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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 StR 107/14
vom
25. Mai 2016
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:250516B5STR107.14.0
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Mai 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 15. November 2013 nach § 349 Abs. 4 StPO
mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
zurückverwiesen.
Gründe:
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in 87 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und Wertersatzverfall in Höhe von
200.000 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete und auf die allgemeine
Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat – nach Erledigung eines
Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union
(vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2014 – 5 StR 107/14, PharmR 2014, 296)
sowie eines Anfrageverfahrens nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. November 2014 – 5 StR 107/14, PharmR 2015, 33; vom
20. Januar 2015 – 3 ARs 28/14, PharmR 2015, 239; vom 23. Dezember 2015
– 2 ARs 434/14, PharmR 2016, 84) – Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bestellte und verkaufte der
Angeklagte von Mai 2010 bis Mai 2011 zunächst allein über seinen Onlineshop
und nach dessen Aufgabe im Oktober und November 2012 mit einem Mittäter
fertig verpackte Tüten mit bis zu 3 g Kräutermischungen aus getrocknetem
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Pflanzenmaterial, dem verschiedene, dem Betäubungsmittelgesetz zum damaligen Zeitpunkt weitgehend noch nicht unterfallende synthetische Cannabinoide
zugesetzt waren. Der Verkauf erfolgte mit der Bestimmung, dass die Mischungen von den Kunden „durch Rauchen (z.B. in Form von Joints)“ zur Erzielung
einer Rauschwirkung konsumiert werden sollten (UA S. 4, 227). Der Angeklagte informierte sich über die Rechtslage und gelangte zu der Erkenntnis, dass es
einen illegalen Bereich gebe. Er vertraute jedoch auf die Angaben der Hersteller, wonach der Vertrieb der Mischungen legal sei. Behördliche Auskünfte oder
anderweitigen Rechtsrat holte er nicht ein (UA S. 5).
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Eine positive Wirkung, etwa einen therapeutischen oder prophylaktischen Nutzen, hatte das Rauchen der Kräutermischungen nicht. Vielmehr war
es gesundheitsgefährdend. Nach Auffassung des Landgerichts handelte es
sich bei den Kräutermischungen im Hinblick auf deren physiologische Funktionen durch pharmakologische Wirkung um Funktionsarzneimittel im Sinne des
§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG; ein therapeutischer Nutzen oder eine positive
Beeinflussung sei nicht erforderlich (vgl. UA S. 225).
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2. Der Schuldspruch hat keinen Bestand.
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Die vom Angeklagten vertriebenen Kräutermischungen können im Lichte
der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom
10. Juli 2014 – C-358/13; C-181/14, NStZ 2014, 461) nicht als Arzneimittel im
Sinne des § 2 Abs. 1 AMG angesehen werden, weil sie in ihren Wirkungen der
menschlichen Gesundheit nicht zuträglich, sondern im Gegenteil gesundheitsschädlich sind. Der Senat ist im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung
des Arzneimittelbegriffs nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG an die im Vorabentscheidungsverfahren durch den Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommene Auslegung der Humanarzneimittel-Richtlinie gebunden (vgl. BGH,
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Beschlüsse vom 13. August 2014 – 2 StR 22/13 Rn. 3 f.; vom 4. November 2015 – 4 StR 403/14, PharmR 2016, 13; Urteile vom 4. September 2014
– 3 StR 437/12, PharmR 2015, 264 Rn. 15 f.; vom 23. Dezember 2015
– 2 StR 525/13, NJW 2016, 1251 Rn. 21 f. [zum Abdruck in BGHSt vorgesehen]; Grabitz/Hilf/Nettesheim, 58. EL, Art. 267 AEUV Rn. 102). Danach ist sowohl der Arzneimittelbegriff in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der genannten Richtlinie als
auch der nahezu wortgleiche § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG dahin auszulegen, dass keine Stoffe erfasst werden, deren Wirkungen sich – wie hier – auf
eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein,
und die nur ihrer Rauschwirkung wegen konsumiert werden und dabei gar gesundheitsschädlich sind (vgl. EuGH, aaO sowie BGH, Beschluss vom 13. August 2014 – 2 StR 22/13, aaO; Urteile vom 4. September 2014 – 3 StR 437/12,
aaO Rn. 10 ff.; vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 525/13, aaO, jeweils mwN).
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3. Der Senat sieht sich jedoch an einem Freispruch des Angeklagten gehindert.
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a) Ausweislich der – insoweit unklaren – Urteilsgründe waren in den
Kräutermischungen möglicherweise („oder“; z.B. UA S. 7, 8, 9) und „teilweise
zusätzlich“ (z.B. UA S. 8, 9, 10) auch solche Cannabinoide enthalten, die zur
Tatzeit schon der Anlage 2 zu § 1 Abs. 1 BtMG in der ab 22. Januar 2010 geltenden Fassung vom 18. Dezember 2009 (BGBl. I S. 3944) unterfielen
(JWH 018, JWH 019, JWH 073 und CP 47, [CP] 497). Gegebenenfalls kommt
eine Strafbarkeit wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 29
Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BtMG in Betracht (vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. August 2014 – 2 StR 22/13, aaO; Urteile vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13,
BGHSt 60, 134; vom 15. Oktober 2015 – 1 StR 317/15).
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b) Soweit die verwendeten Cannabinoide zur Tatzeit nicht als Betäubungsmittel definiert waren, wäre nach der durch den Senat vertretenen Auffassung – an der festgehalten wird –, eine Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen
Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe in Betracht gekommen (§ 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2
VTabakG). Jedoch ist das Vorläufige Tabakgesetz nach Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte
Erzeugnisse vom 4. April 2016 (BGBl. I S. 569, 584) am 20. Mai 2016 außer
Kraft getreten. Das mit diesem Artikelgesetz neu eingeführte, im Wesentlichen
gleichfalls am 20. Mai 2016 in Kraft getretene Gesetz über Tabakerzeugnisse
und verwandte Erzeugnisse (Tabakerzeugnisgesetz – TabakerzG) vom 4. April 2016 (BGBl. I S. 569) enthält keine Strafbestimmungen, die den § 52 Abs. 2
Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG inhaltlich entsprechen, also das Inverkehrbringen von pflanzlichen Raucherzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe pönalisieren. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 9 und 10 TabakerzG aufgenommenen Strafvorschriften betreffen vielmehr den – hier nicht einschlägigen –
Schutz vor irreführenden Vertriebsformen (§ 18 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, 2
TabakerzG). Entsprechendes gilt für die Verordnung über Tabakerzeugnisse
und verwandte Erzeugnisse (Tabakerzeugnisverordnung – TabakerzV) vom
27. April 2016 (BGBl. I S. 980). Mangels Unrechtskontinuität können die Taten
des Angeklagten damit nicht mehr unter dem Aspekt des verbotenen Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen ähnlichen Waren bzw. nach neuer Terminologie (vgl. § 2 Nr. 1, 2 TabakerzG) von verwandten Erzeugnissen strafrechtlich geahndet werden (§ 2 Abs. 3 StGB).
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4. Der Senat hebt mit der Verurteilung die im vorgenannten Sinn lückenhaften Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht in sich stimmige Feststellungen zu ermöglichen. Dieses wird sich mit der Zusammensetzung
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der durch den Angeklagten vertriebenen Kräutermischungen und deren Strafbarkeit nach § 29 BtMG im Zeitpunkt der Tat im Einzelnen auseinanderzusetzen haben. Als einheitliche Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
kommen dabei die im angefochtenen Urteil bezeichneten Einkaufshandlungen
des Angeklagten (UA S. 12 bis 16) in Betracht, wohingegen die Verkaufshandlungen aus den so beschafften Vorräten lediglich unselbständige Teilakte in
Bezug auf den Handel mit der jeweiligen Gesamtmenge darstellen (st. Rspr.,
vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. Januar 1981 – 2 StR 618/80, BGHSt 30, 28,
31 mwN).
Sander
Schneider
König
Dölp
Bellay