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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 26/14
Verkündet am:
18. Juni 2015
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
BGHZ:
BGHR:
ja
nein
ja
Zuweisung von Verschreibungen
ZPO § 308 Abs. 1; UWG §§ 3, 4 Nr. 11; ApoG § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3; SGB V
§ 39 Abs. 1 Satz 4 bis 6
a) Eine Verurteilung zur Unterlassung ist von Amts wegen aufzuheben, wenn
ein im Unterlassungsantrag enthaltenes Merkmal der zu verbietenden Handlung im Urteilsausspruch fehlt und das vom Gericht ausgesprochene Unterlassungsgebot daher weiter reicht als der Unterlassungsantrag.
b) Die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG ist grundsätzlich auch
bei Arzneimitteln zu beachten, die in der Arztpraxis am Patienten angewendet werden sollen (sogenannten Applikationsarzneimitteln) und daher zum
Zeitpunkt der in Aussicht genommenen Behandlung in der Arztpraxis vorhanden sein müssen, sowie speziell bei Medikamenten, die für die Ersteinstellung und Ersteinweisung von Hepatitis-C-Patienten benötigt werden.
BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - I ZR 26/14 - OLG Nürnberg
LG Regensburg
-2-
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Büscher, die
Richter Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff, Prof. Dr. Koch und Feddersen
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg -3. Zivilsenat- vom 27. Dezember 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger und der Beklagte sind Apotheker; sie betreiben in R.
jeweils eine Apotheke.
2
Der Beklagte gab am 25. Oktober und am 22. November 2012 jeweils die
drei verschreibungspflichtigen Medikamente "Incivo 375 mg Filmtabletten",
"Copegus 200 mg Filmtabletten/Ribarin 200 mg Filmtabletten" und "Pegasys
180 IG Fertogüem 4 Stück Fertigspritzen" für in der Arztpraxis Dres. W.
und B.
in R.
behandelte Hepatitis-C-Patienten ab. In beiden
Fällen wurde das in der Arztpraxis ausgestellte Rezept nicht den Patienten
ausgehändigt, sondern wurden Rezept und Medikamente direkt zwischen der
Arztpraxis und der Apotheke des Beklagten ausgetauscht. Die Patienten, die
-3-
mit dieser Vorgehensweise des Beklagten und der Arztpraxis einverstanden
waren, wurden zu keinem Zeitpunkt in der Apotheke des Beklagten vorstellig.
3
Die in der Arztpraxis Dres. W.
und B.
durchgeführte Be-
handlung der an Hepatitis C erkrankten Patienten lief regelmäßig so ab, dass
die Patienten in einem ersten Termin untersucht und nach der Diagnose einer
Hepatitis-C-Erkrankung zu einem weiteren Termin einbestellt wurden. In diesem
zweiten Termin klärte der behandelnde Arzt über die durchzuführende Behandlung und die zu verabreichenden Medikamente sowie deren Nebenwirkungen
auf. In einem dritten Termin wurden die Patienten durch eine Arzthelferin in der
Arztpraxis in die Anwendung der vom Beklagten zu diesem Zeitpunkt dort bereitgestellten Medikamente und in die Selbstverabreichung der Pegasys-Fertigspritzen eingewiesen.
4
Der Kläger sieht in der beschriebenen Vorgehensweise einen wettbewerbsrechtlich relevanten Verstoß des Beklagten gegen das apothekenrechtliche Verbot von Absprachen über die Zuweisung von (Patienten mit) Verschreibungen durch einen Arzt an eine Apotheke. Er hat beantragt, den Beklagten
unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen,
rezeptpflichtige Arzneimittel unter Umgehung des Rechts des Patienten auf
freie Apothekenwahl sowie unter direkter Entgegennahme ärztlicher Rezepte an
deren Aussteller abzugeben oder abgeben zu lassen.
5
Darüber hinaus hat der Kläger die Feststellung der Schadensersatzpflicht
des Beklagten und seine Verurteilung zur Erteilung von Auskünften über entsprechende Handlungen begehrt.
6
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat geltend gemacht, es
müsse gewährleistet sein, dass die betreffenden Medikamente für die Ersteinstellung der Hepatitis-C-Patienten in der Arztpraxis vollständig und in der richtigen Verabreichungsform vorhanden seien. Es sei daher unabdingbar, dass der
-4-
Beklagte die Medikamente jeweils zeitgerecht zu den Einstellungsterminen in
die Arztpraxis liefere.
7
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
8
Im zweiten Rechtszug hat der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag
weiterverfolgt und der Kläger die Zurückweisung der Berufung beantragt. Hinsichtlich der Unterlassung hat der Kläger hilfsweise beantragt, den Beklagten
unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen,
rezeptpflichtige Arzneimittel nach ärztlicher Verordnung des Herrn Dr. med. J.
B.
,
H.
-Straße ,
R.
,
in
dessen
Praxis zu bringen, bringen oder aushändigen zu lassen, ohne dass die in der
Verordnung namentlich bezeichnete Person nach Aushändigung der Verordnung selbst oder durch von ihr bevollmächtigte Dritte die Belieferung oder Aushändigung derselben ausdrücklich anordnet,
ausgenommen hiervon, solche Verordnungen, welche Zytostatikazubereitungen
enthalten, oder aber Arzneimittel, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen im Falle einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3c des Arzneimittelgesetzes
bevorratet oder nach § 21 Abs. 2 Nr. 1c des Arzneimittelgesetzes hergestellt
wurden,
und weiter hilfsweise, es zu unterlassen,
in Absprache mit dem in Berufungsausübungsgemeinschaft tätigen Arzt
Dr. med. J.
B.
eine nicht genehmigte Rezeptsammelstelle in
dessen Arztpraxis bzw. Gemeinschaftspraxis zu unterhalten.
9
Das Berufungsgericht hat den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen,
rezeptpflichtige Arzneimittel unter direkter Entgegennahme ärztlicher Rezepte
an deren Aussteller abzugeben oder abgeben zu lassen mit Ausnahme anwendungsfertiger Zytostatikazubereitungen, die im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt worden sind, und/oder von Arzneimitteln, die von den
Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten
Stellen im Falle einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung
eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung
von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, nach § 47 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3c des Arzneimittelgesetzes bevorratet oder nach § 21 Abs. 2 Nr. 1c des
Arzneimittelgesetzes hergestellt wurden.
-5-
10
Darüber hinaus hat das Berufungsgericht den Beklagten bezogen auf die
vorstehend bezeichneten Handlungen zur Auskunftserteilung verurteilt und die
Schadensersatzpflicht festgestellt. Die weitergehende Berufung des Beklagten
hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.
11
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe:
12
I. Das Berufungsgericht hat den vom Kläger im ersten Rechtszug gestellten Unterlassungsantrag (im Weiteren: Unterlassungshauptantrag) als zulässig
und mit Einschränkungen als begründet angesehen. Dazu hat es ausgeführt:
13
Der Unterlassungshauptantrag sei bestimmt genug. Mit ihm solle dem
Beklagten verboten werden, unter direkter Entgegennahme des Rezepts rezeptpflichtige Arzneimittel an den Aussteller eines ärztlichen Rezepts abzugeben oder abgeben zu lassen. Der Antrag reiche zwar zu weit, da er den in § 11
Abs. 2 bis 4 ApoG vorgesehenen Ausnahmen keine Rechnung trage. Er sei
aber ansonsten aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 ApoG
begründet. Die Bestimmung des § 11 Abs. 1 ApoG sei eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG. Sie schütze das Vertrauen der Verbraucher in die Unabhängigkeit der Tätigkeit des Apothekers. Die Richtlinie
2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken stehe der Anwendung des § 4
Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 ApoG nicht entgegen, weil sie nach ihrem
Artikel 3 Abs. 3 und ihrem Erwägungsgrund 9 die nationalen Vorschriften in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte unberührt lasse. Die zwischen
der Arztpraxis Dres. W.
und B.
und dem Beklagten getroffene
Vereinbarung, nach der dieser rezeptpflichtige Medikamente nach Vorlage der
-6-
Rezepte durch die Arztpraxis direkt an den Arzt liefere, stelle eine nach § 11
Abs. 1 ApoG verbotene Zuweisung von Verschreibungen dar. Es handele sich
bei den streitgegenständlichen Medikamenten weder um Zytostatikazubereitungen noch um Medikamente, die dem § 11 Abs. 4 ApoG unterfielen. Eine weitere
Einschränkung des Verbots sehe das Gesetz nicht vor und sei auch im Streitfall
nicht ausnahmsweise gerechtfertigt, weil hier auf andere Weise gewährleistet
werden könnte, dass die von jeder Apotheke innerhalb eines halben Tages zu
beschaffenden Medikamente bei der Ersteinweisung zur Verfügung stünden,
die frühestens eine Woche nach dem zweiten Arzttermin stattfinde. Da der Beklagte zumindest fahrlässig gehandelt habe, seien die Anträge auf Feststellung
seiner Schadensersatzpflicht und auf Auskunftserteilung ebenfalls begründet.
14
II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht,
soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
15
1. Das vom Berufungsgericht gegen den Beklagten ausgesprochene Unterlassungsgebot hat schon deshalb keinen Bestand, weil die im Unterlassungshauptantrag und im Tenor des landgerichtlichen Urteils enthaltene Wendung "unter Umgehung des Rechts des Patienten auf freie Apothekenwahl" im
Tenor des Berufungsurteils fehlt und das Berufungsgericht dem Kläger damit
mehr zugesprochen hat, als dieser beantragt hat (§ 308 Abs. 1 ZPO; vgl. hierzu
OLG Karlsruhe, GRUR 1982, 169, 171; Musielak in Musielak/Voit, ZPO,
12. Aufl., § 308 Rn. 13). Das vom Berufungsgericht ausgesprochene Unterlassungsgebot reicht insofern weiter als der vom Kläger gestellte Unterlassungshauptantrag, als das Verbot anders als der Klagenantrag Fälle erfasst, in denen
der Patient nicht vom direkten Kontakt zur Apotheke ausgeschlossen wird (vgl.
zur Frage, ob das Merkmal der Zuweisung erfüllt ist, wenn der Patient sein Einverständnis mit der direkten Zuleitung seines Rezepts an eine bestimmte Apotheke erklärt hat, Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank, ApoG, Stand Februar
-7-
2015, § 11 Rn. 8 f.). Der vorliegende Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO ist von
Amts wegen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 - I ZR 235/03,
BGHZ 168, 179 Rn. 13 - Anschriftenliste, mwN) und erfordert die Aufhebung
des Berufungsurteils.
16
2. Nach dem vorstehend Ausgeführten hat auch die Verurteilung des Beklagten nach den auf den Unterlassungshauptantrag bezogenen Anträgen auf
Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht keinen Bestand.
17
3. Der Rechtsstreit ist beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens weder
im Sinne der Stattgabe der Klage mit einem der vom Kläger gestellten Unterlassungsanträge und den darauf jeweils bezogenen Folgeanträgen auf Feststellung der Schadensersatzpflicht und Auskunftserteilung (dazu unter II 3 a) noch
im Sinne der Abweisung der Klage gemäß § 563 Abs. 3 ZPO zur Endentscheidung reif (dazu unter II 3 b). Die Sache ist daher nach § 563 Abs. 1 ZPO an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen.
18
a) Die Klage kann mit den vom Kläger bislang gestellten Anträgen schon
deshalb keinen Erfolg haben, weil der Beklagte nach den getroffenen Feststellungen die Verhaltensweisen, in denen der Kläger einen Verstoß gegen das in
§ 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG geregelte Verbot der Zuweisung von (Kunden
mit) Verschreibungen durch einen Arzt an eine Apotheke erblickt, allein im Zusammenhang mit der medikamentösen Ersteinstellung und Ersteinweisung von
Hepatitis-C-Patienten gezeigt und sich zur Rechtfertigung seines Verhaltens auf
die bei einer solchen Ersteinstellung bestehenden besonderen Gegebenheiten
berufen hat. Damit kann nur in diesem Umfang von einer Begehungsgefahr
ausgegangen werden. Die in den Klageanträgen vorgenommene Verallgemeinerung geht demgegenüber zu weit, weil dort nicht mehr das Charakteristische
der nach Ansicht des Klägers vom Beklagten begangenen wettbewerbswidrigen
Verhaltensweise zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2006
- I ZR 27/03, BGHZ 166, 233 Rn. 36 - Parfümtestkäufe; Urteil vom 5. Oktober
-8-
2010 - I ZR 46/09, GRUR 2011, 433 Rn. 26 = WRP 2011, 576 - Verbotsantrag
bei Telefonwerbung; Urteil vom 20. Juni 2013 - I ZR 55/12, GRUR 2013, 1235
Rn. 18 = WRP 2014, 75 - Restwertbörse II).
19
b) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann ein wettbewerbswidriges Verhalten des Beklagten nicht verneint werden.
20
aa) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Beklagte
bei der Lieferung der Medikamente auf der Grundlage einer Absprache tätig
geworden ist, die die Zuweisung von (Kunden mit) Verschreibungen durch einen Arzt an eine Apotheke im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG zum
Gegenstand hatte. Die Regelung soll sicherstellen, dass der Erlaubnisinhaber
einer Apotheke sich bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen wie
insbesondere zu Ärzten, die Einfluss auf sein Entscheidungsverhalten haben,
nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten
lässt. Sie soll damit Verhaltensweisen der Apotheker entgegenwirken, die die
ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beeinträchtigen können. Die Vorschrift stellt damit eine Marktverhaltensregelung im Sinne
von § 4 Nr. 11 UWG dar (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2014 - I ZR 120/13,
GRUR 2014, 1009 Rn. 13 = WRP 2014, 1056 - Kooperationsapotheke; Urteil
vom 12. März 2015 - I ZR 84/14, GRUR 2015, 1025 Rn. 15 = WRP 2015, 1085
- TV-Wartezimmer; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2013, 470, 471; OLG Frankfurt
am Main, GRUR-RR 2014, 270, 271; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG,
33. Aufl., § 4 Rn. 11.77; MünchKomm.UWG/Schaffert, 2. Aufl., § 4 Nr. 11
Rn. 147; v. Jagow in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 45; Großkomm.UWG/Metzger, 2. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 84; Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., § 11 ApoG Rn. 2; Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11
Rn. 2 und 168 f.). Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken,
die nach ihrem Artikel 4 in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt hat, kennt zwar keinen der
-9-
Bestimmung des § 4 Nr. 11 UWG entsprechenden Unlauterkeitstatbestand.
Dieser Umstand steht der Anwendung der genannten Vorschrift aber nicht entgegen, weil die Rechtsvorschriften der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten, zu
denen die Bestimmung des § 11 ApoG zählt, von der Richtlinie über unlautere
Geschäftspraktiken unberührt bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 2015
- I ZR 123/13, GRUR 2015, 916 Rn. 15 = WRP 2015, 1095 - Abgabe ohne Rezept; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2013, 470, 471 f.). Wegen des mit der Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG bezweckten Schutzes der Gesundheit der Verbraucher sind Verstöße gegen sie regelmäßig geeignet, die
Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (vgl. BGH, GRUR 2015,
1025 Rn. 15 - TV-Wartezimmer).
21
bb) Das vom Kläger als Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG
beanstandete Verhalten des Beklagten stellt kein nach einer der in § 11 Abs. 1
Satz 2, Abs. 2 bis 4 ApoG enthaltenen Regelungen, die die Verbotstatbestände
des § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG einschränken, zulässiges Verhalten dar.
22
Dies gilt auch im Blick auf die Bestimmung des § 11 Abs. 2 ApoG, wonach der Inhaber einer Erlaubnis zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke aufgrund einer Absprache anwendungsfertige Zytostatikazubereitungen, die im
Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt worden sind, unmittelbar
an den anwendenden Arzt abgeben darf. Dabei kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen, ob diese Regelung analogiefähig ist (so Cyran/Rotta,
Apothekenbetriebsordnung, 5. Aufl., Stand September 2012, § 35 Rn. 10; aA
Rixen in Rixen/Krämer, ApoG, 2014, § 11 Rn. 41). Die Regelung des § 11
Abs. 2 ApoG trägt dem Umstand Rechnung, dass angesichts der an die Herstellung anwendungsfertiger Zytostatika in personeller, räumlicher und apparativer Hinsicht gestellten hohen Anforderungen erfahrungsgemäß nur einzelne
Apotheken Verschreibungen von Zytostatikazubereitungen ordnungsgemäß
- 10 -
ausführen können und die Zubereitungen zudem aus Sicherheitsgründen nicht
den Patienten ausgehändigt werden sollten (Rixen in Rixen/Krämer aaO § 11
Rn. 41 mit Hinweis auf die Begründung des Entwurfs des Bundesrats eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes, BT-Drucks. 14/756, S. 5).
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Bei Arzneimitteln, die in der Arztpraxis an dem Patienten angewendet
werden sollen (sogenannten Applikationsarzneimittel) und daher zum Zeitpunkt
der in Aussicht genommenen Behandlung in der Arztpraxis vorhanden sein
müssen, zu denen die hier in Rede stehenden Medikamente für die Ersteinstellung und Ersteinweisung von Hepatitis-C-Patienten rechnen, besteht grundsätzlich keine entsprechende oder immerhin nur annähernd vergleichbare Notwendigkeit oder Vorteilhaftigkeit einer solchen Verkürzung des Versorgungswegs
unter Ausschluss des Patienten. Es gibt regelmäßig Möglichkeiten, ohne Umgehung des Patienten - etwa durch eine telefonische Nachfrage - sicherzustellen, dass die für die Ersteinstellung und Ersteinweisung eines Hepatitis-CPatienten benötigten Medikamente, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von jeder Apotheke innerhalb eines halben Tages beschafft werden können, bei dem vereinbarten Termin in der Arztpraxis vollständig und in
der richtigen Verabreichungsform zur Verfügung stehen. Abweichendes gilt nur,
wenn ein hinreichender medizinischer Grund vorliegt wie etwa dann, wenn infolge Hilfsbedürftigkeit oder Unzuverlässigkeit des Patienten die rechtzeitige
oder die qualitätswahrende Beschaffung eines Applikationsarzneimittels nicht
gewährleistet und deshalb die ärztliche Therapie gefährdet ist (vgl. Wesser in
Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 39 bis 42, 104 und 115; aA Cyran/Rotta
aaO § 17 Rn. 353 bis 358). In einem solchen Fall beruht die Zuweisung der
Verschreibung nicht auf einer nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG verbotenen
Absprache, sondern auf medizinischer Notwendigkeit (Wesser in Kieser/
Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 104). Am Merkmal der Zuweisung fehlt es
möglicherweise auch dann, wenn der Arzt dem Patienten vor der Anwendung
eines Applikationsarzneimittels hierzu neutral verschiedene Auswahlmöglichkei-
- 11 -
ten an die Hand gibt, etwa in Form der Aushändigung des Rezepts an den Patienten oder in Form der Beauftragung des Arztes mit der Einlösung in einer vom
Patienten bestimmten Apotheke oder in einer vom Arzt selbst ausgewählten
Apotheke, und der Patient sich dann für die zuletzt genannte Möglichkeit entscheidet (vgl. Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 9). Dass die
behandelnden Ärzte den Patienten vorliegend die Möglichkeit eröffnet haben,
zwischen diesen Beschaffungsarten auszuwählen, hat das Berufungsgericht
nicht festgestellt.
24
cc) Der Streitfall lässt sich entgegen der Ansicht der Revision auch nicht
mit dem Fall vergleichen, der der Senatsentscheidung "Kooperationsapotheke"
(BGH, GRUR 2014, 1009) zugrunde gelegen hat. Bei dem dort in Rede stehenden Entlassmanagement gemäß § 39 Abs. 1 Satz 4 bis 6 SGB V obliegt es den
im Auftrag der Krankenkassen handelnden Krankenhäusern, den Übergang in
den nächsten Versorgungsbereich zu planen und zu organisieren und in diesem
Zusammenhang die weitere Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln sowie mit
Medikamenten zu koordinieren (BGH, GRUR 2014, 1009 Rn. 16 - Kooperationsapotheke). Die Koordinierung der weiteren Versorgung mit Medikamenten
umfasst die Pflicht der mit der Durchführung des Entlassmanagements befassten oder beauftragten Person, den ersten Kontakt mit der vom Versicherten
gewünschten Apotheke oder - wenn kein entsprechender Wunsch geäußert
worden ist - mit einer nach den Umständen als geeignet erscheinenden Apotheke herstellen (BGH, GRUR 2014, 1009 Rn. 17 - Kooperationsapotheke). Eine entsprechende oder auch nur vergleichbare Sach- und Interessenlage liegt
bei in der Praxis eines niedergelassenen Arztes zu verabreichenden Applikationsarzneimitteln grundsätzlich nicht vor.
25
dd) Angesichts der strengen und im Grundsatz als abschließend anzusehenden Regelung des § 11 ApoG ist entgegen der Ansicht der Revision kein
Raum für eine entsprechende Anwendung der Grundsätze, die der Senat zur
- 12 -
Frage der Zulässigkeit eines verkürzten Versorgungswegs bei Hörgeräten (vgl.
BGH, Urteil vom 29. Juni 2000 - I ZR 59/98, GRUR 2000, 1080, 1081 bis 1083
= WRP 2000, 1121 - Verkürzter Versorgungsweg; Urteil vom 15. November
2001 - I ZR 275/99, GRUR 2002, 271, 272 f. = WRP 2002, 211 - Hörgeräteversorgung I; Urteil vom 13. Januar 2011 - I ZR 111/08, GRUR 2011, 345
Rn. 36 bis 48 und 67 = WRP 2011, 451 - Hörgeräteversorgung II; Urteil vom
24. Juli 2014 - I ZR 68/13, GRUR 2015, 283 Rn. 25 ff. = WRP 2015, 344
- Hörgeräteversorgung III) und bei Brillen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2009
- I ZR 13/07, GRUR 2009, 977 Rn. 14 und 31 = WRP 2009, 1076 - Brillenversorgung I; Urteil vom 24. Juni 2010 - I ZR 182/08, GRUR 2010, 850
Rn. 20 ff. = WRP 2010, 1139 - Brillenversorgung II) entwickelt hat. Nach den für
diese Entscheidungen maßgeblichen Bestimmungen ist die Verkürzung des
Versorgungswegs schon dann zulässig, wenn dafür ein hinreichender Grund
vorliegt (vgl. § 34 Abs. 5 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte und Ärztinnen in der bis zum Jahr 2011 geltenden Fassung [abgedruckt bei Lippert in Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der
deutschen Ärzte (MBO), 5. Aufl., S. 464] und § 31 Abs. 2 der Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte in der seither geltenden Fassung
[abgedruckt bei Ratzel in Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung
der deutschen Ärzte, 6. Aufl., S. 465]; BGH, GRUR 2010, 1080, 1082 - Verkürzter Versorgungsweg; GRUR 2009, 977 Rn. 20 bis 25 und 33 - Brillenversorgung I; GRUR 2010, 850 Rn. 21, 24 und 28 f. - Brillenversorgung II; GRUR
2011, 345 Rn. 36 ff. - Hörgeräteversorgung II; GRUR 2015, 283 Rn. 35 ff.
- Hörgeräteversorgung III; Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 29
bis 33 mwN). Dagegen gelten die in § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG geregelten Kooperationsverbote - wie das Verbot der Zuweisung von (Kunden mit) Verschreibungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG - nur in den in § 11 Abs. 1
Satz 2, Abs. 2 bis 4 ApoG geregelten Fällen und allenfalls noch in damit ver-
- 13 -
gleichbaren Fällen nicht, in denen jeweils triftige Gründe gegen die Geltung der
Kooperationsverbote sprechen.
26
III. In der wiedereröffneten Berufungsinstanz wird das Berufungsgericht
im Zusammenhang mit der Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit eines
vom Kläger neu formulierten Unterlassungsantrags zu beachten haben, dass
mögliche Einschränkungen aufgrund von gesetzlichen Ausnahmetatbeständen
in den Unterlassungsausspruch aufgenommen werden müssen, damit danach
erlaubte Verhaltensweisen von dem Verbot ausgenommen sind. Wegen des
Bestimmtheitsgebots gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO müssen dabei die Umstände, aus denen sich die Erfüllung des jeweiligen Ausnahmetatbestands
ergibt, so genau umschrieben sein, dass im Vollstreckungsverfahren erkennbar
ist, welche konkreten Handlungen vom Verbot ausgenommen sind. Es genügt
daher grundsätzlich nicht, auf die insoweit einschlägigen gesetzlichen Regelungen zu verweisen, wenn deren Tatbestandsmerkmale nicht eindeutig oder
durch eine gefestigte Auslegung geklärt sind. Abweichendes gilt nur, wenn eine
weitergehende Konkretisierung nicht möglich und die gewählte Antragsformulierung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist (vgl. zum Vorstehenden BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 202/07, GRUR 2010, 749
Rn. 25 bis 27 = WRP 2010, 1030 - Erinnerungswerbung im Internet; Urteil vom
4. November 2010 - I ZR 118/09, GRUR 2011, 539 Rn. 15 bis 17 = WRP 2011,
742 - Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker).
- 14 -
27
Entgegen der Ansicht der Revision braucht im Unterlassungsantrag nicht
danach differenziert zu werden, ob der Arzt die Rezepte für einen Patienten
oder für den Eigenbedarf ausgestellt hat. Ein Verbot, Rezepte für den eigenen
Bedarf auszustellen, steht im Streitfall von vornherein nicht in Rede.
Büscher
Schaffert
Koch
Kirchhoff
Feddersen
Vorinstanzen:
LG Regensburg, Entscheidung vom 12.06.2013 - 2 HKO 224/13 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 27.12.2013 - 3 U 1394/13 -