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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 152/10
vom
21. März 2012
in dem Rechtsstreit
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter
Wendt, Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann
und die Richterin Dr. Brockmöller
am 21. März 2012
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in
dem Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 10. Juni 2010 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Streitwert: bis 9.000.000 €.
Gründe:
1
I. Die Klägerin fordert von der Beklagten als führendem Versicherer anteilige Versicherungsleistungen und Schadensersatz aus einer von
der HEROS-Gruppe mit mehreren Versicherungsunternehmen abgeschlossenen "Valorenversicherung", deren Bedingungen auszugsweise
im Senatsurteil vom 25. Mai 2011 (IV ZR 117/09 - Geldtransporte
HEROS I, VersR 2011, 918 Rn. 1) und im Senatsbeschluss vom 21. September 2011 (IV ZR 38/09 - Geldtransporte II HEROS II, juris Rn. 1) wiedergegeben sind, und aus einer ihr erteilten Versicherungsbestätigung.
Sie ist eine deutsche Großbank, welche bundesweit ein Netz von über
1000 Filialen unterhält, für die sie - nach Regionen aufgeteilt - im Jahre
-3-
2004 mit Gesellschaften der HEROS-Gruppe mehrere Verträge über
Werttransportleistungen abgeschlossen hatte. Aufgrund dieser Verträge
ist sie Versicherte des vorgenannten Versicherungsvertrages. Nach ihrer
Behauptung hat sie infolge vertragswidrigen Verhaltens der HEROSGruppe im Rahmen der Bargeldentsorgung und der Bargeldversorgung in
der Zeit vom 8. bis 20. Februar 2006 Schäden in einer Gesamthöhe von
ursprünglich 17.426.263,53 € erlitten, deren anteilige Erstattung sie
- nach
zwischenzeitlich
eingegangenen
Zahlungen
des
HEROS -
Insolvenzverwalters - entsprechend der Beteiligungsquote der Beklagten
von 62,5% in Höhe von noch 8.969.632,34 € von der Beklagten verlangt.
Zusätzlich begehrt sie die Feststellung, dass der Rechtsstreit in Höhe
von 42.204,67 € erledigt sei.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht
die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt sie ihr Begehren weiter.
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II. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch e rfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2
Satz 1 ZPO). Eine Zulassung der Revision war schon im Zeitpunkt der
Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht geboten, so dass es auf
die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Revision im Übrigen nicht a nkommt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2004 - IV ZR
386/02, VersR 2005, 809 unter 2 m.w.N.).
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1. Das Berufungsgericht hat die Klage in erster Linie abgewiesen,
weil die Beklagte den unter der Police Nr. 7509 geführten Versiche-
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rungsvertrag mit ihrem an den Insolvenzverwalter der HEROS-Gruppe
gerichteten Schreiben vom 8. Januar 2007 wirksam wegen arglistiger
Täuschung angefochten habe. Bei diesem mit Wirkung zum 1. Dezember
2001 geschlossenen Vertrag habe es sich ungeachtet des bereits zuvor
unter der Police Nr. 7265 bestehenden langjährigen Versicherungsverhältnisses um einen Neuabschluss gehandelt, bei dem die Verantwortl ichen der HEROS-Gruppe der Beklagten das von der HEROS-Gruppe seit
langem praktizierte Schneeballsystem des fortlaufenden vertragswidrigen
Zugriffs auf Kundengelder und die dadurch verursachten Liquiditätsl ücken (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. Mai 2011 aaO Rn. 5) arglistig verschwiegen hätten. Insoweit deckt die Beschwerde keine Rechtsfehler
auf, die die Zulassung der Revision erfordern.
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a) Keiner grundsätzlichen Klärung bedarf, inwieweit die Arglista nfechtung in Ziffer 13.4 der Versicherungsbedingungen wirksam ausgeschlossen werden konnte. Der Bundesgerichtshof hat einen vergleichb aren vertraglichen Anfechtungsausschluss bereits mit Urteil vom 17. Januar 2007 (VIII ZR 37/06, VersR 2007, 1084 Rn. 17 ff.) für unwirksam erachtet. Dem hat sich der erkennende Senat angeschlossen. Ergänzend
wird dazu auf den Senatsbeschluss vom 21. September 2011 (aaO
Rn. 27-33) verwiesen. Da ein Ausschluss der Arglistanfechtung nicht
wirksam vereinbart werden konnte, kommt es auf die von der Beschwe rde erörterte Frage, ob das Berufungsgericht die genannte Klausel unz utreffend ausgelegt, dabei Vortrag der Klägerin übergangen und abweichend von Urteilen der Oberlandesgerichte Hamm (vom 18. Dezember
2009 - 20 U 137/08, juris Rn. 100 ff.; vgl. dazu Senatsurteil vom 9. November 2011 - IV ZR 16/10, juris Rn. 45, 46) und Düsseldorf (vom
5. November 2008 - 18 U 188/07, juris Rn. 139 ff.; vgl. dazu Senatsurteil
-5-
vom 9. November 2011 - IV ZR 251/08, juris Rn. 60 ff.) entschieden hat,
nicht an.
6
Auch mit der der Klägerin übersandten Versicherungsbestätigung
hat die Beklagte nicht wirksam auf die Geltendmachung der Arglista nfechtung verzichtet. Ein solcher Verzicht setzt - ähnlich wie die Bestätigung anfechtbarer Rechtsgeschäfte gemäß § 144 BGB - in der Regel die
Kenntnis vom Anfechtungsgrund voraus (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB
71. Aufl. § 144 Rn. 2). Diese Kenntnis hat das Berufungsgericht nicht
feststellen können. Ein ausnahmsweise möglicher konkludenter Verzicht
ist der Versicherungsbestätigung nicht zu entnehmen. Ein Motiv der B eklagten für einen solchen Verzicht ist ohnehin nicht ersichtlich.
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b) Zu Recht hat das Berufungsgericht weiter angenommen, es sei
für die Wirksamkeit der Anfechtung ohne Bedeutung, ob die Klägerin den
Anfechtungsgrund kannte. § 123 Abs. 2 BGB ist hier nicht anzuwenden.
Sowohl § 123 Abs. 2 Satz 1 als auch Abs. 2 Satz 2 BGB setzen voraus,
dass die Täuschung von einem Dritten ausgeht, und könn en daher nicht
eingreifen, wenn allein eine Täuschung durch den Erklärungsgegner
- hier die HEROS-Gruppe als Versicherungsnehmerin - in Rede steht
(vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2011 aaO Rn. 34; BGH, Urteil
vom 8. Dezember 1959 - VIII ZR 134/58, BGHZ 31, 321, 327 f.).
8
c) Durch die Senatsrechtsprechung ist weiter geklärt, dass den
Versicherer keine Nachfrageobliegenheit trifft, wenn ihn der Versich erungsnehmer
bei
Anbahnung
des
Versicherungsvertrages
arglistig
täuscht (Senatsbeschlüsse vom 15. März 2006 - IV ZA 26/05, VersR
2007, 96; vom 4. Juli 2007 - IV ZR 170/04, VersR 2007, 1256 unter 2
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m.w.N.). Seine früher anderslautende Rechtsprechung (BGHZ 117, 385,
387) hat der Senat aufgegeben.
9
Ist der Versicherer bei Vertragsschluss infolge des arg listigen Verhaltens des Versicherungsnehmers nicht gehalten nachzufragen, so
kann auch ein erst nachträglich in den Schutzbereich des mittels Arglist
erschlichenen Versicherungsvertrages eintretender Dritter (Versicherter)
nicht mehr geltend machen, der Versicherer habe seine Nachfrageobliegenheit verletzt. Ob eine Nachfrageobliegenheit besteht und der Versicherer dagegen verstößt, richtet sich allein nach der Sachlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
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d) Die Angriffe der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die - für die
Anwendbarkeit des § 123 Abs. 1 BGB entscheidende - Feststellung des
Berufungsgerichts, es sei mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2001 zum
Neuabschluss des Versicherungsvertrages (Police Nr. 7509) und nicht
lediglich zu einer Änderung des seinerzeit schon bestehenden Vertrages
(Police Nr. 7265) gekommen, erfordern ebenfalls nicht die Zulassung der
Revision. Der Senat hat insbesondere die damit in Zusammenhang st ehenden Rügen der Verletzung von Verfahrensgrundrechten (Art. 103
Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG) geprüft und für nicht durchgreifend erachtet.
Dazu weist er ergänzend auf folgendes hin:
11
aa) Ein neuer Vertrag liegt vor, wenn der aus den gesamten Fal lumständen zu ermittelnde Wille der Vertragsparteien darauf gerichtet
war, die vertraglichen Beziehungen auf eine selbständige neue Grundlage zu stellen und nicht lediglich einzelne Regelungen des bestehenden
Vertrages zu modifizieren. Für einen neuen Vertrag spricht die Veränd erung wesentlicher Vertragsinhalte, etwa des versicherten Risikos, de s
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versicherten Objekts, der Vertragsdauer, der Vertragsparteien und der
Gesamtversicherungssumme (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September
2011 - IV ZR 38/09 aaO Rn. 21; Senatsurteil vom 19. Oktober 1988 - IVa
ZR 111/87, r+s 1989, 22, 23; OLG Saarbrücken VersR 2007, 1681, 1682;
OLG Köln VersR 2002, 1225; BK/Riedler, VVG § 38 Rn. 9; Knappmann in
Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 37 Rn. 5; Römer in Römer/Langheid, VVG
2. Aufl. § 38 Rn. 6).
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bb) Unter Beachtung dieser Maßstäbe und Heranziehung der den
Einzelfall prägenden Umstände ist das Berufungsgericht ohne durchgre ifenden Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die Police Nr. 7509 sei als
neuer, zum 1. Dezember 2001 in Kraft getretener Vertrag anzusehen.
Entscheidungserheblichen Vortrag oder relevante Beweisan gebote der
Klägerin hat es - entgegen dem Vorwurf der Beschwerde - nicht übergangen. Vielmehr hat es sich mit den Tatsachen, die als Indizien gegen
einen Neuabschluss des Versicherungsvertrages vorgetragen und unter
Beweis gestellt worden sind, im Rahmen seiner Abwägung der Fallumstände befasst, ohne jedoch daraus die von der Klägerin gewünschten
Schlüsse zu ziehen. Die dagegen gerichteten Angriffe der Beschwerde
erschöpfen sich im Wesentlichen in dem revisionsrechtlich unbehelfl ichen Versuch, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts unter abweichender Bewertung einzelner Indizien durch eine vermeintlich bessere
eigene Würdigung zu ersetzen. Die Beschwerdeführerin verkennt insbesondere, dass ihr Einwand, zahlreiche vom Berufungsgericht als Indiz für
den Neuabschluss herangezogene Änderungen des Vertragswerkes se ien ihrer Art nach auch schon bei anderer Gelegenheit im Rahmen des
laufenden Vertrages vorgekommen, eine indizielle Wirkung dieser U mstände für einen Neuabschluss im Rahmen der gebotenen Gesamtb etrachtung nicht entfallen lässt.
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cc) Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht vorgenommenen
Gesamtschau der entscheidungserheblichen Umstände, die sich insb esondere nicht als willkürlich i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG erweist, schließt
der Senat weiter aus, dass einzelne von der Beschwerde herausgegriffene Aspekte das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung vera nlasst hätten, mögen sie auch - für sich betrachtet - auf eine Verlängerung
der früheren Police hindeuten.
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(1) Das gilt zum einen, soweit das Berufungsgericht übersehen
hat, dass Werttransporte von und zu einer Bank in Dänemark bereits seit
1996 auf der Grundlage einer Zusatzvereinbarung von der Police
Nr. 7265 umfasst waren, weshalb seine Annahme, die in Ziffer 4.1.11 der
Police Nr. 7509 getroffene "Sondervereinbarung Dänemark" spreche für
eine Neuregelung, nicht trägt. Es gilt zum anderen, soweit das Ber ufungsgericht - ebenfalls nicht ganz unbedenklich - angenommen hat, die
anlässlich der Währungsumstellung von DM zu Euro abgeschlossenen
zusätzlichen Versicherungsverträge hätten das mit dieser Währungsu mstellung verbundene Versicherungsrisiko nur unzureichend abgedeckt.
Es gilt schließlich für die Frage, ob die Erweiterung des Versicherung sschutzes auf Subunternehmer der HEROS-Gruppe bereits zur Zeit der
Geltung der Police Nr. 7265 vereinbart worden war. Der Senat schließt
aus, dass das Berufungsgericht, hätte es die genannten Punkte anders
behandelt, auch insgesamt zu einer anderen Bewertung der Police
Nr. 7509 gelangt wäre.
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(2) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde in diesem Zusammenhang
mehrfach, es sei angebotener Zeugenbeweis übergangen worden. Von
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einer näheren Begründung sieht der Senat insoweit nach § 564 Satz 1
ZPO ab.
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e) Die Erörterungen des Berufungsgerichts zum arglistigen Verhalten des HEROS-Geschäftsführers W.
und dazu, dass es nach § 166
Abs. 2 BGB für die Arglistanfechtung nicht auf eine etwaige Unkenntnis
der Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin vom Schneeballsystem a nkommt, setzen sich erkennbar mit dem dazu gehaltenen Vortrag der Klägerin auseinander. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt insoweit
nicht vor.
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f) Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht weiter an, die
HEROS-Gruppe habe der Beklagten bei Abschluss der Police Nr. 7509
ihr bis dahin praktiziertes Schneeballsystem offenbaren müssen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 21. September 2011 - IV ZR 38/09 aaO Rn. 3540).
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g) Im Ergebnis ohne Erfolg bleiben die Angriffe der Beschwerde
gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe En de
2001 von dem Schneeballsystem der HEROS-Gruppe nichts gewusst
und ihre Vertragserklärung sei durch diesen Irrtum verursacht. Ein Revisionszulassungsgrund ist damit nicht dargetan.
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aa) Allerdings durfte das Berufungsgericht den Irrtum der Bekla gten nicht im Wege des Anscheinsbeweises feststellen, weil der dafür
vorausgesetzte typische Geschehensablauf hier nicht vorliegt, vielmehr
die in Rede stehenden außergewöhnlichen Vorgänge einer Typisierung
nicht zugänglich sind (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1995 - II ZR
209/94, NJW 1996, 1051 unter 2 m.w.N.).
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Im Ergebnis hat sich dieser Rechtsfehler des Berufungsgerichts
aber nicht ausgewirkt; das Berufungsurteil beruht darauf nicht.
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(1) Es ist tatrichterliche Aufgabe festzustellen, ob die Beklagte Ende 2001 wusste, dass sie mit dem Abschluss der Police ein Geldtran sportunternehmen versicherte, das schon seit Jahren systematisch auf
Kundengelder zugriff und hierdurch eine ungedeckte Finanzlücke in drei stelliger Millionenhöhe verursacht hatte. Insoweit obliegt der Beklagten,
wie das Berufungsgericht im Ansatz noch zutreffend angenommen hat,
der Beweis für ihren behaupteten Irrtum.
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Verübt der Erklärungsgegner seine Täuschung durch Verschwe igen, besteht der Irrtum des Erklärenden in einem Nichtwissen. Will er
sich auf die Unkenntnis der verschwiegenen Umstände berufen, muss er
mithin darlegen und unter Beweis stellen, er habe diese Umstände nicht
gekannt. Hierfür gelten die Regeln über Darlegung und Beweis von N egativtatsachen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2000 - V ZR 285/99,
NJW 2001, 64 unter III; Palandt/Ellenberger, BGB 71. Aufl. § 123
Rn. 30). Dabei genügt der Anfechtende seiner Darlegungslast zunächst
mit der Behauptung, die betreffenden Umstände seien ihm vom Erkl ärungsgegner verschwiegen worden und auch nicht auf andere Weise zur
Kenntnis gelangt. Sodann ist es Aufgabe des Gegners, Umstände darz ulegen, aus denen sich das Wissen des Anfechtenden um die verschwi egenen Tatsachen ergibt. Diese in erster Linie den Erklärungsgegner,
mithin die Versicherungsnehmerin (HEROS), treffende sekundäre Darl egungslast trifft auch denjenigen Versicherten, der - wie die Klägerin - an
Stelle der Versicherungsnehmerin Rechte aus dem angefochtenen Ve rtrag herleiten will.
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(2) Das Berufungsgericht hätte, nachdem sich die Beklagte auf einen durch Verschweigen des Schneeballsystems hervorgerufenen Irrtum
berufen hatte, prüfen müssen, ob der Klagvortrag insoweit geeignet war,
substantiiert und schlüssig darzulegen, dass die Beklagte entgegen ihrer
Behauptung Wesen und Ausmaß des von HEROS im Jahre 2001 unterhaltenen Schneeballsystems kannte.
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(3) Das Berufungsgericht hat bei seiner rechtsirrtümlichen Prüfung,
ob der von ihm herangezogene Anscheinsbeweis erschüttert sei, den
Vortrag der Klägerin zu den behaupteten Indizien als wahr unterstellt und
anschließend unter Abwägung der Gesamtumstände zugrunde gelegt,
dass selbst dann, wenn sich alle Behauptungen der Klägerin beweisen
ließen, daraus nicht folge, dass die Beklagte Ende 2001 vom Schne eballsystem der HEROS-Gruppe in seiner tatsächlichen Dimension positive Kenntnis gehabt habe. Es hat damit im Ergebnis festgestellt, der Vo rtrag der Klägerin reiche letztlich nicht aus, um die Irrtumsbehauptung der
Beklagten ernstlich zu erschüttern. Der Senat schließt a us, dass es
- hätte es erkannt, dass die Klägerin nicht lediglich einen Anscheinsb eweis erschüttern, sondern eine sekundäre Darlegungslast erfüllen mus ste - zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Eine Verletzung von Ve rfahrensgrundrechten der Klägerin liegt darin nicht. Misst der Tatrichter
dem Parteivortrag nach Würdigung aller Umstände keine ausreichende
Indizwirkung für das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Tatsache
bei, ist der Vortrag damit nicht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG
übergangen; er kann vielmehr analog § 244 Abs. 3 StPO davon absehen,
Beweis über die dann bedeutungslosen Indiztatsachen zu erheben (vgl.
BGH, Urteil vom 10. Februar 1993 - XII ZR 241/91, BGHZ 121, 266,
270 f.).
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(4) Zwar hat der Senat in der Sache IV ZR 38/09 (Beschluss vom
21. September 2011 aaO), in der die Klage einer anderen Versicherten
vom Berufungsgericht ebenfalls mit der Begründung abgewiesen worden
war, die Beklagte habe den Versicherungsvertrag mit der HEROS -Gruppe wirksam angefochten, die Revision zugelassen. Alleiniger Zulassungsgrund war jedoch, dass das Berufungsgericht einen Beweisantritt
auf Vernehmung zweier Zeugen zur Frage der Kenntnis der Beklagten
vom Anfechtungsgrund übergangen und damit gegen Art. 103 Abs. 1 GG
verstoßen hatte (aaO Rn. 12 ff.). Der Senat hat deshalb das dortige Berufungsurteil nach § 544 Abs. 7 ZPO im Beschlusswege aufgehoben und
die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
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Einen vergleichbaren, zur Zulassung der Revision führenden Ve rfahrensfehler des Berufungsgerichts hat die Beschwerdeführerin hier
nicht in der nach den §§ 544 Abs. 2 Satz 3, 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2b
ZPO gebotenen Form darlegen können.
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(a) Nach § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO sind in der Begründung einer
Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassungsgründe darzulegen. Will sich
der Beschwerdeführer darauf stützen, das Gericht habe bei Erlass der
angefochtenen Entscheidung mittels eines Verfahrensfehlers das Recht
auf rechtliches Gehör verletzt, so müssen für die Darlegung die gleichen
Anforderungen gelten, wie sie die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung für eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2b ZPO aufgestellt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Juli 1954
- IV ZR 67/54, BGHZ 14, 205, 209 f.; BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 101/02, NJW 2003, 831 f. unter II 2 b bb; vom
11. Februar 2003 - XI ZR 153/02, NJW-RR 2003, 1003 f. unter 1; vom
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2. Dezember 2004 - IX ZR 56/04, juris unter 1 f., jeweils m.w.N.). Demzufolge sind in der Beschwerdebegründung die Tatsachen anzugeben,
aus denen sich der behauptete Verfahrensmangel ergibt. Bei einer Beschwerde, das Gericht habe einen Beweisantritt des Beschwerdeführers
übergangen, ist es nicht nur geboten, das betreffende Beweisthema und
das angebotene Beweismittel genau zu bezeichnen, sondern auch anzugeben, zu welchem Ergebnis die Beweisaufnahme geführt hätte. Eine
nicht näher bestimmte Bezugnahme auf einen übergangenen Beweisa ntritt reicht dazu nicht aus (vgl. BAG, Urteil vom 12. Juli 2007 - 2 AZR
666/05, NJW 2008, 540 unter B II 1 c bb (3) (a)).
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(b) Soweit es um die Frage der Kenntnis der Beklagten vom A nfechtungsgrund und die Beweisantritte der Klägerin dazu geht, hat die
Nichtzulassungsbeschwerde den genannten Anforderungen nicht gen ügen können.
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Die Klägerin hat - in dem von ihrer Gehörsrüge in Bezug genommenen Schriftsatz vom 6. Februar 2008 - über viele Seiten und unter
zahlreichen Beweisantritten vorgetragen. Unter anderem hat sie aus der
Zeit nach 2001 eine Reihe von Vorfällen, insbesondere auch Straftaten
einzelner HEROS-Mitarbeiter angeführt, ferner einzelne Schadensmeldungen von HEROS-Kunden. Damit hat sich das Berufungsgericht auseinandergesetzt und dargelegt, dass selbst dann, wenn man die behau pteten Tatsachen zugrunde legte, daraus kein Wissen der Beklagten um
das HEROS-Schneeballsystem in seinen wahren Ausmaßen bei Vertragsschluss im Jahre 2001 folge. Darin liegt kein Verstoß gegen das
Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör.
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bb) Keine Bedenken bestehen dagegen, dass das Berufungsgericht die Kausalität des Irrtums der Beklagten für ihre Vertragserklärung
im Wege des Anscheinsbeweises als erwiesen angesehen hat.
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(1) Zwar hat der II. Zivilsenat im Urteil vom 20. November 1995
(II ZR 209/94, NJW 1996, 1051 unter 2) darauf hingewiesen, dass der
ursächliche Zusammenhang zwischen Täuschung und Vertragsabschluss
meist nicht mittels Anscheinsbeweises festgestellt werden könne (vgl.
dazu auch BGH, Urteile vom 10. April 1958 - II ZR 324/56, WM 1958,
991, 992; vom 20. September 1968 - V ZR 137/65, NJW 1968, 2139).
Dies hat seinen Grund darin, dass diese Beweisführung einen typischen
Geschehensablauf voraussetzt, während die einem Vertragsschluss z ugrunde liegende Willensentschließung in der Regel von individuellen
Umständen des Einzelfalles abhängt. Der II. Zivilsenat hat aber nicht in
Abrede gestellt, dass bei bestimmten Rechtsgeschäften und unter b esonderen Umständen aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung de nnoch eine ausreichende Typizität gegeben sein kann.
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(2) So liegt der Fall hier. Es versteht sich, dass der Versicherer einer Geldtransportfirma nicht bereit ist, Versicherungsschutz zu gewä hren, der unter anderem auch die Unterschlagung von Kundengeldern
durch die Versicherungsnehmerin umfassen soll, wenn er weiß, dass
diese Versicherungsnehmerin bereits seit Jahren durch systematischen
rechtswidrigen Zugriff auf Kundengelder Millionenschäden verursacht
hat. Die Annahme des Berufungsgerichts, hier sei nach der Lebenserfa hrung die Täuschung geeignet gewesen, die Vertragserklärung der B eklagten zu beeinflussen, ist deshalb nicht zu beanstanden und steht mit
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Einklang (vgl. dazu
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BGH, Urteile vom 12. November 1957 - VIII ZR 311/56, NJW 1958, 177;
vom 5. Dezember 1975 - V ZR 34/74, WM 1976, 111; vom 12. Mai 1995
- V ZR 34/94, NJW 1995, 2361).
33
h) Die Rügen, das Berufungsgericht habe die Indizien für eine
Kenntnis der Beklagten vom Anfechtungsgrund bei der Prüfung des B eginns der Anfechtungsfrist nach § 124 Abs. 1 BGB unzureichend gewürdigt und zu Unrecht eine Bestätigung des anfechtbaren Vertrages nach
§ 144 Abs. 1 BGB verneint, zeigen keinen Revisionszulassungsgrund,
insbesondere keinen Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte auf. Insbesondere ergebe die unter Zeugenbeweis gestellte Kenntnis der Beklagten von erheblichen Zahlungsrückständen der HEROS-Gruppe im Jahre
2005, welche Gegenstand einer Besprechung in H.
gewesen sei-
en, nicht zwingend, dass die Beklagte auch von dem bis zum Jahre 2001
entwickelten Schneeballsystem, seinem Ausmaß und vor allem dem Umstand Kenntnis gehabt hätte, dass HEROS-Verantwortliche der Beklagten all dies schon Ende 2001 wissentlich verschwiegen hatten. Für de n
Beginn des Fristlaufes nach § 124 Abs. 2 Satz 1 BGB ist nicht entscheidend, ob es bei der HEROS-Gruppe irgendwann Liquiditätslücken, Zahlungsschwierigkeiten, Geldentnahmen und Veruntreuungen gegeben hatte, sondern ob die Beklagte wusste, dass sie bei Abschluss der Police
Nr. 7509 im Jahre 2001 über die Existenz des damals schon für Millionenschäden verantwortlichen Schneeballsystems getäuscht worden war.
Es stellt keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs.1 GG dar, dass das Ber ufungsgericht die im Berufungsurteil erörterten Beweisantritte der Klägerin
letztlich als nicht entscheidungserheblich angesehen hat.
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i) Im Beschluss vom 21. September 2011 (aaO Rn. 53-59) hat der
Senat allerdings im Rahmen eines rechtlichen Hinweises die Begründung
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beanstandet, mit der das Berufungsgericht es - wie auch im vorliegenden
Rechtsstreit - verneint hat, dass die Arglistanfechtung über den Abschluss des Versicherungsvertrages Nr. 7509 hinaus auch die zeitgleiche
einvernehmliche Aufhebung der Vorgänger-Police Nr. 7265 erfasst und
im Ergebnis zu deren Wiederaufleben führt. Soweit dem Berufungsg ericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 139 BGB ein Rechtsfehler unterlaufen ist, gebietet dies nicht die Zulassung der Revision.
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An einer grundsätzlichen Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 ZPO fehlt es schon deshalb, weil die allein auf Umständen des Ei nzelfalles beruhende Entscheidung nur für die beiden zwischen der
HEROS-Gruppe und der Beklagten abgeschlossenen Versicherungspol icen und die dazu erklärte Arglistanfechtung bedeutsam ist. Zwar ist mittelbar eine Reihe Versicherter dieser beiden Verträge nach ihrer Behau ptung mit erheblichen Schäden betroffen, doch handelt es sich insoweit
sämtlich
um
ehemalige
Auftraggeber
der
Versicherungsnehmerin
(HEROS-Gruppe) und damit um einen abgeschlossenen Kreis von G eschädigten,
weshalb
sich
die
vom
Berufungsgericht
entschiedene
Rechtsfrage nicht in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellt
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 152,
182, 191; vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 223). Einen
verallgemeinerungsfähigen unrichtigen Rechtssatz hat da s Berufungsgericht bei Prüfung der Voraussetzungen des § 139 BGB nicht aufgestellt.
Seine Entscheidung steht deshalb nicht in Divergenz zum Urteil des
Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 16. Mai 2007 (VersR 2007, 1681),
so dass die Zulassung der Revision auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfolgen muss (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
Alt. 2 ZPO). Dass das Berufungsgericht Verfahrensgrundrechte der Kl ägerin bei der Prüfung des § 139 BGB verletzt hätte, ist nicht ersichtlich.
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2. Soweit das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche der
Klägerin gegen die Beklagte sowohl aus dem angefochtenen Vertrag als
auch der Versicherungsbestätigung verneint hat, zeigt die Beschwerde
keinen Rechtsfehler auf, der die Zulassung der Revision erfordert. E rgänzend verweist der Senat auf das Senatsurteil vom 25. Mai 2011 (IV
ZR 117/09 aaO Rn. 68).
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3. Die Rügen der Verletzung von Verfahrensgrundrechten hat der
Senat auch im Übrigen geprüft, sie greifen nicht durch. Von einer weit eren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
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4. Da nach allem die Abweisung der Klage infolge der Arglistanfechtung der Prüfung im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde
standhält, kommt es auf Fragen des Versicherungsfalles nicht an.
Wendt
Felsch
Lehmann
Harsdorf -Gebhardt
Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 27.02.2009 - 13 O 281/06 OLG Celle, Entscheidung vom 10.06.2010 - 8 U 117/09 -