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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet am:
10. November 2004
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
IV ZR 298/02
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter
Seiffert, Dr. Schlichting, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den
Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2004
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 22. Juli 2002 wird
auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine höhere Zusatzrente
mit Wirkung ab 1. Mai 2000.
Sie ist 1939 geboren und war vom 1. August 1962 bis zum
21. August 1991 im öffentlichen Schuldienst zunächst der DDR beschäftigt; danach war sie an der Hotelfachschule B.
tätig. Bei der Beklag-
ten wurde sie zum 22. August 1991 zur Versicherung angemeldet. Seit
1. Mai 2000 bezieht die Klägerin eine Zusatzversorgungsrente von der
Beklagten. Nach § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa ihrer
Satzung (im folgenden: VBLS) in der für die Berechnung der Rentenhöhe
der Klägerin maßgebenden Fassung berücksichtigte die Beklagte für den
Faktor der gesamtversorgungsfähigen Zeit, von dem die Höhe ihrer Zusatzrente abhängt, außer den Umlagemonaten, in denen ein Arbeitgeber
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des öffentlichen Dienstes mit Umlagezahlungen an die Beklagte für die
Altersversorgung der bei ihm beschäftigten Klägerin beigetragen hat,
darüber hinaus andere Zeiten, die (über die Umlagemonate hinaus) der
gesetzlichen Rente der Klägerin zugrunde liegen, nur zur Hälfte (sog.
Halbanrechnungsgrundsatz). Andererseits war nach der seinerzeit geltenden Satzung bei der Berechnung der Versorgungsrente grundsätzlich
von der vollen Höhe der gezahlten gesetzlichen Rente auszugehen; diese wurde durch die von der Beklagten gewährte Zusatzversorgung lediglich insoweit aufgestockt, wie die gesetzliche Rente hinter der nach der
Satzung berechneten Gesamtversorgung zurückblieb (§ 40 Abs. 1 VBLS
a.F.). Das Bundesverfassungsgericht hat in der Halbanrechnung von
Vordienstzeiten bei voller Berücksichtigung der gesetzlichen Rente einen
Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen, der nur bis zum Ablauf des
Jahres 2000 hingenommen werden könne (VersR 2000, 835 = NJW
2000, 3341).
Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, die Versorgungsrente ab dem 1. Mai 2000 neu zu berechnen und dabei die in der ehemaligen DDR zurückgelegten Vordienstzeiten als Umlagezeiten, hilfsweise ihre Vordienstzeiten in vollem Umfang
und nicht nur zur Hälfte zu berücksichtigen.
Das Landgericht hat dem unter Klagabweisung im übrigen teilweise stattgegeben und festgestellt, daß die Beklagte, bis eine neue, die
Regelung der Vordienstzeiten ändernde Satzung in Kraft trete, verpflichtet sei, die monatliche Versorgungsrente ab dem 1. Januar 2001 so zu
berechnen, daß die Vordienstzeiten ab dem 3. Oktober 1990 in vollem
Umfang zu berücksichtigen seien. Das Oberlandesgericht hat die Beru-
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fung der Klägerin zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat
es die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin
mit ihrer Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klägerin hinsichtlich der Zusatzversorgung nicht so zu behandeln, als habe sie ihre
Dienstzeit voll in den alten Bundesländern abgeleistet. Ihre Vordienstzeiten in der ehemaligen DDR seien daher nicht als Umlagemonate zu behandeln. Berechtigte, die - wie die Klägerin - am 31. Dezember 2000
schon Renten von der Beklagten bezogen haben, gehörten zudem nicht
zu dem Personenkreis, für den das Bundesverfassungsgericht die streitige Regelung beanstandet habe. Selbst wenn man aber annehme, daß
auch für diese Gruppe von Rentenberechtigten die Halbanrechnung unzulässig und die Satzung insoweit unwirksam sei, könne die Klage keinen Erfolg haben. Denn es stehe eine Grundentscheidung der beteiligten
Sozialpartner in Frage, die jedenfalls hier nicht vom Gericht im Wege ergänzender Auslegung eines lückenhaft gewordenen Vertrages ersetzt
werden könne. Die Beklagte könne ihr Grundleistungsangebot nicht
selbst gestalten, sondern müsse ein von den Sozialpartnern ausgehandeltes Ergebnis umsetzen, das notwendig kompromißhafte Züge trage
und deshalb einer Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Systemgerechtigkeit kaum zugänglich sei. Die von der Klägerin geforderte zusätzliche Leistung sei, wenn man ihre finanziellen Auswirkungen auf die Be-
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klagte abschätze, nicht etwa nur als Abrundung ihres Angebots zu werten, sondern erschüttere die Beklagte in ihrer wirtschaftlichen Substanz.
Deshalb müsse als mögliche Neuregelung auch in Betracht gezogen
werden, daß Vordienstzeiten bei der Berechnung der von der Beklagten
gezahlten Zusatzrente überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht lag der Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung
der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vom 1. März 2002 vor, der
das bisherige Gesamtversorgungssystem der Beklagten durch ein an den
Grundsatz der Betriebstreue anknüpfendes Punktemodell ersetzt; Vordienstzeiten werden - abgesehen vom Bestandsschutz - nicht mehr berücksichtigt (vgl. Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, 37. Ergl. August 2002 Teil C Anl. 5). Im
Hinblick darauf hat das Berufungsgericht keinen Anlaß gesehen, die Satzung etwa wegen Untätigkeit der Sozialpartner ergänzend auszulegen.
2. Dem ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen.
a) Der Senat hat in seinem Urteil vom 11. Februar 2004 (IV ZR
52/02 - VersR 2004, 499 unter 2 d) klargestellt, daß Vordienstzeiten in
der früheren DDR nicht voll angerechnet werden können, weil es an entsprechenden Umlagen des Arbeitgebers in dieser Zeit fehlt, und daß dadurch die davon betroffenen Personen nicht in ihren Grundrechten verletzt werden. Das ergibt sich - wie der Senat bereits im Zusammenhang
mit der Regelung des § 105b VBLS a.F. ausgeführt hat (Senatsurteil vom
14. Mai 2003 - IV ZR 72/02 - VersR 2003, 893 unter II 2 a und b) - aus
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dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999 (BVerfGE
100, 1 ff.).
b) Am 19. September 2002 hat die Beklagte ihre Satzung mit Wirkung ab 1. Januar 2001 geändert. Nach der Übergangsregelung in § 75
Abs. 2 der Neufassung werden die nach bisherigem Satzungsrecht gezahlten Versorgungsrenten grundsätzlich als Besitzstandsrenten weitergezahlt und entsprechend § 39 der Neufassung jährlich um 1% vom Jahr
2002 an erhöht. Die von der Klägerin geforderte volle Anrechnung der
Vordienstzeiten ist nach wie vor nicht vorgesehen.
c) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom
22. März 2000, auf den sich die Klägerin stützt, die Verfassungsbeschwerde einer 1921 geborenen Rentnerin, die seit Anfang 1983 Leistungen von der Beklagten erhielt und im Ausgangsverfahren erfolglos
deren Erhöhung wegen Unwirksamkeit von Satzungsbestimmungen verlangt hatte, nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die volle Berücksichtigung ihrer Sozialversicherungsrente bei der Bestimmung der Höhe der Zusatzversorgung einerseits, aber die nur halbe Berücksichtigung von Zeiten vor Aufnahme ihrer
Tätigkeit im öffentlichen Dienst bei der Bemessung der gesamtversorgungsfähigen Zeit andererseits gewandt hatte, hat das Bundesverfassungsgericht die Regelung in § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS a.F. zwar im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG beanstandet,
eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin aber "(noch)
nicht" festgestellt. Die Ungleichbehandlung sei zwar gravierend, halte
sich derzeit jedoch noch im Rahmen einer zulässigen Generalisierung.
Der Satzungsgeber sei wegen der hochkomplizierten Materie zu gewis-
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sen Vereinfachungen gezwungen. Dabei dürfe er Ungleichbehandlungen
in Kauf nehmen, solange davon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von
Personen betroffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht
sehr intensiv sei. Das treffe auf die Rentnergeneration der Beschwerdeführerin zu, wie das Bundesverfassungsgericht feststellt. Für die jüngeren Versichertengenerationen sei ein bruchloser Verlauf der Erwerbsbiographie im öffentlichen Dienst angesichts stark gestiegener Teilzeitarbeit
und einer stärkeren Diskontinuität des Erwerbslebens allerdings nicht
mehr in hinreichender Weise typisch. Angesichts dieser Entwicklung
könne die Benachteiligung der Rentner durch volle Anrechnung der in
Vordienstzeiten erworbenen Rentenansprüche bei nur hälftiger Berücksichtigung dieses Teils ihrer Lebensarbeitszeit im Rahmen der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Dienstzeit nicht länger als bis zum
Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt sei
die Beklagte durch die Entscheidung BVerfGE 98, 365 = VersR 1999,
600 ohnehin zu einer grundlegenden Änderung ihrer Satzung gezwungen.
d) Dieser Beschluß des Bundesverfassungsgerichts mag bei den
Rentenempfängern der Beklagten die Erwartung geweckt haben, ihnen
stehe vom Jahr 2001 an eine höhere Rente zu, wie sie sich bei voller Berücksichtigung der Vordienstzeiten aus der früher geltenden Fassung der
VBLS ergeben würde. Die Klägerin des vorliegenden Verfahrens gehört
jedoch nicht zu jenen jüngeren Versichertengenerationen, für die die angegriffene Halbanrechnung nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr hinnehmbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die
Halbanrechnung trotz verfassungsrechtlicher Bedenken noch als zulässige Typisierung und Generalisierung im Rahmen einer komplizierten
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Materie angesehen, weil ein bruchloser Verlauf der Erwerbsbiographie
im öffentlichen Dienst erst für die jüngeren Versichertengenerationen
nicht mehr hinreichend typisch sei. Bis zum Ablauf des Jahres 2000 könne die Halbanrechnung aber noch hingenommen werden. Mithin ist das
Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen, daß alle Versicherten,
die vor Ablauf des Jahres 2000 Rentner bei der Beklagten geworden
sind, noch zu denjenigen Generationen zählen, für die ein bruchloser
Verlauf der (bei Rentenbeginn abgeschlossenen) Erwerbsbiographie als
typisch angesehen werden kann. Die Klägerin bezieht bereits seit 1. Mai
2000 eine Zusatzrente von der Beklagten. Für sie und für die Generation,
der sie angehört, ist die Halbanrechnung der Vordienstzeiten also noch
hinzunehmen.
Die Unterscheidung, die das Bundesverfassungsgericht zwischen
der Rentnergeneration der dortigen Beschwerdeführerin einerseits und
den jüngeren Versichertengenerationen andererseits trifft, verlöre ihren
Sinn, wenn auch Personen, die vor dem Stichtag schon Rentner bei der
Beklagten waren, nach dem Stichtag als Angehörige der jüngeren Versichertengeneration hätten gelten sollen. Daß auch die Beschwerdeführerin (und nicht nur die am Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
nicht beteiligten jüngeren Versichertengenerationen) vom Stichtag an einen Anspruch auf Änderung der sie benachteiligenden, gegen Art. 3
Abs. 1 GG verstoßenden Satzungsbestimmungen gehabt hätte, ist nicht
ersichtlich.
e) Der Senat folgt dem Bundesverfassungsgericht darin, daß die
Anwendung des § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS bei
der Berechnung der Versorgungsrente für solche Versicherte, die - wie
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die Klägerin - bis zum 31. Dezember 2000 versorgungsrentenberechtigt
geworden sind, nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Damit liegt auch
kein Verstoß gegen §§ 9 AGBG, 307 BGB vor. Dabei kann auf sich beruhen, ob den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur Ungleichbehandlung der von der Halbanrechnung betroffenen Versichertengruppe
trotz der Kritik der Beklagten in jedem Punkte zu folgen ist (vgl. auch
Hebler, ZTR 2000, 337 ff.). Denn mit dem Bundesverfassungsgericht ist
der Senat der Auffassung, daß - ist mit der Halbanrechnung eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Versicherten verbunden, die ihr
ganzes Berufsleben im öffentlichen Dienst verbracht haben - sich die
Ungleichbehandlung jedenfalls im Rahmen einer zulässigen Typisierung
und Generalisierung einer komplizierten, eine sehr große Gruppe von
Versicherten betreffenden Materie hielt. Diese Ungleichbehandlung hat
ein Versicherter, der bis zum Ablauf des Jahres 2000 Zusatzrentenempfänger geworden ist, nicht zuletzt auch im Interesse der Erhaltung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Versorgungsträgers hinzunehmen,
selbst wenn für die Zukunft eine andere, eine die Ungleichbehandlung für
zukünftige Rentenempfänger vermeidende Regelung zu treffen ist.
f) Die Klägerin wird auch gegenüber Versicherten, deren Rente
sich nach der ab 1. Januar 2001 geltenden Neufassung der VBLS richtet,
nicht in rechtlich erheblicher Weise benachteiligt. Nach unwidersprochenem Vortrag der Beklagten ist das Niveau der von ihr in Zukunft aufgrund
ihrer neuen Satzung zu leistenden Versorgungsrenten generell niedriger
als bisher; den Berechtigten wird daneben eine ergänzende Altersvorsorge angeboten, die aus eigenen Beiträgen aufgebaut werden muß.
Daß die Klägerin trotz der dynamisierten Besitzstandsrente, die sie nach
§ 75 Abs. 2 VBLS n.F. erhält, wirtschaftlich im Ergebnis schlechter stehe
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als Berechtigte, deren Versorgungsrente nach neuem Satzungsrecht ohne Rücksicht auf Vordienstzeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes
berechnet wird, ist von ihr weder dargetan noch ersichtlich. Der in der
Halbanrechnung von Vordienstzeiten vom Bundesverfassungsgericht gesehene Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist für die Zukunft ausgeräumt. Im Hinblick darauf stehen Rentenempfängern wie der Klägerin
über
die
Wahrung
ihres
Besitzstandes
hinaus
auch
nach
dem
31. Dezember 2000 keine weitergehenden Ansprüche aus Gründen der
Gleichbehandlung zu.
g) Entgegen der Ansicht der Revision haben sich die Tarifvertragsparteien schließlich auch nicht durch die Vereinbarung, eine bundesgerichtliche Entscheidung zugunsten einer höheren als der in der
Übergangsregelung der neuen Satzung vorgesehenen Versorgungsrente
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zugunsten aller Betroffenen umzusetzen, darauf verständigt, die Entscheidung über die Halb- oder Vollanrechnung den Gerichten vorzubehalten. Damit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, daß einer solchen
Entscheidung sogar rückwirkend Folge geleistet werden soll.
Seiffert
Dr. Schlichting
Dr. Kessal-Wulf
Wendt
Felsch