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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 387/14
Verkündet am:
15. Dezember 2016
Pellowski
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
BGHZ:
BGHR:
ja
ja
ja
GG Art. 14; BGB § 839 B; StPO §§ 111m, 111n
a) Die im Zusammenhang mit der Überprüfung von im Ermittlungsverfahren getroffenen staatsanwaltschaftlichen beziehungsweise richterlichen Maßnahmen,
bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers besteht, entwickelten Grundsätze zur Vertretbarkeit der Maßnahme gelten auch für die Beurteilung von Ansprüchen aus enteignungsgleichem Eingriff. Ist eine solche Ermittlungshandlung vertretbar, entfällt die Rechtswidrigkeit des Eingriffs als Voraussetzung einer Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff (Bestätigung des Senatsurteils vom 15. Mai 1997 - III ZR 46/96, VersR 1997, 1363)
b) Bei Geltendmachung eines Anspruchs aus enteignendem Eingriff ist das Vorliegen eines Sonderopfers der von der Beschlagnahme eines Presseerzeugnisses
betroffenen Kapitalgesellschaft regelmäßig zu verneinen, wenn das Eingreifen
der Strafverfolgungsbehörden durch ein bewusst riskantes Verhalten eines Gesellschaftsorgans veranlasst worden ist (Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 14. Februar 1952 - III ZR 233/51, BGHZ 5, 144 und vom 14.
März 2013 - III ZR 253/12, BGHZ 197, 43).
BGH, Urteil vom 15. Dezember 2016 - III ZR 387/14 - OLG München
LG München I
ECLI:DE:BGH:2016:151216UIIIZR387.14.0
- 2 -
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Dezember 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die
Richter Seiters und Reiter sowie die Richterinnen Dr. Liebert und Dr. Arend
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts München - 1. Zivilsenat - vom 27. November 2014 insoweit
aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist,
und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Grundurteil des Landgerichts München I - 15. Zivilkammer - vom 23. Januar 2013 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Berufung des Klägers wird
zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits aller Instanzen zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger, der geschäftsführender Gesellschafter der in London ansässigen A.
Ltd. ist, macht gegen den beklagten Freistaat aus eigenem und
abgetretenem Recht Ersatzansprüche in Höhe von 2.634.677,52 € im Zusammenhang mit der Beschlagnahme von Presseerzeugnissen geltend.
- 3 -
2
Die A.
Ltd. vertrieb in Deutschland ab Januar 2009 das wöchent-
lich erscheinende Journal "Zeitungszeugen", dessen Herausgeber der Kläger
ist und das sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und der damaligen Presselandschaft befasste. Den einzelnen Ausgaben waren jeweils zwei bis drei
Faksimilenachdrucke von Zeitungen eines ausgewählten Tages beigelegt. Diese Nachdrucke waren in einen vierseitigen Zeitungsmantel eingelegt, der (kurze) historische Abhandlungen zu den jeweiligen Zeitungsausgaben enthielt.
Zum Teil wurden auch großformatige NS-Propaganda-Plakate beigefügt.
3
Auf Grund einer Strafanzeige des Beklagten leitete die Staatsanwaltschaft M.
am 23. Januar 2009 ein Ermittlungsverfahren gegen den Klä-
ger wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
(§ 86a StGB) und Verstößen gegen das Urheberrecht (§§ 106, 109 UrhG) ein
und beantragte beim Amtsgericht M.
den Erlass eines Beschlagnahme-
beschlusses. Dieser wurde noch am selben Tag erlassen, wobei die Beschlagnahme auf die Beilagen "Völkischer Beobachter" vom 1. März 1933 und das
NS-Propagandaplakat "Der Reichstag in Flammen" beschränkt wurde. In der
Folgezeit wurden bundesweit circa 12.000 vollständige Exemplare der Ausgabe
2/2009 des Journals beschlagnahmt.
4
Auf die Beschwerde des Klägers hob das Landgericht M.
- Staatsschutzkammer - mit Beschluss vom 17. April 2009 die Beschlagnahmeanordnung auf, da die durchgeführten Ermittlungen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne eines Anfangsverdachts für ein strafbares Verhalten des Klägers ergeben hätten. Ein etwaiges Urheberrecht des Beklagten
sei längstens nach 70 Jahren ab dem Erscheinen der Ausgabe des "Völkischen
Beobachters" vom 1. März 1933 abgelaufen. Es bestehe auch kein Verdacht,
- 4 -
dass Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Hakenkreuze) in strafbarer Weise verwendet oder verbreitet worden seien. Jedenfalls könne sich der
Kläger auf die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB berufen, da er
nach den bisherigen Erkenntnissen mit der Publikation das Ziel staatsbürgerlicher Aufklärung verfolge.
5
Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wurde in der Folgezeit gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Sodann stellte das Amtsgericht M.
fest, dass der Kläger für den durch die Beschlagnahme in dem Zeitraum vom
23. Januar 2009 bis zum 17. April 2009 erlittenen Vermögensschaden dem
Grunde nach aus der Staatskasse zu entschädigen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft M.
sprach dem Kläger eine Entschädigung von 28.744,97 €
zu. Nach Aufhebung dieses Bescheids ein knappes Jahr später forderte die
Generalstaatsanwaltschaft den bereits gezahlten Entschädigungsbetrag (erfolglos) zurück. Die Rückforderung wurde später auf 27.290,19 € beschränkt.
6
Das Landgericht hat dem Kläger - gestützt auf einen an ihn abgetretenen
Anspruch der A.
Ltd. aus enteignendem Eingriff - eine Entschädigung
dem Grunde nach zugesprochen. Die dagegen gerichteten Berufungen des
Klägers und des Beklagten waren erfolglos. Das Oberlandesgericht hat lediglich
den Tenor des erstinstanzlichen Urteils dahingehend abgeändert, dass die dem
Kläger dem Grunde nach zugesprochene Entschädigung auf enteignungsgleichem Eingriff aus abgetretenem Recht der A.
Ltd. beruhe. Im Übrigen hat
es die Klage hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche nach dem Gesetz
über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) sowie aus
Amtspflichtverletzung, Aufopferung und enteignendem Eingriff abgewiesen. Mit
seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision möchte der Beklagte
die vollständige Abweisung der Klage erreichen. Die gegen die Nichtzulassung
- 5 -
der Revision in dem Berufungsurteil gerichtete Beschwerde des Klägers hat der
Senat zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
7
Die zulässige Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung
des angefochtenen Urteils, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden
ist, und auf seine Berufung zur Abweisung der Entschädigungsklage.
I.
8
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, Ansprüche des Klägers nach dem Gesetz über die Entschädigung für
Strafverfolgungsmaßnahmen bestünden nicht, da er nicht Eigentümer der beschlagnahmten Zeitschriften gewesen sei und die Voraussetzungen für die Zurechnung eines etwaigen Schadens der A.
Ltd. nicht vorlägen. Insofern
seien auch keine Ansprüche aus abgetretenem Recht gegeben, da die A.
Ltd. als juristische Person und Nicht-Begünstigte der Grundentscheidung keine
Ansprüche nach dem StrEG geltend machen könne. Ansprüche aus Amtshaftung scheiterten daran, dass weder die Staatsanwaltschaft noch der Ermittlungsrichter amtspflichtwidrig gehandelt hätten. Die Beantragung und der Erlass
des Beschlagnahmebeschlusses seien - bezogen auf den damaligen Ermittlungsstand - vertretbar gewesen. Auf Grund der äußerst komplexen Sach- und
Rechtslage hätten die Staatsanwaltschaft und der Ermittlungsrichter zum Zeit-
- 6 -
punkt der Beantragung und des Erlasses der Beschlagnahmeanordnung von
der Verletzung eines dem Beklagten zustehenden Urheberrechts an den mit
den Beilagen veröffentlichten Zeitungen ausgehen dürfen. Vor dem Hintergrund
des bestehenden Beurteilungsspielraums sei der den Beschlagnahmebeschluss tragende Tatverdacht im Sinne des § 86a StGB, die Zeitschrift "Zeitungszeugen" werde (auch) als Sprachrohr der NS-Ideologie eingesetzt, um
gezielt Kunden aus dem rechtsextremen politischen Spektrum anzusprechen,
weder unverständlich noch unvertretbar. Ansprüche aus Aufopferung seien zu
verneinen, weil das Grundrecht auf Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) mit
den Schutzgütern des Art. 2 GG (Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit),
auf die sich der allgemeine Aufopferungsanspruch beziehe, nicht vergleichbar
sei.
9
Das Berufungsgericht hat jedoch einen an den Kläger abgetretenen Entschädigungsanspruch der A.
Ltd. aus enteignungsgleichem Eingriff be-
jaht. Der Beschlagnahmebeschluss vom 23. Januar 2009 stelle eine rechtswidrige Maßnahme im Sinne des enteignungsgleichen Eingriffs dar; hierin liege
kein Widerspruch dazu, dass die Vertretbarkeit der Maßnahme bejaht und damit die Rechtswidrigkeit derselben im Rahmen der Prüfung der Amtspflichtverletzung verneint worden sei. Die Fragen der Vertretbarkeit im Rahmen des
§ 839 BGB und der Rechtswidrigkeit im Rahmen des enteignungsgleichen Eingriffs seien nicht zwangsläufig gleich zu bewerten, da sich die Rechtsinstitute
an unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben orientierten. Im Rahmen der Vertretbarkeit komme ein dem Amtsträger zum Entscheidungszeitpunkt zustehender
Beurteilungsspielraum stärker zum Tragen. Die Frage der eventuell später festgestellten Rechtswidrigkeit bemesse sich dagegen vorrangig nach objektiven
Kriterien, die - wie im konkreten Fall - gegebenenfalls auch erst aufgrund nachträglicher Klärung schwieriger Rechtsfragen Eingang in die später zu treffende
- 7 -
Entscheidung des Rechtsmittelgerichts fänden. Auch die weiteren Voraussetzungen des enteignungsgleichen Eingriffs seien erfüllt. Der Beschlagnahmebeschluss stelle einen Eingriff in den nach Art. 14 GG geschützten eingerichteten
und ausgeübten Gewerbebetrieb der A.
Ltd. dar. Des Weiteren sei das
Vorliegen eines Sonderopfers, das die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreite, zu bejahen. Insbesondere schließe die bei der Prüfung
der Amtshaftung bejahte Vertretbarkeit der Maßnahme die Annahme eines entschädigungsfähigen Sonderopfers - jedenfalls außerhalb des Spruchrichterprivilegs nach § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB - nicht generell aus.
II.
10
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten
stand.
11
Der Kläger hat weder aus eigenem noch aus abgetretenem Recht der
A.
Ltd. einen Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung. Die ge-
genüber dem Kläger erklärte Zession ging ins Leere.
12
1.
Zutreffend allerdings ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass
Entschädigungsansprüche des Klägers oder der A.
Ltd. nach § 2 Abs. 1,
2 Nr. 4 i.V.m. §§ 10, 13 StrEG nicht bestehen. Gleiches gilt für Ansprüche aus
Aufopferung. Die hiergegen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erhobenen Rügen des Klägers hat der Senat für unbegründet befunden.
- 8 -
13
2.
Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, dass weder die
Staatsanwaltschaft noch der Ermittlungsrichter sich bei Beantragung beziehungsweise Erlass der Beschlagnahmeanordnung amtspflichtwidrig (§ 839
Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG) verhalten haben.
14
a) Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass staatsanwaltschaftliche Handlungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers besteht (z.B. Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, Erhebung der öffentlichen Klage, Beantragung eines Haftbefehls oder einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung) im Amtshaftungsprozess nicht auf
ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen sind. Diese
Grundsätze sind auch auf den Richter anwendbar, der - außerhalb des Richterspruchprivilegs (§ 839 Abs. 2 Satz 1 BGB) - über entsprechende Maßnahmen
zu entscheiden hat. Der der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zustehende
Beurteilungsspielraum, der sich daraus ergibt, dass Erfahrungssätze zu verwerten und unter Einbeziehung wertender Gesichtspunkte bestimmte tatsächliche
Umstände zu würdigen sind, ist dadurch gekennzeichnet, dass es bei der Subsumtion eines Sachverhalts unter den Tatbestand einer Norm keine eindeutige
Antwort gibt. Vielmehr kann es mehr als nur eine richtige Entscheidung geben,
das heißt verschiedene Betrachter können, ohne pflichtwidrig zu handeln, zu
unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Die Vertretbarkeit darf deshalb nur
dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die betreffende Entscheidung nicht mehr verständlich ist (vgl. nur Senatsurteile vom 21. April 1988 - III 255/86, NJW 1989,
96, 97; vom 29. April 1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268, 270 f; vom 15. Mai
1997 - III ZR 46/96, VersR 1997, 1363, 1364; vom 16. Oktober 1997 - III ZR
23/96, NJW 1998, 751, 752; vom 18. Mai 2000 - III ZR 180/99, WM 2000, 1588,
1589 und vom 4. November 2010 - III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 14;
- 9 -
BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 158, 160, 668 [Stand: 1. Juli 2016]; jeweils
mwN). Dabei ist die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Vertretbarkeit Aufgabe des Tatrichters und kann vom Revisionsgericht nur daraufhin
überprüft werden, ob er diesen Rechtsbegriff verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und alle für die Beurteilung wesentlichen
Umstände berücksichtigt hat (s. nur Senatsurteile vom 16. Oktober 1997 und
18. Mai 2000 jeweils aaO). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein
staatsanwaltschaftliches oder richterliches Handeln unvertretbar und insoweit
amtspflichtwidrig war, trägt grundsätzlich derjenige, der einen Amtshaftungsanspruch geltend macht (Senatsurteil vom 4. November 2010 aaO Rn. 15). Allerdings können dem Anspruchsteller Erleichterungen in Form der sekundären
Darlegungslast zugute kommen (BVerfG, NJW 2013, 3630 Rn. 40).
15
b) Nach diesen Maßgaben hat das Berufungsgericht die Vertretbarkeit
der Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft und des Ermittlungsrichters - auch
unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahmeanordnung zu Recht bejaht. Bei der Prüfung des nach § 111m StPO erforderlichen Tatverdachts durfte das Berufungsgericht insbesondere auf die leichte Trennbarkeit
der Beilagen (NS-Presseerzeugnisse) von dem so genannten Zeitungsmantel
(mit Erläuterungstexten) sowie den Umstand abstellen, dass die inhaltliche Distanzierung des Klägers von dem in den Beilagen abgedruckten nationalsozialistischen Gedankengut unscheinbar platziert war, während Hakenkreuze (mit einem Durchmesser von bis zu 7,5 cm) und das beigefügte NS-Propagandaplakat (Breite 40 cm und Höhe 60 cm) markant in Erscheinung traten (Anfangsverdacht einer Straftat nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB).
Ebenso wenig ist die tatrichterliche Würdigung zu beanstanden, angesichts der
äußerst komplexen und komplizierten Sach- und Rechtslage und der Notwendigkeit einer Eilentscheidung sei es vertretbar gewesen, hinsichtlich der Ausga-
- 10 -
be des "Völkischen Beobachters" vom 1. März 1933 den (starken) Anfangsverdacht einer Verletzung des dem Beklagten zustehenden Urheberrechts zu bejahen (Strafbarkeit nach § 106 Abs. 1 UrhG).
16
Bei der Beurteilung etwaiger Ersatzansprüche des Klägers beziehungsweise der A.
Ltd. hat die über den Beschluss vom 23. Januar 2009 hin-
ausgehende Beschlagnahme auch der Zeitungsmäntel außer Betracht zu bleiben. Nach den fehlerfrei getroffenen Feststellungen der Vorinstanzen ist durch
den überschießenden Vollzug der Beschlagnahmeanordnung kein (zusätzlicher) Schaden verursacht worden. Auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts und des Berufungsgerichts wird Bezug genommen.
17
c) Erweist sich eine Maßnahme, Entscheidung oder Entschließung der
Staatsanwaltschaft beziehungsweise des Ermittlungsrichters - wie hier - unter
Berücksichtigung eines zuzubilligenden Beurteilungsspielraums als vertretbar,
wirkt sich dies bereits auf der Tatbestandsebene und nicht erst auf der Verschuldensebene des Amtshaftungsanspruchs aus. Denn die Haftungseinschränkung begrenzt den objektiven Umfang der wahrzunehmenden Pflichten.
Dementsprechend
ist
bereits
eine
Amtspflichtverletzung
zu
verneinen
(BeckOGK/Dörr aaO Rn. 161; Stein/Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amtsund Staatshaftungsrechts, 2. Aufl., Rn. 635). Es ist dann aber nur konsequent,
in einem solchen Fall auch von der Rechtmäßigkeit der Maßnahme oder Entscheidung auszugehen. Es wäre widersprüchlich, einerseits die Vertretbarkeit
einer bestimmten Ermittlungshandlung zu bejahen und andererseits eine andere Vorgehensweise als die "einzig richtige Lösung" anzusehen (BeckOGK/Dörr
aaO).
- 11 -
18
d) Nur dann, wenn das Zivilgericht im Amtshaftungsprozess an eine
(verwaltungs-)gerichtliche Entscheidung gebunden ist, die die Rechtswidrigkeit
der in Rede stehenden Maßnahme festgestellt hat, soll sich auf der Tatbestandsebene die Frage der Vertretbarkeit nicht stellen und es bei der Prüfung
verbleiben, ob die fehlerhafte Rechtsanwendung dem Amtsträger als Verschulden vorwerfbar ist (BeckOGK/Dörr aaO). So liegt der Fall hier aber nicht. Zwar
hat die Staatsschutzkammer des Landgerichts den Beschlagnahmebeschluss
des Amtsgerichts vom 23. Januar 2009 auf die Beschwerde des Klägers durch
Beschluss vom 17. April 2009 aufgehoben. Damit wurde jedoch - worauf der
Beklagte zu Recht hinweist und wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist - nicht verbindlich festgestellt, der Ermittlungsrichter habe eine rechtswidrige Beschlagnahmeanordnung erlassen. Vielmehr hat das Gericht die Anordnungsvoraussetzungen auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt
gegebenen Ermittlungsstands überprüft und gemäß § 309 StPO eine eigene
Sachentscheidung (dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 309 Rn. 4)
getroffen. Dass die Staatsschutzkammer nunmehr - auf Grund des Fortschreitens der Ermittlungen - die Verdachtsintensität anders bewertet hat als der Ermittlungsrichter, vermag die Vertretbarkeit der ursprünglich getroffenen Entscheidung nicht in Zweifel zu ziehen, zumal die Beschlagnahme wegen Fristablaufs (§ 111n Abs. 2 StPO) bereits aus formalen Gründen aufzuheben war.
19
3.
Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht allerdings einen Entschädi-
gungsanspruch der A.
Ltd. aus enteignungsgleichem Eingriff bejaht, in-
dem es davon ausgegangen ist, dass die Vertretbarkeit der Beschlagnahmeanordnung ohne Einfluss auf die Bejahung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme
sei, die sich allein nach objektiven Kriterien beurteile.
- 12 -
20
a) Ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff setzt
voraus, dass rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition
von hoher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also
unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 10. März 1994
- III ZR 9/93, BGHZ 125, 258, 264 und vom 11. Januar 2007 - III ZR 302/05,
BGHZ 170, 260 Rn. 33; jeweils mwN). Dabei bedarf die Annahme eines entschädigungspflichtigen Sonderopfers regelmäßig keiner besonderen Begründung, da es sich aus dem Umstand ergibt, dass in die Rechtsposition des Betroffenen rechtswidrig eingegriffen wird (Senatsurteil vom 14. März 2013 - III ZR
253/12, BGHZ 197, 43 Rn. 8; BeckOGK/Dörr aaO Rn. 1148 mwN).
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b) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen
der Vertretbarkeit der Maßnahme im Rahmen des Amtshaftungsanspruchs und
ihrer objektiven Unrichtigkeit/Rechtswidrigkeit im Rahmen des Anspruchs aus
enteignungsgleichem Eingriff lässt rechtsfehlerhaft außer Betracht, dass die
oben (unter 2 a und c) dargestellte Einschränkung der Haftung im Amtshaftungsprozess auch Konsequenzen für den verschuldensunabhängigen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff hat. Denn die im Zusammenhang mit
der Überprüfung von staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Maßnahmen im
Ermittlungsverfahren entwickelten Grundsätze zur Vertretbarkeit der Maßnahme gelten auch für die Beurteilung von Ansprüchen aus enteignungsgleichem
Eingriff. Ebenso wie im Amtshaftungsprozess sind die Beschlagnahme und deren Aufrechterhaltung im Rahmen eines Anspruchs wegen enteignungsgleichen
Eingriffs nicht auf ihre Richtigkeit, sondern allein darauf zu überprüfen, ob sie
vertretbar sind. Danach ist die Vertretbarkeit nur dann zu verneinen, wenn die
Entscheidung auch bei voller Würdigung der Belange einer funktionstüchtigen
- 13 -
Strafrechtspflege nicht mehr verständlich ist. Dies bedeutet, dass die Bejahung
einer vertretbaren Maßnahme nicht nur dazu führt, dass eine Amtspflichtverletzung (bereits auf der Tatbestandsebene) entfällt, sondern auch dazu, dass die
Rechtswidrigkeit des Eingriffs als Voraussetzung einer Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff zu verneinen ist (Senatsurteil vom 15. Mai 1997 - III ZR
46/96, VersR 1997, 1363, 1364; BeckOGK/Dörr aaO Rn. 1120). Entgegen der
Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich aus dem Senatsurteil vom
19. Januar 2006 (III ZR 82/05, BGHZ 166, 22 Rn. 9 ff) nichts Abweichendes.
Diese Entscheidung betrifft den Rechtswidrigkeitsbegriff im Sinne des § 39
Abs. 1 Buchst. b des nordrhein-westfälischen Ordnungsbehördengesetzes. In
diesem Bereich spielen die vom Senat entwickelten Grundsätze für die Überprüfung staatsanwaltschaftlicher beziehungsweise richterlicher Maßnahmen
ersichtlich keine Rolle.
22
4.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus an-
deren Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Ein Anspruch aus enteignendem Eingriff, wie ihn das Landgericht angenommen hat, scheidet ebenfalls aus, da die
A.
Ltd. durch den Vollzug der Beschlagnahmeanordnung kein unzumut-
bares Sonderopfer erlitten hat.
23
a) Der Umstand, dass das Berufungsgericht aus abgetretenem Recht
eine Entschädigung unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs
dem Grunde nach zugesprochen und die Klage hinsichtlich eines etwaigen Anspruchs der A.
Ltd. aus enteignendem Eingriff abgewiesen hat, steht ei-
ner Prüfung dieser (alternativen) Anspruchsgrundlage in dem vom Beklagten
betriebenen Rechtsmittelverfahren nicht entgegen. Das eine von mehreren Anspruchsgrundlagen verneinende Grundurteil, führt zwar - ohne insoweit schon
der Rechtskraft fähig zu sein - zu einer innerprozessualen Bindungswirkung, die
- 14 -
im Betrags- und im Rechtsmittelverfahren gemäß §§ 318, 512, 557 Abs. 2 ZPO
grundsätzlich zu berücksichtigen ist (BGH, Urteil vom 10. Juli 1959 - VI ZR
160/58, NJW 1959, 1918, 1919; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 304
Rn. 11). Für den Rechtsmittelzug gilt diese Bindungswirkung allerdings nur eingeschränkt. Reichen die beiden Klagegründe - wie im vorliegenden Fall - quantitativ gleich weit, erkennt das Gericht aber nur einen als begründet an (hier:
enteignungsgleicher Eingriff), so ist das auf ihn gestützte Grundurteil ein voller
Sieg des Klägers mit der Folge, dass er gegen die Aberkennung des anderen
Klagegrunds seiner Forderung mangels Beschwer kein Rechtsmittel einlegen
kann (Zöller/Vollkommer aaO). Aus diesem Grund ist das Rechtsmittelgericht
gehalten, den weiteren (abgelehnten) Klagegrund von Amts wegen zu prüfen
(Senatsurteil vom 10. Januar 1972 - III ZR 139/70, WM 1972, 371, 372). Wenn
der verneinte Klagegrund dagegen dem Umfang nach weiter reicht als der zuerkannte, ist der dann beschwerte Kläger darauf zu verweisen, das einschränkende Grundurteil mit einem Rechtsmittel anzugreifen (vgl. Zöller/Vollkommer
aaO).
24
Über die Anschlussrevision des Klägers, die nur für den Fall eingelegt
worden ist, dass der Senat sich ansonsten an einer Prüfung des Klagebegehrens unter dem Gesichtspunkt des enteignenden Eingriffs gehindert sehen sollte, ist daher mangels Bedingungseintritts nicht zu entscheiden.
25
b) Ein Anspruch aus enteignendem Eingriff setzt voraus, dass eine an
sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme bei einem Betroffenen unmittelbar zu
Nachteilen führt, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen
muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen
(st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 11. März 2004 - III ZR 274/03, BGHZ 158,
263, 267; vom 10. Februar 2005 - III ZR 330/04, NJW 2005, 1363 und vom
- 15 -
14. März 2013 - III ZR 253/12, BGHZ 197, 43 Rn. 7; jeweils mwN). Da das
Sonderopfer nicht - wie beim enteignungsgleichen Eingriff - mit der Rechtswidrigkeit der hoheitlichen Maßnahme begründet werden kann, muss geprüft werden, ob die Einwirkungen auf die Rechtsposition des Betroffenen die Sozialbindungsschwelle überschreiten, also im Verhältnis zu anderen ebenfalls betroffenen Personen eine besondere Schwere aufweisen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirken (Senatsurteil
vom 14. März 2013 aaO Rn. 8; BeckOGK/Dörr aaO Rn. 1233; Ossenbühl/
Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., S. 344; jeweils mwN). Ob in diesem Sinn
eine hoheitliche Maßnahme die Sozialbindungsschwelle überschreitet oder sich
noch als Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums begreifen lässt, kann nur
aufgrund einer umfassenden Beurteilung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden (Senatsurteil vom 14. März 2013 aaO; BeckOGK/Dörr aaO).
Das "Abverlangen" eines Sonderopfers im öffentlichen Interesse ist regelmäßig
zu verneinen, wenn sich der nachteilig Betroffene freiwillig in eine gefährliche
Situation begeben hat, deren Folgen dann letztlich von ihm herbeigeführt und
deshalb grundsätzlich von ihm selbst zu tragen sind (vgl. Senatsurteile vom
2. Mai 1955 - III ZR 271/53, BGHZ 17, 172, 175; vom 18. September 1959
- III ZR 68/58, BGHZ 31, 1, 4 und vom 14. März 2013 aaO Rn. 11; BeckOGK/
Dörr aaO Rn. 1236 mwN). Wer daher schuldhaft den Anschein einer polizeilichen Gefahr hervorruft, hat keinen Anspruch aus enteignendem Eingriff auf Ersatz eines Vermögensnachteils, der ihm aus einer hierauf zurückzuführenden
polizeilichen Maßnahme entstanden ist (BeckOGK/Dörr aaO). Denn in einem
solchen Fall wird nicht in die Rechtssphäre eines unbeteiligten Dritten eingegriffen. Vielmehr ist der Betroffene für eine Sachlage verantwortlich, die eine Pflicht
der Polizei zum Handeln begründet hat (Senatsurteile vom 14. Februar 1952
- III ZR 233/51, BGHZ 5, 144, 152 und vom 14. März 2013 aaO). Entgegen der
in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des Klägervertreters gilt
- 16 -
dieser Gedanke nicht nur im präventiv-polizeilichen Bereich, sondern auch bei
Maßnahmen der Strafverfolgung. So ist eine Entschädigung nach § 5 Abs. 2
Satz 1 StrEG ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Auch die
leicht fahrlässige Verursachung kann gemäß § 4, § 5 Abs. 3 oder § 6 Abs. 1
Nr. 1 StrEG zur Versagung einer Entschädigung führen (Meyer-Goßner/Schmitt
aaO § 5 StrEG Rn. 13). Verallgemeinernd ist festzustellen, dass derjenige, der
durch privates - auch erlaubtes - Verhalten, welches im Hinblick auf etwaige
nachteilige Einwirkungen nicht geschützt ist, einen Konflikt zwischen den privaten und öffentlichen Interessen hervorruft, hinnehmen muss, dass die Folgen
regelmäßig seiner Sphäre zugeordnet werden und kein gleichheitswidriges
Sonderopfer darstellen (Senatsurteil vom 13. März 2013; BeckOGK/Dörr jeweils
aaO).
26
c) In Anwendung dieser Grundsätze sind hier die Voraussetzungen eines
entschädigungspflichtigen Sonderopfers der A.
Ltd. zu verneinen. Da zu
dieser Frage weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen, kann der Senat
selbst entscheiden. Maßgebend ist dabei, dass die A.
Ltd. nicht als unbe-
teiligte Dritte anzusehen ist, in deren Rechtssphäre durch die Beschlagnahme
(zufällig) eingegriffen worden ist. Vielmehr ist das Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden durch das riskante Verhalten des Klägers veranlasst worden.
Dieser hat sich als geschäftsführender Gesellschafter der A.
Ltd. und
Verantwortlicher im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewusst für eine "grenzwertige" Veröffentlichung des Journals "Zeitungszeugen" entschieden (mit markanter Wiedergabe des Hakenkreuzes und Beifügung großformatiger NSPropagandaplakate bei gleichzeitiger unauffälliger inhaltlicher Distanzierung).
Wie bereits ausgeführt, begründete diese Vorgehensweise – vertretbar – den
Anfangsverdacht für Straftaten nach §§ 86, 86a StGB und § 106 Abs. 1 UrhG.
- 17 -
Da die A.
Ltd. sich das Verhalten ihres Organs zurechnen lassen muss,
kann sie sich nicht darauf berufen, ihr sei ein unzumutbares Sonderopfer für die
Allgemeinheit abverlangt worden.
27
Nach alledem kann dahinstehen, ob die Annahme des Berufungsgerichts
zutrifft, die richterliche Beschlagnahmeanordnung habe zu einem Eingriff in die
nach Art. 14 GG geschützten Rechte der A.
28
5.
Ltd. geführt.
Die unter Nummer 2 bis 4 ausgeführten Gründe treffen nicht nur auf die
(abgetretenen) Ansprüche der A.
Ltd., sondern auch auf die aus eigenem
Recht geltend gemachten Forderungen des Klägers zu, so dass die von ihm
aufgeworfene Frage des "Entwertungsschadens" seiner Gesellschaftsanteile
nicht entscheidungserheblich ist.
III.
29
Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben, soweit zum Nachteil
des Beklagten entschieden worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO).
- 18 -
30
Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat auf die Berufung des Beklagten die Klage insgesamt abweisen (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Herrmann
Seiters
Liebert
Reiter
Arend
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 23.01.2013 - 15 O 9627/11 OLG München, Entscheidung vom 27.11.2014 - 1 U 781/13 -