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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 154/03
Verkündet am:
22. Juli 2004
Kiefer
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 839 (Fm); SGB VI § 16 F: 18.12.1989
Zu den Amtspflichten eines Rehabilitationsberaters des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber einem Versicherten im Zusammenhang mit der Erlangung einer Arbeitsstelle.
BGH, Urteil vom 22. Juli 2004 - III ZR 154/03 - KG Berlin
LG Berlin
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Dr. Wurm, Streck, Dörr und Galke
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats
des Kammergerichts Berlin vom 11. April 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, der im Jahr 1997 eine Arbeitsstelle suchte und wegen seiner
gesundheitlichen Einschränkungen von der Beklagten, seinem Rentenversicherungsträger, berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation nach §§ 16 ff
SGB VI beanspruchen konnte, führte am 10. November 1997 mit dem Geschäftsführer der I.
GmbH ein Vorstellungsgespräch. Dem
Kläger wurde die Bereitschaft zu einer Einstellung zum 1. Januar 1998 mitgeteilt; zugleich wurde darauf hingewiesen, es sei von Vorteil, wenn er zuvor eine
externe Schulung im Verkaufstraining ableiste. Der Kläger setzte sich daraufhin
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mit dem für ihn zuständigen Rehabilitationsberater K.
der Beklagten in Ver-
bindung, der Anfang Dezember mit dem Arbeitgeber telefonischen Kontakt aufnahm und ihn dahin informierte, es komme sowohl die Übernahme der Kosten
von Verkaufsschulungen als auch die Teilübernahme des Gehalts in Betracht,
sofern ein unbefristeter Arbeitsvertrag geschlossen werde. Zum Abschluß eines Arbeitsvertrages mit dem Kläger kam es indes nicht. Vielmehr wurde der
Arbeitsplatz zum 1. Januar 1998 anderweit vergeben.
Der Kläger, der erst mit Wirkung zum 16. September 1998 eine Arbeitsstelle fand, nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen entgangenen Verdienstes in Höhe von 56.776,30 DM (= 29.029,26 €) nebst Zinsen mit der Behauptung in Anspruch, der Rehabilitationsberater der Beklagten habe sich um
den Abschluß des Arbeitsvertrages kümmern wollen und habe ihn kurz vor
Weihnachten 1997 darüber informiert, daß der Arbeitsvertrag stehe und nur
noch die schriftliche Zusage der Beklagten für die Schulungsmaßnahme fehle.
Da der Rehabilitationsberater die ihm gegenüber übernommene Tätigkeit tatsächlich nicht ausgeführt habe, sei ihm die Arbeitsstelle zum 1. Januar 1998
entgangen. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom
Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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1.
Das Landgericht hat den Rehabilitationsberater K.
den Mitarbeiter T.
des Arbeitsamts H.
der Beklagten und
als Zeugen vernommen.
Nach deren Aussagen hat das Landgericht eine Amtspflichtverletzung verneint,
weil die Behauptung des Klägers, der Zeuge K.
werde sich um alles, insbe-
sondere auch den Abschluß eines Arbeitsvertrages, kümmern und der Kläger
brauche sich dementsprechend nicht selbst hierum zu bemühen, von den Zeugen nicht bestätigt worden sei. In der Berufungsinstanz hat der Kläger vor allem gerügt, das Landgericht habe sich nicht mit der Bestätigung des Herrn
I.
auseinandergesetzt und diesen und seine, des Klägers, Ehefrau nicht
als Zeugen vernommen. In deren Wissen hatte er unter anderem gestellt, der
Zeuge K.
habe nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Zeugen I.
klä-
ren wollen, ob der Kläger geschult und ein Teil des Gehalts übernommen werden könne. Weil sich der Berater nicht mehr beim Zeugen I.
gemeldet habe,
sei dieser davon ausgegangen, daß der Kläger an der Erlangung des Arbeitsplatzes kein Interesse mehr habe. Aus dem in das Wissen der Zeugin Ku.
gestellten Anruf kurz vor Weihnachten 1997 ergebe sich ferner, daß der Zeuge
K.
ihm nicht mitgeteilt habe, daß er sich um den Abschluß eines Arbeitsver-
trages kümmern müsse. Schon gar nicht sei er auf die Möglichkeit hingewiesen
worden, daß der Arbeitsvertrag unter der Bedingung der Gewährung von Förderungsleistungen der Beklagten geschlossen werden könne.
2.
Da das Berufungsgericht diesen Beweisanträgen nicht nachgegangen
ist, ist zugunsten des Klägers im Revisionsverfahren von dessen Sachdarstellung auszugehen. Danach ließe sich eine Amtspflichtverletzung des Rehabilitationsberaters der Beklagten nicht verneinen.
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Der Kläger konnte von der Beklagten nach § 16 Abs. 1 SGB VI in der
ursprünglichen Fassung vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2261; § 16 Abs. 1
Nr. 3 wurde mit Wirkung zum 1. Januar 1998 geändert durch das Rentenreformgesetz 1999 vom 16. Dezember 1997, BGBl. I S. 2998) berufsfördernde
Leistungen beanspruchen, namentlich um einen Arbeitsplatz zu erlangen, der
auf seine gesundheitliche Situation Rücksicht nahm. Hier ging es, wie die Beklagte im einzelnen dargelegt hat, insbesondere um die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 20 der Vereinbarung über berufliche Rehabilitation
zwischen dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit vom 30. März 1994 (abgedruckt in Kasseler Kommentar
Sozialversicherungsrecht, § 16 SGB VI Anhang 2), die nach Absatz 1 in Betracht kommt, wenn der Arbeitgeber einem Behinderten die zum Erreichen der
vollen Leistungsfähigkeit notwendigen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten
an einem Arbeitsplatz vermittelt oder einen seinem Leistungsvermögen angemessenen Dauerarbeitsplatz bietet. Es ist Aufgabe des Rehabilitationsberaters,
dafür zu sorgen, daß diese Förderungsmöglichkeiten für den Versicherten erreichbar werden. Das schließt zwar nicht ein, daß der Rehabilitationsberater
dem Versicherten einen bestimmten Arbeitsplatz verschaffen oder den ins Auge gefaßten Arbeitsvertrag "abschlußreif" vorbereiten muß und die Beklagte
hierfür einzustehen hätte. Seine Betreuung des Versicherten muß jedoch dahin
gehen, daß er die Voraussetzungen für eine Förderung klärt, den Versicherten
zutreffend darüber informiert, welche Schritte dieser selbst gehen muß, und
daß er auch - je nach Lage des Falles - Kontakt mit dem ins Auge gefaßten
Arbeitgeber aufnimmt, um abzuklären, ob und unter welchen Voraussetzungen
eine Förderung für den Versicherten möglich erscheint. Im Rahmen dieser
Kontaktaufnahme wird es ihm auch gegenüber einem Arbeitgeber, der nur bei
der Gewährung von Eingliederungshilfe zu einer Einstellung bereit ist, oblie-
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gen, ihn und den Versicherten auf die Möglichkeit eines - nach den Angaben
der Beklagten den Üblichkeiten entsprechenden - Abschlusses des Arbeitsvertrages unter der Bedingung einer Leistungsgewährung durch die Beklagte aufmerksam zu machen. Hält der Berater den Versicherten vom Abschluß eines
Arbeitsvertrages ab, weil er - wie der Kläger unter Beweisantritt behauptet hat sich darum selbst zu kümmern verspricht, verletzt er seine Amtspflichten, wenn
er in dieser Richtung untätig bleibt und den Versicherten nicht zeitgerecht über
die Notwendigkeit dessen eigener Mitwirkung unterrichtet.
3.
a) Das Berufungsgericht, das die Verletzung einer Amtspflicht offenläßt,
verneint einen Schadensersatzanspruch des Klägers, weil es an der Darlegung
eines hierauf beruhenden Schadens fehle. Maßgebend sei, welchen Verlauf
die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Amtsträgers genommen hätten
und wie sich in diesem Fall die Vermögenslage des Verletzten darstellen würde, wofür der Kläger die Darlegungs- und Beweislast trage. Nach dessen Vortrag sei es ungewiß, ob sich Herr I.
auf den Abschluß eines Arbeitsvertrages
unter der Bedingung der Leistungsgewährung der Beklagten eingelassen hätte.
Dagegen spreche vor allem, daß der Kläger am 26. Januar 1998 an die Beklagte geschrieben habe, Herr I.
habe nicht so lange warten können, bis die
Beklagte eine schriftliche Entscheidung getroffen habe. Ungewiß sei der Abschluß eines Arbeitsvertrages auch dann, wenn der Rehabilitationsberater versucht hätte, den Vertrag für den Kläger auszuhandeln. Denn Herrn I.
sei es
darauf angekommen, daß die Beklagte die Kosten eines Verkaufstrainings sowie einen Großteil seines Gehalts übernommen hätte. Eine derartige Leistungsgewährung habe jedoch kurz vor Weihnachten 1997, als der Rehabilitationsberater dem Kläger nach dessen Vortrag den Abschluß eines Arbeitsvertrages als sicher hingestellt habe, noch nicht festgestanden. Selbst wenn Herrn
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I.
zu diesem Zeitpunkt die Leistungsgewährung zugesagt worden wäre, feh-
le es an Darlegungen des Klägers, ob der Arbeitsplatz noch nicht anderweitig
besetzt gewesen sei. Entsprechendes gelte, wenn sich der Kläger kurz vor
Weihnachten 1997 selbst um den Abschluß eines Arbeitsvertrages bemüht hätte.
b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
aa) Im Ausgangspunkt zutreffend legt das Berufungsgericht seiner Prüfung für die Frage, ob der eingetretene Schaden auf der (unterstellten) Amtspflichtverletzung beruht, zugrunde, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Amtsträgers genommen hätten und wie sich in diesem Fall
die Vermögenslage des Verletzten darstellen würde. Insoweit obliegt dem Anspruchsteller grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Senatsurteil
BGHZ 129, 226, 232 f). Dabei kommen dem Geschädigten im Bereich der hier
betroffenen haftungsausfüllenden Kausalität die Beweiserleichterungen des
§ 287 ZPO zugute, die auch die Anforderungen an die Darlegung verringern
(vgl. Senatsurteil aaO S. 233 m.w.N.). Zu einer weitergehenden Beweislastumkehr kann es kommen, wenn die Amtspflichtverletzung und eine zeitlich nachfolgende Schädigung feststehen, sofern nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder Wahrscheinlichkeit für den Ursachenzusammenhang sprechen (vgl. Senatsurteil aaO).
bb) Ob im vorliegenden Fall eine Beweislastumkehr in Betracht zu ziehen ist, was die Revisionserwiderung mit der Überlegung in Abrede stellt, für
das Verhalten des Arbeitgebers lasse sich keine Lebenserfahrung anführen,
bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht überspannt die Darle-
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gungslast des Klägers und läßt insbesondere wesentliches, auch unter Beweis
gestelltes Vorbringen unberücksichtigt.
Nach dem Vorbringen des Klägers bestand im Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs am 10. November 1997 jedenfalls die grundsätzliche Bereitschaft des Arbeitgebers zu einer Einstellung des Klägers zum 1. Januar 1998,
wobei eine externe Schulung im Verkaufstraining als vorteilhaft bezeichnet
wurde. Übereinstimmender Vortrag der Parteien ist es, daß der Rehabilitationsberater K.
Anfang Dezember 1997 mit dem Arbeitgeber Kontakt aufnahm
und die Förderungsmöglichkeiten mit diesem erörterte. Nach dem Vorbringen
der Beklagten sicherte ihr Berater sowohl dem Kläger als auch dem Arbeitgeber die Förderung - unter der Bedingung des Abschlusses des Arbeitsvertrages - zu. Daß der Arbeitgeber im Zeitpunkt dieses für die Beurteilung maßgeblichen Gesprächs Anfang Dezember 1997 nicht bereit gewesen wäre, mit dem
Kläger einen Arbeitsvertrag zu schließen, bzw. daß er den Arbeitsplatz zu diesem Zeitpunkt bereits anderweit vergeben hätte, ist nicht erkennbar. Hiergegen
spricht vor allem die schriftliche Bestätigung des Arbeitgebers vom 15. Juli
1998, in der ausgeführt wird, er habe einen anderen Arbeitnehmer eingestellt,
weil sich der Berater nach dem ersten Gespräch nicht mehr mit ihm in Verbindung gesetzt habe. Auch die Aussage des Zeugen K.
und sein an die Be-
klagte gerichtetes Schreiben vom 10. November 1998 geben keinen Hinweis
darauf, daß der Arbeitsplatz für den Kläger im Zeitpunkt seiner Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber Anfang Dezember 1997 nicht erlangbar gewesen wäre. Es kommt hinzu, daß der Kläger sein Vorbringen insoweit in das Wissen
des Zeugen I.
gestellt hat.
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Hing damit letztlich die von der Beklagten den Beteiligten in Aussicht
gestellte Förderung von dem baldigen Abschluß eines Arbeitsvertrages ab,
ergibt sich die Ursächlichkeit der dem Berater angelasteten Amtspflichtverletzung für den nachfolgenden Schaden in einer den Anforderungen des § 287
ZPO genügenden Weise. Denn nach dem Vorbringen des Klägers wurde er
vom Abschluß eines Arbeitsvertrages nur deshalb abgehalten, weil der Berater
ihm zugesagt hatte, er werde sich darum kümmern. Auf die - möglicherweise
richtigen - Erwägungen des Berufungsgerichts, ob der Arbeitsplatz noch kurz
vor Weihnachten 1997 zu besetzen gewesen sei, kommt es dann nicht an.
4.
Im weiteren Verfahren besteht Gelegenheit, das Vorliegen einer Amts-
pflichtverletzung und eines hierauf beruhenden Schadens anhand des unter
Beweis gestellten Vorbringens festzustellen.
Schlick
Wurm
Dörr
Streck
Galke