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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 450/10
vom
11. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. Januar 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Essen vom 22. Februar 2010 im Ausspruch
über die im Fall II. 3 der Urteilsgründe verhängte Einzelfreiheitsstrafe und die Gesamtstrafen mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts EssenSteele vom 07.04.2005 (Az.: 18 Ds- 64 Js 2180/04 - 33/05) und des Amtsgerichts Essen vom 10.04.2006 (Az.: 42 Ls- 20 Js 275/05 - 606/05) und Auflösung
der im Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 04.10.2006 (Az.: 42 Ls- 20 Js
275/05 - 606/05) gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 (einem) Jahr und wegen Vergewaltigung, wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe
von 3 (drei) Jahren verurteilt". Hiergegen richtet sich die mit der allgemeinen
Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt ledig-
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lich zum Strafausspruch einen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Der Einzelstrafausspruch im Fall II. 3 der Urteilsgründe hält rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
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a) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht angenommen, der Angeklagte
habe dadurch den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt, dass er der
Nebenklägerin "plötzlich und gezielt eine Kopfnuss gegen die Stirn versetzte",
wodurch sich dort „sofort eine schmerzhafte Schwellung“ bildete. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Körperteile des Täters an sich kein gefährliches
Werkzeug im Sinne der Vorschrift (vgl. die Nachweise bei Fischer, StGB,
58. Aufl., § 224 Rn. 8a). Der Angeklagte hat sich im Fall II. 3 der Urteilsgründe
daher lediglich wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1
StGB strafbar gemacht; das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung gemäß § 230 Abs. 1 StGB hat die Staatsanwaltschaft dadurch konkludent
bejaht, dass sie in diesem Fall Anklage wegen (einfacher) Körperverletzung
erhoben hat.
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b) Einer Änderung des Schuldspruchs, so wie er in den Tenor des angefochtenen Urteils aufgenommen ist, bedarf es nicht; denn der Angeklagte hat,
wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 15. Dezember 2010
zutreffend ausgeführt hat, in dem vom Landgericht lediglich als (einfache) Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB gewerteten Fall II. 2 der Urteilsgründe
in Wahrheit den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224
Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt. Aufzuheben ist jedoch die im Fall II. 3 des Urteils verhängte Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten, da diese zu Unrecht dem Regelstrafrahmen der Qualifikation entnommen wurde.
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2. Dies entzieht der (zweiten) Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren die
Grundlage.
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3. Die unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts
Essen-Steele vom 7. April 2005 und des Amtsgerichts Essen vom 10. April
2006 gebildete nachträgliche (erste) Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr bedarf ebenfalls der Aufhebung. Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß
§ 55 Abs. 1 StGB im angefochtenen Urteil leidet an einem durchgreifenden
Darstellungsmangel. In den Urteilsgründen sind, wenn eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt, die hierfür maßgeblichen Umstände darzulegen, insbesondere also die Daten von Vorverurteilungen oder Gesamtstrafenbeschlüssen, deren Rechtskraft, Tatzeiten der abgeurteilten Fälle, Erledigungsstand der in Betracht kommenden Strafen sowie Höhe und wesentliche
Zumessungsgründe von Einzelstrafen (BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 1988
– 3 StR 236/88 und vom 11. Januar 2000 - 5 StR 651/99, BGHR StGB § 55
Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 7; Fischer, aaO, § 55 Rn. 34). Daran lässt
es das Landgericht fast völlig fehlen. Der Senat kann schon nicht beurteilen, ob
die mit Beschluss vom 4. Oktober 2006 gemäß § 460 StPO nachträglich festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe (in nicht mitgeteilter Höhe) rechtsfehlerfrei gebildet
worden ist (vgl. zur Maßgeblichkeit der materiellen Rechtslage BGH, Beschlüsse vom 24. März 1988 – 1 StR 83/88, BGHSt 35, 243, vom 5. Dezember 1990 –
3 StR 407/90, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 4 und vom
11. Januar 2000 - 5 StR 651/99, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 7). Erst recht lässt sich der Darstellung der Vorverurteilungen des
Angeklagten im angefochtenen Urteil nicht entnehmen, ob die einbezogenen
Strafen bereits erledigt sind.
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4. Für die nunmehr zu treffende Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Für die Frage der Erledigung an sich gesamtstrafenfähiger Vorstrafen
ist der Vollstreckungsstand im Zeitpunkt des angefochtenen, also des ersten
landgerichtlichen Urteils maßgeblich (BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2009
- 5 StR 459/09, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 4 und vom 8. Oktober 2010 – 3 StR 368/10 m.w.N.).
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b) Sofern die erste Vorverurteilung vom 14. Juli 2004 erledigt oder nicht
gesamtstrafenfähig ist und die nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 4. Oktober 2006 materiellrechtlich zutrifft,
ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher ausgeführt hat,
gemäß § 55 Abs. 1 StGB eine nachträgliche (erste) Gesamtstrafe aus der Einzelstrafe im Fall II. 1 der Urteilsgründe und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung des Angeklagten vom 24. April 2007 zu bilden.
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c) Für die erneute Bildung der Gesamtstrafen gilt das Verschlechterungsverbot in § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO. In dem oben unter Buchstabe b) bezeichneten Fall darf etwa die Summe aus der nunmehr zu bildenden nachträglichen Gesamtstrafe und der Gesamtstrafe aus dem Beschluss vom 4. Oktober
2006 die Grenze von einem Jahr und sechs Monaten nicht überschreiten (vgl.
im Einzelnen BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 1989 - 3 StR 310/89, BGHR
StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Geldstrafe 3, vom 5. Juli 1990 - 1 StR 273/90 und vom
7. Dezember 1990 - 2 StR 513/90, NStZ 1991, 182; SSW/Eschelbach, StGB,
§ 55 Rn. 32; Fischer, aaO, § 55 Rn. 19). Wird diese (erste) Gesamtfreiheitsstrafe erneut - nach Maßgabe des § 56 StGB - nicht zur Bewährung ausgesetzt, so
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hat der neue Tatrichter gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB über die Anrechnung
etwa vom Angeklagten erbrachter Bewährungsleistungen zu entscheiden.
Ernemann
Solin-Stojanović
Franke
Cierniak
Mutzbauer