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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 StR 364/17
vom
12. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:121017B5STR364.17.0
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. Oktober 2017 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 18. April 2017 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem Strafbefehl
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten sowie wegen
gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer weiteren
Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es seine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die
Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte wahrscheinlich seit
2011, aber auf jeden Fall seit 2015 an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (ICD-10: F 60.30). Wegen psychischer Störungen, zunächst wegen Angststörungen, war er seit 2010/2011 wiederholt in
Behandlung eines niedergelassenen Psychiaters, der bei ihm eine schwere Depression diagnostizierte und ihn medikamentös therapierte. Im Jahr 2008 fiel
der Angeklagte erstmals durch Gewalttätigkeiten gegen seine mittlerweile geschiedene Ehefrau auf. Wegen weiterer gewalttätiger Übergriffe im Mai 2009
und im Januar 2010 sowie auch nach der Trennung ihr gegenüber geäußerter
Beleidigungen und Bedrohungen wurde er im Jahr 2014 unter anderem wegen
Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr
und zwei Monaten verurteilt. Vor dem Hintergrund seiner Persönlichkeitsstörung, die sich dahin auswirkt, „dass sich der Angeklagte, gegebenenfalls auch
aus nichtigem Anlass, in eine kaum mehr beherrschbare Spirale an Aggression
hineinsteigert“ (UA S. 9), beging er die beiden Anlasstaten:
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Im August 2015 griff er zunächst verbal eine Mitarbeiterin der städtischen
Verkehrsüberwachung an, die den verbotswidrig und behindernd geparkten
Pkw eines Bekannten des Angeklagten abschleppen lassen wollte. Dann
„schrie der wild gestikulierende Angeklagte nur noch unverständlich herum“ und
stieß die Zeugin gegen die Schulter. Er beruhigte sich nicht, als drei uniformierte Polizeibeamte eintrafen. Gegen einen Platzverweis setzte er sich brüllend zur
Wehr. Als ein Polizist ihn wegzuführen versuchte, schlug er mit der Faust nach
diesem. Weiteren Beamten gelang es, dem sich heftig wehrenden Angeklagten
Handschellen anzulegen und ihn in einen Streifenwagen zu bringen. Auf der
Fahrt zur Dienststelle trat er um sich, wobei zwei der ihn begleitenden Polizeibeamten leicht, ein weiterer erheblich verletzt wurden.
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4
Im April 2016 griff der Angeklagte einen Bruder seiner früheren Ehefrau
sowie deren neuen Lebensgefährten an. Er konnte die Trennung von seiner
Ehefrau nicht überwinden und war verärgert darüber, dass ihre Familie ihre
neue Beziehung zu
G.
billigte. Am Tattag brachte er in Erfahrung,
dass sich Teile ihrer Familie und ihr neuer Lebensgefährte in einem Café aufhielten. Nachdem er einen Bruder seiner früheren Ehefrau bereits vor dem Café
geschlagen hatte, folgte er diesem in den Gastraum und entdeckte dort den
Zeugen G.
. Unvermittelt zog er einen Schraubendreher, den er zufällig da-
bei hatte, und „fuchtelte“ damit vor dessen Oberkörper hin und her. Dabei fügte
er ihm eine oberflächliche Wunde auf der Brust zu. Der körperlich überlegene
G.
wehrte sich. Der Angeklagte wurde von weiteren Gästen aus dem Café
gedrängt, schlug jedoch von außen gegen die Fensterscheiben, so dass sich
G.
mit einigen Gästen vor die Tür begab. Obwohl G.
drohte, den An-
geklagten mit einem Holzbrett zu schlagen, stürmte dieser mit dem Schraubendreher auf den Zeugen zu und fügte ihm damit weitere oberflächliche Wunden
zu. Erst nachdem G.
ein Messer aus dem Café geholt hatte, dessen Ein-
satz er dem Angeklagten androhte, ergriff dieser die Flucht. Im Rahmen eines
nicht verfahrensgegenständlichen Nachtatgeschehens kam es kurz darauf zu
einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen einem weiteren Bruder der früheren Ehefrau und dem Angeklagten, in dessen Verlauf der Angeklagte den Bruder mit dem Schraubendreher in den Rumpf stach.
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Aufgrund seiner psychischen „Erkrankung“ war der Angeklagte nach Auffassung des sachverständig beratenen Landgerichts zum Zeitpunkt der Taten
„massiv eingeschränkt, sein Verhalten zu modulieren und seine Aggressivität zu
kontrollieren“. Er steigerte sich weiter in eine Aggression hinein, „die nicht zielführend sein konnte“ (UA S. 17). Dies führte dazu, dass seine Steuerungsfähigkeit zu den Tatzeitpunkten erheblich vermindert war.
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2. Der Maßregelausspruch hält einer sachlich-rechtlichen Prüfung nicht
stand.
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Die Anordnung nach § 63 StGB bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das
Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu erhebenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
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a) Bereits das Vorliegen eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB ist
nicht hinreichend belegt.
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Die Sachverständige und ihr folgend das Landgericht ordnen die beim
Angeklagten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung dem Eingangsmerkmal der
krankhaften seelischen Störung des § 20 StGB zu. Derartige Defekte sind jedoch am Merkmal der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ zu messen
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 2013 – 2 StR 463/13,
NStZ-RR 2014, 72, und vom 21. Juli 2015 – 2 StR 163/15; SSW-StGB/Kaspar,
3. Aufl., § 20 Rn. 71, 79 ff.). Dieses Eingangsmerkmal wird allein durch den Befund einer Persönlichkeitsstörung nicht belegt. Erforderlich ist bei einer nicht
pathologisch begründeten Persönlichkeitsstörung, dass sie in ihrem Gewicht
einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt. Dabei sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des
Täters von Bedeutung. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist im Allgemeinen maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des Deliktes zu
Einschränkungen des sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. zum
Ganzen BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52
und vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 f.; Beschluss vom
4. Dezember 2007 – 5 StR 398/07, NStZ-RR 2008, 104).
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10
Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil nicht. Es wird lediglich die
Einschätzung der Sachverständigen wiedergegeben, dass es sich bei der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung um eine schwere Störung der charakterlichen Konstitution und des Verhaltens handele, die „zumeist“ mit persönlichen
und sozialen Beeinträchtigungen einhergehe (UA S. 18). Ob und inwieweit dies
beim Angeklagten der Fall ist, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Die vor
2015 aufgetretenen Auffälligkeiten (Aggressionstaten zum Nachteil der Ehefrau;
Konsultationen eines niedergelassenen Psychiaters wegen Angststörungen)
müssen insoweit außer Betracht bleiben, da das Landgericht erst beginnend mit
dem Jahr 2015 das sichere Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung festgestellt
hat.
11
b) Zur Bejahung eines dauernden Zustands im Sinne von § 63 StGB
reicht die auf eine Persönlichkeitsstörung zurückzuführende Disposition nicht
aus, in bestimmten Belastungssituationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Impulskontrolle in den Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu geraten (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2008 – 4 StR 595/07 mwN). Dies
hat das Landgericht im Grundsatz erkannt und gestützt auf die entsprechende
Beurteilung der Sachverständigen – darauf abgestellt, dass für den Angeklagten bereits alltägliche Situationen ausreichende Anreize „für einen erneuten
krankheitsbedingten Aggressionsschub mit gewalttätigem Verhalten“ böten (UA
S. 43). Allerdings ist diese Einschätzung der Sachverständigen und des Landgerichts bislang lediglich durch die Anlasstat vom August 2015 und damit unzureichend belegt.
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3. Da über die Voraussetzungen des § 21 StGB neu entschieden werden
muss, war auch der Strafausspruch aufzuheben. Unabhängig hiervon hätte er
einer rechtlichen Überprüfung nicht standgehalten. Das Landgericht hat zu Las-
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ten des Angeklagten gewertet, dass im Fall 1 die Widerstandshandlung von
erheblicher Brutalität gekennzeichnet war und weit über das hinausgegangen
sei, was Polizeibeamte „an Widerstandshandlungen üblicherweise erleiden“
müssten. Im Fall 2 hat es negativ berücksichtigt, dass der Angeklagte den Zeugen G.
mehrfach attackierte. Diese Umstände sind jedoch nach den Ur-
teilsausführungen (UA S. 30 f.) gerade durch die Persönlichkeitsstörung des
Angeklagten bedingt. Sofern diese sich im Sinne des § 21 StGB schuldmindernd ausgewirkt hat, durften sie dem Angeklagten jedenfalls nicht uneingeschränkt strafschärfend angelastet werden (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1961 – 4 StR 373/61, BGHSt 16, 360, 364; Beschlüsse vom 25. Oktober 2012 – 5 StR 512/12; vom 9. Oktober 1996 – 3 StR 454/96, NStZ-RR 1997,
66 mwN).
Mutzbauer
Sander
König
Schneider
Mosbacher