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5 StR 259/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 19. August 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
-2-
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. August 2008
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 24. Januar 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der
Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendschutzkammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwölf
Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.
Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte seine im Jahr 1978 geborene Stiefenkelin, die Nebenklägerin. Bei der
ersten Tat im Jahr 1986 oder 1987 drückte er das acht Jahre alte, sich zunächst durch Schläge wehrende Mädchen zu Boden, fasste es an die Brust,
führte einen Finger und schließlich sein Glied in deren Scheide ein. In der
Folgezeit wiederholte sich dieses Geschehen über einen Zeitraum von etwa
einem Jahr in elf Fällen.
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2. Der Schuldspruch hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
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4
a) Die Taten 2 bis 12 sind nicht ausreichend individualisiert, da sich
die Feststellungen hierzu in einem pauschalen Verweis auf die erste Tat erschöpfen. Den Urteilsgründen kann zudem nicht entnommen werden, anhand welcher Anknüpfungspunkte im Beweisergebnis sich das Landgericht
vom Beginn und Ende der Missbrauchsserie und von der Anzahl der festgestellten Taten überzeugt hat.
5
Um eine bestimmte Anzahl von Straftaten einer in allem gleichförmig
verlaufenden Serie sexueller Missbrauchshandlungen an Kindern festzustellen, bedarf es zwar nicht stets einer Konkretisierung nach genauer Tatzeit
und exaktem Geschehensverlauf. Das Gericht muss aber darlegen, aus welchen Gründen es die Überzeugung gerade von dieser Mindestzahl von Straftaten gewonnen hat (vgl. BGHSt 42, 107, 109 f.; BGH NStZ 1998, 208; Senat, Beschluss vom 5. März 2008 – 5 StR 611/07).
6
Daran fehlt es. Es ist nicht dargelegt, aufgrund welcher Angaben der
Nebenklägerin das Landgericht den Tatzeitraum, der für die Bestimmung der
Anzahl der Taten maßgeblich ist, bestimmt hat. Zwar sind die Taten nach
diesen Angaben mit der Krankheit ihrer Großmutter verknüpft, aber auch
daraus ergibt sich keine Bestimmung der Dauer des Tatzeitraums. Hinzu
kommt, dass das Landgericht zur Häufigkeit der Taten lediglich beweiswürdigend feststellt, dass die Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren zunächst
angab, der Angeklagte habe sie einmal pro Woche vergewaltigt, ein halbes
Jahr später in der Hauptverhandlung jedoch nur noch einen Übergriff pro
Monat behauptet hat.
7
Dies lässt besorgen, dass sich das Landgericht rechtsfehlerhaft keine
Überzeugung von jeder einzelnen Tat verschafft, sondern die Zahl der abzuurteilenden Straftaten ohne zureichende Tatsachengrundlage im Wege nicht
fundierter Schätzung festgelegt hat.
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8
b) Auch die Beweiswürdigung des Landgerichts weist Rechtsfehler
auf. Steht Aussage gegen Aussage und hängt die Entscheidung allein davon
ab, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen
lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.,
vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 14; § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 8). Zudem ist in besonderem Maße eine Gesamtwürdigung aller
Indizien geboten (vgl. BGHR StPO § 261 Indizien 2, Beweiswürdigung 14;
BGH, Beschluss vom 16. Februar 2000 – 3 StR 28/00).
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Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Das
Landgericht hat seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der Angaben der
Nebenklägerin maßgeblich auf den Detailreichtum und die Konstanz ihrer
Aussage gegründet. Diese Wertung findet in den Urteilsfeststellungen indes
keine Stütze.
10
Die Darstellung auch der ersten Tat erschöpft sich auf der Grundlage
der Urteilsfeststellungen allein in der Schilderung eines sexuellen Kerngeschehens. Die für die Glaubhaftigkeit der Angaben ins Feld geführten farbigen Elemente derselben konnten jedenfalls für die Sachverhaltsfeststellung
oder die Begründung der Beweiswürdigung nicht fruchtbar gemacht werden.
Hinzu kommt, dass die Nebenklägerin nach der Wertung des Landgerichts
„einige Details“ erst durch Vorhalt ihrer früheren polizeilichen Vernehmung
bestätigen konnte, so dass eine geschlossene Darstellung ihrer damaligen
und ihrer Angaben in der Hauptverhandlung erforderlich gewesen wäre, um
die Gewichtung von Detailreichtum für die Würdigung der Aussage nachvollziehbar zu begründen.
11
Schon vor diesem Hintergrund begegnet auch die Bewertung der
Konstanz der Aussage durchgreifenden Bedenken. Hinzu kommt, dass das
Landgericht Widersprüche im Aussageverhalten nicht ausreichend auf ihre
Bedeutung für das von ihr als wesentlich angesehene Glaubhaftigkeitskriteri-
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um der Konstanz geprüft hat. So hat es die abweichenden Angaben zur Häufigkeit der Übergriffe dadurch als entkräftet angesehen, dass es diesen keine
Bedeutung für das Kerngeschehen beigemessen und diesen Widerspruch
– aber auch weitere, nicht näher benannte Widersprüche – auf die 20 Jahre
Zeitabstand seit den Taten zurückgeführt hat. Dabei hat es freilich aus dem
Blick verloren, dass die den Angeklagten wesentlich stärker belastenden Angaben der Nebenklägerin nur etwa sechs Monate vor der demgegenüber
abgeschwächten Belastung in der Hauptverhandlung erfolgten, mithin nicht
– wie etwa durchgehend vorhandene Erinnerungsschwächen – mit dem Zeitablauf seit den Taten und dem damals kindlichen Alter der Nebenklägerin
erklärt werden könnten und dass die Anzahl der behaupteten Taten sehr
wohl einen Kernbereich der Belastung darstellt.
12
Auch lassen die Urteilsgründe eine Auseinandersetzung mit dem Motiv für eine auf Vorhalt von der Nebenklägerin eingeräumte falsche Angabe
bei der polizeilichen Vernehmung hinsichtlich eines an den Angeklagten gerichteten Briefs vermissen. Dies hätte sich aber aufgedrängt, da die Nebenklägerin damals angegeben hatte, den Angeklagten in diesem Brief gefragt
zu haben, ob er sie damals missbraucht habe, was mit ihrer behaupteten
bestimmten Erinnerung an das Tatgeschehen in einem deutlichem Spannungsverhältnis steht. Eine von der Mutter der Nebenklägerin bekundete abweichende, weit harmlosere Schilderung des Tatgeschehens durch die Nebenklägerin ihr gegenüber („Anfassen“) hätte trotz der ersichtlichen Zeugnisschwäche der Mutter angesichts der gravierenden Unterschiede ebenfalls
näherer Erörterung bedurft.
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13
Der Senat sieht Anlass, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird sich um weitere Sachaufklärung mit Hilfe weiterer
mittelbarer Zeugen zu bemühen haben.
Basdorf
Roggenbuck
Raum
Schaal
Schneider