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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
AnwZ (Brfg) 16/12
Verkündet am:
8. April 2013
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Widerrufs der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. April 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser,
die Richterin Lohmann, den Richter Seiters sowie die Rechtsanwälte Dr. Frey
und Dr. Martini
für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 16. Januar 2012 wird auf Kosten
der Beklagten zurückgewiesen.
Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 12.500 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Rechtsanwalt und führt die Bezeichnung "Fachanwalt für
Arbeitsrecht". Am 6. Dezember 2010 erteilte die beklagte Rechtsanwaltskammer dem Kläger eine Rüge wegen Verletzung der Fortbildungspflicht im Kalenderjahr 2009. Mit Bescheid vom 14. April 2011 widerrief die Beklagte die Gestattung der Führung der Fachanwaltsbezeichnung, weil der Kläger in den Jahren 2009 und 2010 seiner Fortbildungsverpflichtung nicht nachgekommen sei.
2
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage erhoben. Er hat vorgetragen, im Jahr 2009 eine fünfstündige Fortbildung und im Jahr 2010 eine zehnstündige Fortbildung absolviert zu haben, und hat entsprechende Nachweise
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erbracht; für das Jahr 2011 hat er insgesamt 15 Zeitstunden an Fortbildung
nachgewiesen. Der Anwaltsgerichtshof hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben, weil dem Kläger allenfalls ein einmaliger, teilweiser und erstmaliger Verstoß gegen die Fortbildungspflicht im Jahr 2009 vorgeworfen werden könne,
welcher den Widerruf nicht rechtfertige. Dass der Kläger die erforderlichen
Nachweise zunächst nicht beigebracht habe, sei kein Widerrufsgrund.
3
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der
Beklagten. Die Beklagte meint, die Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheides
sei nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen.
Im Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheides habe die Beklagte davon
ausgehen müssen, dass der Kläger seiner Fortbildungspflicht nicht nachgekommen war, nachdem er trotz mehrfacher Aufforderungen keine Nachweise
beigebracht habe. Jedenfalls liege kein Ermessensfehler vor. Bereits der Verstoß gegen die Nachweispflicht aus § 15 Abs. 3 FAO rechtfertige den Widerruf.
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Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 16. Januar 2012 die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf
die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Widerrufsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten
(§ 112e Satz 2 BRAO, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Senat nimmt Bezug auf
die Gründe der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs und sieht insoweit von
einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 112e Satz 2 BRAO,
§ 130b Satz 2 VwGO). Hinsichtlich des Berufungsvorbringens der Beklagten ist
ergänzend folgendes auszuführen:
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1. Entgegen der Ansicht der Berufung hatte der Anwaltsgerichtshof bei
seiner Entscheidung die erst im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Nachweise
über die in den Jahren 2009 und 2010 besuchten Fortbildungsveranstaltungen
zu berücksichtigen.
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a) Der bei Anfechtungsklagen für die gerichtliche Nachprüfung eines
Verwaltungsakts maßgebliche Beurteilungszeitraum bestimmt sich nach dem
materiellen Recht, auf welchem der angefochtene Verwaltungsakt beruht (BGH,
Beschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 10).
Dieses legt nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Anspruch
auf Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts fest, sondern bestimmt
auch, zu welchem Zeitpunkt sie erfüllt sein müssen. Daher sind tatsächliche
oder rechtliche Entwicklungen, die erst nach Abschluss des behördlichen Ver-
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waltungsverfahrens eintreten und die zu einer abweichenden Beurteilung führen
würden, nur dann der jeweiligen gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen,
wenn das materielle Recht ihre Berücksichtigung zulässt. Hier ist zu unterscheiden: Die Fortbildungspflicht des Fachanwalts (§ 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO,
§ 15 Abs. 1 und 2 FAO) ist, wie sich aus § 15 Abs. 1 und 2 FAO hinreichend
deutlich ergibt, in jedem Kalenderjahr aufs Neue zu erfüllen. Ob der Fachanwalt
Fortbildungsveranstaltungen im Umfang von mindestens zehn Zeitstunden besucht hat, steht erst nach Ablauf des jeweiligen Jahres fest, ändert sich dann
aber auch nicht mehr. Ist ein Jahr verstrichen, kann sich der Rechtsanwalt in
diesem Jahr nicht mehr fortbilden. Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO kommt es also weder auf den Zeitpunkt
des Abschlusses des behördlichen Verwaltungsverfahrens noch auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung im gerichtlichen Verfahren
an, sondern auf den Ablauf des jeweiligen Jahres. Bei der Ausübung des in
§ 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO vorgesehenen Ermessens kann die Anwaltskammer
dagegen auch später eingetretene Umstände berücksichtigen, etwa dem Anwalt Gelegenheit geben, die versäumte Fortbildung im Folgejahr nachzuholen
(vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2012 - AnwZ (Brfg) 56/11, NJW 2013, 175
Rn. 9).
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b) In welcher Form und bis zu welchem Zeitpunkt die Erfüllung der Fortbildungspflicht nachgewiesen werden kann, ist dagegen eine Frage des Verfahrensrechts. Weder die Bundesrechtsanwaltsordnung noch die Fachanwaltsordnung bestimmen hierfür eine Ausschlussfrist. Die Vorschrift des § 15 Abs. 3
FAO, nach welcher die Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung der Rechtsanwaltskammer unaufgefordert nachzuweisen ist, ist insoweit unergiebig. Sie begründet eine "Bringschuld" des Fachanwalts (Quaas in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 15 FAO Rn. 18), sagt aber nicht, dass die Nachweise
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im behördlichen oder gerichtlichen Verfahren nicht nachgereicht werden können. Dass die zuständige Rechtsanwaltskammer innerhalb eines Jahres seit
Kenntnis der diesen rechtfertigenden Tatsachen über den Widerruf zu entscheiden hat (§ 25 Abs. 2 FAO), spricht entgegen der Ansicht der Berufung
nicht gegen die Möglichkeit eines nachträglichen Nachweises der Erfüllung der
Fortbildungsverpflichtung. Die Vorschrift des § 25 Abs. 2 FAO entbindet die
Kammer nicht davon, die in Anbetracht der Umstände des jeweiligen Einzelfalles erforderlichen und zumutbaren Ermittlungen durchzuführen. Entscheidungsreife nach § 25 Abs. 2 FAO tritt nämlich erst dann ein, wenn die Rechtsanwaltskammer ihre Ermittlungen abgeschlossen und zudem die nach § 25 Abs. 3
Satz 1 FAO zwingend notwendige Anhörung des Rechtsanwalts durchgeführt
hat; selbst die Einräumung einer Frist zur Nachholung einer versäumten Fortbildung kann den Fristbeginn hinausschieben (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2012 - AnwZ (Brfg) 56/11, NJW 2013, 175 Rn. 8 f.).
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c) Nach allgemeinem Verwaltungsprozessrecht ist der gesamte Streitstoff bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu verwerten. Das Gericht
entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO). Der Anwaltsgerichtshof hat aus den vorgelegten Bescheinigungen die
Überzeugung gewonnen, dass der Kläger Fortbildungsveranstaltungen im Umfang von fünf Zeitstunden im Jahre 2009 und im Umfang von zehn Zeitstunden
im Jahre 2010 besucht hat. Die inhaltliche Richtigkeit der Bescheinigungen und
daraus folgend die Richtigkeit der entsprechenden tatsächlichen Feststellungen
des Urteils zieht die Beklagte nicht in Zweifel.
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2. Der Verstoß gegen die aus § 15 Abs. 3 FAO folgende Pflicht, die Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung der Rechtsanwaltskammer unaufgefordert
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nachzuweisen, rechtfertigt für sich genommen nicht einen Widerruf nach § 43c
Abs. 4 Satz 2 BRAO.
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a) Ihrem Wortlaut nach stellt die Vorschrift des § 43c Abs. 4 Satz 2
BRAO auf die unterlassene Fortbildung ab, nicht auf den unterbliebenen Nachweis. Nur hinsichtlich der Fortbildungspflichten verweist § 43c Abs. 4 Satz 2
BRAO auf die Berufsordnung (Fachanwaltsordnung). Entgegen der Ansicht der
Beklagten ist die in § 15 Abs. 3 FAO gesondert geregelte Nachweispflicht nicht
Teil der Fortbildungspflicht. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus § 15 Abs. 1
Satz 2 FAO. Diese Bestimmung regelt die Anforderungen an Fortbildungsveranstaltungen, die nicht in Präsenzform durchgeführt werden. Voraussetzung
dafür, dass sie als "Fortbildung" im Sinne von § 15 FAO anerkannt werden können, ist unter anderem, dass der Nachweis der durchgängigen Teilnahme erbracht wird. Bei diesem Nachweis handelt es sich nicht um den vom Anwalt zu
erbringenden Nachweis der Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung nach § 15
Abs. 3 FAO, sondern um eine Anforderung an die Fortbildungsveranstaltung als
solche. Entspricht eine Fortbildungsveranstaltung den in § 15 Abs. 1 Satz 2
FAO beschriebenen Anforderungen, entbindet dies den Anwalt, der an ihr teilgenommen hat, nicht von seiner Pflicht nach § 15 Abs. 3 FAO. Auch bei Fortbildungen in der Form des § 15 Abs. 1 Satz 2 FAO ist also zwischen der Fortbildung als solcher und ihrem Nachweis zu unterscheiden; gleiches gilt für alle
anderen Fortbildungen, die nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FAO möglich sind.
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Ergänzend gilt allerdings die Vorschrift des § 59b BRAO über die Satzungskompetenz der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer
(vgl. § 191a BRAO). Nach § 59b Abs. 2 Nr. 2 lit. b BRAO kann die Berufsordnung (Fachanwaltsordnung) jedoch (nur) die Voraussetzungen für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung sowie das Verfahrung der Erteilung, der
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Rücknahme und des Widerrufs der Erlaubnis regeln, nicht jedoch zusätzliche
Widerrufsgründe. Ebenso wie die Erteilung von Erlaubnissen zum Führen von
Fachanwaltsbezeichnungen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. Mai 1990
- AnwZ (B) 4/90, BGHZ 111, 229, 234 ff.) bedarf auch der Widerruf einer gesetzlichen Grundlage. Diese findet sich in § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO, nicht jedoch in der Fachanwaltsordnung außerhalb der durch § 43c Abs. 4 Satz 2 und
§ 59b BRAO gesetzten Grenzen.
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b) Entgegen der Ansicht der Berufung bleibt ein Verstoß gegen die Beibringungspflicht des § 15 Abs. 3 FAO nicht folgenlos, wenn auch an ihn allein
ein Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung nicht geknüpft werden kann. Die Vorschrift des § 15 Abs. 3 FAO bürdet dem Rechtsanwalt die Feststellungslast hinsichtlich der Erfüllung der Fortbildungspflicht auf.
Die Voraussetzungen eines Widerrufs sind erfüllt, wenn sich nicht zur Überzeugung des Gerichts (oder der Kammer) feststellen lässt, dass der Rechtsanwalt
die vorgeschriebenen Fortbildungen absolviert hat. Weist der Rechtsanwalt die
Erfüllung der Fortbildungspflicht erst im Klageverfahren nach, hat die Kammer
zwar den Widerrufsbescheid zurückzunehmen; die Kosten des in der Hauptsache erledigten Rechtsstreits hätte jedoch der Rechtsanwalt zu tragen. So hätte
auch im vorliegenden Fall verfahren werden können. Der Verstoß gegen die
Nachweispflicht kann schließlich auch mit einer Rüge (§ 74 BRAO), gegebenenfalls auch mit einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme (§§ 113 f. BRAO) geahndet werden.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m.
§ 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 194 Abs. 1 BRAO,
§ 52 Abs. 1 GKG. In Verfahren, welche das Führen von Fachanwaltsbezeichnungen betreffen, setzt der Senat den Streitwert regelmäßig auf 12.500 € fest
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(vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2012 - AnwZ (Brfg) 56/11, NJW 2013, 175
Rn. 13). Umstände, die im vorliegenden Fall ein Abweichen von dieser Praxis
erfordern könnten, sind nicht ersichtlich.
Kayser
Lohmann
Frey
Seiters
Martini
Vorinstanz:
AGH Celle, Entscheidung vom 16.01.2012 - AGH 20/11 -