. VN jedenfalls noch zustehende Anspruch berechnet sich
demnach wie folgt:
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4.823,74 €
300,00 €
2.712,81 €
178,44 €
1.632,49 €
eingezahlte Prämien
Wert Risikoschutz
Auszahlung
Fondsverluste
c) Für die Nutzungen, die das Berufungsgericht d. VN zuerkannt
hat, fehlt es an ausreichendem Vortrag d. VN.
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Nach § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB sind nur die Nutzungen herauszugeben, die vom Bereicherungsschuldner tatsächlich gezogen wurden ( Senatsurteile vom 11. November 2015 aaO Rn. 41; vom 29. Juli 2015 - IV
ZR 384/14 aaO Rn. 46; IV ZR 448/14 aaO Rn. 51; jeweils m.w.N.). Zudem können bei der Bestimmung der gezogenen Nutzungen die gezah lten Prämien nicht in voller Höhe Berücksichtigung finden (Senatsurteil
vom 11. November 2015 aaO Rn. 41 ff.). Nutzungen aus dem Risikoanteil, der dem Versicherer als Wertersatz für den von d. VN faktisch g enossenen Versicherungsschutz verbleibt, stehen d. VN nicht zu (vgl. S enatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 42). Weiterhin hat der Versicherer mit der Anlage des Sparanteils in Fonds keinen Gewinn erzielt,
der d. VN bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung als tatsächlich
gezogene Nutzung zusteht (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015
aaO Rn. 51 f.).
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Der auf die Abschlusskosten entfallende Prämienanteil bleibt für
Nutzungsersatzansprüche außer Betracht. Mangels abweichender A nhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Versicherer diesen Präm ienanteil nicht zur Kapitalanlage nutzen konnte (vgl. Senatsurteil vom
11. November 2015 aaO Rn. 44 f.). Hinsichtlich des Verwaltungskostenanteils der Prämien kann nicht vermutet werden, dass der Versicherer
Nutzungszinsen in bestimmter Höhe erzielt hat. Der insoweit darl egungsbelastete VN kann sich nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinne rzielung in bestimmter Höhe - etwa in Höhe des hier von d. VN zunächst
verlangten Zinssatzes von 7,0546% oder in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz - stützen (vgl.
Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 46 ff.). Für die vom Berufungsgericht vorgenommene Schätzung fehlt es an einer auf die Ertrag s-
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lage des beklagten Versicherers bezogenen Grundlage. Da allerdings
d. VN angesichts der vom Berufungsgericht erteilten Hinweise keinen
Anlass zu weitergehendem Vortrag hatte, ist das Berufungsurteil hi nsichtlich der zuerkannten Nutzungen aufzuheben. Nach Zurückverwe isung wird das Berufungsgericht den Parteien Gelegenheit zur ergänze nden Stellungnahme zu geben haben.
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Lehmann
Dr. Karczewski
Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 28.06.2013 - 10 O 112/13 OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 09.06.2015 - 12 U 106/13 (14) -