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Nachschlagewerk: ja
BGHSt
: ja
Veröffentlichung : ja
StGB § 73
Hat ein Angeklagter wirksam auf die Rückgabe bei ihm sichergestellter Betäubungsmittelerlöse verzichtet, bedarf es auch
aufgrund der seit 1. Juli 2017 geltenden §§ 73 ff. StGB regelmäßig keiner förmlichen Einziehung.
BGH, Urteil vom 10. April 2018
– 5 StR 611/17
LG Hamburg –
ECLI:DE:BGH:2018:100418U5STR611.17.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 611/17
vom
10. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
ECLI:DE:BGH:2018:100418U5STR611.17.0
-2-
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. April 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Sander,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Schneider,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. König,
Dr. Berger
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
-3-
für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. September 2017 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die auf
die Sachrüge gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der
Staatsanwaltschaft wendet sich allein dagegen, dass weder Betäubungsmittel
noch Verkaufserlöse eingezogen worden sind. Sie bleibt erfolglos.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt der Angeklagte Ende
Februar 2017 eine Menge von 55 kg Marihuana sowie 537,1 g Amphetamine
zum gewinnbringenden Verkauf vorrätig. Bis 11. April 2017 verkaufte er von
dem Marihuana 4.312,7 g. Die übrigen Betäubungsmittel wurden am genannten
Tag durch die Polizei ebenso sichergestellt wie 5.230 Euro Verkaufserlös. Der
glaubhaft geständige Angeklagte hat in der Hauptverhandlung auf die Rückga-
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be der sichergestellten Gegenstände verzichtet. Im Hinblick darauf hat das
Landgericht davon abgesehen, eine Einziehungsentscheidung zu treffen.
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2. Die Revision der Staatsanwaltschaft meint, nach den seit 1. Juli 2017
geltenden §§ 73 ff. StGB sei das Landgericht verpflichtet gewesen, die sichergestellten Betäubungsmittel und Gelder trotz des Verzichts des Angeklagten
förmlich einzuziehen. Zudem habe es die ihm obliegende Prüfung versäumt, ob
der Angeklagte durch die Marihuanaverkäufe über die von ihm als Erlös bezeichneten 5.230 Euro hinaus Einnahmen erzielt habe.
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3. Das wirksam beschränkte Rechtsmittel bleibt erfolglos. Eine Verpflichtung, die von der Staatsanwaltschaft begehrten Einziehungsentscheidungen zu
treffen, besteht nicht (dazu lit. a). Es ist von Rechts wegen auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nicht erörtert hat, ob der Angeklagte aus den
Verkäufen mehr als den genannten Betrag erlangt hat (dazu lit. b).
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a) Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass es der Anordnung der
Einziehung bzw. des Verfalls sichergestellter Gegenstände regelmäßig nicht
bedarf, wenn ein Angeklagter auf deren Rückgabe wirksam verzichtet
hat (siehe nur BGH, Urteil vom 27. Juli 2005 – 2 StR 241/05; Beschlüsse vom
18. November 2015 – 2 StR 399/15, NStZ-RR 2016, 83, 84, und vom 6. Juni 2017 – 2 StR 490/16; BayObLG, NStZ-RR 1997, 51; KG, NStZ-RR 2005,
358, 359). Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser in der forensischen Praxis
bewährten Handhabung abzuweichen.
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aa) Hinsichtlich einer Einziehung der sichergestellten Betäubungsmittel
ist ohnehin die bis 30. Juni 2017 geltende Rechtslage maßgeblich. Nach
Art. 316h EGStGB sind lediglich die durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I 2017, S. 872)
-5-
neu gefassten Bestimmungen zur Einziehung von Taterträgen (§§ 73 ff. StGB;
hier des Verkaufserlöses), nicht also die der Einziehung von Tatprodukten,
Tatmitteln und Tatobjekten nach §§ 74 ff. StGB auch auf vor ihrem Inkrafttreten
verübte Taten anwendbar. Die insoweit geltenden neuen Regelungen sind für
den Angeklagten nicht milder (§ 2 Abs. 1, 3 und 5 StGB). Ein tragfähiger Grund,
die bisherige Rechtsprechung zum weiterhin anzuwendenden Einziehungsrecht
zu ändern, ergibt sich nicht.
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bb) Für die dem neuen Recht unterliegende Einziehung der Taterlöse gilt
Folgendes:
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(1) Soweit die Beschwerdeführerin ihre Ansicht darauf stützt, nach dem
Wortlaut des § 73 Abs. 1 StGB („ordnet an“) sei die Einziehung zwingend, zeigt
sie kein tragfähiges Argument auf. Zwar räumt die Norm dem Gericht kein Ermessen ein. Insofern gilt aber nichts anderes als bei ihrer Vorgängervorschrift
(§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB aF). Bewusst gestrichen hat der Gesetzgeber freilich
die Härtevorschrift (§ 73c StGB aF), die es unter bestimmten Voraussetzungen
gestattete, eine Verfallsanordnung ganz oder teilweise zu unterlassen. Eine der
in dieser – den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (siehe hierzu [3]) konkretisierenden Regelung – vorgesehenen Konstellationen ist jedoch in § 421 StPO eingestellt worden. Diese Vorschrift sieht im Übrigen – wie zuvor § 430 Abs. 1
StPO aF – weitere prozessuale Möglichkeiten vor, von einer Einziehung abzusehen.
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(2) Maßgebliche Bedeutung für die Auslegung kommt vorliegend dem
aus den Gesetzesmaterialien erkennbaren Willen des Gesetzgebers zu. Danach schränkt die „Neufassung der Vorschrift … die Möglichkeit der ‚formlosen
Einziehung‘ des Erlangten nicht ein“ (BT-Drucks. 18/9525, S. 61 unter Bezugnahme auf die Analyse der tatgerichtlichen Praxis der sogenannten außerge-
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richtlichen Einziehung bei Rönnau, Die Vermögensabschöpfung in der Praxis 2.
Aufl. Rn. 422 ff.). Ferner hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, das Recht der
Vermögensabschöpfung zu vereinfachen sowie Gerichte und Staatsanwaltschaften zu entlasten (vgl. etwa BT-Drucks. 18/9525, S. 2, 48, 54 f. und 59).
Dem würde es zuwiderlaufen, den Tatgerichten die Pflicht aufzuerlegen, durch
im Urteil zu begründende Entscheidung auch Gegenstände einzuziehen, auf
deren Rückgabe der Angeklagte wirksam verzichtet hat.
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(3) Hinzu kommt, dass eine derartige Anordnung den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verletzen würde. Dieser verlangt, dass jede staatliche
Maßnahme geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein
muss (vgl. BVerfG, NJW 1985, 121, 122 ff.; LR-StPO/Kühne, 27. Aufl., Einl. Abschn. I Rn. 96 f.). Hat aber ein Angeklagter – wie hier – wirksam den aus seinem früheren Besitz erwachsenden Herausgabeanspruch bezüglich des durch
Drogengeschäfte erlangten Geldes aufgegeben, so ginge dessen Einziehung
ins Leere und wäre mithin ungeeignet, ihr Ziel zu erreichen. Denn da der Angeklagte nach § 134 BGB am Kauferlös kein Eigentum erwerben konnte (hierzu
Köhler NStZ 2017, 497, 500), könnte ihm mehr als das Besitzrecht auch nach
§ 73 StGB nicht entzogen werden. Einer dennoch vorgenommenen Einziehungsanordnung käme ihm gegenüber nur deklaratorische Bedeutung zu (vgl.
OLG Düsseldorf, NStZ 1993, 452; BayObLG, NStZ-RR 1997, 51).
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Im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist es etwa bei Entscheidungen nach § 55 Abs. 2 StGB in vergleichbarer Weise anerkannt, dass es des
Aufrechterhaltens einer der dort genannten Rechtsfolgen nicht bedarf, sofern
diese bereits mit der Rechtskraft des einbezogenen Judikats wirksam geworden
ist. Dies wird beispielsweise für die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB;
siehe nur BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2009 – 2 StR 351/09,
-7-
NStZ-RR 2010, 58, und vom 18. November 2015 – 4 StR 442/15) und für Einziehungsanordnungen angenommen (BGH, Beschluss vom 2. Juni 2005
– 3 StR 123/05; Urteil vom 20. Juli 2016 – 2 StR 18/16, NStZ-RR 2016, 368,
369; jeweils zu den §§ 74 ff. StGB aF). Ein Fall der einen Eingriff in das Eigentum eines Dritten gestattenden Sicherungseinziehung (§ 74b StGB) wird in Bezug auf die Drogenerlöse kaum je vorliegen.
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(4) Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand der Revisionsführerin, ohne formale Einziehungsentscheidung käme es zu keinem staatlichen Eigentumserwerb (§ 75 StGB). Dies trifft in dieser Allgemeinheit im Blick auf die
Erwerbsmöglichkeiten nach bürgerlichem Recht nicht zu (vgl. insbesondere
§ 948 BGB). Zudem ist der Einwand bei einer Konstellation wie der vorliegenden ohne praktische Bedeutung. Fälle, in denen sich ein Betäubungsmittelerwerber an die Strafverfolgungsbehörden wendet, um von diesen das seinem
„Dealer“ als Kaufpreis hingegebene Geld ausgezahlt zu bekommen, sind dem
Senat nicht bekannt geworden. Einem derartigen Ansinnen bräuchte selbst
dann nicht entsprochen zu werden, wenn das Geld im Eigentum des Betreffenden stünde. Vielmehr wäre gegen ihn – sofern nicht sogar ein Anfangsverdacht
des Handeltreibens besteht – ein Ermittlungsverfahren wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) einzuleiten. In diesem Verfahren könnte das zum Kauf verwendete Geld nach § 74 Abs. 1 und 3 Satz 1 StGB
mit der Folge des Eigentumsübergangs auf den Staat eingezogen werden.
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(5) Schließlich würde das von der Beschwerdeführerin erstrebte Gesetzesverständnis einem Angeklagten die Möglichkeit nehmen, sich – durch
eine entsprechende Verzichtserklärung glaubhaft dokumentiert – von seiner Tat
zu distanzieren und das Tatgericht so unter dem Gesichtspunkt gezeigter Reue
zu einer milderen Strafe zu bewegen (zu diesem Strafmilderungsgrund BGH,
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Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152; BayObLG,
NStZ-RR 1997, 51; Brauch, NStZ 2013, 503, 504). Demgemäß hat das Landgericht dem Angeklagten auch im vorliegenden Verfahren den freiwillig erklärten
Verzicht im Rahmen der Strafzumessung zugute gehalten.
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b) Von der seitens der Beschwerdeführerin vermissten Prüfung, ob der
Angeklagte aus seinen Betäubungsmittelgeschäften mehr als 5.230 Euro erzielt
hat, war das Landgericht freilich nicht schon infolge des insoweit erklärten Verzichts entbunden. Die diesbezügliche – revisionsgerichtlicher Überprüfung nur
eingeschränkt zugängliche (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014
– 5 StR 413/14) – Beweiswürdigung zu den erzielten Verkaufserlösen weist jedoch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf; sie
ist insbesondere nicht lückenhaft.
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Das Landgericht hat seinen Feststellungen das umfassende Geständnis
des Angeklagten zugrunde gelegt. Es hat dessen durch erhobene Beweismittel
bestätigte Angaben als insgesamt glaubhaft angesehen. Den unterdurchschnittlichen Wirkstoffgehalt des gehandelten Rauschgifts von 6,6 % hat es der kriminaltechnischen Untersuchung des sichergestellten Marihuanas entnommen.
Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Revisionsbegründungsschrift und der
Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift Umstände anführen, die ihrer
Ansicht nach weiterer Aufklärung bedurft hätten, wäre für die revisionsgerichtliche Prüfung eine entsprechende Verfahrensrüge erforderlich gewesen; eine
solche ist nicht erhoben worden.
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4. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1
und Abs. 2 Satz 1 StPO.
Mutzbauer
Sander
König
Schneider
Berger