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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
II ZR 288/99
URTEIL
in dem Rechtsstreit
Verkündet am:
17. Dezember 2001
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
-2-
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom
12. November
2001
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette,
Dr. Kurzwelly und die Richterin Münke
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Dresden vom 31. August 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
-3-
Tatbestand:
Die Kläger wenden sich mit ihrer Anfechtungsklage gegen die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 1 (Beschluß über den Jahresabschluß 1997)
und 7 (Bestätigung des Hauptversammlungsbeschlusses vom 10. Oktober
1994 über die Herabsetzung des Grundkapitals), die in der Hauptversammlung
der Beklagten vom 14. Juli 1998 gefaßt worden sind. In der Revisionsinstanz
streiten die Parteien darüber, ob die Hauptversammlung ordnungsgemäß i.S.
des § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG einberufen worden ist. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der bis zum 6. Juni 1997 gültigen Satzung mußte
der Vorstand der Beklagten, die im Zeitpunkt der Beschlußfassung über ein
Grundkapital von 75 Mio. DM verfügte, aus mindestens zwei Mitgliedern bestehen. Für die Folgezeit ist die Vorschrift dahingehend geändert worden, daß der
Aufsichtsrat die Zahl der Vorstandsmitglieder bestimmt. Nachdem das Vorstandsmitglied H.
sein Vorstandsamt zum 28. Februar 1998 niedergelegt
hatte, faßte der Aufsichtsrat am 25. Mai 1998 den Beschluß, Herrn H.
Vorstandsmitglied abzuberufen. Zugleich beschloß er, Herrn S.
als
mit Wirkung
ab 1. Juni 1998 zum Mitglied des Vorstandes der Beklagten zu bestellen. In der
Zeit vom 28. Februar bis zum 31. Mai 1998 war somit alleiniges Mitglied des
Vorstandes Herr Dr. B.
. Die auf den 26. Mai 1998 datierte Einladung zur
Hauptversammlung vom 14. Juli 1998 ist am 29. Mai 1998 im Bundesanzeiger
veröffentlicht worden. Die Parteien streiten u.a. darüber, ob der Aufsichtsrat mit
seinem in der Sitzung vom 25. Mai 1998 gefaßten Beschluß für die Zeit bis
zum 1. Juni 1998 die Zahl der Vorstandsmitglieder auf ein Mitglied beschränkt
hat.
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Die Anfechtungsklage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung. Der Vorstand
der Beklagten war bei Abschluß der vorbereitenden Maßnahmen für die Haup tversammlung am 26. Mai 1998 sowie bei der Einladung zur Hauptversammlung
durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 29. Mai 1998 entsprechend den
Anforderungen des Gesetzes und der Satzung der Beklagten (vgl. §§ 23 Abs. 3
Nr. 6, 76 Abs. 2 Satz 2 AktG) ordnungsgemäß besetzt. Der Beklagten kann
somit ein Formfehler bei der Erarbeitung und Bekanntgabe der Vorschläge zur
Beschlußfassung in der Hauptversammlung vom 14. Juli 1998, der zur Anfechtung der Beschlüsse berechtigen würde, nicht vorgeworfen werden.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die vorbereitenden Maßnahmen i.S. des § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG von dem Gesamtvorstand zu treffen und zu verantworten sind. Nach § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG
sowie § 8 Abs. 1 der vor dem 6. Juni 1997 gültigen Satzung der Beklagten
mußte der Gesamtvorstand aus zwei Mitgliedern bestehen. Der Umstand, daß
ein Vorstandsmitglied durch Niederlegung seines Amtes aus dem Vorstand
ausschied, führte unter Zugrundelegung dieser Regelung nicht dazu, daß diese
Maßnahmen nur durch das verbliebene Vorstandsmitglied vorzubereiten und
zu verantworten waren. Das hat der Senat in dem Verfahren II ZR 225/99 mit
-5-
Urteil vom 12. November 2001 entschieden. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war der Vorstand am 26.
bzw. 29. Mai 1998 unter der Geltung der neugefaßten Satzung der Beklagten
mit einem Mitglied ordnungsgemäß besetzt.
a) Entgegen der Ansicht der Kläger stimmt die neue Satzungsregelung,
nach der die Zahl der Vorstandsmitglieder vom Aufsichtsrat der Beklagten bestimmt wird, mit der gesetzlichen Vorschrift des § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG überein. Diese Bestimmung schreibt für Gesellschaften mit einem Grundkapital von
mehr als 3 Mio. € mindestens zwei Vorstandsmitglieder vor. Nach ihrem Wor
tlaut gilt jedoch eine Ausnahme von diesem Grundsatz, wenn die Satzung bestimmt, daß der Vorstand nur aus einer Person besteht. Dem entspricht die in
§ 8 der Satzung der Beklagten getroffene Regelung nicht. Die mit der Neufassung des Aktiengesetzes vom 6. September 1965 in das Gesetz eingefügte
Vorschrift des § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG ist jedoch unter Berücksichtigung von
§ 23 Abs. 2 Nr. 6 AktG auszulegen, wonach in der Satzung die Zahl der Mitglieder des Vorstandes oder die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt
wird, anzugeben sind. Eine Satzungsvorschrift, nach der die Zahl der Vorstandsmitglieder vom Aufsichtsrat bestimmt wird, gibt eine Regel an, nach der
die Zahl der Vorstandsmitglieder festgelegt wird (Reg.Begr. BT-Drucks. 8/1678
S. 12; Hüffer, AktG 4. Aufl. § 76 Rdn. 22; ders. NJW 1979, 1065, 1066; Pentz
in MünchKomm. z. AktG § 23 Rdn. 136; Krafft in KK z. AktG, 2. Aufl. § 23
Rdn. 76; Ganske, DB 1978, 2461, 2462).
Die Vorschrift des § 23 Abs. 2 Nr. 6 AktG, deren gegenwärtige Fassung
auf dem Gesetz zur Durchführung der zweiten Richtlinie vom 13. Dezember
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1976 (BGBl. 1978, S. 1959) beruht, steht mit Art. 2 lit. d dieser Richtlinie (77/91
EWG, ABl.EG Nr. L 26 vom 31. Januar 1977, S. 1) in Übereinstimmung. Zwar
hat die Satzung nach dem Wortlaut der deutschen Fassung der Richtlinie "die
Bestimmungen, welche die Zahl ... der Mitglieder ..." festlegt, zu enthalten. Diese Fassung entspricht jedoch nicht der Entstehungsgeschichte der Richtlinienvorschrift (Ganske, DB 1978, 1461, 1462 Fn. 11). Diese spiegelt sich vielmehr
zutreffend u.a. in der englischen und französischen Fassung wider, die von
"rules, governing the number of ... members" bzw. von "règles, qui déterminent
le nombre ..." sprechen (zu diesen Fassungen vgl. EUR-Lex, Community legislation in force bzw. Législation communitaire en vigueur, Document 377
L 001 S. 1). Die Richtigkeit dieser Anwendung des Gemeinschaftsrechtes, die
auch der Ansicht des deutschen historischen Gesetzgebers entspricht (vgl.
BT-Drucks. 8/1678 S. 12), ist offenkundig im Sinne der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes (vgl. EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1982 - RS 283/81,
Slg. 1982, 3415, 3430 f.). Es bedarf daher keiner Vorlage an den Europäischen
Gerichtshof.
b) Mit seinen Beschlüssen zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 der
Sitzung vom 25. Mai 1998 hat der Aufsichtsrat zum Ausdruck gebracht, daß er
die Zahl der Vorstandsmitglieder nach § 8 Abs. 1 der ab 6. Juni 1997 gültigen
Satzung auf ein Mitglied reduziert. In dem Beschluß zu Tagesordnungspunkt 2
hat der Aufsichtsrat der Niederlegung des Vorstandsmandates durch das frühere Vorstandsmitglied H.
zugestimmt und dessen Abberufung beschlossen.
Zu Tagesordnungspunkt 3 hat der Aufsichtsrat den Beschluß gefaßt, Herrn
S.
mit Wirkung ab 1. Juni 1998 zum Mitglied des Vorstandes der Beklagten
zu bestellen. Zwar wird in diesen Beschlüssen nicht ausgesprochen, daß für
die Zeit bis zum Antritt des Amtes durch Herrn S.
die Zahl der Vorstandsmit-
glieder auf eine Person beschränkt wird. Ein solcher Beschlußinhalt kann je-
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doch durch Auslegung beider Beschlüsse festgestellt werden. Einmal ist sich
der Aufsichtsrat des Umstandes, daß bis zum Antritt des Amtes durch Herrn
S.
der Vorstand nur mit einem Mitglied besetzt war, bewußt gewesen. Zum
anderen hat er trotz Kenntnis dieses Umstandes, Herrn S.
nicht mit soforti-
ger Wirkung, sondern erst ab 1. Juni 1998 in den Vorstand berufen. Damit hat
er hinreichend zum Ausdruck gebracht, daß für die Zwischenzeit von der Berufung eines weiteren Vorstandsmitgliedes abgesehen und damit die Zahl der
Vorstandsmitglieder auf eine Person beschränkt wird.
Das Berufungsgericht hat zwar im Ausgangspunkt seiner gegenteiligen
Überlegungen insoweit Recht, als Aufsichtsratsbeschlüsse nach der Rechtsprechung des Senates nicht stillschweigend gefaßt werden können, sondern
daß es eines ausdrücklichen Beschlusses bedarf (BGHZ 10, 187, 194; BGHZ
41, 282, 286). Liegt jedoch ein ausdrücklich gefaßter Beschluß vor, so kann
seine Auslegung dazu führen, daß ein über den ausdrücklichen Beschlußwor tlaut hinausgehender Erklärungsgehalt zu berücksichtigen ist (BGHZ 12, 337,
340; BGH, Urt. v. 19. Dezember 1988 - II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295). Diese
Voraussetzungen sind, wie vorstehend ausgeführt, im vorliegenden Falle gegeben. Das hat das Berufungsgericht verkannt.
-8-
Da die Kläger ihre Anfechtungsklage auf verschiedene weitere Gründe
gestützt haben, zu denen bislang keine Feststellungen getroffen worden sind,
war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Röhricht
Henze
Goette
Frau RinBGH Münke
ist wegen Erkrankung
an der Leistung der
Unterschrift gehindert
Kurzwelly
Röhricht