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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZR 277/16
vom
17. April 2018
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2018:170418BIIZR277.16.0
-2-
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. April 2018 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Drescher, die Richter Born und Sunder, die
Richterin B. Grüneberg und den Richter V. Sander
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das
Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart
vom 19. September 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
wird auf 450.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Der Kläger war seit 2007 als Geschäftsführer der Beklagten bzw. deren
Rechtsvorgängerin bestellt und mit befristeten Verträgen, zuletzt bis zum
31. Dezember 2013, angestellt. Die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin,
die ursprünglich mehr als 2.000 Mitarbeiter hatte, war bei den Vertragsabschlüssen durch den bei ihr gebildeten Aufsichtsrat vertreten worden. Am
4. Dezember 2013 beriet der Aufsichtsrat ausweislich der Tagesordnung telefonisch u.a. über "Die Information über die Änderungen in der Geschäftsführung",
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wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob es dabei auch um den Kläger ging.
Am selben Tag schlossen die Parteien einen unbefristeten Geschäftsführeranstellungsvertrag ab dem 1. Januar 2014, der für beide Seiten mit einer Frist von
sechs Monaten kündbar war und nach dessen § 2 Nr. 1 dem Kläger für den Fall
der ordentlichen Kündigung eine Entschädigung in Höhe des fixen Anteils seines Jahresgehalts - d.h. in Höhe von 450.000 € - zustehen sollte. Für die Beklagte handelte deren Aufsichtsrat, vertreten durch den Aufsichtsratsvorsitzenden Mag. S.
. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatte die Beklagte weni-
ger als 2.000 Mitarbeiter.
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Bereits am 28. Januar 2014 kündigte die Beklagte, vertreten durch den
Aufsichtsratsvorsitzenden, den Anstellungsvertrag. Sie zahlte das Geschäftsführergehalt für sechs Monate weiter, verweigerte jedoch die Zahlung einer
Entschädigung.
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Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung der Entschädigung.
Er ist der Auffassung, der Anstellungsvertrag sei wirksam geschlossen worden,
insbesondere sei die Beklagte wirksam vertreten gewesen. Zwar stehe die
Kompetenz zum Abschluss des Anstellungsvertrags bei der dem Drittelbeteiligungsgesetz unterfallenden Beklagten der Gesellschafterversammlung zu. Es
sei aber davon auszugehen, dass der Aufsichtsrat mit einem Gesellschafterbeschluss zum Abschluss des Vertrags bevollmächtigt worden sei.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
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II. Die Beschwerde hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das
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Berufungsgericht hat in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des
Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO), indem es die Vernehmung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats Mag. S.
als Partei mit der
Begründung abgelehnt hat, die Behauptung des Klägers, die Gesellschafterversammlung habe einen Beschluss über seinen Geschäftsführeranstellungsvertrag gefasst und den Aufsichtsrat mit der Umsetzung beauftragt, sei ins Blaue
hinein aufgestellt.
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1. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt
gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet.
Die Ablehnung des vom Kläger durch Vernehmung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats Mag. S.
als Partei angebotenen Beweises findet im Prozess-
recht keine Stütze.
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a) Die Ablehnung eines Beweises für eine erhebliche Tatsache ist nur
zulässig, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet ist,
dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann oder wenn sie ins Blaue hinein aufgestellt worden ist, mithin aus der Luft gegriffen ist und sich deshalb als
Rechtsmissbrauch darstellt (BGH, Urteil vom 26. Januar 2016 - II ZR 394/13,
ZIP 2016, 1119 Rn. 20; Urteil vom 23. Juni 2016 - III ZR 308/15, ZIP 2016,
1681 Rn. 18). Bei der Annahme eines solchen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist allerdings Zurückhaltung geboten. Dabei ist zu bedenken, dass der Beweisführer grundsätzlich nicht gehindert ist, Tatsachen zu behaupten, über die
er keine genauen Kenntnisse hat, die er aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liegt erst vor, wenn der
Beweisführer ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten
Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufs Geratewohl oder ins Blaue aufstellt.
In der Regel wird Willkür nur angenommen werden können, wenn jegliche tat-
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sächliche Anhaltspunkte fehlen (BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10,
BGHZ 193, 160 Rn. 40; Beschluss vom 10. Januar 2017 - XI ZR 365/14,
BKR 2017, 164 Rn. 17; Beschluss vom 12. Oktober 2017 - V ZR 17/17, Grundeigentum 2017, 1547 Rn. 10).
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b) Entgegen der Sicht des Berufungsgerichts fehlten nicht jegliche Anhaltspunkte für das Vorliegen der in das Wissen des Aufsichtsratsvorsitzenden
gestellten Tatsache. Der Kläger hat vielmehr Anhaltspunkte vorgetragen, die für
eine Befassung des alleingeschäftsführungsbefugten Vertreters der Alleingesellschafterin mit dem Geschäftsführeranstellungsvertrag des Klägers und eine
Beauftragung des Aufsichtsrats bzw. seines Vorsitzenden mit der Umsetzung
sprechen.
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aa) Schon der Umstand, dass die Telefonkonferenz des Aufsichtsrats am
4. Dezember 2014 nach der vorgesehen Tagesordnung die "Information des
Aufsichtsrats über Änderungen in der Geschäftsführung" zum Gegenstand hatte, bietet einen solchen Anhaltspunkt. Dies lässt sich nicht mit der Begründung
verneinen, dass beim Kläger gerade keine "Änderung" angestanden habe und
sich - die Teilnahme von Mag. O.
als Geschäftsführer der Alleingesell-
schafterin und Aufsichtsratsmitglied unterstellt - aus einer bloßen Information
nichts für einen Beschluss der nur aus Mag. O.
bestehenden Gesellschaf-
terversammlung ergebe. Eine Beschlussfassung bzw. eine als Beschlussfassung zu interpretierende Reaktion Mag. O.
zum Geschäftsführeranstel-
lungsvertrag des Klägers ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Tagesordnung nur eine Information über Änderungen in der Geschäftsführung vorsah.
Das Berufungsgericht hat dabei schon unberücksichtigt gelassen, dass mit der
Entschädigungsregelung und der Entfristung des Anstellungsverhältnisses wesentliche Änderungen des Geschäftsführeranstellungsvertrags des Klägers ver-
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einbart wurden. Außerdem wurde der Geschäftsführeranstellungsvertrag mit
dem Kläger durch den Aufsichtsratsvorsitzenden am selben Tag abgeschlossen, so dass naheliegt, dass dieser Anstellungsvertrag bei der Telefonkonferenz, die die Geschäftsführer zum Gegenstand hatte, Gesprächsgegenstand
und der Vertragsschluss durch den Aufsichtsratsvorsitzenden eine Reaktion auf
die Besprechungen war.
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bb) Das Berufungsgericht hat überdies übersehen, dass der Kläger unter
Vorlage des entsprechenden Gesellschafterbeschlusses behauptet hat, der
Geschäftsführer
der
Alleingesellschafterin
Mag.
O.
habe
am
16. Dezember 2013 einen Beschluss über die Bestellung zweier weiterer Geschäftsführer gefasst. Damit lag im zeitlichen Zusammenhang mit dem Vertragsschluss mit dem Kläger eine Maßnahme der Gesellschafterversammlung
vor, die die Annahme des Berufungsgerichts, die Beteiligten seien sich sämtlich
- bis zur Kündigung des Anstellungsverhältnisses im Januar 2014 - der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung nicht bewusst gewesen, in Frage stellt.
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2. Der Gehörsverstoß war für die Entscheidung auch aus der maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts erheblich.
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a) Das Berufungsgericht hat nicht das Gegenteil der behaupteten Tatsache als erwiesen erachtet, so dass der Antrag nicht nach § 445 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt bleiben musste. Der Grundsatz der Subsidiarität der Parteivernehmung (§ 445 Abs. 1 ZPO) steht der Beweiserhebung nicht entgegen, weil
dem Kläger für die unmittelbare Beweisführung kein anderes Beweismittel zur
Verfügung steht. Die Beweiserhebung setzt auch keinen vorherigen sonstigen
Beweis oder die Wahrscheinlichkeit der unter Beweis gestellten Tatsache vo-
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raus (BGH, Urteil vom 6. Juli 1960 - IV ZR 322/59, BGHZ 33, 63, 66; Urteil vom
8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 160 Rn. 40).
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b) Das Berufungsgericht hat die unter Beweis gestellte Tatsache auch
nicht aus Rechtsgründen für unerheblich gehalten. Erst nach der beantragten
Beweiserhebung kann beurteilt werden, ob nach dem Inhalt der Telefonkonferenz des Aufsichtsrats vom 4. Dezember 2013 von einer Beschlusslage auszugehen war, auf Grund derer der Vorsitzende des Aufsichtsrats den Vertrag mit
dem Kläger zu Lasten der Beklagten abschließen konnte. Dies gilt sowohl für
die Frage einer Ermächtigung des Aufsichtsrats bzw. des Aufsichtsratsvorsitzenden durch eine Entschließung der Alleingesellschafterin als auch für die sich
daran ggf. anknüpfende Frage, ob die Teilnehmer der Telefonkonferenz darüber einig waren, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrats für den Aufsichtsrat
handeln durfte.
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Das Berufungsgericht hat diesbezüglich keine bindende abweichende
Feststellung getroffen. Die Beweiskraft des Tatbestands entfällt, soweit die
Feststellungen
Widersprüche
oder
Unklarheiten
aufweisen
(vgl.
BGH,
Beschluss vom 1. Dezember 2015 - II ZR 247/14, juris Rn. 13 mwN). Dies gilt
hier für die Feststellung des Berufungsgerichts, dass dem Abschluss des Vertrags durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrats kein Aufsichtsratsbeschluss zu
Grunde gelegen habe, weil eine Beurteilungsgrundlage für eine solche Feststellung erst nach der beantragten Beweiserhebung vorhanden ist. Schon der Beschluss über den Vertretungsakt selbst kann als Ermächtigung des Aufsichtsratsvorsitzenden auszulegen sein (Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG,
21. Aufl., § 52 Rn. 120).
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III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
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1. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit,
sich ggf. nach weiterem Sachvortrag mit der von der Nichtzulassungsbeschwerde erstmals aufgeworfenen Frage, ob die Beklagte im Dezember 2013
ein Unternehmen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
DrittelbG war, auseinanderzusetzen. Der Senat weist vorsorglich darauf hin,
dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Zahl der in der
Regel beschäftigten Arbeitnehmer nicht lediglich auf einen Stichtag bezogen,
sondern über einen Referenzzeitraum hinweg zu ermitteln ist (vgl. BAGE 153,
171 Rn. 41).
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2. Für den Fall, dass das Berufungsgericht erneut zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass der Aufsichtsrat für den Abschluss des Anstellungsvertrags
nicht zuständig war und vom Geschäftsführer der Alleingesellschafterin hierzu
auch nicht bevollmächtigt wurde, wird zu prüfen sein, ob die Beklagte sich auf
den Vertretungsmangel berufen kann oder ob sie sich dadurch in einer mit Treu
und Glauben unvereinbaren Weise in Widerspruch zu dem Verhalten ihres zuständigen Organs setzen würde (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 1973
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- II ZR 134/71, BB 1973, 723). Hiervon könnte ggf. schon dann auszugehen
sein, wenn der Geschäftsführer der Alleingesellschafterin seinerseits von der
Zuständigkeit des Aufsichtsrats ausgegangen sein und dessen Handeln gebilligt
haben sollte.
Drescher
Born
B. Grüneberg
Sunder
V. Sander
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 04.02.2016 - 34 O 3/15 KfH OLG Stuttgart, Entscheidung vom 19.09.2016 - 5 U 33/16 -