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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 306/14
Verkündet am:
7. September 2016
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:070916UIVZR306.14.0
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitze nde
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
15. August 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. Juli
2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf
7.285 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc kzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung.
2
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. November 1998 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
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a.F.) abgeschlossen. D. VN erhielt mit dem Versicherungsschein die
Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a
des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) sowie ein Anschreiben, das
eine Belehrung über das Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1
VVG a.F. enthielt. Mit Schreiben vom 13. Januar 2012 erklärte sie den
Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. und hilfsweise die Kündigung des
Vertrages. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den
Rückkaufswert aus.
3
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag g eleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.
4
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil sie zum einen nicht ordnungsgemäß belehrt
worden sei und zum anderen § 5a VVG a.F. mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.
5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ve rfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
6
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z urückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
-4-
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe d. VN inhaltlich noch hinreichend deutlich über das Widerspruchsrecht belehrt. Die
Belehrung sei auch drucktechnisch ordnungsgemäß. D. VN hätte daher
das Widerspruchsrecht innerhalb von 14 Tagen nach Zugang der Unte rlagen ausüben müssen. § 5a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VVG
a.F. stehe im Einklang mit europäischem Recht.
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II. Die Revision ist begründet.
9
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen
Begründung versagt werden.
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a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide rspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
11
aa) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1
VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in
dem maßgeblichen Policenbegleitschreiben genügt diesen inhaltlichen
Anforderungen nicht, weil sie den Fristbeginn nur an die "Überlassung
der Unterlagen" knüpft. Es fehlt eine eindeutige Benennung der nach
§ 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. fristauslösenden Unterlagen. Danach beginnt der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Vers i-
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cherungsschein und die Unterlagen nach § 5a Abs. 1 VVG a.F. vollständig vorliegen; zu diesen Unterlagen gehören die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation nach § 10a VAG. Diese werden
nicht benannt und entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergibt
sich für d. VN auch nicht unter Einbeziehung des Gesamtinhaltes des
Policenbegleitschreibens, welche Unterlagen ihm überlassen worden
sein müssen, damit die Widerspruchsfrist in Gang gesetzt wird. Denn
auch dort werden sie nirgends aufgeführt. Insoweit unterscheidet sich
der Streitfall von den Konstellationen, die den Entscheidungen in den
Verfahren IV ZR 16/14 und IV ZR 558/15 zugrunde lagen.
12
Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsmäßen Widerspruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch
im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
13
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G erichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Drit ten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e rfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Wi-
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derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
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bb) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht
dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
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b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e ine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
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2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic klung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
17
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve rweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei
auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14,
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VersR 2015, 1101 Rn. 35 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 34 ff.)
sowie vom 11. November 2015 (IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 31 ff.)
zu beachten haben.
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Lehmann
Dr. Karczewski
Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 19.03.2014 - 26 O 64/13 OLG Köln, Entscheidung vom 11.07.2014 - 20 U 61/14 -