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5 StR 257/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 23. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
-2-
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juli 2008
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten P.
wird das Ur-
teil des Landgerichts Berlin vom 27. November 2007, soweit es diesen Angeklagten betrifft, gemäß § 349 Abs. 4
StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten P.
wegen Mordes zu ei-
ner lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, gegen den nichtrevidierenden mitangeklagten Tatbeteiligten B.
wegen gefährlicher Körperverletzung eine
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängt und den weiteren
ebenfalls nicht revidierenden Mitangeklagten S.
wegen Beihilfe zur
gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Revision des Angeklagten P.
hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und
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Wertungen getroffen:
a) Der Angeklagte P.
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fe des
Ba.
bediente sich beim Geldeintreiben der Hil-
und eines weiteren tschetschenischen Landsman-
nes. Diese erreichten es immerhin, dass P.
durch seine Schuldner
nicht mehr bedroht wurde. Dafür verlangten Ba.
und sein Partner aller-
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dings die Hälfte der einzutreibenden Forderung (knapp 125.000 €) von P.
und unter Drohungen mit einer Waffe weiteres Geld, das der Angeklagte zahlte. Anfang des Jahres 2006 kam es zu einem Treffen des Angeklagten und der beiden mit ihm befreundeten Mitangeklagten mit den Tschetschenen am Alexanderplatz. Obwohl B.
sprach Ba.
weitere 2.500 Euro bezahlte,
weitere Drohungen aus und kündigte im Februar 2006 an, die
Mutter und die Verlobte des Angeklagten P.
Angeklagten B.
sowie die Ehefrau des
„totzumachen“, falls diese beiden Angeklagten nicht als-
bald 30.000 Euro zahlen würden.
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Daraufhin verabredeten P.
und B.
„Gegenschlag“ auszuholen und Ba.
im Februar 2006, zum
zu fesseln, zusammenzuschlagen
und anschließend in einem Waldstück außerhalb Berlins auszusetzen. Diese
Idee war maßgeblich von dem Angeklagten S.
beeinflusst, der des-
halb bei der Ausführung des Plans auch helfen sollte. „Der Angeklagte P.
entschied jedoch für sich, Ba.
sogar zu töten, ohne die beiden an-
deren Angeklagten in diesen Plan einzuweihen“ (UA S. 7).
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Der Angeklagte P.
bat am Nachmittag des 15. Februar 2006
den besonders kräftigen Angeklagten S.
, zu einem Treffen mit den
Tschetschenen zu kommen, da er nicht wisse, wieviele Personen aus dem
gegnerischen Lager kommen würden. Auf Wunsch des P.
erklärte sich
ein guter Bekannter gegen 18.00 Uhr bereit, mittels elektronisch dokumentierter Zahlungen mit EC-Karten des P.
, diesem Angeklagten für den
Abend ein Alibi zu verschaffen.
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In Ausführung des ursprünglichen Tatplans parkte B.
das Tatfahr-
zeug – einen Personentransporter – in einer Seitenstraße. Er begab sich zu
Fuß zu dem mit Ba.
vereinbarten Treffpunkt am Kurfürstendamm. P.
versteckte sich im Fahrzeug hinter der hinteren durchgängigen Sitzreihe.
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Kurz vor 21.25 Uhr kehrte der Angeklagte B.
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mit Ba.
zu sei-
nem Fahrzeug zurück und ließ ihn unter einem Vorwand einsteigen. Dieser
nahm auf der Rückbank Platz. B.
wo der Angeklagte S.
Ba.
fuhr in Richtung D.
zusteigen sollte. Auf die Frage des B.
mit dem Angeklagten P.
vorhabe, wurde Ba.
sagte in scharfem Ton, er werde P.
den bereit, P.
straße los,
, was
ausfallend und
fertig machen, seine Leute stün-
s Mutter, „die Schlampe“, würde er jetzt „totmachen“ (UA
S. 9). Daraufhin geschah folgendes:
P.
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B.
warf ein Seil, das er in einer Werkzeugkiste des Angeklagten
gefunden und an sich genommen hatte, von hinten über den vor ihm
leicht nach vorn gebeugt sitzenden, sich keines Angriffs versehenden
schmächtigen Ba.
, zog es mit einem heftigen Ruck nach hinten, so dass
das Seil vom Oberkörper nach oben rutschte und sich um dessen Hals legte,
und hielt mit großer gleich bleibender Kraft das Seil fest zugezogen, um Ba.
zu töten. Nach wenigen, höchstens zehn Sekunden verlor Ba.
wegen
einer krankheitsbedingten Vorschädigung (UA S. 14 f.) das Bewusstsein und
ist spätestens nach zwei Minuten (UA S. 9) verstorben. Ein noch längeres
Drosseln ist von rechtsmedizinischen Sachverständigen ausgeschlossen
worden, wobei das Landgericht einen Unfall bei einem bloßen Fesselungsversuch aufgrund des Tathergangs nicht sicher ausgeschlossen hat, letztlich
nicht einmal aufgrund der theoretischen Möglichkeit eines „Sekundentodes“
des Opfers.
9
B.
als er Ba.
nahm S.
, wie verabredet, auf. Dieser war überrascht,
bereits im Auto fixiert vor dem Angeklagten P.
Nach Fortsetzung der Fahrt rutschte Ba.
boden. P.
erblickte.
s Leichnam auf den Fahrzeug-
kletterte über die Rückbank, schüttelte Ba.
und stellte
fest, dass er tot war, was er auch laut äußerte. Zu diesem Zeitpunkt befand
sich das Fahrzeug bereits auf der Autobahn in Richtung des Ortes, an dem
die Angeklagten nach der ursprünglichen Vereinbarung Ba.
setzen wollen.
hatten aus-
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b) Das Landgericht hat beweiswürdigend angenommen, P.
ha-
be seinen Tötungsvorsatz bereits zu dem Zeitpunkt gefasst, als er bei seinem Bekannten die Beschaffung der Alibibelege in Auftrag gegeben hatte.
Den gegenteiligen, jeden Tötungsvorsatz bestreitenden Angaben des Angeklagten fehle es an Überzeugungskraft, dies gelte vor allem für das konstruierte Alibi. Aus dem Drosselungsvorgang leitet das Landgericht hingegen
– ersichtlich im Anschluss an die rechtsmedizinischen Gutachten – kein
maßgebliches Indiz für einen Tötungsvorsatz des Angeklagten P.
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her.
2. Die hierfür vom Landgericht dargelegte Beweiswürdigung hält der
sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand. Sie erweist sich als lückenhaft und
im Blick auf die vom Landgericht angenommene Tötungsabsicht widersprüchlich (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387; NStZ 2006, 625, 627); sie vermag
letztlich für den angenommenen Zeitpunkt der Fassung des Tötungsvorsatzes nur eine Vermutung zu begründen (vgl. BGH StV 2002, 235 m.w.N.). Als
Tatvariante bleibt danach neben dem gemeinsamen Tötungsplan der drei
Angeklagten und einer spontanen heimtückischen Tötung eine Körperverletzung mit Todesfolge im Rahmen eines Fesselungsvorhabens. An der Beweisführung des Landgerichts ist im Einzelnen jedenfalls folgendes zu beanstanden:
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a) Das Landgericht hält die Einlassung des Angeklagten P.
hätte Ba.
, er
mit Hilfe der Alibibelege als Lügner hinstellen wollen, für wider-
legt und wertet die Beschaffung des Alibis als ein den Tötungsvorsatz begründendes maßgebliches Indiz. Es sei nur für den Fall des Todes des Ba.
eine sinnvolle Verteidigung gewesen (UA S. 13). Im Fall des Überlebens
des Ba.
hätte der Angeklagte nicht ernsthaft annehmen können, die be-
schafften Belege hätten auf Ba.
s tschetschenische Freunde entlastend
wirken können; auch bei der Polizei hätte ein überlebender Ba.
den An-
geklagten als Täter identifizieren können. Es trete hinzu, dass das Risiko eines Racheaktes durch Ba.
wesen wäre.
bei einer Körperverletzung unkalkulierbar ge-
-6-
13
Das konstruierte Alibi wird als maßgebliches Indiz für einen Tötungsvorsatz des Angeklagten P.
ersichtlich überschätzt. Jedenfalls hin-
sichtlich einer Verwendung der Alibibelege im Rahmen polizeilicher Ermittlungen wird übersehen, dass auch gegenüber einer Identifizierung des Angeklagten durch Ba.
als Mittäter die Alibibelege für den Angeklagten aus
seiner Sicht von hohem entlastenden Beweiswert gewesen wären.
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Zudem bestehen in diesem Zusammenhang Lücken in der Beweiswürdigung, soweit das Landgericht seine eigenen Feststellungen zu wesentlichen Tatumständen nicht unter dem Gesichtspunkt bewertet und hinterfragt
hat, dass der perfektionistische Angeklagte (UA S. 17) nach der Annahme
des Landgerichts bereits ab 18.00 Uhr eine Tötungsabsicht verfolgt hat.
Denn der Angeklagte hätte unter dieser Prämisse zwar ein Alibi konstruiert,
hingegen seinen von seinen Tatgenossen nicht mitgetragenen Tötungsplan
ohne eigenes Tötungswerkzeug zu verwirklichen versucht. Der Angeklagte
hatte nämlich nach den Feststellungen lediglich ein Seil – auch ein Fesselungswerkzeug – in der Werkzeugkiste des Fahrzeugs des Angeklagten B.
„gefunden“. Über andere Werkzeuge verfügte er nicht. Dies widerspricht
nicht nur kriminalistischer Erfahrung, sondern steht in deutlichem Gegensatz
zu den eingehenden Alibivorbereitungen.
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Der Angeklagte hatte es nach den Feststellungen ferner unterlassen
abzusichern, dass Ba.
auf der Rücksitzbank Platz nehmen würde. Dass
dieser sich dort in einer für den Angriff des Angeklagten bereiten Position
hinsetzte, beruhte folglich auf Zufall. Hätte er von vornherein vorgehabt, Ba.
zu erdrosseln, hätte er zudem mit größter Wahrscheinlichkeit den Erfolgseintritt seiner – beabsichtigten – Tötungshandlung sogleich kontrolliert.
Solches hat der Angeklagte unterlassen. Er hat vielmehr vor der Feststellung, dass die Tat zum Erfolg geführt hat, das Risiko der Tatentdeckung erhöht, wenn er den hinsichtlich der ausgeführten Tötung nicht eingeweihten
Mittäter S.
noch in das Fahrzeug einsteigen ließ. Bei alledem war das
Verborgenhalten P.
s im Fahrzeug für die Fassung eines Tötungsplans
-7-
unergiebig, da dieses Verhalten für einen gemeinsamen Plan der Körperverletzung und Aussetzung gleichermaßen sinnvoll war.
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b) In der Wertung, das Risiko eines Racheakts durch Ba.
bei Vor-
nahme einer bloßen Körperverletzung wäre unkalkulierbar gewesen, liegt
schließlich ein unerklärter Widerspruch zu der vom Landgericht angenommenen deliktischen Mitwirkung der Mitangeklagten B.
und S.
.
Diese hat das Landgericht als bloße Körperverletzer angesehen und insoweit
den ursprünglich gefassten Tatplan – Körperverletzung und Aussetzung – als
eine für sie realistische deliktische Beteiligung betrachtet. Auch für die Mitangeklagten bestand indes das gleiche unkalkulierbare Racherisiko, ohne dass
das Landgericht deshalb folgerichtig auch bei ihnen ebenfalls Tötungsvorsatz
erwogen hätte.
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3. Die Sache bedarf gegen den Angeklagten P.
umfassender
neuer Aufklärung und Bewertung. Hierfür wird es sich anbieten, einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nach den in BGHR StGB § 212
Abs. 1 Vorsatz, bedingter 57 dargelegten Prämissen zu prüfen.
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Der Senat verkennt bei der Urteilsaufhebung nicht, dass bei der gegebenen Gesamtbeweislage die Feststellung einer Drosselung mit Tötungsvorsatz – sei es auf der Grundlage eines gemeinsamen Tötungsplans, eines
isolierten Tötungsplans P.
s oder auch eines Spontanangriffs – deutlich
wahrscheinlicher ist als eine Körperverletzung mit Todesfolge aufgrund eines
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Fesselungsversuchs mit tödlichem Ausgang, die aber bislang als Tatvariante
nicht tragfähig ausgeschlossen ist.
Basdorf
Schaal
Raum
Brause
Jäger